Vermeidung von Schwangerschaftsspätabbrüchen
Votum des Bevollmächtigten des Rates der EKD
Prälat Dr. Stephan Reimers
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich für eine Verringerung der Zahl von Spätabtreibungen eingesetzt. Offensichtlich ist, dass es einer Konkretisierung der Vorschriften in diesem Bereich bedarf. Insbesondere muss auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert werden, die sich durch die Fortentwicklung pränataler Diagnostik ergeben. Um dem uneingeschränkten Lebensrecht ungeborener Kinder Rechnung zu tragen, darf auch eine Änderung der derzeitigen gesetzlichen Regelung nicht tabuisiert werden. Dabei sind die folgenden Aspekte von besonderer Wichtigkeit:
- Die Beratung vor und nach pränataler Diagnostik ist unbedingt zu verstärken. Nach § 2 Schwangerschaftskonfliktgesetz haben jede Frau und jeder Mann einen Rechtsanspruch auf Beratung in allen eine Schwangerschaft mittelbar oder unmittelbar berührenden Fragen. Die EKD fordert seit Jahren, dass es über die medizinische Behandlung und Beratung hinaus und unabhängig davon ein psychosoziales Beratungsangebot geben muss, das schwangere Frauen freiwillig vor jeder pränatalen Diagnostik in Anspruch nehmen können. Das Beratungsangebot muss zielorientiert und ergebnisoffen sein. Es gilt, die Betroffenen über alle Handlungsmöglichkeiten sowie Hilfsangebote und Unterstützung zu informieren und zusammen mit ihnen Wege zu einer Entscheidung zu suchen. Dazu gehört der Hinweis auf das Recht auf Nichtwissen, also den bewussten Verzicht auf pränataldiagnostische Untersuchungen.
– Für den Fall eines auffälligen Befunds muss eine begleitende psychosoziale Beratung gesetzlich verankert werden. Wenn solche Fälle spät im Verlauf der Schwangerschaft auftreten, besteht aufgrund der großen Konfliktsituation ein gesteigerter Beratungsbedarf für die Schwangere. Nur auf der Grundlage einer Entscheidung der Schwangeren kann überhaupt eine medizinische Indikation festgestellt werden. Bei dieser Entscheidung muss der Frau und ihrem Partner jede mögliche Unterstützung zur Seite gestellt werden, die ihnen hilft, sich trotz einer möglichen Behinderung oder Krankheit ihres Kindes für das Leben zu entscheiden. Um der Pflicht zum Schutz ungeborener Kinder uneingeschränkt nachzukommen, ist eine gesetzliche Verpflichtung des Arztes oder der Ärztin dringend erforderlich, auf psychosoziale Beratungsmöglichkeiten hinzuweisen und aktiv an einer Vermittlung zu geeigneten Beratungsstellen mitzuwirken.
– Psychosoziale Beratung muss durch unabhängige Beratungsstellen erfolgen. Die Betreuung der Schwangeren und ihres Partners in einer Konfliktsituation kann nicht allein durch den Arzt oder die Ärztin geleistet werden. Neben der medizinischen Beratung durch die Ärzte zur Begleitung der Schwangeren und ihres Partners ist eine eigenständige psychosoziale Beratung durch Beratungsstellen zu garantieren. Eine solche Beratung muss auch die Information über materielle sowie ideelle Unterstützungs-und Entlastungsmaßnahmen für Familien umfassen, in denen behinderte Kinder aufwachsen.
– Eine dreitägige Bedenkzeit für die Schwangere zwischen der ärztlichen Diagnose und der Feststellung der Indikation bzw. der Abtreibung selbst muss, sofern nicht das Leben der Schwangeren akut gefährdet ist, bei allen Fällen der medizinischen Indikation verpflichtend sein.