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„Perspektiven und Strategien der Ökumene und Auslandsarbeit der EKD“ – Vortrag beim Konvent der Auslandspfarrerinnen und -pfarrer der EKD, Berlin

Liebe Schwestern und Brüder,

wie es sich eben fügt: Nicht nur der heutige Lehrtext, aus dem der Rastvorsitzende seine theologische Grundlegung unserer Arbeit entfaltet hat, ist so passend, wie man es sich kaum besser vorstellen kann. Mein Blick auf den Wochenspruch der kommenden Woche löst nicht minderes Erstaunen darüber aus, wie biblische Sätze im entsprechenden Kontext unversehens zu sprechen beginnen.

„So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“

Diesen Satz aus Epheser 2, 19 kann man getrost als einen Grund- und Leitsatz der Ökumene und damit unserer gesamten Arbeit verstehen. Er ist nicht nur ein gegebenes Faktum, eine gemachte Zusage von der wir immer schon herkommen. Er ist zugleich Ziel und Hoffnung all dessen, was wir in der Ökumene und Auslandsarbeit tun wollen.

So wie der Ratsvorsitzende von der großen Nähe und gewachsenen Bedeutung gesprochen hat, die für ihn selber und den ganzen Rat die Auslandsarbeit gewonnen hat, so gilt es auch für mich nach nun bald zwei Jahren in dem mir zugewachsenen Amt. Ganz persönlich bin ich über die Phase des Gastes und Fremdlings in dieser Arbeit hinaus. Die vielen Begegnungen mit Ihnen und so vielen anderen Akteuren in der Ökumene haben mich mitten hineingenommen in das, was zugleich Gabe und Aufgabe ist. Mein „Herz brennt“ für das, was ich mit Ihnen gemeinsam in unserer Kirche tun darf.

Dieses persönliche Erfasst sein soll sich im theologischen Referenzrahmen dessen, was der Ratsvorsitzende ausgeführt hat, in meinen Überlegungen nun aber verbinden mit dem, was uns aus meiner Sicht in der konkreten Arbeit aufgegeben ist.

Ich will das in vier Schritten tun, die der Gliederung der theologischen Grundlegung entsprechen.

- Es soll erstens um Identität und Professionalität gehen.

- Ich will zum zweiten nach der Rolle und Aufgabe der Auslandsgemeinden in ihrem ökumenischen Kontext fragen.

- Meine dritte Frage ist die nach der Dimension ökumenischer Diakonie.

- Und schließlich will über die missionarische Dimension nachdenken.

I Identität und Professionalität

Zur Vergewisserung der eigenen theologischen Existenz und für eine sachgemäße und qualifizierte Wahrnehmung der beruflichen Aufgaben gehört die kontinuierliche theologische Arbeit. Es wäre schön, wenn ich mit dieser Feststellung „Eulen nach Athen“ tragen würde. Ich glaube aber, dass es immer wieder nötig ist, auf die Notwendigkeit dieses Grundvollzuges pastoraler und gemeindlicher Arbeit hinzuweisen. Es geht mir dabei nicht nur um die ganz persönliche theologische Arbeit am eigenen Schreibtisch, die der Reflektion des eigenen pastoralen Handelns und der Vorbereitung von Gottesdienst und Unterricht dient. Es geht mir vor allem um die theologische Arbeit, die – so weit immer das möglich ist - untereinander, mit den Mitarbeitenden, den Mitgliedern der Gemeinderäte, in Gemeindeabenden, in öffentlichen Vorträgen, in ökumenischen und interreligiösen Dialogen geschieht, also in all jenen unterschiedlichen Graden von Öffentlichkeit. In der oft großen kulturellen Differenz gegenüber der Situation in Deutschland, in der Sie in den evangelischen Gemeinden im Ausland arbeiten, kommt dieser theologischen Profilierung eine noch größere Bedeutung zu, als dieses Erfordernis auch bei uns in Deutschland zweifellos gilt.

Ich ertappe mich selbst manchmal bei der Überlegung, ob ich denn in einem öffentlichen Vortrag außerhalb des unmittelbaren kirchlichen Kontextes „pure Theologie“ zumuten könne oder ob man nicht eher nur implizit vom eigenen Glauben spricht. Natürlich kommt es immer darauf an, eine theologische Sprache zu sprechen, die anschlussfähig und verständlich ist für Menschen, die die gemachten Voraussetzungen nicht von vornherein teilen. Aber wenn das gelingt, dann kann man sehr rege Resonanz erleben. Im April dieses Jahres durfte ich an der „Universidad de los Lagos“ in Santiago de Chile mit einen Vortrag zu den Menschenrechten das akademische Semester eröffnen. Alle Reaktionen, die ich auf die Vorlesung bekam, bezogen sich nicht auf die gesellschaftlichen Überlegungen und politischen Folgerungen, die ich anstellte, sondern auf die an biblischen Texten erarbeitete elementare und fundamentale theologische Begründung der Menschenrechte. Die Reaktionen kamen gerade von Menschen, die als Sozialwissenschaftler oder Philosophen und Studierende vieler verschiedener Fächer an dieser Vorlesung teilgenommen hatten.

Mir scheint das Bemühen um theologische Kompetenz und Sprachfähigkeit gerade auch in der Arbeit in Auslandsgemeinden von zentraler Bedeutung zu sein. Gerade der hoch differente gesellschaftliche und kulturelle Kontext wirft für viele Menschen, die aus Deutschland für eine gewisse Zeit oder auf Dauer in einen fremden Land leben, Fragen der eigenen Identität, nach dem eigenen Glauben und seiner Formulierbarkeit auf, über die zuhause bis dahin nicht in dem Maße nachgedacht werden musste.

Ich bin froh darüber, dass in den letzten Jahren die Arbeit mit Prädikanten an Bedeutung gewonnen hat. Dabei geht es nicht nur um praktische Fragen der Abdeckung von Gottesdiensten an oft weit auseinander liegenden Predigtstätten oder um die Befriedigung sehr unterschiedlicher Erwartungen von Gemeindegruppen. Es geht vielmehr um eine produktive Bemühung, Menschen aus unterschiedlichem Herkommen „sprachfähig zu machen in unserem Glauben“. Ich jedenfalls bin hoch interessiert an einem Gesprächgang, in dem diese besondere Form der Qualifizierung Ehrenamtlicher kritisch beleuchtet und weiter entwickelt werden kann. Mit Freude sehe ich, dass auch die Arbeit mit Kirchengemeinderäten und anderen ehrenamtlich Mitarbeitenden an Bedeutung gewinnt. Eine Reihe von regionalen Konventen führen Hauptamtliche und Ehrenamtliche regelmäßig zusammen. Ich denke etwa an meine Teilnahmen am Konvent der Gemeinden im Nahen Osten in Kairo, der mir sehr eindrücklich vor Augen geführt hat, welch wichtige qualifizierende Wirkung in dieser gemeinsamen Reflektion und Fortbildung liegen kann. Ich kann nur dazu ermutigen, diese Arbeit fort zu führen und weiter zu entwickeln. Dies ist in den Auslandsgemeinden um so wichtiger, als die steigende Fluktuation in den Gemeinden und ja auch die sinnvolle und bewährte zeitliche Begrenztheit der Entsendungen die Sicherung von Kontinuität in der Gemeindearbeit eben nicht nur durch die Pastorin oder den Pastor besonders wichtig macht.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen gerne ein gerade von der Kirchenkonferenz und dem Rat der EKD in der Sache angenommenes Konzept der „Beratung und Begleitung von Auslandspfarrerinnen und -pfarrern durch Besuch“ vorstellen. Der entsandte Pfarrerinnen oder die entsandte Pfarrerin soll in Zukunft in der Mitte der Entsendezeit von sechs Jahren einen gemeinsamen strukturierten Besuch aus dem Kirchenamt der EKD und aus der entsendenden Landskirche erhalten. Der Besuch soll dazu helfen, dass Pfarrer und Pfarrerinnen ihre Arbeit reflektieren, Stärken und Schwächen erkennen und für ihre weitere Arbeit Perspektiven entwickeln. Anders als bei Visitationen im Bereich der Landeskirchen gelten hier Besuch und Beratung in erster Linie den Pfarrerinnen und Pfarrern. Die Gemeinde wird natürlich um ihr Mitwirken gebeten. Zugleich wird die Beratung aber auch dazu beitragen, die Beziehungen zwischen den entsandten Pfarrern und Pfarrerinnen und der EKD und insbesondere zu den entsendenden Landeskirchen zu intensivieren und die wechselseitigen Erwartungen stärker als bisher zu kommunizieren.

Inhaltlich soll es bei der Beratung um folgende Arbeitsfelder gehen:

- Gottesdienst, Seelsorge, Unterricht und Diakonie,

- geistliche und organisatorische Leitung der Gemeinde und die Zusammenarbeit mit den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen,

- Vertretung der Gemeinde in Absprache mit dem Kirchenvorstand nach außen,

- Zusammenarbeit mit den ökumenischen Partnern der Gemeinde und der EKD,

- Berufliche und persönliche Weiterentwicklung im Blick auf Rückkehr und spätere Einsetzbarkeit.

Natürlich wird ein solcher Besuch nur dann zu tragfähigen Ergebnissen führen wenn die Gemeinde, andere Mitarbeitende aus verschiedenen Arbeitsfeldern und gegebenenfalls auch ein Vertreter oder eine Vertreterin der Kirchenleitung der Partnerkirche im Ausland in den Beratungsprozess eingebunden sind.

Das Grundkonzept ist erarbeitet und angenommen. Nun geht es an die konkrete Umsetzungsplanung, für die wir auch Ihre Anregungen brauchen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass dieses Instrument der Beratung und Begleitung für alle Beteiligten eine Hilfe zu einer weiteren Qualifizierung der gemeinsamen Arbeit sein wird.

Dieser strukturierte Besuch kann und soll auch ein Beitrag dazu sein, dass Sie, liebe Schwestern und Brüder, nach Ihrer Rückkehr nach sechs oder maximal 9 Jahren mit Ihren erworbenen Kompetenzen gezielter und geplanter zur ökumenischen Qualifizierung unserer kirchlichen Arbeit in Deutschland beitragen können. „Wachsen gegen den Trend“ wird nach meiner festen Überzeugung nicht möglich sein, wenn die ökumenische Dimension kirchlicher Arbeit und die in ihr gewonnenen Erfahrung nicht fruchtbar in den Reformprozess eingebracht werden können. Sie können mit Ihren Erfahrungen in besonderer Weise zur ökumenischen Sensibilität unserer Kirche beitragen. Sie bringen theologische Fragen aus ihrer Auslandserfahrung in die kirchliche Debatte ein – etwa die Begegnung mit pfingstlerischen Kirchen und charismatischen Bewegungen oder mit anderen Religionen, insbesondere dem Islam. Sie können für die Partnerschaftsarbeit in den Gemeinden und Kirchenkreisen wichtige Brückenbauer sein. Sie können uns die Augen öffnen für den ökumenischen Hintergrund der vielen christlichen Migrantengemeinden in Deutschland, die für das ökumenische Lernen in Deutschland ein weitgehende ungehobener Schatz sind.

Schließlich sind nicht nur sie selbst, sondern die vielen evangelischen Gemeindeglieder, die nach Jahren im Ausland zurückkehren, ein wichtiges innovatives Potential für unsere Kirche. Ich denke oft an den Leiter der Auslandsvertretung eine großen deutschen Bank, der mir mit Erstaunen über sich selbst von seinem Engagement für seine Auslandsgemeinde berichtet hat. Ich frage mich, wie sein Ergriffensein im Glauben, seine Erfahrungen als nun engagierter Christ nach seiner Rückkehr nach Deutschland wirksam und fruchtbar werden kann. Im Rat der EKD gibt es eine - wie ich finde - sehr nötige Debatte um die Frage, wie Menschen in unterschiedlichsten Positionen des öffentlichen Lebens auf ihre guten Erfahrungen mit ihrer Kirche angesprochen und für die Mitarbeit gewonnen werden können. Dazu gehören eben auch die vielen, die in unseren Auslandsgemeinden einen nachhaltigen Kontakt zu unserer Kirche gefunden haben. Dafür Konzepte zu erarbeiten, ist eine noch uneingelöste Aufgabe.


II Rolle und Aufgabe der Auslandsgemeinden im ökumenischen Kontext

In meinen vielen Besuchen ist mir sehr deutlich geworden, wie sehr unsere Auslandsgemeinden ein ökumenischer Ort der Begegnung und des gemeinsamen Zeugnisses unseres Glaubens sind. Zum einen begegnen sich in unseren Gemeinden die verschiedenen christlichen Konfessionen auf eine besondere Weise. Wenn es eben keinen anderen erreichbaren deutschsprachigen Gottesdienst gibt, dann kommen ganz selbstverständlich auch Katholiken und Freikirchler zu uns. Oft auch Menschen aus anderen Ländern, die einen evangelischen Gottesdienst suchen. Hier ist es eine große Chance in eigener evangelischer Prägung offen zu sein für die Gemeinschaft im Glauben, die immer auch die eigene Prägung schärft, befragt und verändert.

Unsere Gemeinden beziehen sich ja auf ihr kirchliches Umfeld in durchaus differenzierter Weise. So halte ich es für einen in sich schlüssigen und theologisch notwendigen Weg, wenn unsere Gemeinden, wie etwa in Brasilien, Argentinien und Chile, oder in den skandinavischen Ländern auch rechtlich in die evangelischen Kirchen vor Ort integriert sind. Hier geschieht die Entsendung auf vertraglicher Grundlage im Benehmen mit der Partnerkirche. Daraus ergeben sich zwar gelegentlich durch die doppelte Bindung an die Partnerkirche und die EKD zu klärende Statusfragen oder Loyalitätskonflikte. Zugleich aber können diese Fragen auch der Raum sein, in dem von den gemeinsamen Aufgaben her mit den Gemeinden und Partnerkirchen unser gemeinsamer Auftrag der Verkündigung des Evangeliums präzisiert und fortentwickelt werden. Diese integrative Struktur hat sich nach meinem Dafürhalten sehr bewährt. Von daher sollten wir – natürlich nur dort wo es ekklesiologisch und strukturell möglich ist - Lösungen, die einer auch rechtlichen Integration dienen, immer den Vorrang geben. Wir wollen darum sorgfältig prüfen, in welchen weiteren Ländern eine solche Integration in die Partnerkirchen möglich ist. Das macht unsere Auslandsarbeit in keiner Weise überflüssig. Auch die besondere Beziehung der Gemeinden zur EKD, in die ein Pastor oder eine Pastorin in Rahmen eines Partnerschaftsvertrages entsandt ist, wird dadurch ja in keiner Weise an Bedeutung verlieren. Im Gegenteil, sie gewinnt durch die enge Verknüpfung mit den Kirchen vor Ort an Glaubwürdigkeit und Kraft.

An dieser Stelle will ich in einem kleinen Exkurs darauf hinweisen, dass wir in unseren Auslandsgemeinden die besondere innerprotestantische Ökumene der Leuenberger Konkordie, die die EKD in besonderer Weise repräsentiert, auch erkennbar halten sollten. Im ökumenischen Kontext scheint es oft weniger missverständlich, sich „lutherisch“ zu nennen. „Evangelical“ oder „Evangelico“ scheint in seinen Assoziationen den Evangelikalen zu nahe zu kommen. Ich plädiere dennoch sehr dafür, das wir den Begriff „Evangelisch“ in unseren Gemeindenamen sehr selbstbewusst behalten und auch darin erkennbar machen, dass wir als Lutheraner, Unierte und Reformierte in einer Gemeinde und Kirche miteinander leben.

In einem weiteren ökumenischen konzentrischen Kreis sind dann die Beziehungen unserer Auslandsgemeinden zu den anderen Kirchen der Reformation und natürlich den katholischen, anglikanischen, orientalischen und orthodoxen Brüdern und Schwestern von großer Bedeutung. Auf meinen Reisen in die USA und durch Lateinamerika ist mir aber auch sehr deutlich geworden, welche Möglichkeiten auftun, auch mit pfingstlerischen Kirchen ins Gespräch zukommen. Sehr eindrücklich war es für mich, mit welcher Intensität die beiden kleinen lutherischen Kirchen in Chile mit den Freikirchen und den Pfingstkirchen den Reformationstag vorbereiten. Das ist in Chile, man höre und staune, ein nationaler Feiertag, zwar nicht arbeitsfrei aber immerhin. Geradezu überrascht war ich davon, dass die Pfingstkirchen mir ein ernsthaftes Interesse an der reformatorischen Theologie, insbesondere an der Theologie Luthers signalisierten. Ein ökumenisches Netzwerk aller christliche Kirchen zu knüpfen, erhält eine noch einmal gesteigerte Bedeutung in einem nicht christlich geprägten Umfeld.

Und schließlich gibt es in vielen Auslandsgemeinden über den christlichen Dialog hinaus besondere Möglichkeiten der interreligiösen Begegnung. Hier stehen wir auch theologisch noch sehr am Anfang. Es ist durchaus noch nicht hinreichend erarbeitet, welche Kriterien für einen Interreligiösen Dialog theologisch zu gelten haben. Eine „Schnittmengen-Ökumene“, die nur das scheinbar oder tatsächlich Gemeinsame betont und das fundamental Unterschiedene übergeht, kann theologisch jedenfalls nicht verantwortet werden. Hier Ihre Erfahrungen ins Gespräch zu ziehen und mit Ihnen gemeinsam zu reflektieren, scheint mir aller Mühe wert zu sein.

III Ökumenische Diakonie

Viele Auslandsgemeinden haben unmittelbare diakonische Aufgaben an ihren eigenen Gemeindegliedern. Nicht selten geraten Gemeindeglieder – etwa deutsche Ehepartner, die ihrem Mann oder Ihrer Frau gefolgt sind - in Not und Isolation. Das gilt durchaus nicht nur für Gemeinden in Übersee. Hier will ich die besondere Aufgabe erwähnen, dass unsere Gemeinden mit der Seelsorge an deutschen Inhaftierten in den Gefängnissen des Gastlandes erheblich herausgefordert sind. Die unmittelbare diakonische Aufgabe an Gemeindegliedern oder in jeweiligen Land befindlichen Deutschen liegt auf der Hand und wird ja auch sehr gut wahrgenommen.

Ich möchte heute mein Augenmerk eher auf die Aufgaben richten, die sich dann ergeben, wenn unsere Gemeinden in der Entwicklungszusammenarbeit durch die besondere Not in ihrem Gastland herausgefordert sind. Es ist bewundernswert, wie engagiert viele Gemeinden die Not von Kindern und Jugendlichen aufgreifen, Familien darin unterstützen, sich selbst ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und ebenso klar sind Gemeinden engagiert, wenn es darum geht, die hinter dieser Armut liegenden kulturellen, gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Ursachen sichtbar zu machen und zu ihrer Überwindung beizutragen. Bei meinen Besuchen in Indien, im Nahen Osten und in Lateinamerika ist mir diese Aufgabe ökumenischer Diakonie sehr nahe gekommen.

Ich habe gute Beispiele der Zusammenarbeit mit den Entwicklungswerken von „Brot für die Welt“, dem eed und anderen kirchlichen Akteuren erlebt. Mir scheint aber, dass die Zusammenarbeit mit unsren Entwicklungswerken ihr Potential noch lange nicht ausgeschöpft hat. Ich höre auch, dass nebeneinander her und oder gar ohne Kenntnis voneinander gearbeitet wird. Und manchmal höre ich auch sehr kritische Töne über die Distanz, in der die Entwicklungswerke sich zu den Gemeinden und Kirchen halten – und wohl auch umgekehrt. Hier scheint mir eine doppelte Bewegung auf einander zu nötig zu sein. Sie in den Gemeinden sollten, wo immer das nötig und möglich ist, auf die Mitarbeitenden der Entwicklungswerke vor Ort zugehen. Von Seiten der Entwicklungswerke wird die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit in den letzten Jahren viel deutlicher gesehen. Der „Evangelische Entwicklungsdienst“ und „Brot für die Welt“ richten zur Zeit schrittweise regionale Verbindungsbüros ein, um besser vor Ort zu sein. Wir wollen in Zukunft systematisch daran arbeiten, dass die Arbeit der Auslandsgemeinden und der Entwicklungswerke auf einander bezogen werden. In Zukunft werden diejenigen, die in Gemeinden entsandt werden, in deren Umfeld kirchliche Entwicklungszusammenarbeit geschieht, schon in der Vorbereitung der Entsendung durch die Entwicklungswerke mit den Projekten und Akteuren bekannt gemacht. Und natürlich sollen auch die nicht kirchlichen deutschen Entwicklungswerke wie etwa die GTZ nicht aus den Augen verloren werden.

Einen weiteren Aspekt ökumenischer Diakonie, den ich wenigstens erwähnen möchte, ist die Seemannsmission. Mit erheblicher Unterstützung durch die EKD unterhält die Deutsche Seemannsmission Stationen im Ausland. Hier geht es darum, ganz praktisch für die Würde der Seeleute einzutreten, Ihnen Ihr schweres Los durch ganz elementare Dienstleistungen und Seelsorge zu erleichtern. Es ist mir ein Anliegen, dass dieser wichtige Dienst an Seeleuten aller Nationalitäten und religiöser Zugehörigkeit von den Auslandsgemeinden am jeweiligen Ort unterstützt wird.

Schließlich gehört es zur ökumenischen Diakonie, Menschen, die unter Gewalt, Krieg und der Verletzung Ihrer Grundrechte zu leiden haben, beizustehen. Besonders die Missachtung und Verletzung der Religionsfreiheit ist für uns ein uns immer mehr bedrängendes Problem. Hier müssen wir eine Schwäche unserer Arbeit im Kirchenamt eingestehen. Natürlich sind die Fragen der Menschenrechte und der Religionsfreiheit auch eine Querschnittsaufgabe für alle Referentinnen und Referenten unserer Hauptabteilung. Gleichwohl fehlt uns zur Zeit ein Mitarbeitender oder eine Mitarbeitende, die diese Aufgabe bündelt, koordiniert und für gemeinsame politische Impulse sorgt. Wir werden wohl erst im kommenden Jahr eine anteilige Referentenstelle die Menschenrechtsfrage besetzen können. Auch dass ist natürlich eigentlich nicht zureichend. Die dramatischen Probleme, die uns aus vielen Gemeinden berichtet werden, etwa aus Beirut, Teheran, Peking oder Harare machen auf eine Dimension unserer ökumenischen Verantwortung aufmerksam, für die wir unbedingt wirksamere Formen der Bearbeitung finden müssen.

IV Missionarisch orientiert

In meinem vierten Teil frage ich nach den Perspektiven, in denen die Auslandsgemeinden auch durch die Verknüpfung mit ihrem kulturellen Umfeld missionarisch wirken.

Von zentraler Bedeutung für die Gemeindearbeit und eben weit über sie hinaus ist die Arbeit in und mit den jeweiligen deutschen Auslandsschulen. Dabei geht es nicht allein um den Religionsunterricht, sondern auch um die Beiträge zu Entwicklung der Schulen insgesamt. Gleichwohl ist die Erteilung von Religionsunterricht die Mitte unseres Engagements an den Schulen. Mit großer Freude kann ich Ihnen heute eine erst in der letzten Woche veröffentlichte gemeinsame Orientierungshilfe der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz vorstellen, die in enger Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz und dem Auswärtigem Amt entstanden ist und verbindliche Regelungen enthält, auf die Sie sich in Zukunft berufen können. In dieser Orientierungshilfe wird sehr deutlich gemacht, dass die Grundsätze für den Religionsunterricht, die in fast allen Bundesländern gelten, auch für die deutschen Auslandschulen nach dem Maß des Möglichen verbindlich sind. Es wird der gute Sinn des Religionsunterrichtes, seiner konfessionellen Ausprägung, seinem evangelischen und katholischen Profil herausgearbeitet und sein Verhältnis zu einem Ethik-Unterricht beschrieben. Organisatorisch ist geregelt, dass ein konfessioneller Religionsunterricht eine Mindestgruppegröße von 8 Kindern erfordert. Kommt dies nicht zustande, kann es einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht geben. Ich hoffe sehr, dass Ihnen diese Orientierungshilfe gerade auch in Konfliktfällen eine große Hilfe sein wird. Aufgreifen wollen wir in diesem Zusammenhang - nach der nun noch einmal formulierten Bestätigung seiner unverzichtbaren Bedeutung - für die Schulen nun auch Fragen der Vergütung des Religionsunterrichtes.

Mit großer Dankbarkeit stellen wir fest, dass der Kulturarbeit im Auswärtigen Amt nach wie vor große Bedeutung, ja wenn ich es recht sehe, sogar eine gestiegene Bedeutung zugeschrieben wird. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass in diesem Jahr die der EKD zugewiesenen Kulturmittel sogar leicht auf 720000 € gestiegen sind. Wie in der EKD der Kultur eine neue und große Aufmerksamkeit geschenkt wird, so muss das auch für unsere Auslandsgemeinden gelten. Wir entdecken ganz neu, in welch intensiver Weise in Kunst, Literatur und Musik uns auch unsere eigene christliche Tradition entgegenkommt. Wir entdecken fasziniert, dass Künstler manchmal auf verblüffende Weise Ausdrucksformen für das Unaussprechbare, das hinter den Dingen liegende, das Transzendente finden, die auch unserem Zeugnis von dem, was wir nie ganz erfassen können, Sprach- und Formimpulse geben können. Das ist in der besonderen Situation der Auslandsgemeinden durch die stärkere Erfahrung von Fremdheit noch einmal von gesteigerter Bedeutung.

In den letzten Jahren ist in der EKD die Bedeutung der Tourismusarbeit neu in den Blick gekommen. Das gilt für die touristischen Regionen in Deutschland, in denen in Landeskirchen mit der EKD gute Konzepte entwickelt worden ist. Das gilt natürlich auch für den Tourismus ins Ausland. Hier sind wir gefragt. Zwar ist hier die Arbeit in Europa von besonderer Bedeutung. Aber auch eine Reihe von Gemeinden in Übersee, sind vor diese Aufgabe gestellt.

Hier ist es erforderlich, die Tourismusarbeit im In- und Ausland aufeinander zu beziehen und dabei voneinander zu lernen. Der Ratsvorsitzende hat in einem Vortrag im Juni 2006 im Kirchenamt der EKD formuliert:

Urlaub ist der Ort, an dem Menschen sich berühren lassen, an dem Vergangenes bedacht und Zukünftiges geplant wird. Damit verknüpft, ist das Interesse an Lebens-, Such- und Sinnfragen groß, und es lässt sich eine große Aufgeschlossenheit erkennen.

Kirche am Urlaubsort ist eine Art Kreativ- oder Erprobungssituation für die gesamte Kirche. Indem Gemeinden an solchen Orten spezifische Gottesdienst- und Sprachformen finden, die Menschen neue Zugänge zum christlichen Glauben eröffnen, ergeben sich Impulse für qualitätsbewusstes und qualitätvolles kirchliches Handeln auch an anderen Orten. Fremden gastfreundlich entgegenzukommen, das Einfinden zu erleichtern, zur Beteiligung zu ermutigen, aber auch die stille Teilnahme zu respektieren, den Gottesdienst als Feier des Glaubens zu gestalten, das Glaubenswissen zu stärken, Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, ohne Begegnung aufzudrängen und vor allem: einen Raum für die Begegnung mit dem Heiligen zu schaffen – das sind Dimensionen gottesdienstlichen Erlebens, die nicht nur am Urlaubsort jedem Gottesdienst gut tun und seine Anziehungskraft stärken. Durch solche Gottesdienste werden Menschen erreicht, die zu Hause nicht oder nur selten am Gemeindeleben teilnehmen.

An zwei Orten wollen wir Neues wagen. In Dubai in den Arabischen Emiraten hat sich eine Gemeinde gegründet. Wir werden im Oktober diesen Jahres dorthin einen Pfarrer entsenden. Nach intensiven Vorbereitungen durch eine aktive Gruppe vor Ort und begleitet durch das Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald wollen wir den Versuch machen, in einem „mild islamisch“ geprägten Umfeld, in einer super boomenden Region mit überbordendem business für die rund 7000 dort lebenden Deutschen und die etwa 700000 bis 1 Million dorthin reisenden deutschsprachigen Touristen ein gemeindliches Angebot aufzubauen. Dabei soll zugleich versucht werden, die kirchliche Arbeit rund um den Golf in einem regionalen Verbund zu organisieren. Ob uns das gelingen kann, werden wir nach drei Jahren kritisch überprüfen.

Schließlich erwähne ich unsere Bemühungen, eine deutsche Gemeinde in Belgrad wieder zu errichten und die Kirche im Stadtteil Seymur zurück zu bekommen. In dieser Gemeinde soll in enger Zusammenarbeit mit der einheimischen Kirche auch die intensive Versöhnungsarbeit in Serbien in den letzten zehn Jahren einen Ort mit Ausstrahlung finden. Ob uns dies gelingen wird, ist jedoch noch offen.

Ich berichte von diesen beiden Projekte als einem Hinweis darauf, das wir auch in Zukunft in unserer Ökumene und Auslandsarbeit, den Entwicklungen und Herausforderungen folgen wollen, die sich uns stellen.

V Ressourcen

Wenige Sätze will ich zu den Ressourcen sagen, die uns zur Verfügung stehen. Zunächst ist der Reduktions- und Umbauprozess in der Hauptabteilung IV nun fast abgeschlossen. Aus drei Abteilungen sind zwei geworden. Die personellen Veränderungen haben viel Zeit und Kraft gekostet. Mit dem Jahresende können wir auf eine Phase personeller Kontinuität rechnen.

In den nächsten Jahren wird es für die EKD eine Phase finanzieller Stabilität geben. Bis zum Jahr 2012/2013 werden weitere Kürzungen wohl nicht nötig werden. Ja es gibt sogar gewisse finanzielle Spielräume, die es dem Rat erlauben, dem eingeleiteten Reformprozess durch finanzierbare Projekte und Schwerpunktsetzungen zu geben. Der Rat hat festgestellt, dass auch die Auslandsarbeit der EKD unterfinanziert ist. Gleichwohl ist schon jetzt abzusehen, dass auch unter dem Eindruck der anstehenden Personalkostensteigerungen sich für uns keine wesentlichen zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten ergeben werden. Es wird dabei bleiben, dass Sie in der Finanzierung Ihrer Arbeit in den Gemeinden den Anteil der Eigenfinanzierung halten, ja, wo immer möglich noch steigern müssen. Hier ist es nötig, Sie in der Erweiterung von Kompetenzen für das Fundraising zu unterstützen. Auch in den Landeskirchen hier in Deutschland hat diese Arbeit des Fundraising sehr an Bedeutung gewonnen. Ich sehe jedenfalls mit Bewunderung, wie weitgehend Ihnen diese Ressourcenschöpfung in Ihren Gemeinden schon gelingt. Dafür sind wir sehr dankbar.

VI

Ich kehre zurück zum Anfang meines Vortrages und zum Wochenspruch für die kommende Woche. Der Blick auf den ganzen Abschnitt des Epheserbriefes lohnt sich. Von Israel und der Fremde ist die Rede, von denen die aus dem Bund der Verheißung ausgeschlossen waren. Ab Vers 13 heißt es:

Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst Ferne wart, Nahe geworden durch das Blut Christi. Denn er ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war, nämlich die Feindschaft. Durch das Opfer seines Leibes hat er abgetan das Gesetz mit seinen Geboten und Satzungen, damit er in sich selber aus den zweien einen neuen Menschen schaffe und Frieden mache und die beiden versöhne mit Gott in einem Leib durch das Kreuz, indem er die Feindschaft tötete durch sich selbst. Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.

Was kann ich dem noch hinzufügen? Nur noch ein „Amen“. So ist es. So soll es sein!

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