Gesamtkonferenz Evangelische Freiwilligendienste

Grußwort

Anrede,

erinnern Sie sich noch daran, was Sie dazu gebracht hat, ehrenamtlich tätig zu werden? Wissen Sie noch, wie diese Anfänge zustande kamen und wie sie sich anfühlten? In meiner Kindheit gab es zwei Impulse für so etwas wie erstes ehrenamtliches Handeln im Kleinen. Erstens: Ich habe in der Grundschule einen sehr berührenden Film über die Arbeit mit Behinderten in Bethel und das Wirken von Friedrich von Bodelschwing gesehen. Zweitens: Mir ist dadurch der große Postkasten im Vorraum der Kirche meiner Heimatgemeinde, der Auen-Kirchengemeinde in Berlin-Wilmersdorf aufgefallen. Von da an habe ich gesammelt. Kein Brief, den mein Vater erhielt, war vor mir sicher: Sofort nahm ich die Schere zur Hand und dann raus mit der Briefmarke. Und bei jedem Gottesdienstbesuch warf ich die gesammelten Briefmarken dann durch den Schlitz des großen Kastens.

Die meisten von Ihnen kennen diese Aktion: Von Umschlägen und Postkarten nicht abgelöste Briefmarken können nach Bethel geschickt werden. Die behinderten Beschäftigten dort lösen die Marken ab, trocknen sie und stellen sie zu neuen Sammlungen zusammen. Der Rest wird an Sammler und an Briefmarkenhändler verkauft. Der Erlös kommt ausschließlich sozialen Projekten innerhalb der Anstalt zugute. Seit fast 125 Jahren gibt es diese Initiative, die viele Menschen mit diakonischem Handeln verbindet. Egal ob es Briefmarken sind, gebrauchte Kleider oder Lebensmittel – das Sammeln gehört zu vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten dazu.

Und manchmal sammelt man auch für den guten Zweck im übergeordneten Sinne, zum Beispiel Unterschriften. Ich erinnere mich: Vor einem Jahr – am 6. Dezember 2010 - hatte ich die Freude, zur Auftaktveranstaltung von „Freiwillig etwas bewegen“ der bundesweiten Kampagne der Evangelischen Trägergruppe zum Europäischen Jahr des Freiwilligen Engagements 2011, 150 junge Menschen und einen großen Nikolausstiefel voller Unterschriften in Berlin begrüßen zu dürfen.

Ich freue mich, dass Sie nun auch zum Abschluss der Kampagne wieder hier sind. Dass der Stiefel heute ebenfalls wieder hier ist, nehme ich als gutes Zeichen. Er ist – wie ich gehört habe - viel unterwegs gewesen und wurde in diesem Jahr - emanzipiert vom Nikolaus(tag) - als Botschafter des Projektes in München, Dresden, Kiel und sogar Brüssel empfangen.

Mit oder ohne großes Schuhwerk: Viele Aktionen haben Sie im Rahmen Ihrer Kampagne angestoßen und durchgeführt, viel Aufmerksamkeit geweckt für die Bedeutung der Freiwilligen und deren Engagement in unserer Gesellschaft. Dafür möchte ich Ihnen – auch im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland – an dieser Stelle herzlich danken.

Das Gute tun und das Reden darüber nicht lassen – ich bin sicher, dass diese bewährte Kombination auch und gerade im Bereich des freiwilligen Engagements eine wichtige und eine erfolgreiche ist. Und obwohl Zahl und Umfang der Aufgaben für ehrenamtlich Tätige fast täglich zunehmen, möchte Sie ermutigen, diese Zweigleisigkeit auch in Zukunft nicht aus dem Blick zu verlieren.

Meine Damen und Herren,

„Freiwilliges Soziales Jahr FSJ – wir haben es erfunden“, das könnte der Leitspruch der evangelischen Trägergruppe der Freiwilligendienste sein. Denn es waren evangelische Einrichtungen, die 1954 die Erfolgsgeschichte des „Freiwilligen Sozialen Jahres“ bzw. des „Diakonischen Jahres“ in Gang setzten. Eine Erfolgsgeschichte ist die Entwicklung dieser Einrichtungen deshalb zu nennen, weil im Laufe der Zeit immer mehr junge Menschen für einen freiwilligen Dienst gewonnen werden konnten. Gerade in den vergangenen Jahren ist ihre Zahl noch einmal deutlich gestiegen: Während 2006 rund 100.000 Freiwillige in Diakonie und Evangelischer Jugend begrüßt wurden, so sind es heute, fünf Jahre später, bereits nahezu 140.000. Allein in diesem Jahrgang haben etwa 11.000 junge Menschen – und im Bundesfreiwilligendienst auch einige ältere - einen Freiwilligendienst bei evangelischen Trägern begonnen.

Eine Erfolgsgeschichte ist die von FSJ und FÖJ aber natürlich auch deshalb, weil der evangelische Impuls von vielen weiteren Akteuren und gesellschaftlichen Gruppen aufgenommen wurde. Heute sind Freiwilligendienste gesellschaftlich hoch anerkannt und auch die Politik hat sie immer stärker in den Fokus gerückt.
 
Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Freiwilligendienste vor allem deshalb so erfolgreich funktionieren, weil sie auf entsprechenden Rahmenbedingungen und Strukturen basieren. Ein entscheidendes Moment dabei ist das Trägerprinzip. Die Träger sorgen mit ihrer Arbeit verlässlich dafür, dass der Dienst für alle Beteiligten ein Gewinn ist: für die Freiwilligen, die Klienten und die Einsatzstellen. Dafür ist Ihnen allen sehr zu danken. Ohne Ihre verlässliche, intensive Begleitung der Freiwilligen und der Einsatzstellen wäre ein solcher Erfolg der Freiwilligendienste kaum denkbar gewesen.

Das bewährte Trägerprinzip ist auch im Blick auf die zukünftige Gestaltung der Dienste zentral. Darüber hinaus sind mir die folgenden Punkte wichtig:

Freiwilligendienste sind Bildungs- und Orientierungsdienste. Die Synode der EKD hat diesbezüglich mit Recht schon im vergangenen Jahr darauf hingewiesen, dass sich die Ausgestaltung des neuen Bundesfreiwilligendienstes an den bewährten Jugendfreiwilligendiensten zu orientieren habe. Es ist daher zu begrüßen, dass nun auch der Bundesfreiwilligendienst 25 Seminartage verpflichtend für alle Freiwilligen vorsieht. Aber auch darüber hinaus ist sicherzustellen, dass beide Dienstformen als Bildungs- und Orientierungsdienste gestärkt und ausgebaut werden, und dass auch der Bundesfreiwilligendienst eine individuelle Begleitung der Freiwilligen während der gesamten Dienstzeit ermöglicht. Diese Begleitung sollte auch weiterhin in den bewährten Bahnen, das heißt: über die Träger erfolgen.

Diesem Anspruch entsprechend müssen Freiwilligendienste hohe Qualitätsstandards haben. Wo Bildungs- und Orientierungszeiten zu kurz kommen und Freiwillige womöglich als billige Arbeitskräfte angesehen und behandelt werden – so nach dem Motto: Mit dem Freiwilligen stopfe ich unliebsame Lücken im Personalplan – wird niemand profitieren. Wir wollen im Gegenteil weiterhin attraktiv bleiben, wir wollen so hohe Ansprüche an die Qualität der Freiwilligenarbeit stellen, dass wir Menschen dauerhaft für eine Mitarbeit in Kirche und Diakonie gewinnen können.

Hohe Qualitätsstandards sollten wir aber nicht nur für uns selbst festlegen. Sie werden mir zustimmen: Freiwilligendienste sollten im Sinne der Freiwilligen grundsätzlich und bei allen Trägern unter Qualitätssicherungs-Standards durchgeführt werden.

Meine Damen und Herren,

es ist wahrlich kein Geheimnis: Die Freiwilligendienste stehen zurzeit vor großen Herausforderungen. Seit Beginn der Diskussion um die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes hat meine Dienststelle sich beim BMFSFJ vehement dafür eingesetzt, dass die bestehenden Jugendfreiwilligendienste ausgebaut und gestärkt werden müssen, und dass bei der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes Doppelstrukturen zu vermeiden seien. Dafür habe ich mich auch persönlich im Gespräch mit Bundesministerin Kristina Schröder stark gemacht. Dies wurde mir zugesagt, und ich werde darauf achten, dass dies auch so umgesetzt wird. Darüber hinaus wurde uns in Aussicht gestellt, dass im Rahmen von bundesweiten Werbekampagnen auch die bestehenden Freiwilligendienste Berücksichtigung finden würden. Hier gibt es noch Nachholbedarf. Gleiche Rahmenbedingungen und gemeinsame Werbung sind Themen, die wir gemeinsam mit dem Diakonischen Werk der EKD und der Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend weiterhin aufmerksam begleiten werden.

Wir werden auch darauf achten, dass es – etwa durch eine finanzielle Besserstellung des einen oder anderen Dienstes – nicht zu einem Ungleichgewicht zwischen den beiden Säulen kommt. Eine gleichwertige finanzielle Ausstattung der beiden Dienstformen ist für uns unabdingbar. Immerhin können wir feststellen, dass den Freiwilligendiensten allgemein in den vergangenen Monaten erhebliche Gelder zur Verfügung gestellt wurden. Diese Entwicklung kam und kommt auch den bestehenden Jugendfreiwilligendiensten zu Gute.

Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass sowohl das Ehrenamt als auch der Freiwilligendienst berufliche Arbeit nicht ersetzen dürfen. Um Menschen für diese Dienste zu gewinnen, kann und und soll die Politik Rahmenbedingungen setzen, und wir wollen unterstützend daran mitwirken, dass diese Bedingungen erfolgreich entwickelt und umgesetzt werden. Meine Dienststelle wird daher auch darauf drängen, dass die Verankerung der Jugendfreiwilligendienste in der Zivilgesellschaft im Sinne der Subsidiarität erhalten bleibt.

Die erfolgreiche Kampagne „Freiwillig etwas bewegen“ kann uns auf diesem Weg ermutigen. In der Hoffnung, dass der Mut machenden Zeichen noch zahlreiche folgen werden, sollten wir uns nun aber zunächst gegenseitig ermutigen, das bisher Erreichte zu würdigen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nicht nur eine gelingende Gesamtkonferenz, sondern auch eine gute Diskussionsveranstaltung heute hier zum Abschluss Ihrer Kampagne.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.