Stellungnahme
Bevollmächtigter des Rates der EKD
Stellungnahme zur Verbesserung der Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften aus Anlass der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) nimmt die Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zum Anlass, an die von ihr bereits früher vorgetragenen Grundsätze im Blick auf die Verbesserung der Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften zu erinnern und sich, auf dieser Basis, zu den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen zu äußern.
Der Rat der EKD hat 1996 unter dem Titel "Mit Spannungen leben" eine Orientierungshilfe zum Thema "Homosexualität und Kirche" veröffentlicht. Er hält darin am biblischen Widerspruch gegen homosexuelle Praxis als solche fest, setzt sich jedoch vom Liebesgebot her für ihre ethisch verantwortliche Gestaltung ein. Darum hat er sich dafür ausgesprochen, "dass der Staat im Blick auf gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften diejenigen Benachteiligungen aufhebt oder vermeidet, für die keine sachlichen Gründe - z.B. zum Schutz der Ehe - bestehen" (S. 36). Daran anknüpfend hat das Kirchenamt der EKD im Februar d. J. unter dem Titel "Verlässlichkeit und Verantwortung stärken" die grundlegenden Gesichtspunkte näher ausgeführt, die aus der Sicht des evangelischen Glaubens und der evangelischen Ethik bei einer Verbesserung der Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften zu berücksichtigen sind. Diese Stellungnahme ist als Anlage beigefügt.
In Aufnahme und Weiterführung der bisherigen Aussagen sind im Blick auf die aktuellen Beratungen vier Punkte geltend zu machen:
1. Es ist ethisch geboten, Verlässlichkeit und Verantwortung im menschlichen Zusammenleben zu stärken. Die Verbesserung der rechtlichen Stellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften ist nach Auffassung der EKD dafür ein geeigneter und begrüßenswerter Weg. Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften können für die beteiligten Partner oder Partnerinnen Orte der Bewährung und Einübung mitmenschlichen Beistandes sein. Gesellschaftliche Anerkennung und rechtlicher Schutz schaffen dafür verbesserte Voraussetzungen. Es geht dabei nicht um eine Alternative zur Ehe, sondern um die Stützung des Willens zum verantwortlichen Umgang miteinander in einer vom gesellschaftlichen Regelfall zu unterscheidenden konkreten Situation, in der die Lebensform der Ehe nicht gewählt werden kann.
2. Die unterschiedlichen Ansätze für eine rechtliche Regelung - und so auch die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe - sind aus der Sicht der EKD insbesondere an zwei Kriterien zu messen:
a) Eine politische Aufwertung und rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften darf nicht auf Kosten der sozialen und rechtlichen Stellung der Ehe gehen.
b) Das auf Dauer angelegte menschliche Zusammenleben und die Formen, die sich kulturell und rechtlich dafür entwickelt haben, sind verletzlich. Darum ist ein äußerst behutsames Vorgehen angebracht.
Ehe und Familie sind, gerade in ihrem Zusammenhang, von fundamentaler Bedeutung für die Gesellschaft. Als soziale und rechtliche Institution schützt und stützt die Ehe das auf Lebenszeit angelegte Zusammenleben von Mann und Frau. Sie schließt die Offenheit für die Geburt von Kindern ein und stellt den Lebensraum bereit, in dem Kinder aufwachsen und sich auf die vielfältigen Herausforderungen des Lebens vorbereiten können. Auch für den Fortbestand eines Gemeinwesens ist es wichtig, dass Kinder geboren werden und in stabilen Beziehungen aufwachsen können. Diese fundamentale Bedeutung von Ehe und Familie hat im Grundgesetz in Art. 6 ihren verfassungsrechtlichen Niederschlag gefunden. Bei Art. 6 Abs. 1 GG handelt es sich - so das Bundesverfassungsgericht - um "eine wertentscheidende Grundsatznorm". Dieser Artikel "stellt Ehe und Familie als die Keimzelle jeder menschlichen Gemeinschaft, deren Bedeutung mit keiner anderen menschlichen Bindung verglichen werden kann, unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung". Der besondere Schutz kommt in wirksamer Weise dadurch zum Ausdruck, dass der Staat die rechtlich geordnete Lebensform von Ehe und Familie anbietet und mit bestimmten Vorteilen verbindet. Eine politische Aufwertung und Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften darf nicht auf Kosten der sozialen und rechtlichen Stellung der Ehe gehen - etwa dadurch, dass ein anderes, konkurrierendes Leitbild für das auf Dauer angelegte Zusammenleben etabliert wird oder die Mittel zur sozial- und steuerrechtlichen Förderung von Ehe und Familie - bei gleichbleibender Höhe, aber Verteilung auf einen größeren Personenkreis - faktisch gemindert werden.
Jede Gesetzgebung muss zunächst der fundamentalen Bedeutung der Ehe Rechnung tragen.
Grundsätzlich kommen zwei - deutlich voneinander unterschiedene - Ansätze einer rechtlichen Regelung in Betracht. Zwischen ihnen ist eine Abwägung vorzunehmen. Der eine Ansatz geht für die auf einzelnen Gebieten angestrebten gesetzlichen Änderungen von einem neu einzurichtenden familienrechtlichen Institut aus; der andere knüpft an die Form des bereits heute möglichen privatrechtlichen Vertrags an und ergänzt die darin getroffenen Regelungen um die öffentlich-rechtliche Regelung von Sachverhalten, die privatrechtlich nicht zu lösen sind. Wird für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften ein eigenes familienrechtliches Institut geschaffen, so ist darauf zu achten, dass nicht eine Verwechselbarkeit mit der Ehe entsteht. Dies lässt sich nur dann erreichen, wenn ein neues familienrechtliches Institut deutlich enger als die Ehe gefasst wird.
Eine gesetzliche Regelung, die die für die Ehe geltenden rechtlichen Regelungen vollständig oder nahezu vollständig auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften übertragen würde, müsste die Voraussetzung machen, dass Ehe und gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft in ihrer sozialen Realität im wesentlichen übereinstimmen. Denn Gleiches ist gleich zu behandeln, Verschiedenes aber verschieden. Auch nach den heute vorliegenden Kenntnissen - aus der Sozialwissenschaft, der Sexualwissenschaft und den in einigen europäischen Nachbarländern gemachten Erfahrungen mit gesetzlichen Regelungen für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften - gibt es jedoch keine überzeugenden Anhaltspunkte, um Ehe und gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft bei unterschiedlicher Bezeichnung doch als das gleiche oder jedenfalls annähernd gleiche soziale Phänomen anzusehen. Vielmehr entspricht es auch dem heutigen Kenntnisstand, die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft als ein aliud, also etwas Verschiedenes, zu betrachten und dementsprechend nicht einfach die eherechtlichen Regelungen auf sie zu übertragen. Die sorgfältige Beobachtung der weiteren Entwicklung wird tragfähige Grundlagen schaffen, um in einem schrittweisen, zur Korrektur fähigen Verfahren diejenigen rechtlichen Regelungen zu treffen, die der sozialen Realität der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften in besonderer Weise angemessen sind. Veränderungen bei den Formen des menschlichen Zusammenlebens vollziehen sich auch sonst stets in längeren kulturgeschichtlichen Entwicklungen.
3. Auf dieser Grundlage ist zu den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen Folgendes zu sagen:
a) Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vom 4. Juli 2000 (BT-Dr. 14/3751) findet nicht die Zustimmung der EKD. Soweit Gesetzesänderungen vorgesehen sind, die der Tatsache einer gelebten Verantwortungsgemeinschaft Rechnung tragen und dem entgegenstehende Diskriminierungen beseitigen, bestehen keine Einwände. Das trifft für zahlreiche der in Art. 3 des Gesetzentwurfs vorgesehenen Regelungen zu. Aber das Bestreben ist unverkennbar, die ehebezogenen Normen nahezu vollständig auf die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften zu übertragen. Die Ausklammerung der gemeinschaftlichen Adoption, des Ehegattensplittings und der Regelungen zur Witwenrente ändern an diesem Befund nichts. Das Abstandsgebot zur Ehe, das sich auch aus dem Grundgesetz ergibt, wird damit nicht gewahrt. Bedenken bestehen insbesondere gegen die Begründung der Lebenspartnerschaft vor dem Standesbeamten; gewiss ist es erforderlich, der Lebenspartnerschaft über einen bloß privatrechtlichen Vertrag hinaus auch rechtliche Außenbedeutung zu verleihen, aber dafür ist die in Parallele zur Eheschließung konzipierte Mitwirkung des Standesbeamten nicht erforderlich. Kritisch zu sehen ist ebenso die Einrichtung eines "kleinen Sorgerechts". Die Einbeziehung kindesrechtlicher Regelungen in den Gesetzentwurf missachtet die Wesensverschiedenheit der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft gegenüber einer verschiedengeschlechtlichen Verbindung.
b) Der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion vom 23. Juni 1999 (BT-Dr. 14/1259)vermeidet diese Kritikpunkte. Er sieht die Begründung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft durch notariell zu beurkundende Erklärungen vor. Auf kindesrechtliche Regelungen verzichtet der Entwurf ganz. Allerdings versteht er sich ausdrücklich als flexibel und ergänzungsfähig, so dass spätere Erweiterungen sorgfältig zu beobachten wären.
4. In welchem Maße es gelingt, durch neue rechtliche Bestimmungen einen wirkungsvollen Beitrag zur Stärkung eines von gegenseitiger Solidarität bestimmten Zusammenlebens in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft zu leisten, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Die Bejahung und auch rechtliche Stabilisierung dauerhafter, umfassender Partnerschaften gleichgeschlechtlich geprägter Menschen ist ein Beitrag zu einem Bildungs- und Gestaltungsprozess, dessen Ausgang offen ist. Es verdient Respekt und sorgfältige Beachtung, wenn nicht wenige in Kirche und Öffentlichkeit insbesondere die Risiken dieses Prozesses sehen. Aus der Sicht der EKD erscheint es aber vertretbar, sich für rechtliche Regelungen einzusetzen, die dem Ziel dienen, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften als Verantwortungsgemeinschaften zu festigen.
Hannover/Berlin, 18. September 2000