Laudatio zur Verleihung des Aachener Friedenspreises

Margot Käßmann

Die Flüchtlinge vor den Toren Europas

Nicht nur das Mittelmeer, auch die Sahara ist inzwischen zum Massengrab geworden. Frauen, Männer und Kinder werden in die Wüste getrieben – die marrokanische Variante von Abschiebung. Menschen fallen von LKWs, an die sie sich mühsam klammern auf ihrer Flucht. Ein Schleuser sagt: „Das interessiert mich nicht, da halte ich doch nicht an.“ Und der Bürgermeister von Agadez, Rhissa Feltou sagt mit Blick auf die Tragödien im Mittelmeer: „Die Situation ist um ein Vielfaches schlimmer in der Wüste, und niemand spricht darüber. Warum? Es ist ganz einfach: Was hier passiert, betrifft in Europa niemanden."[1]

Allein am 9. Februar dieses Jahres  wurden 1.200 Personen festgenommen  und in verschiedene Städte im Süden Marokkos deportiert. Am Freitag den 13. Februar fanden um die Städte Nador, Selouane und Zghanghen im Nordosten Marokkos in den Flüchtlingslagern neue Festnahmeoperationen in den Flüchtlingslagern statt, die dafür bekannt waren, dass dort Familien lebten, diese fanden aber auch in der Stadtmitte von Nador statt. Frauen und Kinder waren davon betroffen. Augenzeugen, die bei spanischen Flüchtlingshilfsorganisationen anriefen, berichteten von Schlägen, von Verletzten. Laut deren Berichten wurde alles Hab und Gut der meist aus Kamerun und Mali stammenden Menschen verbrannt. Die Flüchtlinge wurden in den Süden des Landes deportiert. Bei manchen Bussen ist der Bestimmungsort nicht geklärt, es wird angenommen, dass sie  in die Region Marrakesch fuhren. Der Zugang zu den Internierungslager und der Kontakt zu den Migranten wurde unterbunden, sie konnten weder Besuch empfangen noch aus dem Lager raus. [2]

Die Razzien fanden übrigens in der Nähe von Mellila und Ceuta statt, den Grenzorten Richtung Europa Zynisch könnte man sagen: Die marokkanische Gendarmerie schützt Europas Außengrenze auf eigene Art. Nun sollen auch noch mit EU-Mitteln Auffanglager errichtet werden. Von Menschenwürde und Menschenrechten ist keine Rede.

Während ich im Internet Augenzeugenberichte nachgelesen habe, wurden immer wieder Reklamefenster eingeblendet: „Intensives Wüstenerlebnis“, „Kamel-Trekking durch Marokko“ oder auch „Erleben Sie das authentische Marokko der Nomaden und wirkliches Wüstenfeeling“. Es ist also nicht nur so, dass wir das Elend der Flüchtlinge ignorieren, die im Norden Afrikas Entsetzliches erleiden, und dass wir das Elend fördern, indem die EU Mittelmeer-Anrainerstaaten dabei unterstützt, Menschen von der Flucht abzuhalten. Nein, wir wollen auch noch frei in diese Staaten reisen und uns amüsieren können. Soviel Zynismus macht schlicht sprachlos vor Empörung.

Menschen brechen auf, um ein besseres, ja erst einmal ein gutes Leben zu finden, um ihre Kinder zu schützen. Als Christin ist mir wichtig: Aufbruch und Grenzübertritte werden in der Bibel positiv gewertet, es geht um einen Neuanfang. Es ist gut, aufzubrechen, heißt es. Es geht um Menschen, die kreativ sind, Gottvertrauen haben und auch den Mut, Neues zu wagen. Abraham und Sarah, die vor einer Hungersnot fliehen, würden wir aber heute als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen. Und Josef, der laut Matthäusevangelium mit Frau und Kind nach Ägypten flieht, müsste die politische Verfolgung erst einmal nachweisen...

Eine solche Einstellung steht konträr zur herrschenden Ideologie: Sollen sie doch bleiben, wo sie sind! Die Situation an den Grenzen der EU ist katastrophal. Und Europa tut alles, um Menschen daran zu hindern, aufzubrechen aus lauter Angst, dass sie nach Europa kommen könnten. Das haben wir früher Staaten wie der DDR vorgeworfen. Wir haben gesagt: Es sind Diktaturen, die Menschen nicht ausreisen lassen. Vor 16 Jahren haben wir gefeiert, als Ungarn die Grenzen öffnete. Heute wollen wir, die wir doch stolz darauf sind, Demokratien zu sein, Menschen daran  hindern, aufzubrechen. Wir planen neue Zäune, ja neue Mauern.  Und Europa arbeitet auch noch mit menschenverachtenden Regimen zusammen, um gegen Flüchtlinge vorzugehen. Dafür schäme ich mich, das empört mich, dagegen brauchen wir einen Aufstand der Solidarität und der Mitmenschlichkeit!

Deshalb ist es mir eine Ehre, die Laudatio auf Mandimbihery Rakotonirina aus Madagaskar, Azarias Lumbela aus Mozambik und Theophil Oklu aus Ghana zu halten. Sie tun, was jeder Mensch tun sollte: Sie stehen Menschen in allergrößter Not bei, so gut sie es können. Sie haben den Aachener Friedenspreis mehr als verdient. Die drei Studenten, die in Oujda im Norden Marokkos studieren, erhalten heute ihn stellvertretend für alle, die in der Evangelischen Kirche Marokkos, bei Caritas International  sowie bei einigen marokkanischen NGOS ehrenamtlich arbeiten. Unter sehr schwierigen Bedingungen versorgen sie Flüchtlinge vor allem aus der Subsahara, die in Marokko stranden.

Diese Flüchtlinge können nicht nach Hause zurück und auch der Weg nach Europa wird ihnen zunehmend durch die Festung Europa genommen, es sei denn, sie nehmen die möglicherweise tödliche Überfahrt übers Mittelmeer bzw. das Erstürmen der hochgerüsteten Grenzanlagen um Melilla oder Ceuta auf sich.

Die Studenten unterstützen Menschen, die oft nach jahrelanger Flucht durch die Wüste völlig entkräftet und traumatisiert sind. Auf dem Fluchtweg werden Frauen vergewaltigt - die meisten nicht nur einmal- bevor sie in Marokko stranden. Auf der Flucht und in Marokko von Afrikanerinnen geborene Kinder existieren eigentlich nicht. In der Regel haben sie noch nicht einmal eine Geburtsurkunde. Die UN-Kinderrechtskonvention wird einfach nicht beachtet.

Regelmäßig fahren bzw. laufen die Studenten zu Fuß- manchmal zwei Stunden lang- zu den illegalen Flüchtlingslagern außerhalb Oujdas und versorgen sie mit dem allernötigsten: Wasser, Nahrung, Plastikplanen für provisorische Zelte, Decken, Jacken, Mützen und Handschuhen. In Oujda kann es im Herbst, Winter und Frühling recht kalt werden.
Temperaturen um den Gefrierpunkt sind nicht selten. Es gibt dort weder Elektrizität und Wasser noch sanitäre Anlagen. Den Flüchtlingen, die in den Städten hausen, geht es nicht viel besser. Für die medizinische Grundversorgung sorgen u.a. Stipendiaten der Evangelischen Kirche in Marokko. Schwere und chronische Krankheiten können in der Regel nicht behandelt werden, weil das Geld fehlt. Vom marokkanischen Staat bekommen die Flüchtlinge gar nichts. Bisher wird die Hilfe für Flüchtlinge durch die katholische und die evangelische Kirche geduldet, aber niemand weiß, bis zu welchem Punkt.

Den Studenten kann wegen ihres Engagements in der Flüchtlingsarbeit das Visum entzogen werden, denn Flüchtlinge ohne Papiere zu unterstützen, ist  in Marokko strafbar. Darüber hinaus stören sie durch ihre Arbeit die Aktivitäten der mafiosen Strukturen, die auf Grund der Abschottung Europas sich nicht nur in Marokko immer mehr festigen.

Es wird immer deutlicher, dass die Aktionen gegen die Flüchtlinge in Marokko und an seinen Grenzen, die die Menschenrechte auf Tiefste verletzen, von Europa veranlasst sind. Meiner Ansicht nach verspielt Europa in diesen Monaten die Errungenschaften, für die es den Friedensnobelpreis erhalten hat. Denn Menschenrechte enden nicht an den Grenzen Europas!

Der Präsident der Evangelischen Kirche von Marokko Samuel Amedro sagte: „Es gibt zwei Dinge, die die Flüchtlinge am Leben halten, das ist ihr unerschütterlicher Glaube an Gott und der Traum von Europa.“ Deutschland und fast ganz Europa haben zu den Verbrechen der Nazis geschwiegen. Hier wird schon wieder geschwiegen, wo die Menschenrechte im Namen Europas immer wieder verletzt werden, während Europa diese in anderen Ländern einfordert. Das, was an den EU-Außengrenzen passiert, ist eine Schande für Europa.

Es ist ermutigend, dass es Menschen wie die  heutigen Preisträger Mandimbihery Rakotonirina, Azarias, Lumbela und Theophil Oklu sich leidenschaftlich und unter Einsatz ihres Lebens für Flüchtlinge einsetzen. Wir sind sehr dankbar, dass sie heute hier sein können. Denn am 14. August abends umstellten Polizei und Sicherheitskräfte den Campus der Universität Oujda. Menschen mit Aufenthaltsrecht, UMFS, die sich ausweisen konnten und Frauen wurden freigelassen,  alle anderen widerrechtlich  mit Bussen in den Süden gebracht. Der Campus wurde dem Erdboden gleichgemacht.

Hoffen wir, dass diese Preisverleihung hilft, sie zu schützen und auch andere zu ermutigen, für die Menschenrechte und Würde von Flüchtlingen einzutreten...

Kommen wir damit zum Thema

Religiöse Konfliktlösungskompetenz

Religion steht in unseren Tagen für Konfliktpotential. Als engagierte Christin finde ich das sehr belastend. Zwar, kann ich verstehen, dass manche Menschen sagen: Religion schürt Konflikte. Viele haben nur noch Bilder von Fundamentalisten oder Selbstmordattentätern vor Augen. Ich halte die Analyse aber für vorschnell. In der Regel geht es um vorhandene politische (Beispiel Irland) oder kulturelle bzw. machtpolitische (Beispiel Irak) Konflikte, in denen Religion gezielt genutzt wird, um Öl in das Feuer zu gießen. Und, das muss ich zugeben, Religion lässt sich manches Mal verführen, dies zu tun.

Aber es gibt auch eine andere Realität, die es selten in die Schlagzeilen schafft. Markus Weingardt hat in einer Studie zum Thema „Das Friedenspotential von Religionen“[3] in mehreren Fallstudien gezeigt, dass religiös motivierte Akteure zur Verminderung von Gewalt in politischen Konflikten beitragen. Die 40 (!) Beispiele aus aller Welt betrachte ich als ungeheure Ermutigung. Wir können etwas tun; es gibt Hoffnungsgeschichten. Es zeigt sich, dass Vermittler in Konflikten einen langen Atem brauchen, Vertrauen und Kontakte mit allen Konfliktparteien aufgebaut werden müssen, um in Konflikten zu vermitteln. Dazu gehört auch eine „emotionale Konfliktbearbeitungskompetenz“[4]. Diesen Begriff finde ich spannend. Es geht ja oft nicht nur um die harten Fakten, sondern um tiefer liegende Konfliktdimensionen. Und die lassen sich nicht mit Waffen bewältigen.

Friedrich Siegmund Schultze hat 1946 formuliert: „Der Haß ist sicherlich eine der stärksten Mächte im Leben der Menschheit. ... Und die Menschheit läßt sich wie stets in die Verantwortungslosigkeit hineinschläfern, die die Tat ermöglicht, die den Täter schützt, ja bewundert.“[5] Ein hervorragender Ansatzpunkt: sich nicht in die Verantwortungslosigkeit „hineinschläfern“ lassen!

Dass religiös motivierte Menschen, gläubige, ja fromme Menschen im besten Sinne Konflikte entschärfen und hellwach Verantwortung übernehmen können, dafür stehen Erzbischof Dieudonné Nzapalainga und Imam Oumar Kobine Layama im wahrsten Sinne des Worte mit ihrem Leben ein. Beide leben in der Zentralafrikanischen Republik, einem der ärmsten Länder der Erde. Ein entscheidender Konflikt im Land spielt sich ab zwischen  „Séléka“, einer Gruppierung aus dem muslimisch geprägten Norden des Landes und den „Anti-Balaka-Rebellen“, die sich selber als christlich bezeichnen. Laut UN-Entwicklungsbericht 2014 nimmt die Zentralafrikanische Republik Platz 185 von 187 auf der Liste der Länder nach ihrer Entwicklung ein. Ein bitterarmes Land also, und der aktuelle Konflikt hat den Hunger drastisch verschärft.

Unter dem Deckmantel von Religion geht es um Macht, Gewalt und Kriminalität, die entsetzlich viele Opfer unter der Zivilbevölkerung zur Folge haben. Der Bischof und der Imam treten dagegen an. Der Erzbischof von Bangui hat dem Imam auf kirchlichem Territorium Asyl gegeben, ebenso mehr als 10.000 anderen Vertriebenen. In der Begründung der Jury heißt es: „Seitdem treten beide gemeinsam für ein friedliches Miteinander der Religionen und aller Menschen auf und wirken auf eine gewaltfreie zivile Konfliktlösung hin. Sie besuchen die einzelnen Stadtviertel und unternehmen Reisen in die sehr unzugänglichen und entlegenen Dörfer.

Beide werden nicht müde, immer wieder vor ihren eigenen Gläubigen für ein friedliches Miteinander zu werben und selbst Beispiel zu geben. Dabei unterstützen sie sich gegenseitig. Sie treten u.a. auch offensiv für eine Entwaffnung aller Konfliktparteien ein und betonen unablässig, dass der Konflikt politisch-militärisch motiviert ist ...“. Bischof Nzapalainga erklärt, „er sei sich mit seinem muslimischen Bruder ... einig, dass Religion in dem Konflikt keine Rolle spielt - auf der Suche nach Frieden jedoch schon: ‚Die Lösung kann nur nach Gottes Wort erfolgen – egal ob es aus dem Koran kommt oder aus der Bibel’. Unter dem Dach der Vereinten Nationen solle auch Deutschland seinen Beitrag leisten.“[6]
 
Dass ein Muslim und ein Christ hier gemeinsam trotz aller Bedrohungen gegen ihre Person  in einem Konflikt für den Frieden eintreten, der als muslimisch-christlicher bezeichnet wird, hat weltweite Bedeutung. Denn immer öfter wird erklärt, Muslime und Christen könnten nicht in Frieden miteinander leben. Wir brauchen Beispiele, überzeugende Menschen, die das Gegenteil belegen, um das in unseren je eigenen Ländern auch in die Praxis umzusetzen..

Wir können Erzbischof Dieudonné Nzapalainga und Imam Oumar Kobine Layama, die Gott sei Dank beide heute unter uns sein können, daher nur danken für ihr hoffnungsvolles Zeugnis, das in dieser so konfliktträchtigen Welt in einer extrem gefährdeten Situation zeigt: Religion kann Grenzen überwinden helfen. Und als Menschen unterschiedlicher Religion können wir respektieren, dass wir je eine andere Weise der Wahrheit über Gott gefunden haben. Das ist ein Hoffnungssignal in einer Zeit, in der Religion immer wieder Konflikte zu verschärfen scheint.

Lassen Sie uns zuletzt einen Blick werfen auf

Unser Land

Wenn wir von der Sahara und der Zentralafrikanischen Republik nun zurück nach Aachen kommen, erleben wir ein gespaltenes Land. Da sind die einen, die sich intensiv für Flüchtlinge einsetzen, die zu uns kommen: Von Menschen, die Deutschunterricht geben, Kirchengemeinden, die Unterkunft bieten bis hin zum Busfahrer, der gerade im Internet Furore macht, weil er Flüchtlinge so herzlich willkommen heißt. Und es gibt die Hassparolen, die vor Flüchtlingsunterkünften gegrölt werden, die Pöbeleien auf offener Straße, die unerträglichen, menschenverachtenden Beiträge in Blogs und Foren. Die Politik reagiert geradezu hilflos und ohne ersichtliche Haltung oder erkennbar zukunftsweisendes Konzept. Ich finde es erbärmlich, wenn Politiker von „unkontrollierter Massenzuwanderung“ sprechen. Damit wollen sie Angst schüren. Selbst 800000 Flüchtlinge aber sind nur ein Prozent der Bevölkerung unseres Landes. Und wir sollten nicht die Kraft und die Mittel haben, sie zu integrieren? Die einzigen, die Angst haben müssen, sind Flüchtlinge, die in unserem Land attackiert werden.

Könnte es nicht einmal Neugier geben auf die „Fremden“ auf das Fremde? In der Bibel wird „der Fremde zum einen als schutzbedürftig bezeichnet: „Der Fremdling, der unter euch wohnt, den sollt ihr schützen.“ Zum anderen wird „der Fremde“ als Bereicherung angesehen. Ja, wir begreifen doch erst, wer wir sind, wenn wir anderen Menschen, anderen Meinungen, anderen Kulturen begegnen. Hören wir auf, von Wellen, Katastrophen und Problemen zu sprechen, sondern freuen wir uns, dass wir Menschen in unserem Land Zuflucht und Zukunft bieten können!

Vielleicht sollten wir in Deutschland zweierlei besonders wahrnehmen:

Klar aber ist: Wir brauchen Zuwanderung! Unter den Flüchtlingen sind so viele mit Qualifikation, mit der Hoffnung, sich qualifizieren zu können, mit der Sehnsucht, hier Heimat zu finden. Aber sie stehen allzu oft vor verschlossenen Türen, müssen jahrelang auf eine gesicherte Aufenthaltsgenehmigung, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz warten. Ein iranischer Familienvater, dessen Frau und Sohn 10 Jahre in Griechenland ausharren mussten, bis sie endlich zu ihm nach Berlin kommen durften, sagte: „Uns wurden die besten Jahre unseres Lebens genommen durch elendigliches Warten.“

Gleichzeitig integrieren wir ja längst in unsere deutsche Gesellschaft. Und uns liegt offenbar auch an Zuwanderung und der Öffnung nationaler Grenzen. So hält das Emirat Katar inzwischen 17 Prozent der Anteile von VW. Arabische Investoren werden offensiv angeworben. Nach Dubai sind die Finanzchefs von acht deutschen Großkonzernen gleich persönlich gepilgert, um ihre Unternehmen für Investitionen zu empfehlen. BASF, Siemens, Daimler-Chrysler, große Namen der deutschen Industrie waren vertreten. Und im Manager-Magazin hieß es mit Blick auf arabische Investoren glatt und klar: „Die Chemie stimmt“. Warum ist das leichter, wenn es um Geld geht als wenn es um Menschen geht? Die offensive Anwerbung ausländischer Fachkräfte erweist sich offensichtlich als mühsam. Oder müssen wir uns zu der These versteigen, die Thilo Sarrazin vertritt: „In der globalisierten Welt können Kapital und Güter frei fließen, doch es ist ganz undenkbar, dass dies auch für Arbeitskräfte gelten soll, denn an diesen hängen Familien, Gesellschaften, Völker“ ? Doch es kann keine globalisierte Welt des Kapitals geben ohne Globalisierung für die Menschen und ihre Würde, ohne die Globalisierung der Menschenrechte, der Freiheit und der Gleichheit, die wir doch für grundlegende europäische Werte halten.

Globalisierung bedeutet, dass die Situation in Marokko und die Lage in Zentralafrika und unser Leben in Deutschland zusammenhängen. Da sind nicht „DIE“ und „WIR“, da sind nur wir, die wir miteinander auf dieser Erde leben und miteinander Zukunft gestalten wollen. Es kann keine Globalisierung und grenzenlose Freiheit allein für die Reichen geben, die auch noch von der Armut der anderen profitieren in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem. Wenn Globalisierung und Freiheit, dann für alle.

Wir müssen endlich auch über die Ursachen von Flucht und Vertreibung sprechen. Und ja, da gibt es Zusammenhänge. Deutschland ist auf den unrühmlichen dritten Platz der Weltwaffenexporteure aufgestiegen. Das heißt, wir verdienen an den Kriegen, die wir beklagen und die Menschen in die Flucht treiben, die sich dann auf den Weg zu uns machen.

Ich setze darauf, dass sich am Ende nicht die Egomanie und der Profit durchsetzen, sondern die Mitmenschlichkeit und die Solidarität. Und darauf, dass wir uns nicht in die Verantwortungslosigkeit hineinschläfern lassen, sondern aufstehen für diejenigen, die unsere Unterstützung brauchen. Als Menschen des Glaubens unterschiedlicher Religionen ebenso wie als Menschen ohne religiöse, aber mit humanistischer Motivation. Unsere Preisträger heute sind leuchtende Vorbilder dafür. Wir können uns vor ihnen nur verneigen und ihnen danken für ihr Zeugnis von glaubwürdiger Menschlichkeit in einer oft unmenschlichen Welt. Sie ermutigen uns. Denn für das, was sie tun, gehen sie ein hohes persönliches Risiko ein. Um wieviel mehr sind wir gefordert, unseren Teil für Frieden und Gerechtigkeit beizutragen in unserem so sicheren und reichen Land.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Fußnoten:

  1. Nicole Macheroux-Denault, So schlagen sich Flüchtlinge durch die Wüste, in: Die Welt, 18.8.15.  
  2. Vgl. Note d’Information conjointe CCSM-Gadem sur les déplacements et les detentions arbitraries de migrants au Maroc à la suite des rafles du 10 février 2015, veröffentlicht durch: Collectif des Communautés Subsahariennes du Maroc (CCSM) und der Groupe antiraciste d’accompagnement et de défense des étrangers et migrants (Gadem). , 2006.
  3. Markus Weingardt, Religion Macht Frieden,  Stuttgart 2007,  S. 415.
  4. Friedrich Siegmund-Schultze, Friedenskirche, Kaffeeklappe und die ökumenische Vision. Texte 1910–1969, hrsg. v. Wolfgang Grünberg, München 1990, S. 193–194.
  5. EU-Mission ist nur der Anfang, katholisch.de, 30.1.14.
  6. Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab, München 2010,  S. 357.