Predigt im ZDF-Gottesdienst aus Eisleben
Margot Käßmann
Liebe Gemeinde,
im Markusevangelium heißt es: "Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden" (16,16). Das ist ein starker, aber auch herausfordernder Satz. Wie fühlen sich da Menschen, die ihn hören, aber nicht getauft sind - und gerade hier in Luthers Taufstadt Eisleben ist das die bei weitem überwiegende Mehrheit! Manche würden doch sagen: Gut, ich bin nicht getauft, aber auf der Suche nach Glauben bin ich schon. Würde Gott mir absprechen, selig, glücklich zu werden, nur weil ich nicht getauft bin?
Letztes Jahr habe ich in der Kreuzkirche in Dresden gepredigt. Beim anschließenden Gemeindefest kam eine Frau zu mir und fragte, ob ich ihr raten könne. Sie sei durchaus auf dem Weg zum Glauben. Aber sich taufen zu lassen, da habe sie eine große Hemmung. Sie fühle sich so unzulänglich und sei auch nicht ganz sicher, ob sie die Frage nach ihrem Glauben mit einem klaren und festen Ja beantworten könne.
Ich habe versucht, ihr Mut zu machen: Nie werden wir ganz und gar perfekt sein! Ihre Fragen sind doch fast Luthers Fragen! Wie bekomme ich einen gnädigen Gott, fragte er. Übersetzt heißt das für heute ja wohl: Kann ich genügen? Stehe ich fest genug im Glauben? Kann ich mit meinem Leben, allem Versagen und Scheitern, allen Fehlern vor Gott bestehen? Das Großartige an unserem Glauben ist doch, dass Gott uns annimmt, auch wo wir noch suchen, und wo wir scheitern, nicht alles leisten, was wir gar selbst wollen, Gebote übertreten. Als "Sünder" - so die alte Sprache, die doch so viel ausdrückt - dürfen wir vor Gott treten, werden wir von Gott angenommen. Wer will denn Glauben messen? Und eben haben wir es auch von zwei Frauen aus dieser Gemeinde gehört: Das Fragen hört nicht auf. Die Taufe ist eine Station auf unserem Weg und Fragen und Zweifel gehören weiter mit dazu...
In der Reformationszeit war die Taufe ein Thema bitterster Auseinandersetzung. Es [Im so genannten "linken Flügel der Reformation"] entstand eine Bewegung, die sich radikal am Neuen Testament orientieren wollte. Gütergemeinschaft, Gewaltlosigkeit, eine Trennung von Kirche und Staat stand auf ihrem Programm. Dazu gehörte auch die Gläubigentaufe, weil "die Täufer" keine biblischen Grundlagen für die Säuglingstaufe sahen. [Sie wünschten sich eine freie Gemeinschaft, die aus freiem Willen Kirche begründet. Von ihren Gegnern wurden sie "Wiedertäufer" genannt, weil sie aus deren Sicht ein zweites Mal tauften. Sie selbst konnten die Säuglingstaufe nicht anerkennen und sahen daher die Taufe von Erwachsenen, die selbst ihr Taufbegehren formulieren konnten, als Ersttaufe an.]
Diese Diskussion gibt es bis heute. Aber die meisten Kirchen haben sich geeinigt, dass es nur eine Taufe gibt. Wir werden einmal getauft in die weltweite Kirche Jesu Christi hinein. Und zwischen Lutheranern und den Mennoniten als geistigen Erben der Täuferbewegung hat es inzwischen Versöhnung gegeben. [Wer Kindertaufe ablehnt, erinnert an sie, wenn Erwachsene aufgenommen werden, nur in wenigen Kirchen wird ein zweites Mal getauft. Inzwischen gibt es interessanterweise ja auch neue Formen in traditionellen Landeskirchen. Konfirmanden, die religionsmündig sind, werden getauft. Und manches Mal sind es nun Grundschulkinder, die von Jesus Christus hören und getauft werden wollen. Dann bringen nicht mehr die Eltern die Kinder zur Kirche, sondern die Kinder die Eltern.]
Wenn wir aber Säuglinge taufen, ist und bleibt das ein wunderbares Zeichen für die Liebe Gottes, finde ich. Da wird ein kleines neugeborenes Wesen aufgenommen in den Segenskreis Gottes, in die Gemeinschaft der Familie, in die Gemeinschaft der großen Familie der Kinder Gottes. Da gehört das Kind hin, da kann es Halt finden im Glauben, in den Liedern, Geschichten, Traditionen, Erzählungen und Gebeten. Nein, es hat noch nichts geleistet, es ist ganz auf die Liebe anderer angewiesen. Aber Gott sagt ihm schon jetzt und hier zu, dass es eine anerkannte Person ist, weil Gott ihm Anerkennung zusagt. Beim Propheten Jesaja heißt es: "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein"! Gott kennt uns.
Ich möchte ein Beispiel erzählen, an dem mir deutlich wurde, wie schön es ist, dass wir Kinder taufen: In meiner Zeit als hannoversche Landesbischöfin hatte ich ein Netzwerk für Frauen in Schwangerschaftskonflikt ins Leben gerufen. Es gibt einen Notruf, eine Babyklappe und die Möglichkeit, anonym zu entbinden. Eines Tages erhielt ich einen Anruf. Ein Paar war zur Entbindung in die Klinik gekommen und hatte das Kind zurückgelassen. Niemand wusste Namen und Herkunft der Eltern, sie waren verschwunden. Es stellte sich heraus, dass das kleine Mädchen mehrfach schwerstbehindert war. Offenbar hatten die Eltern das in der Pränataldiagnostik erfahren. Diese Situation löste eine unbeschreibliche Bewegung aus. Die Kleine war so süß, ihr war in den ersten Wochen nichts von der Behinderung anzumerken, hätte es nicht diese Analyse gegeben. Und ich dachte immer: Hätte die Mutter sie so in den Armen gehalten, sie hätte das mit ihr durchgestanden.
In der Klinikkapelle habe ich Miriam getauft. Es war ein wunderbarer Gottesdienst, Pfleger, Schwestern, Ärztinnen und Ärzte, Unterstützer des Netzwerkes, die Frauen vom Notruftelefon waren dabei. Taufpate war der verantwortliche Mitarbeiter des Diakonischen Werkes, Taufpatin eine der Krankenschwestern. Miriam haben wir sie getauft, so allein ohne Eltern, nach der Miriam, die ihren kleinen Bruder Mose begleitet hat in der Bibel, als er selbst in höchster Gefahr war, allein im Schilfkörbchen. Miriam kam zunächst in ein Heim für schwerstbehinderte Kinder. Später haben die Krankenschwester und ihr Mann sie zu sich geholt, weil ihnen das kleine Mädchen so ans Herz gewachsen war...
Mich hat das bewegt. Miriam ist getauft. Sie hat eine Familie, auch wenn ihre Eltern sie auf traurige Weise verlassen haben. Ihre Eltern konnten kein JA zu ihr finden, aber Gott hat zu ihr JA gesagt. Und andere Menschen haben es auch getan. Daran wird für mich noch einmal neu klar, dass die Taufe nicht voraussetzt, dass wir alles verstehen. Miriam wird wohl nie ganz begreifen, was Glauben und Taufe bedeuten. Aber dass sie getauft ist, bedeutet etwas, hat etwas verändert.
Denn was heißt das, selig werden? Dass alles gelingt im Leben nach dem Motto: Meine Frau, mein Haus, mein Auto? Oder geht es da um etwas ganz anderes? Wir haben eben in der Lesung die Seligpreisungen gehört. Für mich zeichnen sie eine Kontrastgesellschaft, die uns zum Nachdenken anregt. Da heißt es nicht: Selig sind die Durchsetzungsfähigen, sondern selig sind diejenigen, die noch eine Sehnsucht nach Gerechtigkeit kennen. Es heißt nicht: Selig sind die Schnäppchenjäger, sondern selig sind die Barmherzigen. Nicht selig sind die Schönen und Reichen, sondern selig sind die, die reinen Herzens sind. Wer Jesus nachfolgen will, hat also andere Bilder vom Leben. Nicht die Erfolgsgesellschaft unserer Zeit setzt da den Maßstab, sondern die Vision von einem Miteinander in Vertrauen, das allen Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Und ja, dann könnten wir selig, glücklich leben, wenn nicht ständig diese Gier nach mehr, dieses Ellenbogen- und Imponiergehabe im Vordergrund stände.
Die Frage: Wie will ich leben, sollten wir uns öfter stellen. Das allgemeine Wissen, dass die Lebenszeit begrenzt ist, meint ja eine sehr persönliche Botschaft. Ich muss doch nicht erst eine Krebsdiagnose bekommen, um mal zu fragen: Wie will ich sie bewusst leben, die begrenzte Zeit, die mir geschenkt ist? Da können die Seligpreisungen doch Anleitung sein. Entschleunige mal! Halt an und überleg dir, wie du lebst. Umfragen zeigen uns heute, dass sich bei jungen Leuten im Land die Werte deutlich gewandelt haben. Nicht mehr das eigene Auto und Weltreisen stehen ganz oben auf der Prioritätenliste, sondern Familie und Freundschaft. Das ist doch bemerkenswert! Vielleicht spürt die nachwachsende Generation ja, dass Leben nicht durch Materielles, Erfolg, Aktien, "mein Haus, meine Frau, mein Auto" Sinn gewinnt, sondern durch alles das, was wir nicht kaufen können: Liebe, Freundschaft, Vertrauen, Glück, Geborgenheit.
So können wir die Seligpreisungen als Glückwunschadressen Gottes für Menschen verstehen, die nicht perfekt, aber voller Sehnsucht nach einem anderen Leben sind.
Damit können wir den Bogen spannen von der Taufe bis zum Sterben. Mit der Taufe stellen wir unser Leben in den Segenskreis Gottes, das meint, dass auch der Tod kein hoffnungsloser Fall ist, wir auch im Sterben und über den Tod hinaus von Gott gehalten sind, in Gottes Zukunft hinein. Wir feiern heute Gottesdienst am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres. Volkstrauertag gilt als "stiller Feiertag", [weil wir in diesen Wochen vor dem Advent der Kriegsopfer gedenken, Buße üben am Buß- und Bettag - nein, nicht als Sakrament, aber als Mahnung für unser Land - und am kommenden Sonntag mit dem Toten- oder Ewigkeitssonntag das Kirchenjahr abschließen, bevor das neue beginnt mit dem Entzünden der ersten Kerze am Adventskranz.]
Auch die Trauerzeiten, die stillen Tage gilt es zu bedenken. Die Taufe schützt ja nicht irgendwie magisch vor Unheil und Leid. Wann immer ich in Taufgesprächen das Gefühl hatte, Eltern hatten das im Hintergrund, habe ich versucht, zu vermitteln, dass die Taufe das Leben in Gottes Segenskreis stellt. Aber sie kann nicht Leid und Trauer verhindern. Christinnen und Christen wissen um Leid und Trauer, weil ja Jesus Christus, an den sie glauben, selbst Leid, Schmerz und Tod erfahren hat. Deshalb werden sie nicht im Leid fragen: Wo war Gott?, sondern erfahren dürfen: Da war Gott! Gott kennt Leid und gerade deshalb kann ich mich in den Höhen wie in den Tiefen meines Lebens Gott anvertrauen.
In seiner letzten Predigt am 14. Februar 1546 hier in Lutherstadt Eisleben in der St. Andreas Kirche sagte Martin Luther: "Denn es sollte wahrhaftig der Christen Leben wegen des Glaubens reinweg Freude und Wonne sein. Aber wenig sind es, die diese Freude recht erfahren." (WA 51, 179, 28ff) Diesen Eindruck kann der Mensch auch heute manches Mal gewinnen. Dass Luther vier Tage vor seinem Tod von solcher Lebensfreude aus Glauben spricht, das finde ich anrührend. Wir können in Freude, Fülle, mit Spaß am Leben, in Verantwortung und Dankbarkeit leben. Das ist Gnade, denke ich. Allein aus Gnade leben wir, damit meinten die Reformatoren dieses Grundgefühl: Nichts was ich tue oder leiste, ist entscheidend, sondern dass ich in eben diesem Segenskreis der Kinder Gottes gehalten und getragen bin.
Das hat übrigens auch politische Konsequenzen. Jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, ist Priester, Bischof, Papst, hat Luther erklärt. Von daher hat lutherische Theologie auch den Respekt gegenüber Frauen entwickelt. Sie sind getauft und damit stehen sie auf gleicher Stufe. Frauen können deshalb in unserer Kirche jedes Amt wahrnehmen. Und Taufe schützt gegen Missachtung auch anderer Art. In Südafrika wollten manche weiße Farmer Missionare daran hindern, ihre schwarzen Arbeiter zu taufen. "Dann sind sie ja wie wir!", hieß es. Und in der Tat, sie hatten Recht! Wer getauft ist, steht auf gleicher Stufe. Da ist keine Trennung mehr. Die Taufe stellt Hierarchien von Rasse, Geschlecht und Macht in Frage. Insofern ist sie revolutionär.
Wir werden gleich ein Taufgedächtnis feiern. Beim folgenden Lied werden wir Wasser schöpfen und das Taufgedächtnis vorbereiten. Wie Luther können wir uns daran erinnern lassen, dass unsere Taufe uns Halt und Haltung geben kann im Leben. Wer so steht im Glauben und auf der Grundlage der Taufe, wird manche Stürme des Lebens bestehen können. Baptizatus sum - ich bin getauft. Schön, sich daran immer wieder zu erinnern. Amen.