Tischrede zur Eröffnung des Studienzentrums der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie in Hannover
Dr. Simone Mantei
Verehrte Festgäste,
von Frauenfragen zu Geschlechterfragen und von der Frauenbildung zu Organisationsentwicklung - diese Schlagworte verbinden sich mit der Neugründung des Studienzentrums. Noch ist die Konzeptionsphase nicht abgeschlossen. Einen ersten Einblick aber, wofür das Studienzentrum steht und was uns als Studienleiterinnen am Herzen liegt, möchten wir Ihnen heute geben.
Das neue Studienzentrum erweitert seine Perspektive von Frauen- auf Geschlechterfragen. Der Ratsvorsitzende und Lucie Veith haben eindrücklich gezeigt, wohin sich die Diskussion inzwischen weiterentwickelt hat. Geschlechterfragen sind längst nicht mehr nur Frauenfragen. Sie sind aus der Nische ausgewandert.
In seiner künftigen Arbeit legt das Studienzentrum den Genderansatz zugrunde. Nicht wie wir „von Natur aus“ sind als Männer oder Frauen, sondern mit welchen kulturellen Zuschreibun-gen wir das Geschlecht aufladen, interessiert uns. Warum ist der Müllmann in Deutschland ein Männer- und in Italien ein Frauenberuf? Das Studienzentrum hinterfragt das scheinbar Selbstverständliche und setzt es in Bezug zu biblischen Menschenbildern.
Genderfragen werden von uns künftig auch in einen breiteren Kontext gestellt. Wir haben gelernt, dass es neben dem Geschlecht weitere Differenzkategorien gibt, die zu Ausschlussmechanismen führen: Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung, Herkunft und Religion. Als Gesellschaft und Kirche stehen wir vor der Herausforderung, einen konstruktiven Umgang mit der von Gott gegebenen Vielfalt der Menschen zu finden – in Geschlechterfragen und darüber hinaus.
Das Studienzentrum soll zu einer Kirche beitragen, in der die Vielfalt menschlicher Begabungen ohne Einschränkungen zum Tragen kommt. So hat es der Rat der EKD in der Ordnung des Studienzentrums formuliert. Gerne stelle ich meine Arbeit als neue Studienleiterin für den Bereich Praktische Theologie und Organisationsentwicklung in den Dienst dieser Aufgabe.
Genderfragen sind für mich Zukunfts- und Identitätsfragen. Zum einen müssen wir einüben, die eigene Identität nicht mehr in Abgrenzung zu anderen zu formulieren. Zum anderen hat jede Generation eigene Fragen und muss sich neu über das Verhältnis der Geschlechter verständigen. Eine zentrale Frage für Frauen wie Männer ist die Vereinbarkeit von Beruf, Erziehung und Pflege. Wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen, diese Frage beschäftigt auch die Kirche in ihren Diskussionen um Führungspositionen und Pfarrhäuser. Das Studienzentrum wird diese Zukunftsfragen aufgreifen und im Dialog mit Wissenschaft und Praxis bearbeiten. Ein besonderes Anliegen ist mir dabei die internationale Perspektive.
Um Weichen für die Zukunft zu stellen, ist es wichtig, den eigenen Standort zu bestimmen. Einer meiner Arbeitsschwerpunkte in diesem Jahr liegt auf der Erstellung eines Gleichstel-lungsatlas‘ für die evangelische Kirche. Nach einem Vorbild aus dem Bundesfamilienministerium wird dieser Atlas Auskunft geben über den aktuellen Stand der Gleichstellung in den verschiedenen Landeskirchen. Wenn er im Herbst der EKD-Synode vorgelegt wird, soll er als fundierte Grundlage dienen, um die Organisationskultur unserer Kirche geschlechterbewusst weiterzuentwickeln.