Weihnachtspredigt 2014 St. Matthäus, München (übertragen im Bayerischen Fernsehen)
Heinrich Bedford-Strohm
Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Gemeinde hier in der Matthäuskirche und daheim,
das Weihnachtsfest hat eine große Kraft. Seit fast 2000 Jahren strömen die Menschen überall auf der Welt immer noch aus ihren Häusern in die Kirchen, um die Weihnachtsbotschaft zu hören, um sie in den Lichtern zu sehen, um sie im Herzen zu spüren. Es gibt zwar jedes Jahr wiederkehrend Kritik an der Kommerzialisierung von Weihnachten. Und mancher befürchtet das Zukleistern von Konflikten mit einer großen Weihnachtsharmonie, die danach umso mehr Leere hinterlässt. Aber das kann die Kraft von Weihnachten nicht brechen. Weihnachten mag umstritten sein. Teilnahmslos lässt es fast niemanden. Und im Zentrum steht jedes Mal die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, die wir eben wieder gehört haben.
Es ist erst mal nur eine Geschichte, die vor fast zwei Jahrtausenden weitererzählt und aufgeschrieben worden ist. Ein Meisterwerk, ein Stück Weltliteratur, ein Glücksfall für die Entwicklung unserer christlichen Tradition. Zwei völlig unbedeutende Leute sind unterwegs,so unbedeutend, dass niemand ihnen die Tür öffnet, um ihnen Herberge zu geben. Josef und Maria finden keine Herberge. Ihr Kind wird geboren, und die Umstände werden so geschildert, dass wir uns den Ort heute in unseren Weihnachtskrippen als Stall vorstellen. Allerlei Tiere sind mit dabei. Man riecht es förmlich. Und doch kommt hier der Himmel auf die Erde. Ein großer Engelschor lobt Gott angesichts der Geburt des Heilands und verheißt Frieden auf Erden. Ausgerechnet arme Hirten hören diese Botschaft als erste. Sie gehen hin und beten das Kind an.
So mancher Religionskritiker sagt: schöne Geschichte. Märchen sind wirklich etwas Schönes. Aber Märchen sind eben Märchen. Traumwelten sind eben Traumwelten. Und all das Weihnachtsgesäusel vernebelt den Leuten so den Verstand, dass sie es für Realität halten. Die Wirklichkeit ist eine andere.
Doch was die Engel da gesungen haben, waren keine leeren Versprechungen. Die Worte aus dem Lukasevangelium haben immer wieder sehr konkrete Konsequenzen gehabt. Der Weihnachtsfrieden zwischen englischen und deutschen Soldaten vor jetzt genau 100 Jahren zeugt davon. Die Soldaten haben es geschafft, die größte Kriegsmaschinerie, die die Welt bis dahin gesehen hatte, an einem Punkt zum Stoppen zu bringen. Menschen, die darauf getrimmt sind, sich zu töten, halten inne, lassen sich anrühren von den Worten der Engel vom Frieden auf Erden und legen die Waffe aus der Hand und nehmen dafür Geschenke in die Hand. Eine kurze Zeit lang ist die Kraft der Versöhnung stärker als Hass und Feindschaft zwischen Völkern.
Der Krieg war dadurch nicht zu Ende. Nach Weihnachten wurde weitergekämpft. Aber diese Weihnachtserfahrung blieb. Auch danach konnte sie niemand mehr aus der Welt herausschießen. Da, wo die Menschen die Kraft der Weihnachtsbotschaft in ihr Herz hineinlassen, wird die Welt anders. Keiner kann sich heute mehr vorstellen, dass englische und deutsche Soldaten aufeinander schießen. Engländer und Deutsche sitzen heute zusammen in einem europäischen Parlament. Und wenn - wie es in diesem Sommer geschehen ist - eine deutsche Bischöfin nach London eingeladen wird, um am zentralen englischen Erinnerungs-Gottesdienst zum Ausbruch des ersten Weltkriegs mitzuwirken, dann zeigt sich: Hoffnung auf Frieden ist Wirklichkeit geworden.
Angesichts der Gefährdung der europäischen Idee kann man nicht deutlich genug betonen, wie wenig selbstverständlich das ist. Europa - und das ist keine hohle Phrase! - ist ein Friedensprojekt, für das es sich einzusetzen lohnt. Die Überwindung von Hass und Feindschaft innerhalb Europas, ist heute für uns so selbstverständlich, dass wir manchmal viel zu sorglos damit umgehen. Nur wer sich klar macht, dass die Völker, die in diesem Projekt jetzt zusammenarbeiten, in den letzten hundert Jahren zweimal in blutigen Kriegen mit zig Millionen Opfern aufeinander losgegangen sind, versteht wirklich, wie kostbar die gewonnene Gemeinsamkeit ist. Das Versöhnungswunder, das an Weihnachten zwischen den deutschen und den englischen Soldaten passiert ist, hat sich am Ende als Keimzelle für etwas viel Größeres erwiesen. Und es hat gezeigt, dass diejenigen die wahren Realisten sind, die auch in den schlimmsten Gewalterfahrungen nie die Hoffnung verlieren. Weil die Engel am Ende Recht behalten werden, wenn sie singen: Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens!
Europa ist ein Friedensprojekt und die christliche Botschaft gehört zu seinen wichtigsten geistigen Grundlagen. Im Zentrum dieser Botschaft steht die Liebe und die Würde des Menschen, die nicht fragt nach Herkunft, Status, Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit. Pauschale Abwertung anderer Religionen und damit ja auch der Menschen, für die ihre Religion von existentieller Bedeutung ist, ist damit unvereinbar. Wer für neue christliche Impulse in Europa demonstriert, muss ganz andere Fragen auf die Tagesordnung bringen: Viel zu große Gegensätze zwischen arm und reich, eine Jugendarbeitslosigkeit bis zu 50% in manchen Ländern, ein Hin- und Herschieben von Flüchtlingen, die hier Zuflucht suchen.
Ich bin vor einigen Wochen mit einer Delegation des Rats der EKD in Ägypten gewesen. Die Christen dort haben uns immer wieder darauf hingewiesen, dass es Heiliges Land ist, in dem sie leben. Ihr Oberhaupt, der koptisch-orthodoxe Papst Tawadros II, hat mir eine Landkarte mit der Reiseroute überreicht, die die Heilige Familie bei ihrer Flucht vor dem König Herodes nach Ägypten genommen haben könnte. Die ägyptischen Christen sehen ihr Land als Heiliges Land, weil die Weihnachtsgeschichte von einem asylsuchendes Ehepaar mit einem kleinen Kind erzählt, das bei ihnen Zuflucht gesucht und gefunden hat. Wir hörten auch Geschichten von heute. Mir geht nicht aus dem Kopf, wie uns von Seeleuten erzählt wurde, die nicht bei Tageslicht, sondern nachts fahren, weil sie den Blick auf tote Körper, die vor der ägyptischen Küste im Meer treiben, nicht aushalten.
Das christliche Europa hat heute die Aufgabe, seinen Umgang mit Flüchtlingen so neu zu ordnen, dass kein Mensch mehr im Mittelmeer ertrinken muss. Es muss zu einer Kraft in der Welt werden, die mit fairen Handelsbeziehungen und internationalen Beziehungen auf Augenhöhe dazu beiträgt, dass Menschen nicht mehr fliehen müssen. Dann wird das europäische Friedensprojekt zu einem Weltfriedensprojekt... Wenn Menschen heute in ganz unterschiedlichen Projekten ihr Geld oder ihre Zeit teilen mit Menschen, die in Not sind, dann mögen das nur kleine Schritte sein. So wie der Weihnachtsfrieden damals zwischen den deutschen und den englischen Soldaten. Aber es könnte zur Keimzelle von etwas viel Größerem werden: einer Welt, in der alle Menschen in Würde leben können.
Lassen wir uns durch die Weihnachtsbotschaft verwandeln! Indem wir die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit auch dann im Herzen bewahren, wenn ihre Verwirklichung aussichtslos erscheint. Indem wir die Menschen, die in Not sind, wahrnehmen, für sie beten und mit unserer Zeit oder mit unseren Geld zur Überwindung ihrer Not beitragen, indem wir uns öffentlich dafür einsetzen, dass die Ursachen ihrer Not bekämpft werden.
Die Weihnachtsgeschichte erzählt nicht von einer schlagartigen weltpolitischen Veränderung. Sie erzählt von der Geburt in Bethlehem. Sie erzählt von den Hirten, die zur Krippe gekommen waren, und am Ende wieder umkehren, einfach wieder an ihre Arbeit gehen, Schafe hüten, in kalten Nächten frieren, mit den Widrigkeiten des Lebens kämpfen.
Doch etwas hat sich geändert, sie gehen verändert, verwandelt zurück. Sie haben den Frieden, von dem die Engel gesungen haben, nie mehr verloren, sie haben ihn mitgenommen. Sie haben den Heiland gesehen. Der Himmel hat sich ihnen geöffnet. Und sie haben die Welt wieder lieben gelernt, weil sie nun wussten: Gott wohnt in dieser Welt und er wird sie nie allein lassen.
Und so, liebe Gemeinde hier in der Matthäuskirche, so gehen wir heute Morgen in unsere Häuser zurück. Mit der Geschichte im Herzen, die da passiert ist und die uns so sehr trifft in unserer Sehnsucht nach Frieden, in unserer Sehnsucht nach Liebe, in unserer Sehnsucht nach Heil, dass wir jedes Jahr wieder verzaubert werden von den alten Liedern, von den Lichtern an den Tannenbäumen, von den Worten der Verkündigung, die von einer neuen Wirklichkeit erzählen.
Ja, es gibt schon gute Gründe, dass wir uns in diesen Tagen zurufen: Frohe Weihnachten! Fröhlich sind sie nicht für alle Menschen, diese Tage. So mancher trägt Trauer, weil er zum ersten Mal das Fest ohne einen geliebten Menschen feiern muss, den der Tod ihm genommen hat. Oder weil er vor den Scherben seines Lebensplans steht, die Familie auseinander gebrochen ist, die berufliche Existenz weggerutscht ist. Fröhlich sind sie nicht für alle, diese Tage. Aber froh im Sinne von gesegnet sind sie für alle, diese Tage! Auch und gerade denen, die im Dunkel leben, scheint ein helles Licht.
Alle miteinander, die Fröhlichen und die Traurigen, werden verwandelt an der Krippe in Bethlehem. Jetzt wissen wir, woher wir kommen, wer wir sind und wohin wir gehen. Es ist die Liebe Gottes, die das Geheimnis unseres Lebens ans Licht bringt.
Ja, es gibt wirklich nichts Schöneres als Weihnachten!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.