Evaluation des Zuwanderungsgesetzes
Gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD und des Kommissariats der deutschen Bischöfe zur Evaluation des Zuwanderungsgesetzes
Der Bevollmächtigte
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
bei der Bundesrepublik Deutschland und der EU
Charlottenstraße 53-54, 10117 Berlin
Der Leiter
des Kommissariats der deutschen Bischöfe
Katholisches Büro in Berlin
Hannoversche Straße 5, 10115 Berlin
Die beiden großen christlichen Kirchen haben die Entstehung des Zuwanderungsgesetzes von Anfang an intensiv begleitet. Für die Gelegenheit, zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes beizutragen und zur praktischen Handhabe der Regelungen Auskunft geben zu können, möchten die Kirchen sich ausdrücklich bedanken.
Im Folgenden möchten die Kirchen insbesondere auf die Auslegung der Regelungen zum humanitären Aufenthalt eingehen. Darüber hinaus verweisen sie auf die Stellungnahmen des Diakonischen Werks der EKD vom 27. Januar 2006 und des Deutschen Caritasverbandes vom 20. März 2006. Die Kirchen behalten sich vor, auch ihrerseits zu den dort ausführlicher behandelten Themenfeldern, insbesondere zur Integration und zur Regelung des Spätaussiedlerzuzugs, noch ergänzende Anmerkungen zu machen.
Als erschwerend für die Erstellung der Stellungnahme hat sich die Tatsache erwiesen, dass in den meisten Bundesländern Daten über Anträge auf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen und über diesbezügliche Entscheidungen seitens der Behörden entweder nicht erhoben oder nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Für die Einschätzung der Entwicklung in vielen Bundesländern musste so von der Erlasslage, den Gerichtsurteilen und den Berichten der kirchlichen Beratungsstellen auf die Gesamtwirkung der Auslegung der jeweiligen Regelung geschlossen werden.
Humanitäre Aufenthalte
Die beiden großen Kirchen haben zunächst die Erweiterung der Möglichkeiten im Zuwanderungsgesetz, aus humanitären Gründen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen, ausdrücklich begrüßt. Insbesondere die Aufnahme des § 25 Abs. 4 und Abs. 5 AufenthG schien die Realisierung eines der erklärten Ziele der Reform des Zuwanderungsgesetzes zu ermöglichen: die Praxis der Kettenduldungen abzuschaffen. Diese Intention des Gesetzgebers bestand auch fort, nachdem das Institut der Duldung als Ergebnis des Vermittlungsverfahrens wieder in den Gesetzestext aufgenommen worden war.
Die Kirchen haben immer wieder betont, dass die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an langjährig geduldete und in Deutschland integrierte Ausländer nach ihrer Überzeugung von großer Dringlichkeit ist.
Im November 2005 – fast ein Jahr nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes - lebten 192 941 Ausländer mit einer Duldung in Deutschland. Weit über die Hälfte von ihnen befindet sich schon seit mehr als fünf Jahren hier. Nach Angaben der Bundesregierung sind davon bundesweit 48.000 Duldungsinhaber seit über 11 Jahren, 72.000 seit über 8 Jahren, 120.000 seit über 5 Jahren, 157.000 seit über 3 Jahren und 173.000 seit über 2 Jahren in der Bundesrpublik Deutschland.
Die hohe Anzahl an Menschen, die nach wie vor ohne rechtmäßigen Aufenthaltsstatus und in großer rechtlicher Unsicherheit über einen langen Zeitraum hier lebt, macht nach Ansicht der Kirchen eine veränderte Handhabung der Regelungen des humanitären Aufenthaltsrechts unumgänglich.
Das betrifft insbesondere die folgenden Vorschriften:
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§ 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG
Nach § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG kann einem Ausländer aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen für einen vorübergehenden Zweck eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.
Als größtes Hindernis für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Rahmen des § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG stellt sich die zum Teil vertretene Auffassung dar, vollziehbar Ausreisepflichtige seien von der Regelung auszuschließen. Für diese Einschränkung des Anwendungsbereiches wird vorgebracht, dass es sich bei § 23 a und § 25 Abs. 5 AufenthG um Spezialregelungen für vollziehbar Ausreisepflichtige handele. Diese Regelugen seien abschließend.
Diese Position vertritt das Bundesministerium des Innern in den Vorläufigen Anwendungs-hinweisen (im Folgenden: VAH) und beispielsweise das Land Nordhein-Westfalen im Erlass vom 28.2.2005. Da die meisten Duldungsinhaber vollziehbar ausreisepflichtig sind, unterfallen sie bei dieser Auslegung nicht dem Anwendungsbereich der Regelung.
Die Gesetzessystematik legt jedoch einen anderen Schluss nahe: § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG schafft ausdrücklich eine zusätzliche Möglichkeit der Aufenthaltsverlängerung für alle diejenigen, bei denen bereits ein rechtmäßiger Aufenthaltstitel besteht – im Umkehrschluss muss dann § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG auch für Personen ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel anwendbar sein. Auch hat § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG im Vergleich zu § 25 Abs. 5 AufenthG eine andere Zielrichtung. § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG schafft nur eine vorübergehende Aufenthaltsmöglichkeit für einen seinem Zweck nach zeitlich begrenzten Aufenthalt. § 25 Abs. 5 AufenthG soll demgegenüber Duldungsinhabern unter bestimmten Voraussetzungen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ermöglichen. Auch ein Vergleich mit der Rechtslage nach dem AuslG spricht gegen einen Ausschluss von vollziehbar Ausreisepflichtigen: Nach der amtlichen Begründung zum Zuwanderungsgesetz 2002 soll die Vorschrift des § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in denjenigen Fällen ermöglichen, in denen bisher nach § 55 Abs. 3 AuslG eine Duldung erteilt werden konnte – so übrigens auch die VAH in Ziffer 25.4.1.1. Satz 1. Ein entsprechender Duldungsgrund ist daher im Aufenthaltsgesetz nicht mehr aufgenommen worden. Der Anwendungsbereich der Regelung des § 55 Abs. 3 AuslG bezog sich in der Praxis allerdings hauptsächlich auf Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig waren.
Die große Bedeutung der vom Gesetzgeber als schützenswert bezeichneten Rechtsgüter spricht ebenfalls gegen die Unterteilung in vollziehbar und nicht vollziehbar Ausreisepflichtige. Das zeigt sich insbesondere am verfassungsrechtlichen Bezug des Tatbestandsmerkmals der dringenden humanitären Gründe.
Die bisher ergangene Rechtsprechung bestätigt ebenfalls die Ansicht, weder Wortlaut, noch Systematik noch Entstehungsgeschichte rechtfertige eine Beschränkung auf Ausländer mit rechtmäßigem Aufenthalt.
In einigen Bundesländern haben sich die Innenministerien - entgegen der VAH - für eine Ein-beziehung von vollziehbar Ausreisepflichtigen entschieden: Neben den Verwaltungsvorschriften in Niedersachsen beziehen auch die Erlasse in Rheinland Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern vollziehbar Ausreisepflichtige in den Anwendungsbereich ein.
Praxis
Angesichts des Auslegungsstreits allein im Anwendungsbereich der Norm verwundert es nicht, dass die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich ist. Während bis zum August 2005 in Schleswig Holstein 47 Personen eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG erhalten haben sollen, liegt die Anzahl in Berlin bis zum 5. Juli 2005 wohl bei 410. Im Bundesland Hessen, das sich auf die VAH des Bundesinnenministeriums bezieht, scheint kaum eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden zu sein.
Bleiben das Bundesinnenministerium und die Bundesländer, die ihre Praxis an den VAH orientieren, bei ihrer einschränkenden Interpretation des Anwendungsbereichs, kann die Regelung des § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG nicht zur Abschaffung der Kettenduldungen beitragen.
Die Kirchen sprechen sich deshalb für eine Klarstellung in den VAH und den jeweiligen Erlassen dahingehend aus, dass auch vollziehbar Ausreisepflichtige unter die Regelung des § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG fallen können.
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§ 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG
§ 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG entspricht weitgehend § 30 Abs. 2 Nr. 2 AuslG und eröffnet Ausländerbehörden im Wege des Ermessens die Möglichkeit, bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte eine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, obwohl die ursprünglichen Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht mehr vorliegen. Verlängert werden können dabei nicht nur Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG – vielmehr stellt die Regelung eine von Satz 1 unabhängige Rechtsgrundlage dar.
Umstritten ist dabei vor allem, wann eine außergewöhnliche Härte zu bejahen ist. Die bisherige Rechtsprechung bejaht eine außergewöhnliche Härte nur dann, wenn sich der Ausländer in einer exzeptionellen Sondersituation befindet, die sich von der Lage vergleichbarer Ausländer deutlich unterscheidet. Dagegen spricht nach Ansicht der Kirchen aber, dass sich die Regelung in Wortlaut und Struktur von § 30 Abs. 2 AuslG unterscheidet, eine Auslegung der außergewöhnlichen Härte sich also nicht an der Rechtsprechung zur Vorgängernorm orientieren kann. Anders als im Rahmen des § 30 Abs. 2 AuslG müssen gerade keine dringenden humanitären Gründe nachgewiesen werden.
Die Veränderungen zur bisherigen Rechtslage rechtfertigen nach Ansicht der Kirchen darüber hinaus, dass die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Ausländers und seiner Familie im Rahmen der Prüfung, ob auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebietes eine "außergewöhnliche Härte" bedeutet, Berücksichtigung findet.
Praxis
Die Norm wird bundesweit nach Einschätzung der kirchlichen Beratungsstellen kaum genutzt; es sind wenige Fälle bekannt, in denen eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG erteilt wurde.
Nach Ansicht der Kirchen eröffnet § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG die Möglichkeit, einem Flüchtling oder subsidiär Geschützten nach rechtskräftigem Widerruf seines Status weiterhin einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu gewähren. Das muss zumindest dann gelten, wenn die Verbindung des ehemaligen Flüchtlings in den Jahren des Aufenthaltes in Deutschland zu seinem Herkunftsland vollständig abgebrochen ist. Insbesondere in Hinblick auf die große Anzahl von Widerrufsverfahren in den Jahren 2004 und 2005 könnte durch eine vermehrte und großzügigere Anwendung von § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG verhindert werden, dass die Anzahl von Kettenduldungsinhabern weiter steigt.
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§ 25 Abs. 5 AufenthG
Nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Auf-enthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, es sei denn, er hat das Ausreisehindernis selbst verschuldet. Nach 18 Monaten soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.
Das Hauptproblem bei der Anwendung der Norm ist in der Formulierung des Tatbestandes bereits angelegt: § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG stellt für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht auf die Unmöglichkeit der Abschiebung, sondern auf die Unmöglichkeit der Ausreise ab. Über die Frage, wann eine Ausreise unmöglich ist, herrscht auch ein Jahr nach Inkrafttreten keine Einigkeit.
In der rechtlichen Auseinandersetzung, die um das Tatbestandsmerkmal Unmöglichkeit der Ausreise entstanden ist, hat sich die Frage nach der Berücksichtigung der Zumutbarkeit als Schlüsselthema für die praktische Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG herauskristallisiert.
Nach Auffassung der Kirchen müssen subjektive Umstände, insbesondere die persönliche Zumutbarkeit, berücksichtigt werden. Das erfordern sowohl der Regelungszweck, die Systematik als auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Bleibt die subjektive Unmöglichkeit unberücksichtigt, läuft die Regelung leer, denn theoretisch ist eine faktische Ausreise – zur Not im Wege eines Krankentransportes – immer möglich. Auch spricht sich die Gesetzesbegründung eindeutig für eine Berücksichtigung aus.
Auf den Text der Gesetzesbegründung beziehen sich auch die VAH des Bundesinnenministe-riums, indem sie ihn weitgehend zitieren. Nach Ziffer 25.5.1.2. Satz 2 liegt ein Ausreisehindernis nicht vor, wenn zwar eine Abschiebung nicht möglich ist, (…), eine freiwillige Ausreise jedoch möglich und zumutbar. Im Umkehrschluss lässt sich daraus folgern, dass bei der Beurteilung, ob eine freiwillige Ausreise möglich ist, das Kriterium der Zumutbarkeit zu berücksichtigen ist.
Die Erlasslage in den Bundesländern nimmt den Ansatz der VAH teilweise auf: In Rheinland Pfalz , Schleswig Holstein und Mecklenburg Vorpommern wird ausdrücklich das Kriterium der Zumutbarkeit betont.
In den Bundesländern Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wird das Kriterium der Zumutbarkeit hingegen nur sehr eingeschränkt geprüft. Der nordrhein-westfälische Erlass beschränkt die Unzumutbarkeit der freiwilligen Ausreise "im Wesentlichen auf schwerwiegende krankheitsbedingte Gründe". Insbesondere eine lange Aufenthaltsdauer schließt der Erlass im Rahmen der Zumutbarkeitserwägungen als Grund aus. Der hessische Erlass stellt klar, dass es sich bei der Vorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG keineswegs um eine verkappte Altfallregelung handele, grenzt sich explizit von den VAH des Bundesinnenministeriums ab und betont, dass es lediglich auf die objektive Möglichkeit der freiwilligen Ausreise ankomme. Auch nach den nicht öffentlichen ergänzenden Hinweisen des Innenministeriums Baden-Württemberg soll die Zumutbarkeit keine Rolle spielen. Die Prüfung der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise ohne Berücksichtigungen der Zumutbarkeit führt in einigen Bundesländern dazu, dass beispielsweise Angehörigen von Minderheiten aus dem Kosovo die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen mit der Begründung verweigert wird, eine Ausreise in den Kosovo sei – ungeachtet der anderslautenden Verhandlungsergebnisse des Bundesinnenministeriums mit UNMIK - freiwillig möglich.
Das Land Berlin hat im November 2005 in zwei Erlassen zu traumatisierten bosnischen Staatsangehörigen und zu staatenlosen Palästinensern aus dem Libanon Kriterien benannt, nach denen eine Aufenthaltserlaubniserteilung für diese beiden Gruppen möglich ist.
Praxis
Die Handhabe des § 25 Abs. 5 AufenthG in den Bundesländern differiert erheblich. Dennoch sind die Zahlen der erteilten Aufenthaltserlaubnisse bundesweit gering. Die wenigen positiven Entscheidungen nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Hessen sind zugunsten von Familienangehörigen von Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ergangen. Die Lage in Rheinland Pfalz (bis Mitte des Jahres 2005 446 Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5 AufenthG) und Schleswig Holstein (bis 15.8.2005 472 Personen, nach erneutem Erlass sind die Zahlen noch einmal angestiegen) sieht für die Kettenduldungsinhaber erlassbedingt besser aus. Verglichen mit der Intention des Gesetzes ist das Ergebnis insgesamt jedoch ernüchternd.
Die nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes gehegte Hoffnung der Kirchen, die Situation von Duldungsinhabern würde verbessert, hat sich nicht erfüllt.
Die Kirchen fordern in diesem Bereich ein klares Bekenntnis zur Intention des Gesetzes. Im Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 5 AufenthG soll nach Ansicht der Kirchen eine Klarstellung dahingehend erfolgen, dass im Rahmen der Prüfung der Ausreisemöglichkeit das Kriterium der Zumutbarkeit zu berücksichtigen ist.
Darüber hinaus ergibt sich im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG die Frage, ob zielstaatsbezogene Umstände von den Ausländerbehörden berücksichtigt werden können. Nach Ansicht der Kirchen ist dies – zumindest wenn kein Asylantrag gestellt wurde und somit keine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vorliegt – wünschenswert.
Ein weiteres Problem stellen die zum Teil hohen Anforderungen der Ausländerbehörden an die Mitwirkungspflichten der Antragsteller dar. Kirchliche Beratungsstellen berichten, dass der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis teilweise auch mit der Begründung versagt wird, der Ausländer verweigere seine Mithilfe beispielsweise bei der Passbeschaffung. Dabei bleiben die zum Teil erheblichen Schwierigkeiten, mit denen sich die Ausländer in den jeweiligen Konsulaten konfrontiert sehen, unberücksichtigt. Die Kirchen fordern, von der Möglichkeit des § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG verstärkt Gebrauch zu machen und bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach Möglichkeit von der Passbeschaffung abzusehen.
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§ 23 a AufenthG – Härtefallkommissionen
Die Aufnahme der Regelung des § 23a AufenthG, die den Bundesländern die Einrichtung und Ausgestaltung von Härtefallkommissionen ermöglicht, haben die Kirchen ausdrücklich begrüßt. Sie sahen und sehen darin die Möglichkeit, für Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen eine Einzelfallgerechtigkeit herbeizuführen, die ihnen auf Grundlage des geltenden Rechtes nicht gewährt wird.
Seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes haben die Kirchen in den verschiedenen Bundesländern nicht nur dafür geworben, Härtefallkommissionen einzurichten, sondern sich auch für eine Ausgestaltung der entsprechenden Verordnungen ausgesprochen, die nicht zu viele Menschen von vorneherein durch eine restriktive Ausgestaltung der Ausschlussgründe von der Befassung durch die Kommissionen ausschließt. Leider waren diese Bemühungen nicht bunesweit erfolgreich. In allen 12 Härtefallkommissionen der Bundesländer haben jeweils ein Vertreter der katholischen und der evangelischen Kirche ihren Sitz. In Niedersachsen, einem der drei Bundesländer, in denen der Petitionsausschuss die Aufgaben der Härtefallkommissionen übernimmt, sind die Kirchen auch im Beratungsgremium vertreten, das vom Petitionsausschuss in Fällen um ein Votum gebeten wird, in welchen sich der Ausschuss nicht einigen konnte.
Die bisherigen Erfahrungen der kirchlichen Vertreter zeigen vor allem eins deutlich: In Bundesländern, in denen sich durch die restriktive Handhabung der Vorschriften des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG keine Perspektive für Duldungsinhaber auf einen gesicherten Aufenthaltsstatus bietet und in denen betroffene Menschen deshalb dauerhaft von einem ungehinderten Zugang zu Arbeit und Ausbildung ausgeschlossen sind, werden die Härtefallkommissionen als einzige Chance auf einen gesicherten Aufenthalt angesehen. Das schlägt sich dann in Form einer immens hohen Anzahl von Eingaben an die Härtefallkommissionen nieder.
Zur Illustration dieser Entwicklung mögen die Zahlen aus folgenden Bundesländern dienen: In Nordrhein-Westfalen wurden bis zum 31.12.2005 1046 Anträge an die Härtefallkommission gestellt. Nur in 111 Fällen gab die Härtefallkommission ein positives Votum ab bzw. sprach sich für ein Ersuchen nach § 23 a AufenthG aus. In Baden Württemberg wurden 820 Anträge an die Härtefallkommission gerichtet – nur 42 der Anträge wurden von der Kommission positiv entschieden und führten zu einem positiven Ersuchen nach § 23 a AufenthG. In Rheinland Pfalz hingegen, das durch die großzügige Auslegung des § 25 Abs. 5 AufenthG Duldungsinhabern auch andere Aufenthaltsperspektiven bietet, wurden lediglich 106 Anträge an die Kommission gerichtet. Zieht man die anderweitig erledigten und zurückgestellten Anträge ab, verblieben 63 Anträge, über die eine Entscheidung zu fällen war. Von den bisher 46 beratenen Fällen entschied die Kommission in 19 Fällen positiv. Den Betroffenen wurde in diesen 19 Fällen eine Aufenthaltserlaubnis durch den Innenminister erteilt. Ähnlich sieht es in Schleswig Holstein aus: An die Härtefallkommission wurden bis zum 31.12.2005 lediglich 188 Anträge gestellt, davon konnten 134 beraten werden, von denen 70 durch die Kommission positiv beschieden wurden. Das Härtefallersuchen wurde in 65 Fällen vom Innenminister umgesetzt.
Härtefallkommissionen sind weder ihrem Sinn und Zweck nach darauf ausgerichtet, noch personell dafür ausgerüstet, großen Gruppen von Menschen eine Aufenthaltsperspektive bieten zu können. Sie sollen vielmehr prüfen, ob Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen – so genannte Härtefälle – aus humanitären Erwägungen heraus ein Aufenthaltsrecht in Deutschland gewährt werden kann.
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Bleiberecht
Nach Einschätzung der Kirchen liegen ausreichend Erkenntnisse über die nach wie vor andauernde unerträgliche Situation der Inhaber von Kettenduldungen vor. Wenn es auch bedauerlicherweise viele Bundesländer versäumt haben, Zahlen über Anträge im Bereich der humanitären Aufenthalte zu sammeln, ist doch ausreichend Datenmaterial über die bundesweite Anzahl von Duldungsinhabern vorhanden. Die Anzahl hat sich auch nach über einem Jahr Zuwanderungsgesetz in nur geringem Maße verringert.
Die Widerrufspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wird – wenn die in den letzten zwei Jahren erteilten Widerrufe rechtskräftig werden und tatsächlich zum Verlust des ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus führen - die Anzahl der Duldungsinhaber noch vergrößern.
Die Kirchen fordern deshalb, die ursprüngliche Intention des Zuwanderungsgesetzes nun um-zusetzen und eine großzügige Bleiberechtsregelung zu schaffen. Regelungen, die von vorneherein große Gruppen von Ausländern aus dem Anwendungsbereich einer Altfallregelung ausschließen - wie beispielsweise die Altfallregelung aus dem Jahre 1999 -, führen nur dazu, dass das Thema in kurzer Zeit erneut auf der politischen Agenda erscheint. Die Kirchen sprechen sich ausdrücklich dafür aus, dass Menschen, die sich in der Bundesrepublik integriert haben und Familien, deren Kinder hier aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, eine Aufenthaltsperspektive in Deutschland erhalten sollen.
28. März 2006
Prälat Dr. Stephan Reimers, Prälat Dr. Karl Jüsten