Pressekonferenz zur Woche für das Leben 1998
"Worauf du dich verlassen kannst: Miteinander leben in Ehe und Familie", Statement Präses Manfred Kock, Vorsitzender des Rates der EKD
In der diesjährigen Initiative der Woche für das Leben stellen die beiden Kirchen unter zwei Gesichtspunkten die Chancen besonders heraus, die die Familie für unsere Gesellschaft bietet. Und sie fordern die Verbesserung für die Rahmenbedingungen, die für das Zusammenleben in der Familie nötig sind.
Die Familie ist eine Gabe Gottes, die der Entfaltung des Lebens dienen soll. Sie ist der Ort, an dem unser Glaube an die Liebe Gottes unmittelbar in die Liebe zueinander übersetzt werden kann. Eltern, die sich selbst von Gott getragen fühlen, geben diese Grunderfahrung von Geborgenheit an ihre Kinder und Partner weiter. Die Familie ist der Lebensraum, in dem Kinder ihre prägenden Erfahrungen sammeln. Was sie hier erleben, hilft oder hindert nachhaltig die Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Hier lernen sie durch Eltern und Großeltern, woran wir Halt und Orientierung im Leben finden. Die Familie setzt für Heranwachsende die entscheidenden Akzente für religiöse und kulturelle Leitbilder. Die Familie übt den Umgang mit den demokratischen Werten unserer Gesellschaft ein, und sie erzieht zum Respekt im Umgang mit den Normen unserer Rechtsordnung. Die Familie ist damit ein einzigartiger Lernort, in dem verläßliches Zusammenleben von Kindern und Jugendlichen erprobt und von Erwachsenen glaubwürdig vorgelebt werden kann.
Viele Familien sind von ökonomischen Zwängen und von rasanten Veränderungen in vielen Lebensbereichen so sehr belastet, daß viele Krisen durchleben und auseinanderbrechen. Die Woche für das Leben will zum Leben in Ehe und Familie ermutigen und praktische Orientierungshilfen geben.
Das von beiden Kirchen gemeinsam herausgegebene Arbeitsheft "Impulse für Praxis und Gottesdienst" eröffnet Einblicke in die komplexe Thematik. Die Broschüre regt Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen zu Veranstaltungen an, in denen die Lebenssituation der Menschen bedacht werden können. Die Arbeitshilfe bietet neben grundsätzlichen Überlegungen zur Familie auch Erfahrungsberichte. Sie erzählen von gelingendem Zusammenleben, blenden aber auch die Problematik des Zerbrechens von Familien nicht aus. Das Arbeitsheft präsentiert außerdem die Bildungs- und Beratungsarbeit der Kirchen und stellt ihre praktische Familienarbeit exemplarisch vor.
Aus der Vielzahl der angesprochenen Themenfelder möchte ich zwei besonders betonen. Was die Familie leistet [1.] und was die Familie braucht [2]:
[1.] Immer wieder wird gefordert, daß Werte und Orientierung in unserer Gesellschaft gerade den jungen Menschen besser vermittelt werden müßten. Adressaten dieses Appells sind insbesondere die Schulen und die Kirchen. Können sie das leisten, was die Familien nicht schaffen? Inwieweit darf man die Familien zu Recht als Werteinstanz in Anspruch nehmen? Wann ist die Familie als Erziehungsinstitution überfordert und braucht selber Hilfe und Beratung?
Viele Familien brauchen zeitweise oder dauerhafte Unterstützung, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. In jeder Familie muß es aber um mehr gehen, als um die bloße Vermittlung von Werten. Ein Aufwachsen in der Familie bedeutet für Kinder und Jugendliche, erste eigene Erfahrungen mit den Lebenserfahrungen anderer Generation zu teilen. In der Familie erleben sich Menschen als Teil einer Generationenkette. Die Höhe und Tiefpunkte der Familiengeschichte werden dort gemeinsam erlebt und erlitten. Die Familienerfahrungen verdichten sich in den authentischen Erzählungen der Älteren.
Die Heranwachsenden benötigen solche Orte des vertrauensvollen Miteinanders, an denen man sich Zeit füreinander nimmt. Solidarischer Umgang in der Gesellschaft und die Achtung der Würde anderer Menschen wachsen aus der besonderen Erfahrung der Verlässlichkeit, wie sie nur die Familien leisten kann.
[2.] Aber damit Familien Orte der Freiheit und der wechselseitigen Verläßlichkeit bleiben bzw. wieder werden können, brauchen sie dafür günstigere gesellschaftliche Rahmenbedingungen.
Die Verantwortungsträger im Staat, die Tarifpartner und die anderen gesellschaftlichen Kräfte müssen dazu beitragen. Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Ausbildung und Familie. Dazu sind politische Entscheidungen notwendig, die Barrieren, wie z.B. beim Wiedereinstieg in die Erwerbsarbeit für Väter und für Mütter nach der Familienphase abbauen. Wir brauchen eine Erweiterung von bedarfsgerechten Kinder-Betreuungsangeboten, die auch für einkommensschwache Familien erschwinglich sind.
Es fehlt nach wie vor an preiswertem, familiengerechtem Wohnraum. Auch dies führt häufig dazu, daß Ehepaare auf Kinder verzichten. Kinder werden in der reichen Bundesrepublik nicht selten als Armutsrisiko gesehen. Letztlich funktionieren auch dadurch die sozialen Sicherungssysteme in unserer Gesellschaft nicht mehr angemessen.
Den Kirchen geht es deshalb nicht nur darum, eine familienfreundlichere Atmosphäre in der Gesellschaft herbeizuwünschen. Sie treten mit der Woche für das Leben für verbesserte familiengerechte Rahmenbedingungen in unserem Land ein.
Bei den Aktionen der Woche für das Leben haben die Kirchen auch das eigene Handeln im Blick: Wir müssen unsere Tageseinrichtungen für Kinder und unsere Jugendzentren auch unter schwierigen finanziellen Bedingungen erhalten. Und als große Arbeitgeber können die Kirchen das Angebot von Teilzeitarbeit ausweiten.
In der Woche für das Leben sind die Verantwortlichen in den Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen eingeladen, zusammen mit Familien die jeweiligen kirchlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Familien vor Ort zu analysieren und gemeinsam nach konkreten Möglichkeiten für mehr Familiengerechtigkeit zu suchen. Zugleich können wir durch die Aktionsprogramme in dieser Woche viele Menschen auf das kirchliche Beratungs- und Hilfsangebot aufmerksam machen.
Kinder und Jugendliche, Frauen und Männer brauchen verläßliche Beziehungen. Für Christen bietet die Treue Gottes die solide Grundlage für ein verläßliches Zusammenleben. Darum wollen wir zeigen: "Worauf du dich verlassen kannst: Miteinander leben in Ehe und Familie"
Hannover/Bonn, den 24. April 1998
Pressestelle der EKD