"Der trennende Zaun ist abgebrochen"
Tschechisch-deutsche Arbeitsgruppe der Kirchen legt Publikation zur Verständigung zwischen Tschechen und Deutschen vor
3. Tagung der 9. Synode der EKD
Der trennende Zaun ist abgebrochen" - diesen Titel gibt die tschechisch-deutsche Arbeitsgruppe der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) einem Handbuch für deutsch-tschechische Begegnungen und Partnerschaften, das sie im Auftrag der beiden Kirchen erarbeitete und während der in Münster tagenden Synode der EKD der Öffentlichkeit vorstellt. Der Titel, angelehnt an ein Bibelzitat, signalisiert beides: die Nähe, die heute zwischen Tschechen und Deutschen erreicht ist, und die bleibende Aufgabe, die die Verständigung der beiden Nachbarvölker nach wie vor darstellt.
Die gemeinsame Erklärung der deutschen und der tschechischen Regierungen vom 21. Januar 1997 war ein wichtiger Schritt. Sie sprach das Unrecht der Vergangenheit an und tat dies in der entschlossenen Ausrichtung auf die Zukunft. Beiden Seiten geht es um den Aufbau guter nachbarschaftlicher Beziehungen in einem sich vereinigenden Europa. Bis heute zeigt sich freilich immer wieder, daß es hier wie dort Kräfte gibt, die diesen Weg noch nicht mitgehen wollen oder können. Die Verletzungen der Vergangenheit liegen zu tief, Mißtrauen und ein Denken in Rechtsansprüchen gefährden nach wie vor Verständigung und Versöhnung zwischen den Menschen. Hier setzt die Arbeitsgruppe der beiden Kirchen aus Tschechien und Deutschland an: "Begegnungen sind die beste 'Arznei' für die Wunden der Vergangenheit", stellt sie im Vorwort ihres Buches fest, das Anregung und Handreichung für die Vertiefung der zahlreichen bereits bestehenden deutsch-tschechischen Beziehungen sowie Anleitung zur Bildung neuer Kontakte bietet.
Die Bildung der tschechisch-deutschen Arbeitsgruppe der EKBB und der EKD hat ihren Ursprung in einer bemerkenswerten und in der kirchlichen sowie politischen Öffentlichkeit viel beachteten Erklärung der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder "Zur Problematik der Aussiedlung der Sudetendeutschen" vom 18. November 1995. Die Synode der EKD nahm diese Initiative in einer Kundgebung "Zur Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen" vom 7. November 1996 auf (beide Erklärungen sind mit weiteren kirchlichen und politischen Dokumenten in dem Buch enthalten). Im Dezember 1996 kam die gemeinsame Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Dr. Jürgen Schmude, Präses der Synode der EKD, und Dr. Zdenek Susa, Synodalkurator (Laienvorsitzender) der EKBB, zu ihrer ersten Sitzung in Dresden zusammen.
Für die Zukunft sei es unerläßlich, so die beiden Vorsitzenden, auch weiterhin über die Vergangenheit zu sprechen. "Bei jeder unserer Sitzungen haben wir uns deshalb einer der Etappen der gemeinsamen schmerzhaften Geschichte zugewandt und versucht, einander zu erklären, was uns in der Geschichte vor allem verletzt und worin sich unser Blick in die Vergangenheit unterscheidet, aber auch was uns verbindet." Das Ergebnis dieses Bemühens um die geschichtliche Wahrheit im Dienst der Versöhnung ist eine gemeinsam formulierte und verantwortete Darstellung der deutsch-tschechischen Geschichte, die deren krisenhafte Phasen - insbesondere die Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen Republik durch NS-Deutschland 1938-1945 und die Vertreibung der Sudetendeutschen 1945/46 - in den Mittelpunkt rückt und als letzte, tragische Schritte eines langen Weges von Fehlentwicklungen versteht, zu denen beide Seiten immer wieder beigetragen haben. Dabei werden die Kirchen nicht ausgeklammert. Es bleibe die "schmerzliche Erkenntnis", daß sie diesem Gang der Dinge kaum Widerstand geleistet, sondern sich gleichfalls von nationalen Interessen hätten leiten lassen.
In einem weiteren Abschnitt stellt die Arbeitsgruppe exemplarische, aus dem Geist des christlichen Glaubens erwachsene Beispiele der Annäherung und Versöhnung dar, die den Boden für die tschechisch-deutsche Verständigung und den heute auf vielen Ebenen stattfindenden Austausch bereitet haben. Anregungen und praktische Hinweise zur Organisation und inhaltlichen Gestaltung deutsch-tschechischer Begegnungen sowie ein umfangreiches Kapitel mit Informationen und Kontaktadressen folgen. Abgeschlossen wird die Handreichung mit einer Auswahl von Liedern, Gebeten und geistlichen Texten, die ein Angebot für gemeinsame Andachten bilden und deshalb zweisprachig in Deutsch und Tschechisch abgedruckt werden.
Die tschechisch-deutsche Arbeitsgruppe der EKBB und der EKD stellt dankbar fest, daß ihre Gespräche und die gemeinsame Arbeit trotz der sensiblen Thematik offen und vertrauensvoll vonstatten gehen konnten. Sie sieht darin eine Ermutigung für alle, denen es um die Bereicherung und Vertiefung der Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen geht.
Münster, 4. November 1998
Pressestelle der EKD
Das Buch ist im Verlag des Gustav-Adolf-Werks erschienen und kann beim Gustav-Adolf-Werk in Leipzig oder beim Kirchenamt der EKD in Hannover zum Preis von 10,-- DM bezogen werden. Eine tschechische Ausgabe ist in Arbeit und wird demnächst erscheinen.