Statement auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Textes „,Selig sind die Friedfertigen‘ – Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik“
Hans-Jürgen Papier
Der Ratsvorsitzende sprach davon, dass die Stellungnahme der Kammer eine grundsätzliche friedensethische Orientierung ermöglichen soll. Im Text der Stellungnahme selbst werden Sie allerdings eine ausführliche, im engeren Sinne theologische Reflexion vergeblich suchen. Als Referenzpunkt und Maßstab dient vielmehr die Friedensdenkschrift der EKD aus dem Jahr 2007. Die Denkschrift entwickelt das Leitbild des "Gerechten Friedens" in ebenso einfachen wie klaren und überzeugenden Maximen: Recht stiftet Frieden; wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten; der "Gerechte Friede" ist ausgerichtet am vorrangigen Paradigma der Gewaltlosigkeit; Friede ist ausgerichtet an menschlicher Sicherheit und menschlicher Entwicklung; militärische Gewalt hat als "rechtserhaltende Gewalt" ihren ausschließlichen Ort als "ultima ratio", legitimiert durch ein Mandat der internationalen Gemeinschaft. Dieses Leitbild des "Gerechten Friedens" ist tief verankert in der biblischen Überlieferung. Es lebt davon, dass der Friede Gabe Gottes ist und erst von dieser ursprünglichen Gewährung her menschlicher Auftrag sein kann.
Der Rat der EKD hat, wie vom Ratsvorsitzenden erläutert, die Kammer beauftragt, dieses Leitbild des "Gerechten Friedens" in Beziehung zu setzen zum deutschen Einsatz in Afghanistan. Die Kammer hat diesen Auftrag unter den folgenden Leitfragen bearbeitet:
1. Inwiefern kann die deutsche Beteiligung - gemessen am Leitbild des "gerechten Friedens" und an den mit diesem Leitbild verknüpften friedensethischen Prinzipien und Kriterien - als legitim bezeichnet werden?
Und haben sich 2. das Leitbild, die Prinzipien und Kriterien im Licht der Erfahrungen dieses Einsatzes bewährt oder müssen sie fortgeschrieben werden?
Eine besondere Herausforderung dieses Arbeitsprozesses bestand auch darin, die Exponenten unterschiedlicher friedensethischer Optionen und Überzeugungen innerhalb der Kammer miteinander im Gespräch zu halten. Einen Reflex dieses intensiven Gesprächsprozesses erkennen Sie darin, dass wir einerseits einen die unterschiedlichen Positionen verbindenden tragfähigen Konsens vorlegen können, dass wir andererseits aber an einigen Punkten die Spannung und Bandbreite der Positionen auch innerhalb des Textes abgebildet haben, indem argumentative Weichen eingestellt wurden. Sie werden bei genauer Lektüre feststellen, dass diese Weichen in unterschiedlicher Weise eine sozusagen klassische Alternative evangelischer Ethik wiedergeben. Auf der einen Seite dieser Alternative findet sich die Überzeugung von einer klaren normativen Ausrichtung an Leitbild, Prinzipien und Kriterien, auf der anderen Seite die Option für ein stärker an der Situation und ihren komplexen Anforderungen orientiertes ethisches Urteil.
Auf eine detaillierte Wiedergabe der Inhalte des Textes muss ich an dieser Stelle verzichten und mich darauf beschränken, zum einen den klaren Konsens der Kammer zu beschreiben und zum anderen die wesentlichen Weichenstellungen. Zum Abschluss werde ich kurz auf die in der Schlussbemerkung des Textes genannten Anregungen zur Weiterarbeit eingehen.
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Zur Frage der Legitimität des Einsatzes anhand der Kriterien der Friedensdenkschrift: Unstrittig ist, dass der ISAF-Einsatz völkerrechtlich durch eine UN-Mandatierung legitimiert ist und in ein kollektives internationales System der Friedenssicherung eingebunden ist.
Strittig ist allerdings, ob diese Legitimität der Ausgangsentscheidung der UN ausreichend war, um alle Folgeentscheidungen zu tragen. Ein Teil der Kammer urteilt hier sehr kritisch: Die ursprüngliche Mandatierung in der UN-Resolution 1368 argumentiert mit dem Selbstverteidigungsrecht des Angegriffenen. Diese Begründung könne nicht für 13 Einsatzjahre aufrecht erhalten werden. Zudem seien wesentliche Prüfkriterien der Friedensdenkschrift nicht erfüllt gewesen. Gravierende Mängel habe es hinsichtlich der Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung gegeben, ebenso in Bezug auf die Einbindung der afghanischen Kräfte. Ein anderer Teil der Kammer sieht die Legitimität des Einsatzes als fortgesetzt gegeben an: besonders die unvorhersehbare Komplexität der Einsatzsituation habe flexible Reaktionen nötig gemacht. Zudem sei Deutschland durch die Bündnissolidarität zu fortgesetzter Beteiligung verpflichtet gewesen.
- Zur Frage, ob und inwiefern sich das Leitbild des gerechten Friedens bewährt hat: Es herrscht grundsätzliche Übereinstimmung darin, dass sich das Leitbild des gerechten Friedens unter den Bedingungen eines konkreten Einsatzes bewährt hat. Weiterhin besteht Konsens darin, dass der deutsche Einsatz in Afghanistan sehr weitgehend darunter gelitten hat, dass ein konzises politisches Rahmenkonzept fehlt und von dieser Leerstelle her die angemessene Wahl von Umfang und Art der zum Einsatz gebrachten Kräfte und Mittel schwierig war.
Vom Leitbild des "Gerechten Friedens" her ergeben sich aus dem Afghanistan-Einsatz einige grundsätzliche Anforderungen an humanitäre Interventionen:
- Militärische Mittel müssen an ihrem möglichen Beitrag für die politischen Ziele gemessen werden. Dazu bedarf es einer politischen Gesamtstrategie unter Priorität der zivilen Mittel. Die Eigendynamik der militärischen Mittel muss politisch begrenzt werden.
- Entscheidender Teil einer politischen Gesamtkonzeption eines Einsatzes sind Exit-Strategien, die schon vom Beginn eines Einsatzes an entwickelt werden müssen. Aktuell heißt dies auch: Deutschland trägt Verantwortung im Prozess des Abzugs, afghanische Partner etwa der Bundeswehr müssen schnell und unbürokratisch Unterstützung und ggf. Aufnahme in Deutschland finden.
- Die Einsicht bleibt: Nur Recht schafft Frieden. "Rechtserhaltende Gewalt" im Sinne der Kriterien der Friedensdenkschrift muss auf den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen ausgerichtet sein. Dies kann mit Aussicht auf Erfolg nur geschehen in Anknüpfung an lokale Rechtstraditionen und Institutionen, also unter Wahrung des Prinzips der "local ownership".
- Militäreinsätze müssen von Beginn an durch Evaluation begleitet sein. Gegen die Eigendynamik und Zwangsläufigkeit militärischer Gewalt müssen Einsätze Gegenstand politischer Lernprozesse und Fehleranalyse sein.
Gerade wenn wir diese Lernerfahrungen formulieren, kommen wir zu dem Schluss: Der "Gerechte Frieden" ist mehr denn je als friedensethisches Leitbild bestätigt!
Die friedenethische Reflexion wird und muss weitergehen. Ich nenne hier nur drei konkrete Aufgaben, wie sie auch am Schluss des Textes festgehalten sind. Wir brauchen kirchliche, gesellschaftliche und politische Debatten über
- Umfassende zivile Mandatierungen von humanitären Einsätzen durch den Deutschen Bundestag.
- Eine Fortentwicklung des humanitären Völkerrechts, das nach seiner Konzentration auf Rechtsschranken für den Einsatz von militärischer Gewalt (Fortentwicklung des ius ad bellum zum ius contra bellum), dem Recht in konkreten Einsatzbedingungen stärkere Aufmerksamkeit widmen muss (ius in bello).
- Die Entwicklung und den Einsatz der "Drohnen"-Technologie.