Predigt zur Einweihung des Gemeindehauses in Berlin-Wilhelmshagen am Sonntag Estomihi
Wolfgang Huber
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Festgemeinde!
Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. Das Wort blieb nicht bei sich und für sich. Das Wort suchte sich einen Ort in dieser Welt, um in ihr zu wohnen. Diese Einwohnung Gottes erhielt einen Körper, einen Namen und eine Gestalt: Jesus von Nazareth, den wir als den Gesalbten Gottes, als Gleichnis für Gottes Liebe, als den Christus bekennen.
Um seinen Namen, um diese Gestalt ging es, als die Verantwortlichen dieser Gemeinde sich auf den Weg begaben, der zum heutigen Tag führte. Um Jesu Namen, um seine Gestalt ging es, als mutig darüber nachgedacht wurde, wie es gelingen könnte, dieser Gemeinde neue Räume zu eröffnen. Was erst Vision war, ist nun verwirklicht. Lange Planungsprozesse haben zum Ziel geführt. Statt der früheren vier Orte, an denen Gottesdienste gefeiert wurden, gibt es nun drei. Ein Kirchengebäude wurde zum Kindergarten umgestaltet, in dem nun die Kinder ihre Heimat gefunden haben. Und das neu gebaute Gemeindehaus kann heute in den Gebrauch der Gemeinde übergeben werden. Die Taborkirche ist derzeit eine Baustelle. Daran zeigt sich, dass es weitere Zukunftspläne, weitere Visionen gibt.
Heute ist ein besonderer Tag, ein wirklicher Freudentag. Wir wollen unserer Freude Ausdruck verleihen und Gott für diesen Festtag danken. Wir halten inne, um uns zu vergewissern, wo wir stehen.
„Lass deine Augen offen stehen über diesem Hause Nacht und Tag, über der Stätte, von der du gesagt hast: Da soll mein Name sein.“ Unter dieser Bitte nehmen wir das neue Gemeindehaus in Gebrauch. Unter diese Bitte stellen wir alles, was in dieser Gemeinde umgebaut und umgestaltet, umgeplant und neu geordnet wurde. Diese Bitte stammt ursprünglich ebenfalls aus einer Einweihungshandlung; wir haben den Zusammenhang vorhin als Schriftlesung gehört. Eingeweiht wurde der Tempel in Jerusalem, das zentrale Heiligtum des Volkes Israel. Auf das Jahr 952 vor Christi Geburt wird diese Einweihungshandlung datiert. Der König Salomo, der Erbauer des Tempels, bittet Gott in einem langen Gebet, in dem neu erbauten Tempel Wohnung zu nehmen und seinem Volk nahe zu sein.
Anmaßung und Hochmut sind mit dieser Bitte nicht verbunden. Dass Gott nicht in ein Haus auf dieser Erde gesperrt werden kann, wer wollte das leugnen? Ausdrücklich hält Salomo in diesem Weihegebet sich selbst die Frage vor: „Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmmel können dich nicht fassen – wie sollte es denn dies Haus tun, das ich gebaut habe?“
Der Einwand ist berechtigt bis zum heutigen Tag. Wie sollten wir für Gott Häuser bauen? Wir können doch nichts anderes tun, als ihn um seine Gegenwart zu bitten. Wir können doch nichts anderes tun, als darauf zu hoffen, dass sein Wort zu Gehör kommt, die Menschen erreicht und verwandelt. „Bessert euer Leben und euer Tun, so will ich bei euch wohnen an diesem Ort“, heißt es deshalb in der Tempelrede des Propheten Jeremia, der sofort und mit unüberbietbarer Deutlichkeit hinzufügt: „Verlasst euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: Hier ist des Herrn Tempel, hier ist des Herrn Tempel, hier ist des Herrn Tempel! Sondern bessert euer Leben und euer Tun, dass ihr recht handelt einer gegen den andern und keine Gewalt übt gegen Fremdlinge, Waisen und Witwen und nicht unschuldiges Blut vergießt an diesem Ort und nicht andern Göttern nachlauft zu eurem eigenen Schaden, so will ich immer und ewig bei euch wohnen an diesem Ort, in diesem Lande, das ich euren Vätern gegeben habe.“
Dass Gott Herr im Hause ist, dass sein Name in unserer Mitte wohnt, das ist kein toter Sachverhalt, sondern ein lebendiges Geschehen. Sein Wort soll gehört, sein Lob soll gesungen, sein Gebot soll befolgt werden. Als Martin Luther 1544 in Torgau an der Elbe den ersten evangelischen Kirchenbau einweihte, da gab er mit unüberwindlicher Klarheit zu verstehen, wozu eine christliche Gemeinde besondere Gebäude errichtet: „das unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir widerumb mit jm reden durch Gebet und Lobgesang.“ Dass wir wieder den Mut haben, auf Gott zu hören und mit ihm zu redcen, nicht anderen Göttern nachzulaufen, sondern im Angesicht Gottes unser Leben zu führen: Dafür gibt es Häuser des Gottesdienstes und der Gemeinde, dafür gibt es Kirchen, Gemeindehäuser und Kindergärten.
Liebe Gemeinde, solange es Menschen gibt, solange bedrängt sie die Frage, wo Gott anzutreffen ist. König Salomo ließ dem Gott Israels ein Haus bauen. Ihm war bewusst, was für ein Unterfangen es ist, dem ein Haus zu errichten, dem wir unser Leben verdanken.
Salomo vertraute auf den Bundesschluss Gottes mit seinem Volk. „Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein. Ich will meinen Namen mitten unter euch wohnen lassen.“ Diese Einwohnungssprache ist alte Tempelsprache und geht doch über alle Tempelbezirke hinaus. Kraft seiner Gegenwart wird der Ewige, den die Himmel der Himmel nicht zu fassen vermögen, zum Weggenossen und Leidensgefährten seines machtlosen Volkes.
Es gibt eine Geschichte der Einwohnungen Gottes im Raum: In seiner ersten Liebe, in Israel, in dem in Christus vereinten Gottesvolk aus vielen Völkern, in seiner Kirche, und zuletzt in der Vision von der Fülle Gottes im ungeteilten Freiraum – dort, wo Gerechtigkeit und Frieden sich küssen – wie im Himmel so auf Erden.
Wir Menschen erfahren unseren Lebensraum im doppelten Sinne – als Weite und Grenze. Der „weite Raum“ ist zum Symbol für die Freiheit geworden: Du stellst meine Füße auf weiten Raum, heißt es im Psalm. Du machst mich frei und führst mich aus der Enge ins Weite. Das hebräische Wort für Erlösen, JAZAH, heißt wörtlich: Raum geben. Der weite Raum, in dem unser Blick bis über den Horizont schweifen kann, ist eine Einladung, sich zu bewegen, hinaus zu schreiten und die Grenzenlosigkeit zu erfahren.
Zum Bleiben, Wohnen, Schlafen aber brauchen wir den begrenzten, umfriedeten Raum, der uns schützt. Die Grenze bezeichnet den Unterschied zwischen drinnen und draußen, dem Heim und dem Unheimlichen, der Heimat und der Fremde.
Als Menschen, als Glieder einer Kirchengemeinde brauchen wir die umgrenzten Wohn- und Schutzräume, die uns vertraut sind und denen wir uns anvertrauen. Sie stiften Beziehungen, geben uns Heimat und stärken unsere Identität.
Ohne Raum kann kein Mensch leben. Die ausschließenden Räume der Verdrängungsgesellschaft erzeugen Opfer: Die Obdachlosen auf der Straße oder die unerwünschten Fremden in den abgesperrten Räume eines Asylbewerberheims oder einer Abschiebehaft. Ihr Schicksal zeigt, was es bedeutet. wenn Menschen für überflüssig gehalten werden.
Ein Gegenbild dazu ist der einladende Raum mit einer offenen Tür. Die christliche Gemeinschaft wurde im Laufe ihrer Geschichte immer wieder zu einem Freiraum für die Hungrigen, die Durstigen, die Fremden und die Kranken. Warum eigentlich? Weil die in Christus gegründete Gemeinschaft sich als eine Behausung Gottes im Geist erfuhr. Durch sein Wort wurde sie inspiriert und ermutigt, sich an die Seite der aus dem Leben Verdrängten zu stellen.
Doch auch die Gemeinde Gottes ist darauf angewiesen, dass es ein Gemeinschaftshaus mit Versammlungsräumen gibt. Das aus dem Griechischen stammende Wort Synagoge bezeichnet einen Ort, an dem die zusammenkommen, die auf Gott vertrauen. Ein Gemeindehaus kann vielleicht als ein Freiraum beschrieben werden, in dem sich Menschen gegenseitig wahrnehmen und schätzen lernen. Ihr Gemeindehaus wird sicher ein Ort der Einübung in die Gewissheit werden, dass wir uns nur vor Gott verbeugen sollten, sonst vor niemandem auf dieser Welt, aber dass wir uns beugen können für unsere Nächsten, für Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Ihr Gemeindehaus möge ein Ort werden, an dem Gottes Wort sich immer wieder als unseres Fußes Leuchte erweist und unsere Herz erreicht.
Natürlich hoffe ich darauf, dass sich zahlreiche Menschen in Ihrem Gemeindehaus heimisch fühlen, dass sie bei Kaffee und Kuchen Tischgemeinschaft erfahren, miteinander singen und fröhlich feiern. Möge ihr Gemeindehaus Gesprächsthema in Wilhelmshagen werden und die Neugier derjenigen wecken, die noch nicht da gewesen sind.
Liebe Festgemeinde!
Aus gutem Grund begehen wir die Einweihung ihres Gemeindehauses mit einem Gottesdienst im Kirchenraum ihrer Taborkirche.
Ihre Kirche ist ein Erinnerungsraum und zugleich ein Hoffnungsraum. Ihre Kirche ist eine gebaute Predigt und eine gestaltete Liturgie. Der Weg in den Kirchenraum ist heilsam und nötig. Ich brauche die Begegnung mit der Fremdheit des Kirchenraums, weil dieser Raum das Gewohnte unterbricht, uns innehalten lässt, unseren eigenen Worten Einhalt gebietet, uns öffnet für das Wort, das uns Wahrheit und Leben bringt. Wir sind auf den Kirchenraum angewiesen. Er will uns das Wort erklären. Und gleichzeitig gilt, dass das Wort den Kirchenraum als sakralen Raum erkennbar werden lässt. So gut es ist, dass die Taborkirche ihren Platz mitten im Leben von Wilhelmshagen und dass der Turm dieser Kirche immer wieder über den Horizont der eigenen Lebenswelt hinaus weist.
Es ist gut, dass wir wie einst König Salomo Gott anrufen und zu ihm beten. Die Sphäre Gottes ist unverfügbar. Doch seine Treue mag uns ermutigen im Vertrauen auf sein Geleit. So werden wir nach dem Gottesdienst feierlich durch Wilhelmshagen ziehen und Ihr Gemeindehaus in Gebrauch nehmen.
Ich danke allen, die auf diesen Tag hingearbeitet haben, sei es im Gemeindekirchenrat, im Pfarrdienst oder im Planungs- und Baugeschäft. Ganz besonders danke ich Ihnen, Schwester Schäufele.
Möge die Gewissheit unseres Glaubens Ihre Gemeinde tragen und geleiten. Ich ende mit einem Wort des Anfangs: Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Amen