Fünfzigste Aktion Brot für die Welt - Predigt im Fernsehgottesdienst am Ersten Advent, in der Heilig-Kreuz-Kirche zu Berlin (Matthäus 21,1- 9)
Wolfgang Huber
Matthäus 21,1- 9
Haben Sie schon einmal heftigen Durst gehabt, aber kein Tropfen Wasser war in der Nähe? Das ist ein quälendes Gefühl. Umso größer ist die Freude, wenn mit einem Mal eine saubere Quelle sprudelt.
Was uns vielleicht einmal bei einer Wanderung widerfährt, ist für andere Menschen tägliche Realität. In einem Flüchtlingslager im Sudan sah ich Menschen, die durch neue Brunnen Zugang zu sauberem Wasser erhielten. Unbeschreiblich groß war ihr Jubel. Unterstützt wurde der Brunnenbau durch die Hilfsaktion der evangelischen Kirche „Brot für die Welt“. Heute am Ersten Advent eröffnen wir die fünfzigste Aktion. In Berlin, versteht sich.
Denn hier in Berlin fing alles an – in der Deutschlandhalle. Vor fünfzig Jahren zeigten die neue Einbauküche, der VW Käfer und der erste Urlaub in Italien den Wohlstand im Westteil der Stadt an. Doch das Leid und die Schrecken von Krieg und Nachkriegszeit waren den Menschen noch immer im Gedächtnis.
Im Dezember des Jahres 1959 fand in der Berliner Deutschlandhalle kein Sechstagerennen statt. Dennoch kamen mehr als vierzehntausend Menschen. Die Leute blickten gemeinsam mit dem damaligen Berliner Bischof, Otto Dibelius, auf unzählige Behälter. „Da stehen die Tonnen“, beschwor er die Zuhörerinnen und Zuhörer. „Darin ist Milchpulver für hungernde Berliner aus Amerika gekommen. Jetzt haben wir ... unser Dankopfer hineingeschüttet, damit es zu den Hungernden der Erde gehe.“ Dafür nannte der Bischof ein einziges Motiv: die „Dankbarkeit dafür, dass uns geholfen wurde“.
Jeder Westberliner wusste damals, was er den Hilfslieferungen in den Hungerjahren nach dem Zweiten Weltkrieg verdankte. Das Blockadejahr 1948 war unvergessen, in dem die Berliner im Westteil der Stadt nur mit Hilfe der „Rosinenbomber“ überlebten. Deshalb wurde hier in Berlin eine Hilfsaktion für Hungernde in aller Welt ins Leben gerufen.
Inzwischen gehört „Brot für die Welt“ zu Advent und Weihnachten wie Adventskranz und Weihnachtsbaum. Heil und Hilfe gehören zusammen.
Mit dem ersten Advent ist ein Wort des Propheten Sacharja verbunden, das Heil und Hilfe auf seine Weise miteinander verknüpft: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.“
Mit Jesus von Nazareth nimmt diese Zusage Gestalt an. Als sanftmütiger König kommt er nach Jerusalem. Im Evangelium haben wir das gehört, der Tanz hat uns daran erinnert. Eine Eselin und ein Füllen erbittet Jesus für den Weg nach Jerusalem. Denn er will so nach Jerusalem einziehen, wie der Prophet es vorausgesagt hat: als sanftmütiger König, mit einem Esel als Reittier.
Ein königliches Tier ist der Esel nicht. Stolz reitet nicht, wer auf ihm sitzt. Er ist dem Erdboden und auch den Menschen nah. Wenn Palmwedel und Kleider vor ihm ausgebreitet werden, ehrt ihn das; aber es schützt ihn auch vor dem Staub der Straße.
Esel gelten als einfältig; aber sie haben einen untrüglichen Sinn für den richtigen Weg; das ist wichtiger als herrschaftlicher Stolz. Der Esel, das Tier, das die Lasten trägt, kann auch dich tragen. Vom Esel, dem Tier, das den Weg kennt, kannst auch du dich leiten lassen.
Mag der Rat auch einfältig klingen: Schau auf den Esel. Er führt dich in die Adventszeit. Lass dich vom Glitzern dieser Zeit nicht ablenken. Erinnere dich, wie trügerisch dieses Glitzern sein kann – wie ungedeckte Wertpapiere, die wie Seifenblasen zerplatzen. Der Esel kennt den Weg zur Krippe. Denn die heilige Last lag schon auf seinem Rücken, als Maria schwanger war. Zeuge war er an der Krippe in Bethlehem, Lasttier dann noch einmal für Mutter und Kind auf der Flucht nach Ägypten. Und schließlich war er der Hoffnungsträger beim Einzug nach Jerusalem. Schau auf den Esel.
Motette zum Predigttext „I will praise thee, O Lord, with my heart...
Der Esel bleibt aktuell. Ich denke an die Geschichte einer Frau, die das Geld auftrieb, um allein erziehenden Frauen in Afrika Esel zur Seite zu stellen, die ein Leben in Würde ermöglichen, indem sie das Wasser transportieren. Sonst müssten die Frauen die schwere Last selbst auf ihren Köpfen schleppen.
Zum Kern unseres christlichen Glaubens gehört, dass einer des anderen Last trägt, dass den Schwachen Beistand gewiss ist, allen, die mühselig und beladen sind. Denn es ist genug für alle da. Wir müssen freilich auf die achten, denen das Nötigste fehlt.
Dafür gibt es Beispiele ohne Ende. Am vergangenen Donnerstag haben die europäischen Innenminister die Aufnahme irakischer Flüchtlinge in Europa beschlossen. Alarmierend war der Bericht, den die Minister über die Lage der irakischen Flüchtlinge in Syrien und Jordanien erhielten. Die Situation der zwei Millionen Flüchtlinge hat sich weiter verschlechtert. Ihre Ersparnisse sind aufgebraucht; aber sie haben keine Arbeitserlaubnis. Eine Chance auf Rückkehr in den Irak besteht für viele von ihnen auf absehbare Zeit nicht. Aus Mossul, der drittgrößten Stadt des Irak, sind erst vor wenigen Wochen tausende Christen aus Angst um ihr Leben geflohen. Offenbar vollzogen sich dort eine regelrechte Tötungskampagne und eine straff organisierte Vertreibungskampagne gegen die Christen. Inzwischen hat sich die Sicherheitslage in dieser nordirakischen Stadt anscheinend verbessert; aber meine Besorgnis bleibt groß. Nun soll ein Kontingent von zehntausend besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen nach Europa kommen; für Deutschland werden es etwa zweieinhalbtausend Flüchtlinge sein. Die Zahl der besonders schutzbedürftigen Flüchtlinge ist weit größer; und sie steigt immer noch an. Deshalb begrüße ich die endlich getroffene Entscheidung als einen ersten Schritt. Mein besonderer Dank gilt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble für seine große Ausdauer bei diesem wichtigen Thema. Wir wissen uns als Kirche auch weiter in der Pflicht, für diese bedrängten Schwestern und Brüder einzutreten.
Das gehört dazu, wenn wir Jesus auf dem Weg in unsere Welt begleiten. Auf einem Esel kommt der sanftmütige König, den Menschen nah. So bahnt sich der Advent Gottes seine Bahn. Er kommt uns entgegen – in überraschender Gestalt. Dafür wollen wir uns öffnen. Deshalb beteiligen wir uns an der Hilfe für Menschen, die um ihres Glaubens willen verfolgt werden.
Unsere Zuwendung gilt ganz besonders den Ärmsten der Armen. Für sie verkörpert die Hilfe von „Brot für die Welt“ in vielen Ländern unserer Erde Zuversicht und Lebenshoffnung. Wir wissen, dass aus Hungerregionen nur selten blühende Landschaften werden. Doch Ihre Spenden an Brot für die Welt ermöglichen Millionen Menschen ein menschenwürdiges Leben. Jedes einzelne Projekt zeigt, wie sinnvoll und gut die Spendengelder verwendet werden.
Uns geht es heute besser als den Berlinerinnen und Berlinern vor fünfzig Jahren. Den Dank dafür können wir zeigen. Für „Brot für die Welt“ zu spenden, ist dafür eine gute Idee. Gerade im Advent.
Im Licht des Advent spüren wir die Güte Gottes. Im Licht der Klarheit Gottes sehen wir die Spuren der Hoffnung. Nach diesen Spuren halten wir Ausschau; zu ihnen wollen wir auch selbst beitragen. Die Treue zu Gott und das Mitgefühl mit meinem Nächsten sind unteilbar. Wenn ich darauf vertraue, dass genug für alle da ist, dann öffnen sich meine Hände. So zieht die Freude über die Ankunft unseres Heilands Jesus Christus auch in mein Herz ein.
Die wichtigste Aufgabe jeder christlichen Gemeinde liegt darin, die Freudenbotschaft mit der Treue und Zähigkeit eines Esels zu den Menschen zu tragen. So gerät die von Gott geschenkte Zukunft in unseren Blick. Sie ist das gelobte Land, dem die Kirche der Freiheit getrost entgegengehen kann. Auf diesem Weg wollen wir keine und keinen verloren geben. So treten wir ein in die Adventszeit und gehen auf das Fest von Christi Geburt zu, gemeinsam mit dem Esel, dem treuen Lastenträger. Er hat den Platz an der Krippe verdient.
„Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“
Amen.