Dialogratgeber zur Förderung der Begegnung zwischen Christen und Muslimen in Deutschland

Herausgegeben von der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Koordinationsrat der Muslime

Herausforderndes

Kritik üben

Kritik und Selbstkritik gehören zusammen. Nur wenn ich bereit bin, mich selbst kritisch befragen zu lassen, kann ich auch anderen gegenüber Kritik äußern. Wichtig ist dabei das erkennbare Bemühen, sich selbst und den anderen nicht mit zweierlei Maß zu messen, sensibel für die Schmerzgrenzen jedes Einzelnen zu werden und kein falsches Zeugnis über andere zu verbreiten. Polemische, polarisierende oder pauschalisierende Aussagen sind in jedem Fall zu vermeiden. Dort, wo konkurrierende Anschauungen oder Vorstellungen herrschen, sind Worte und Taten erforderlich, die nicht zur Eskalation und zum Kontaktabbruch führen, sondern von dem Bewusstsein getragen sind, um das Gute zu wetteifern.

Mit Bibel und Koran umgehen lernen

Bibel und Koran sind Schriften, die für die Gemeinschaft der Christen und der Muslime jeweils »heilig« bzw. von zentraler Bedeutung sind. Sie bieten Orientierung im Leben derer, die ihre jeweilige Schrift im Glauben lesen. Gleichzeitig werden diese Schriften auch immer wieder benutzt, um gegen die eine oder andere Religionsgemeinschaft zu argumentieren. Ein Dialog bewegt sich unvermeidlich im Spannungsfeld von unterschiedlichem Schriftgebrauch. Auch innerhalb von Islam und Christentum gibt es jeweils verschiedene Traditionen und Entwicklungen in der Auslegung von Koran und Bibel. Deshalb ist es im Dialog hilfreich, immer wieder neu darauf zu hören, wie die jeweiligen Partner ihre zentrale Schrift lesen und verstehen.

Es ist für den Dialog hilfreich, wenn Christen und Muslime neben der intensiven Auseinandersetzung mit ihren eigenen Schriften auch die Schriften des jeweils anderen betrachten und kennenlernen. Dialog kann und soll den Raum bieten, über das zu sprechen, was dabei verstanden oder nicht verstanden wurde. Es ist jedoch immer im Blick zu behalten, dass die Gesprächspartner im Einklang mit ihrer Schrift leben, daraus ihren Glauben nähren und Respekt gegenüber ihrer Deutung verdienen.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede prüfen

Der Dialog befähigt dazu, Gemeinsames zu formulieren und Unterschiede zu benennen und auszuhalten. Es ist dabei weder hilfreich, nur das Gemeinsame zu sehen, noch allein das Trennende zu betonen. Manchmal werden auch mit denselben Worten unterschiedliche Dinge ausgedrückt oder umgekehrt kann mit verschiedenen Worten dasselbe gemeint sein. Deshalb braucht es einen vertiefenden Dialog, der Raum lässt, die jeweils vorhandenen und mit den Begriffen verbundenen Vorstellungen zu verstehen. Auch Vergleiche zwischen den Religionen sind vor diesem Hintergrund auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen.

Religiöse und kulturelle Zuschreibungen reflektieren

Der Begriff »Kultur« ist ähnlich wie derjenige der »Religion« nicht klar zu definieren und abzugrenzen. Zudem sind Religion und Kultur stets ineinander verwoben. Religionen existieren nicht im luftleeren Raum, sondern in wandelbaren sozialen und politischen Umgebungen.

Ein kultur- und religionssensibler Umgang miteinander erfordert deshalb eine Zurückhaltung gegenüber kulturellen, aber auch religiösen Zuschreibungen. Nicht alles, was ein gläubiger Mensch sagt, tut oder erleidet, hat mit seiner »Religion« zu tun, und nicht alles, was ein Mensch mit einer bestimmten kulturellen Prägung sagt, tut oder erleidet, ist seiner »Kultur« zuzuschreiben.

Eine besondere Vorsicht ist deshalb gegenüber allen Wahrnehmungsmustern geboten, die Menschen aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Herkunft bestimmte Haltungen, Verhaltensweisen oder Meinungen zuordnen bzw. unterstellen. Der Dialog ist die beste Möglichkeit, um herauszufinden, wie sich mein Gegenüber selbst versteht, äußert und verhält.

Niemanden pauschal verantwortlich machen

Menschen christlichen und islamischen Glaubens berufen sich in ihrem jeweiligen Selbstverständnis darauf, Teil einer weltweiten Gemeinschaft von Gläubigen zu sein. Aus diesem Verständnis speist sich die Vorstellung einer besonderen spirituellen Nähe zu ihren jeweiligen Glaubensgeschwistern in anderen Ländern. Diese Nähe erfordert jedoch keine »bedingungslose« Solidarisierung, sondern bietet bei bestimmten Anlässen die Möglichkeit, auch kritisch Position zu beziehen. Umgekehrt dürfen Gedanken, Worte oder Taten eines Einzelnen nicht automatisch allen Menschen einer Glaubensgemeinschaft zugerechnet werden. Niemand kann für ein Vergehen, das er nicht selbst begangen hat, zur Rechenschaft gezogen oder haftbar gemacht werden.

Diesen Grundsatz gilt es auch in der öffentlichen Diskussion von Christen und Muslimen zu beherzigen. Hier entsteht oft das Dilemma, dass die öffentliche Distanzierung von einem Ereignis oder einer Entwicklung den Eindruck hinterlässt, es gäbe eben doch eine Verbindung zwischen dem, der sich distanziert, und dem, wovon sich distanziert wird. Gewalt und Extremismus zum Beispiel sind Phänomene, die sich keineswegs nur einer bestimmten Religion oder Gemeinschaft und schon gar nicht allen ihren Angehörigen zuordnen lassen. Hierbei für Unterscheidung und damit für Fairness zu sorgen, wird als gemeinsame Aufgabe für Christen und Muslime angesehen.

Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit überwinden

Eine Regel in der Begegnung mit Angehörigen anderer Religionen besagt, sich darum zu bemühen, über den anderen nur so zu reden, wie er oder sie sich auch selbst sieht. Dennoch sind in der Begegnung unausweichlich Vorurteile, Urteile und Bilder über und vom anderen im Spiel. Die Gefahr, Vorurteile zu verfestigen, lässt sich nur durch gründliche Information und kontinuierlichen Dialog vermeiden. Die bewusste Ausgrenzung und Herabsetzung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe widerspricht dem christlichen und dem islamischen Menschenbild. Im Dialog soll man deshalb solchen Haltungen entgegenarbeiten und zugleich auch darauf Acht geben, inwieweit möglicherweise eigene Wahrnehmungsmuster einer solchen Haltung Vorschub leisten können.

Christen und Muslime setzen sich gemeinsam mit anderen in der Gesellschaft für ein friedliches, gerechtes und tolerantes Zusammenleben und das gewaltfreie Austragen von Konfliktsituationen ein. Dies geschieht in Übereinstimmung mit den Werten des Grundgesetzes. Jede Form von religiösem und politischem Extremismus sowie gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist dabei grundsätzlich abzulehnen. Gewalt, Diskriminierung und Hass haben keinen Platz, wo Christen und Muslime einander im Dialog begegnen. Da sich aber sowohl auf christlicher wie auf muslimischer Seite extremistische Strömungen und Gruppen ausdrücklich auf religiöse Traditionen und Argumente stützen, ist über die klare Ablehnung solcher Grundhaltungen hinaus auch eine Auseinandersetzung mit deren Argumenten notwendig.

Nächstes Kapitel