"Führung in kirchlicher Verantwortung"
Manfred Kock
Bonn
Jesus Christus spricht: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener.
(Mt. 20, 25-26)
Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben und geben lassen. (Barmen IV)
Führung in kirchlicher Verantwortung
Meine sehr verehrten Damen und Herren !
Für die Ehre, vor Ihnen zu sprechen, bedanke ich mich sehr. Sie, die hier zum Kongress versammelt sind, nehmen Anteil an dem Wandel sozialpolitischer Konzepte mit ihren Einflüssen auf die Gestalt der Diakonie in unserem Land. Das mir gestellte Thema: „Führen in kirchlicher Verantwortung“ soll entfaltet werden aus der Sicht eines theologischen Entwurfs, der sich an der 4. These der Theologischen Erklärung von Barmen orientiert. Hier wird eine Grundaussage entfaltet, die unter historisch und institutionell völlig unterschiedlicher Situation entstanden ist, die aber auch heutiger Vergewisserung über den Weg, den wir gehen, hilfreich, ja erläßlich ist.
Einleitung
Führen - ein problematischer Begriff
Das Wortfeld „Führen“ ist seit der nationalsozialistischen Zeit vermintes Gelände. „Du musst die Führung übernehmen“, heißt es im beschwörenden Lied an die Kommunistische Partei, „die immer Recht“ hat. Der Führer als herausgehobene Figur oder die Führerin in der Gestalt der herrschenden Partei haben den Begriff seitdem verdorben. Entmündigung, Diktatur, Verblendung und Irrglaube sind die Konnotationen. Das ist so, obwohl die ursprünglichen auch biblisch verankerten Bedeutungen positiv sind. Vielleicht sogar ein wenig neidisch hören wir in den englischen Sprachraum hinein. Die Worte „leader“ und „leadership“ sind harmlos.
Aber es gibt auch noch andere kritische Rückfragen. Führung steht im Widerspruch zu Autonomie, zu selbstbestimmtem Denken und Handeln zum Gedanken der Herrschaftsfreiheit, der Bevormundung von Menschen. Auch in der Barmer Theologischen Erklärung werden solche Führer abgelehnt. Das Bekenntnis zur Herrschaft Christi verträgt sich nicht mit der Herrschaft der verschiedenen Ämter übereinander.
1. Die Verweigerung von Führung
Man könnte glauben, solch kritische Vorbehalte können der Leitungssituation in unserer Kirche nur dienlich sein. Die Versuchung zu hemmungsloser Machtausübung über untergebene, der Willkür ausgelieferte Mitarbeitende sei durch kritisches Bewusstsein endlich gebannt. Aber so einfach ist das nicht.
Das zeigt sich schon an bestimmten Formen der Verweigerung von Führung in der Kirche. Viele Pastorinnen und Pastoren legen Wert darauf, mit den anderen Mitarbeitenden in der Gemeinde den Kontakt auf gleicher Augenhöhe zu pflegen. Sie ignorieren die Besonderheit ihrer Rolle, die sich durch die besondere Position von Geistlichen in kirchlichen Leitungsgremien ergeben. Das schafft eine harmonische Atmosphäre, solange es gut geht. Aber wenn Interessenkonflikte, zwischenmenschliche Störungen oder auch Fehlverhalten das gute Klima beeinträchtigen, wirken sich die unterschiedlichen Positionen im Machtgefüge aus. Die Rollenverteilung zwischen Führenden und Geführten, die ja auch einen gewissen Schutz darstellte, war verwischt. Nun soll sie wieder aktiviert werden. Dann aber zeigt sich, dass die Verletzungen tiefer sind, da persönliche Enttäuschungen eine größere Rolle spielen.
Immer, wenn in Leitungsgremien Verantwortung nicht klar übernommen wird, wenn schwierige Entscheidungen nicht getroffen, sondern von einer Hand in die andere weitergereicht werden, ist das ein Indiz für unklare Zuordnungsstrukturen.
2. „Dienstgemeinschaft“ – kirchliche Arbeitswelt unter Ideologieverdacht?
Die Frage von Leitung in der Kirche wird man nicht diskutieren können ohne die Reflektion der Tatsache, dass hier Leitung in einer „Dienstgemeinschaft“ wahrgenommen wird. Die Idee der Dienstgemeinschaft lebt ja davon, dass alle gemeinsam im Dienste Gottes arbeiten und dies prinzipiell gleichwertig geschieht.(1)
Aber die Spannung zwischen dem Gedanken der Dienstgemeinschaft und der Realität ist offensichtlich.(2) Bei vielen Mitarbeitenden bleibt Enttäuschung zurück: Das gemeinsame Arbeiten an dem einen Auftrag scheint sich kaum oder gar nicht von der übrigen Arbeitswelt zu unterscheiden.
Der Gedanke der Dienstgemeinschaft muss die vielen strukturellen Unterschiede, die es zwischen der Position der Geistlichen und den anderen Mitarbeitenden bestehen, integrieren oder sich kritisch damit auseinandersetzen. Neben der bereits genannten Position im Leitungsgremium kommen die Unterschiede in der Bezahlung hinzu.
Hierarchien und Bezahlung orientieren sich an bewährten weltlichen Systemen, die ohne den Gedanken der Dienstgemeinschaft auskommen. Differenzen gibt es im Arbeitsrecht, aber die Anforderungen und Bedingungen der Arbeit sind ähnlich. Davon, dass der Dienst in Kirche und Diakonie sich in besonderer Weise von sonstiger Arbeit unterscheidet, ist nur ein Drittel der Kirche und ein Viertel der in der Diakonie Mitarbeitenden überzeugt. Das sagt nichts über die Berufszufriedenheit aus – die ist mit ca. 70 %, bei allen Vorbehalten gegen solche Umfragen, recht gut – wohl aber etwas über das Image des Begriffs „Dienstgemeinschaft“. Es scheint eher als Wunschvorstellung von „Theologen und Leitern von Einrichtungen empfunden“ zu werden.(3)
Dennoch beschreibt der Begriff „Dienstgemeinschaft“ in positivem Sinne eine Anforderung, die auch fortschrittliche Betriebe in Produktion, Handel und Dienstleistung kennzeichnet, nämlich die Bereitschaft zur Identifikation mit der Firma; „Betriebsfamilie“, wie bei Bayer. Daher geht es beim Begriff „Dienstgemeinschaft“ nicht nur um eine prinzipielle Gleichwertigkeit aller Dienste, also auch des Leitungsdienstes. Der Begriff impliziert auch einen Leitungsstil, der Teilhabe und Mitverantwortung beinhaltet. Es ist schädlich, wenn die „Dienstgemeinschaft“ unter Ideologieverdacht gerät. Ärger und Frustration sind die Folge. Motivation wird gebremst. In Kirche und Diakonie haben wir ein außerordentlich hohes Potential an engagierten gut ausgebildeten und motivierten Menschen. Sie sind ein Schatz der Kirche.
Führung in kirchlicher Verantwortung muss darum ein klar durchschaubarer Prozess sein, der einer klaren theologischen Grundlegung bedarf.
3. Die 4. These der Barmer Theologischen Erklärung
3.1. Herrschaft durch Dienst - eine Paradoxie
Die Barmer Theologische Erklärung wehrt in ihrer 4. These den Versuch ab, das Führerprinzip auf kirchliche Verhältnisse zu übertragen. Der biblische Vorspruch der These ist ein Appell, weltliche Realität in der Jesusnachfolge nicht zu entsprechen. „Jesus Christus spricht: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener (Mt. 20, 25-26).“ Die Gefahr, dass Mitarbeitende entmündigt oder ausbeuterisch behandelt werden, und sei es nur auf subtile Art und Weise, gibt es in der Kirche trotz dieser Jesus-Mahnung. Wir erleben in der Praxis zwar, dass unsere kirchliche Umgangssprache vom „Dienst“ redet. Aber das allein gewährleistet noch nicht das Ende der Herrschaft der einen über die anderen. Jüngel hat vor der Rheinischen Synode einmal darauf hingewiesen, dass die 4. These der ökumenischen Verständigung schon deshalb nicht im Wege stehen könne, weil der Papst sich ja als Diener aller Diener bezeichne.(4)
„Dienst“ hat im Kontext kirchlicher Institutionen oft verbale und den Selbstanspruch bezeichnende Umgangsformen. In der Sache aber ist der Begriff nicht geeignet, die „Herrschaft“ christlicher zu steuern. Es ist das gleiche Dilemma, wie bei dem Gebrauch des Wortes „Dienstgemeinschaft“.
Der Begriff „Herrschaft“ ist wohl ganz brauchbar, wenn man über kirchliches Leiten spricht. Denn es ist eine Illusion, wenn man meint, man könne den Begriff „Herrschaft“ durch den Begriff „Dienst“ kirchlich adeln. Damit schützt man innerhalb kirchlicher Institutionen weder vor der Ausbeutung anderer, noch vor der Selbstausbeutung. Hier sind Kirche mit ihren diakonischen Institutionen und Gesellschaft offensichtlich nicht unterschiedlich.
Die Barmer Theologische Erklärung reserviert den Be-griff „Herrschaft“ allein für die Herrschaft Christi. Was die Menschen in Kirche und Welt betrifft, verkündigt das Evangelium gerade die Befreiung von allen Herrschaftsverhältnissen durch den Dienst Christi. Menschen stehen unter der Herrschaft Christi, nicht unter der Herrschaft der Machthaber, des Geldes oder Einzelner, das ist die Aussage des biblischen Vorspruches. Der biblische Leitvers beschreibt dabei nicht einfach einen Gegensatz zwischen Kirche und Welt, so als ob den Machthabern der Welt diese Art der niederhaltenden Herrschaft zugestanden würde, den Menschen in der Kirche jedoch nicht.
Die Barmer Theologische Erklärung beschreibt zwar eine weltliche Wirklichkeit, die unter Christen nicht sein soll. Hier soll eine andere Wirklichkeit gelten. Die aber umfasst nicht nur die Gemeinschaft von Christen, sondern auch den Maßstab weltlicher Strukturen. In der 5. These, in der es um den Staat geht, wird diesem zwar das Gewaltmonopol zugebilligt, damit er für Recht und Frieden sorgen kann, aber keine Herrschaft als Gegenüber im Sinne einer Institution, die sich nicht zu rechtfertigen hätte. Vielmehr stehen Regierende und Regierte in gemeinsamer Verantwortung für Gerechtigkeit und Frieden.(5) Herrschaft im genannten Sinne wird hingegen weder dem Staat zugestanden, noch einer Kirchenleitung für ihren Bereich.(6)
Vielmehr bleibt die Herrschaft immer eine latente Bedrohung für Kirche und Welt. Wir müssen Leitungshandeln also anders beschreiben.
3.2. Verantwortung und Dienst
Ich beziehe mich auf den Apostel Paulus, der im ersten Korintherbrief von dem von Gottesgeist geschenkten Gnadengaben spricht, den Charismen.
Leitung ist nach dessen Verständnis kein besonders hervorgehobenes Amt (1. Kor. 12, 28), sondern eine Gnadengabe neben anderen. Die Gabe zu leiten steht neben der des Verkündigens, der Weisheitsrede, des Heilens, des Glaubens und so weiter.
Leiten ist eine spezifische Funktion im Ganzen des Organismus.
Leitung als Gnadengabe verstanden ist eine spezifische Funktion im Ganzen des Organismus. Sie ist eine Gabe, die nicht ohne weiteres jedem Menschen anvertraut ist. Jedoch ist sie von gleichem Rang wie alle anderen Dienstleistungen“.(7) Leitung kann also nicht herausgehoben werden, sondern ist Teil des der ganzen Gemeinde aufgetragenen Dienstes. Wer offenbar sagt: „Die Barmer Thesen verzichten auf die Ausführung einer Ämterlehre, so sehr auch von der Entstehungsgeschichte gerade der vierten These her, ein Anklang an die reformierte Unterscheidung zwischen den Ämtern der Verkündigung, der Leitung, der Lehre und der Liebe nahe liegt.“(8) Wir haben hier die prinzipielle Gleichrangigkeit, von der auch der Gedanke der Dienstgemeinschaft ausgeht. Und so muss Dienstgemeinschaft auch verstanden werden, wenn der Begriff überhaupt zur Beschreibung des Verhältnisses innerhalb der Kirche herhalten soll.
Aus diesem Verständnis ergibt sich auch die Weise, wie Leitungshandeln näher zu charakterisieren ist. Nicht durch die Paradoxie „Herrschaft durch Dienst“, sondern durch die Verbindung von Verantwortung und Dienst. „Der Begriff des Dienstes findet seine sachgemäße Interpretation in einem Begriff der Verantwortung...“
„Verantwortung bedeutet gerade, die Vorsorge für die eigenen Lebensbedingungen so zu gestalten, dass sie mit der Fürsorge für die Lebensbedingungen anderer vereinbar ist.“ (9)
3.3. Kirchenleitung und die Macht
Mit der Gabe des Leitungshandelns ist auch Macht verbunden. Macht hat leider ein negatives Image und wird als Widerspruch zum Liebesgebot interpretiert. In der Tat: Wird Macht nur als die Kraft verstanden, Ziele auch gegen den Widerstand anderer durchzusetzen, so ist der Begriff unbrauchbar. Es gibt aber für die Macht auch einen positiven Definitionsaspekt. Es geht um die Fähigkeit, verantwortete und verabredete Ziele zu verwirklichen und dafür die notwendigen Mittel zu entwickeln, bereitzustellen und einzusetzen.(10) So definiert ist auch Kooperationsfähigkeit und die Gabe, andere in gemeinsame Zielvorgaben einzubinden, eine Facette von Macht, die notwendig ist.
Macht muss verantwortlich gebraucht werden, das heißt, sie hat dienenden Charakter. Auch die Mittel, derer sie sich bedient, sind nicht beliebig. Huber schlägt vor, sich auch hier an die Mittel zu halten, mit denen die Kirche nach Barmen ihre Zugehörigkeit zu Christus bezeugt: Botschaft und Ordnung, Glaube und Gehorsam, d.h. der Inhalt ihrer Verkündigung, ihre Sozial- und Rechtsgestalt, die Zugehörigkeitsbereitschaft ihrer Glieder und schließlich ihre Handlungsbereitschaft. Für diese Mittel hat eine Kirchenleitung, hat auch die Leitung eines diakonischen Werkes Verantwortung zu übernehmen. Es gibt dabei eine Grenze: Es darf ihr beim Machtgebrauch niemals um die Selbsterhaltung als Selbstzweck gehen. Sie muss transparent bleiben für die Botschaft.(11) Diese Frage muss übrigens auch an Imagekampagnen gestellt werden. Sie dürfen nicht die Kirche selbst im Mittelpunkt haben, sondern ihre Botschaft. Kirche hat dabei immer nur die Funktion, dass sie Gefäß, Kristallisationsort ist. Nicht Selbstzweck zu sein, dies ist eine der ganz großen Proben der Kirche, die sie immer wieder zu bestehen hat. Sie unterscheidet sich also auch hinsichtlich dieser Gefährdung nicht spezifisch von der Welt.
4. Leitung und Verkündigung(12)
Die Charakteristika von Führung, die bisher benannt wurden, sind immer noch nicht einzigartig für Führung in kirchlicher Verantwortung. Die Verbindung von Verantwortung und Dienst würde Leitenden in Politik und Wirtschaft ebenso gut anstehen. Aber die besonderen Kennzeichen von Führung in kirchlicher Verantwortung sind Verkündigungsauftrag, synodale Wahrnehmung und Verständigungsorientierung ohne Zwangsmittel.
Das Besondere der Führung in kirchlicher Verantwortung zeigt sich daran, dass die Leitung durch die Verkündigung des Evangeliums geschieht. In einigen Kirchenordnungen findet das auch seinen Niederschlag im Kanzelrecht des Bischofs in den Ortsgemeinden, das ihn nicht auf die Rolle des Festpredigers reduziert.(13)
Die Sorge um Gestalt, Ordnung und Dienst der Gemeinde kann aber nicht allein bei denen liegen, die mit der Verkündigung besonders beauftragt sind. In der Synode ist eine hörende und verkündigende Gemeinde zusammen. Ohne Hören auf das Wort kann keine Kirchenleitung stattfinden. Dies ist ein besonderes Charakteristikum von Führung in kirchlicher Verantwortung. Ich halte die Hausandachten, die es in Ämtern, Werken und Einrichtungen gibt, ebenso wenig für einen Luxus oder für ein frommes Beiwerk, wie die Andacht in den Leitungsgremien. Zum Leitungshandeln gehört auch die gottesdienstliche Einführung in den Dienst. Um solche Formen beneiden uns viele in der übrigen Arbeitswelt, wie ich erst kürzlich bei der Einführung des neuen Rundfunkbeauftragten der EKD von etlichen der Rundfunkverantwortlichen bestätigt bekam.
Leitung geschieht ohne Gewalt allein durch das Wort ‚sine vi sed verbo‘. (CA 28). Ob das Prinzip der Gewaltfreiheit stimmig ist, hängt jedoch vom Gewaltbegriff ab. Positiv bedeutet das Prinzip der Gewaltfreiheit, dass im Konfliktfall oft sehr mühsam durch Verständigung eine Lösung gefunden werden muss. Die Konsensorientierung ist unverzichtbar. Ich halte sie für eine der großen Stärken unserer Kirche, aber es fordert auch viel Geduld.
Andererseits aber gibt es zumindest im Hinblick auf Personalentscheidungen die Erfahrung, dass in der Kirche durch die Führung auch Gewalt ausgeübt wird.(14)
5. Kirchliche Leitung im Horizont des Reiches Gottes
Führung in kirchlicher Verantwortung ist nicht reduziert auf die Verantwortlichkeit gegenüber einem Gremium oder einem Aufsichtsrat, sondern es ist die Verantwortung Gott gegenüber. Johannes Busch hat Kirchliche Leitung in den Horizont des Reiches Gottes betrachtet. In den Mittelpunkt hat er dabei das Bild des Hirten gestellt. Ich möchte dies etwas ausführlicher schildern. Nicht deshalb, weil ich auf diese Weise einer Stärkung der Pastorenkirche das Wort reden wollte – deren Berufsbezeichnung „Hirte“ bedeutet .
Hirten sind in der Heiligen Schrift bei Hesekiel zum Beispiel auch die weltlichen Führungspersönlichkeiten.
Gegen die Metapher vom Hirten gibt es Vorbehalte, weil sie leicht mit autoritärem Verhalten verbunden wird. Immer wieder assoziiert man mit dem Hirtenbild die gehorsam trottenden Herdentiere. Aber trotzdem ist das biblische Bild des Hirten ein sehr sprechendes Beispiel für das, was in Führungspositionen heute gebraucht wird. Johannes Busch, ehemaliger Leiter von Bethel, hat einen Hirtenspiegel nach Hesekiel skizziert.(15) Ich zitiere Hesekiel 34,4 und beziehe mich bei den weiteren Überlegungen auf die Aufgaben, die Busch im Leitungshandeln sieht. 4 [a]
Das Schwache stärkt ihr nicht und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt. [b]
Der Hirte versteht etwas vom Lebendigen.
Leiten heißt Leben ermöglichen.
Leitende müssen denen, für die sie Verantwortung haben, Räume schaffen zum Leben und Arbeiten und zur Entfaltung ihrer Begabungen. Die Gabe der Leitung nimmt wahr, welche anderen Gaben es gibt, denen Raum zu geben ist.
Leitende haben zu entdecken, wer Zuwendung schenken und Heilung ermöglichen kann.
Leiten heißt schützen,
vor anderen aber auch vor sich selbst. Leben bedeutet, mit den Menschen den Umgang mit Schuld einzuüben und Konflikte frühzeitig zu erkennen.
Leiten heißt zusammenführen,
also den Überblick zu behalten, damit es nicht zu Brüchen kommt. Jedem muss die Möglichkeit gegeben werden, am Ganzen mitzuwirken und die eigenen Gaben einzubringen.
Leiten heißt auf Gerechtigkeit
zu achten, Ausgleich zu suchen zwischen unterschiedlichen Gaben und Fähigkeiten.
Leiten heißt schließlich, Stärken zu akzeptieren.
Es ist interessant, dass in diesem Hirtenspiegel nicht nur der Schutz der Schwachen aufgetragen ist, sondern auch die Akzeptanz des Starken.
Leitung hat auch darauf zu achten, dass Stärken sich richtig entfalten können. Die besten Kräfte und Ideen dürfen nicht im Bürokratismus erstickt werden.
Leiten heißt aber auch – und damit wird dem Bild die autoritäre Komponente genommen –, damit zu rechnen, dass auch andere, mit denen man gemeinsam den Dienst tut, die Stimme des einen guten Hirten hören, des Christus.
Leiten heißt also auch, anderen die Möglichkeit zu geben, auf diese Stimme zu hören, womit sich der Kreis wieder schließt und die Wichtigkeit der Verkündigung neu betont wird.
Johannes Busch hat auch die Schattenseite des Hirten aufgezeigt. Auch dafür gibt es viele Bilder in der Bibel: Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund: nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde.“
(1.Petr. 5, 2-4)
Es gibt die Leitung, die nur auf den eigenen Gewinn aus ist und dabei die Herde ausnutzt. Selbst die Frage der Vergütung wird hier nicht tabuisiert. Und auf der Folie des Guten Hirten wird der Mietling sichtbar, „der seine Verantwortung rein formal begreift, der im entscheidenden Augenblick flieht – und sich dann hinter Ordnungen und Paragraphen, hinter Sachzwängen und Gremienbeschlüssen – und sich hinter seinem Schreibtischsessel versteckt.“(16) Wer mit der Leitung beauftragt wird, bekommt nicht die Herde in die Hand. Sie bleibt Gottes Herde.
Busch sieht neben der besonderen Verantwortung auch eine Entlastung, weil die Grenze deutlich ist.(17) Die letzte Verantwortung lässt Gott sich nicht aus der Hand nehmen. Busch fordert mit seiner Beschreibung nicht den fehlerfreien Leitenden. Das Versagen im Führungsamt buchstabiert er an der Figur des Petrus durch, der auch zu einer Symbolfigur für den Scheiternden geworden ist, er, der Verleugner. In den nachösterlichen Erzählungen am Schluss des Johannesevangeliums fragt Jesus den Petrus, ob er ihn lieb habe und zwar dreimal. Auf eine ganz behutsame, gleichsam seelsorgerliche Weise wird angespielt auf die Verleugnung und ein neuer Sendungsauftrag erteilt: Weide meine Lämmer. Vorher schon wird die Fischzugerzählung neu erzählt, dieses Mal zerreißt das Netz nicht und die Zahl der Fische ist symbolisch vollkommen.
Das wird zur Grundvoraussetzung für den Auftrag.
Dieser Blick auf biblische Grundlagen für kirchliches Leitungshandeln ist nur eine Andeutung dessen, was in der Bibel zur Führung gesagt wird. Es kommt auf die Situationen an. Die Muster und Modelle sind vielfältig.
Wenn man auf diese Fragestellungen näher eingeht, kann man auch in die Gefahr geraten, als wolle man mangelnde Professionalität im Leitungshandeln theologisch verbrämen. Spätestens wenn die Rede von der „Liebe“ als Basis ins Spiel kommt, besteht die Gefahr. Aber in Wahrheit geht es um zwei Seiten einer Medaille, die berufliche Kompetenz, die einen befähigt, den Überblick über ein so kompliziertes Unternehmen zu behalten und die theologische Grundlage. Busch weist darauf hin, dass kein Unternehmen wertneutral arbeitet(18) . Darum sollte deutlich sein, dass wir im Horizont des anbrechenden Reiches Gottes arbeiten. Wir sollten uns bei der Gestaltung unserer Unternehmen an den Konturen und Lebensbedingungen der künftigen Gottesstadt orientieren. Ein größtmögliches Maß an Freiheit für den Einzelnen, an Frieden untereinander und an Menschlichkeit in den Verhältnissen wären dann die Ziele der Unternehmenspolitik.
6. Die Pastorenkirche - Laien und Theologen in der Führungsverantwortung
Die Rolle der Verkündigung für die Führung in kirchlicher Verantwortung ist wichtig. Folgt daraus nicht eine Überbetonung der Ordinierten und damit ein ungeschränktes Plädoyer für die Pastorenkirche?
Viele kritisieren mit Recht ungerechtfertigte Herrschaftsansprüche der Geistlichkeit und auch strukturelle Ungerechtigkeiten, wie sie eingangs angesprochen wurden. Es gibt auch Geistliche, die in ihren Positionen alles an sich ziehen. Das sind Fehlentwicklungen. Darauf sollte man jedoch nicht mit Strukturveränderungen antworten, sondern eher mit entsprechender Schulung und Fortbildung. So muss kirchliche Leitungsverantwortung wahrgenommen werden.
Wir haben heute im Gegensatz zu früher eine große Zahl Mitarbeitende, die an der Leitungsverantwortung beteiligt werden können. Dabei können sich Gewichte verschieben. So wurde in unserer Evangelischen Kirche im Rheinland die Frage laut, ob es zwingend ist, dass Geistliche in die Synoden entsandt werden, oder ob das nicht auch bewährte hauptamtliche Mitarbeitende sein könnten.(19) Es ist zu prüfen, ob dem Wandel im Spektrum der hauptamtlich Mitarbeitenden auch im Hinblick auf die Beteiligung an Führungsverantwortung Rechnung zu tragen ist.
Zu prüfen ist aber auch, welche Auswirkungen es hätte, wenn eine große Zahl von in der Kirche oder in kirchlichen Werken Beschäftigten an der Leitungsverantwortung teilnehmen. Die Perspektive der Leitungsgremien könnte sich stark einengen auf das innerkirchliche Feld. Kirchliche Entscheidungen werden dann eher „mitarbeiterorientiert“ statt „mitgliederorientiert“ getroffen. Es führt auch dazu, dass gesellschaftliche Situationen sehr stark aus binnenkirchlicher Sicht interpretiert werden.(20)
Es ist sehr zweifelhaft, ob das sinnvoll ist.
Deshalb müssen wir die Rolle der Laien und ihrer Kompetenz in der kirchlichen Führung reflektieren.
Zunächst ist festzuhalten: Laien sind nicht nur in Weltangelegenheiten erfahren, sie besitzen auch theologische Kompetenz.
1523 hat Luther eine kleine Schrift an die Gemeinde von Leisnig geschrieben mit einem sehr programmatischen Titel: “Dass eine christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, Grund und Ursache aus der Schrift.” Im Hören auf die Schrift hat die christliche Gemeinde kirchenleitende Funktion.(21) Theologische Kompetenz wird also auch von den Laien erwartet. Der erste innerreformatorische Lehrstreit wurde nicht unter Theologen allein, sondern unter Hinzuziehung der kurfürstlichen Räte, also gemeinsam mit Laien entschieden.(22)
Es gab Laien z.B. um den Landgrafen Philipp von Hessen, die sich selbstbewusst und sachkundig in die theologischen Dispute einmischten.
Das ist in heutiger Zeit natürlich eine schwierige Vorstellung. Experten traut man sehr viel, wenn nicht gar alles zu. Da resignieren viele Laien in Leitungsgremien vor der so formulierten theologischen Aufgabe. Und vielleicht ist ja die verwirrende Vielfalt, die subtile Vieldeutigkeit der biblischen Überlieferung so stark herausgestellt, dass man die Theologie den Theologinnen und Theologen überlässt. Das führt in der Frage der Arbeit in den Leitungsgremien von Kirche und Diakonie leicht zu falschen Alternativen: Hier Leitung als Dominanz von Theologie, dort Leitung als Management einer weltlichen Institution.
In die Kirche insgesamt und für die kirchenleitende Arbeit im Besonderen können viele Mitglieder unserer Kirche ein umfassendes Erfahrungs- und Expertenwissen einbringen. Darin üben sie keine Hilfsfunktionen des Pfarramtes aus. Gerade im Beispiel der diakonischen Werke zeigt sich, wie die ökonomischen Bedingungen der Sicherung von Arbeitskontinuität und Verlässlichkeit einen hohen Sachverstand erfordern; dadurch leben große Werke neben den Theologen/innen in der Geschäftsführung und Kaufleute oder andere führungserfahrene Personen.
Kenntnis der gesetzlichen Regelungen, Führungsqualität, finanziellen Sachverstand sind in einem solchen Maße erforderlich, dass dafür ein Theologie-Studium im allgemeinen nicht ausreicht. Oft sind die Laien hier die Besseren. Mindestens aber ist Sachverstand durch ehrenamtliche Mitarbeit einzubringen.
Wolfgang Huber schreibt dazu: “Die Kirche als Gemeinde von Schwestern und Brüdern wird darin Wirklichkeit, dass für die verschiedenen Gaben und Dienste in der Kirche Raum ist. Gegen diese Forderung wird praktisch überall dort verstoßen, wo die Dienste in der Gemeinde als Hilfsfunktionen des Pfarramtes betrachtet werden, wo auf lokaler, regionaler oder weltweiter Ebene die Kirche mit der Amtskirche identifiziert wird.” Dieses Missverständnis der Kirche aber reicht weiter, als es zunächst scheint. In subtiler Form begegnet es zum Beispiel in der Behauptung, die Kirche könne sich zu bestimmten Sachfragen der gegenwärtigen Welt nicht äußern, weil dazu die Expertise verschiedener Wissenschaften notwendig sei: denn auch in dieser Auskunft ist eine Identifikation der Kirche mit dem Amt des Theologen ungefragt vorausgesetzt.(23)
Kirchliche Texte zu Fragen von Wirtschaft in sozialer Verantwortung oder zu Fragen der Gentechnik, der Sterbehilfe sind nicht die Ergebnisse ausschließlicher Theologenberatung. Wir haben vielmehr in allen Beratungsgremien zahlreiche Mitglieder unserer Kirche mit hohem Expertenwissen.
Jürgen Schmude setzt der Pfarrschaft eine Grenze, wenn er sagt: “Pfarrer wird man auch künftig brauchen; sie sind unverzichtbar. Aber sie müssen nicht alles können und machen, wie das bisher verbreitete Praxis ist”(25), Arbeitsschwerpunkte der Laien sind die “organisatorischen, verwaltenden und auch seelsorgerlichen”(26). Eine seelsorgerliche Gemeinde wird nämlich auf die Seelsorge von Laien nicht verzichten können!
Schmude weist auf den Anteil der Laien an der ökumenischen Verständigung hin. “Bei allem Respekt vor Bischöfen und Kirchenleitungen: Ein gutes Stück der bisherigen Annäherungen und der erreichten Gemeinschaft zwischen katholischen und evangelischen Christen ist von den Laien beider Kirchen durchgesetzt worden. Diese starke Kraft wird wirksam bleiben.(27)
Sich für diese Aufgaben vorzubereiten und fortzubilden ist allerdings nicht ganz so einfach. Die Zeit reicht bei vielen Gemeindegliedern, die wir aufgrund ihrer bereits in Ausbildung, Beruf und Familie erworbenen Qualifikationen brauchen, nicht, um zusätzlich zur Leitungsaufgabe viel Zeit in Vorbereitung und Fortbildung zu investieren. Dafür müssen wir auch Verständnis haben.
7. Führung kirchlich verantworten in der Mediengesellschaft
Der Anspruch an die Inhaber leitender geistlicher Ämter, Führungsverhalten öffentlich zu zeigen, ist im Medienzeitalter gewachsen. Medien personalisieren. Das steht in gewisser Spannung zu der Tatsache, dass wir synodal und kollegial entscheiden. Das erfordert ein behutsames, aber kein ängstliches Verhalten.
Daneben ist es eine Illusion zu glauben, dass die Medien einfach nur eine Kanzel mit anderen Mitteln darstellen. Medien bestimmen auch, was wann wie gesagt wird. Hier Themen selbst zu setzen bzw. wirklich im Sinne des Evangeliums zu wirken und mehr zu sein, als nur ein Instrument der Medien, ist darum zwar nicht unmöglich, aber es fordert Medien- und Themenkompetenz.
8. Führung kann man lernen
Die theologische Grundlegung für kirchlich verantwortete Führung allein reicht nicht aus, auch wenn sie materialiter schon eine Menge an Impulsen gibt. Aber dann geht es nicht ohne professionelle Hilfe von entsprechenden Fachleuten. Kirchliche Gremien haben hier Mitverantwortung, dass Personen, die Leitungsämter annehmen sollen, auch die Möglichkeit der entsprechenden Schulung haben.
Warum sollte sich Leitung in dieser Hinsicht von
verkündigendem,
lehrendem und
diakonischem Handeln unterscheiden?
Auch hier nimmt es keine Sonderstellung ein.
Schluss
An Führung in kirchlicher Verantwortung wird ein hoher Anspruch gestellt. Das ist richtig so, denn es bedeutet ja nur, dass Kirche beim Wort genommen wird. Wenn es Schwierigkeiten gibt, wird – vielleicht manchmal zu schnell – nach Strukturveränderung gerufen. Vieles wäre allerdings vielleicht schon zu lösen, indem persönliche Kompetenz intensiv gefördert würde.
Fußnoten
1 Vgl. Dieter Aschenbrenner: Das Verhältnis von Pfarrern und anderen kirchlichen Mitarbeitern, in Joachim Ochel (Hg) Der Dienst der ganzen Gemeinde Jesu Christi und das Problem der Herrschaft, Gütersloh 1999, S. 55
2 Vgl. Günter Brakelmann zitiert bei Aschenbrenner, a.a.O. S. 55f
3 Aschenbrenner a.a.O. S.57f.
4 Vgl. Wolfgang Huber, Kirchenleitung als Herrschaft durch Dienst? in Joachim Ochel (Hg), Der Dienst der ganzen Gemeinde Jesu Christi und das Problem der Herrschaft, Gütersloh 1999, S.
5 Vgl. Huber a.a.O., S. 94ff
6 Vgl. Huber a.a.O., S. 102
7 Vgl. Johannes Busch, Leitung verantworten, Was heißt Leitung zwischen Management und Seelsorge, S. 87
8 Huber a.a.O. 96
9 Vgl. Huber a.a.O. S. 105
10 Vgl. Huber, a.a.O. S. 106
11 Vgl. W. Huber, a.a.O. S. 108
12 Vgl. W. Huber, a.a.O. S. 108 ff
13 Seiferlein, a.a.O. S. 7
14 Huber, a.a.O. S. 110f
15 Busch, a.a.O. S. 90f
16 Busch, a.a.O. 91
17 Busch, a.a.O. 89
18 Busch, a.a.O. S. 94
19 Renate Biebrach, in "Kontrovers"
20 Huber, a.a.O. S. 112
22 zit. Mehlhausen, Ev. Synode und kirchliche Lehre S. 224
23 Mehlhausen a.a.O. S. 226
24 Huber, Die wirkliche Kirche Barmen III, hg Burgsmüller, 1980 zit. n. Gott im Alltag dienen S. 30
25 a.a.O. 64
26 Herv. v. Verf., Aufgaben a.a.O. S. 65
27 a.a.O. S. 66f