Gemeinsamer Jahresempfang des Bevollmächtigten des Rates der EKD sowie des Leiters des Kommissariats der Deutschen Bischöfe
Grußwort
Exzellenz, lieber Bischof Fürst,
meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren,
auch ich möchte Sie herzlich hier im Haus der EKD zum gemeinsamen Jahresempfang willkommen heißen, zu dem ich – mittlerweile in guter Tradition - gemeinsam mit meinem Amtsbruder Prälat Dr. Jüsten einlade.
Die krisenhaften Entwicklungen auf europäischer Ebene in diesem Jahr haben auch in weiten Teilen das politische Geschehen in Deutschland bestimmt. Aus der Berliner Perspektive war festzustellen, dass verständlicherweise die Sorge um den Fortbestand der Europäischen Union sowie das Ringen um immer neue Bewältigungsmöglichkeiten der sich ständig erweiternden Krise im Vordergrund standen.
Blickt man jedoch hinter die Mühen der Bewältigung, so ist wahrzunehmen, dass die europäische Krise ihren negativen Auswirkungen für die Mitgliedsstaaten zum Trotz, in Deutschland im Laufe dieses Jahres auf besondere Weise den politischen Sinn für Europa geschärft hat.
Die herausragende Bedeutung des europäischen Projekts, auch und gerade für Deutschland, ist den meisten politischen Akteuren heute, anders als noch vor zwei Jahren, auf intensivere Weise als je zuvor bewusst.
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags mussten sich in zahlreichen Sitzungen mit komplexen Fragestellungen, mit Hilfen für Griechenland und Rettungsschirmen befassen. Dass die Bundesregierung Entscheidungen über Hilfsmaßnahmen von einer derartigen finanziellen Tragweite nicht ohne Zustimmung des Deutschen Bundestages treffen kann, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom September nachdrücklich klargestellt.
Bei der Stärkung der Rechte des Parlaments geht es allerdings nicht nur um Legitimationsaspekte, wie der Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Norbert Lammert, zu Recht betont. Die Debatten im Bundestag und das medial begleitete Ringen um die richtigen Schritte für den Weg aus der Krise vermitteln den Menschen im Lande einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits spüren viele, dass der Erfolg oder Misserfolg dieses Ringens sich auf ihr eigenes Leben existentiell auswirken wird, auf der anderen Seite versteht kaum einer mehr, durch welche Schritte was erreicht werden soll. Das Vertrauen bei denjenigen, die sich nicht täglich mit der Europapolitik beschäftigen oder sich durch die Wirtschaftsseiten der FAZ quälen, haben innerlich schon längst ihr großes Fragezeichen hinter den Sinn von Euro und Europäischer Union gesetzt. Dies ist eine gefährliche Entwicklung und wir können von Glück sagen, dass es in Deutschland noch keine „Weg von Europa“-Politik gibt wie wir sie zum Teil in anderen europäischen Ländern beobachten können.
Auf den verschiedenen Parteitagen, auf denen ich zugegen war, wurde qualifiziert und - dem Ernst der Lage angemessen - um kurzfristig wirksame und langfristig tragende Antworten auf die Krise gerungen.
Es ist ein Ausdruck europäischer Vernunft, wenn nun auch überlegt wird, im Wege von Vertragsänderungen die Konstruktionsfehler des Euro-Raums zu überwinden und eine bessere Koordinierung verschiedener Politikbereiche zu erreichen, um eine echte politische Union zu schaffen.
Die in der Politik vollzogene Sinnesschärfung und die erhöhte Bereitschaft zur tieferen Integration sind in ihrer Bedeutung für ein vereintes Europa nicht zu unterschätzen. Die Veränderung der Wahrnehmung von und des Blickwinkels auf Europa können über die Krise hinaus als wertvolle Ressourcen für eine nachhaltige Vereinigung der europäischen Völker dienen.
Aufgrund der zentralen politischen und wirtschaftlichen Stellung Deutschlands ist die Bereitschaft der deutschen Politik in der Frage der Weiterentwicklung der EU eine Vorreiterrolle einzunehmen, von besonderer Bedeutung.
Zwar hat die Führungsrolle, die der Bundesregierung aufgrund der wirtschaftlichen Stabilität Deutschlands fast zwangsläufig zugefallen ist, insbesondere bei der britischen, italienischen oder auch griechischen Bevölkerung gewisse Ressentiments geweckt, jedoch ist, wie in jeder Krise, eine entschlossene Führung, die trotz nationaler Verantwortung das Wohl der europäischen Familie als Ganzes verfolgt, in der gegenwärtigen Situation dringend nötig.
Die Wichtigkeit des europäischen Projekts und die manchmal mit Mühen verbundene Notwendigkeit, Europa zu hinterfragen, Fehler zu korrigieren, die Union weiterzuentwickeln und eventuell auch neu zu erfinden, ist den meisten Entscheidungsträgern spätestens jetzt ins Bewusstsein gerückt.
Diese Tage und Wochen sind so etwas wie die Stunde der Wahrheit für Europa. Die demokratischen Mitgliedsstaaten stehen vor der immensen Herausforderung, das friedensstiftende Projekt Europa auch für die nachfolgenden Generationen zu bewahren.
Der Umstand, dass bereits eine ganze Reihe von nationalen Regierungen aufgrund der Krise den Hut nehmen musste, illustriert eindrücklich die politische Tragweite der augenblicklichen Situation.
Die einer Demokratie eigenen, oft langwierigen und komplexen Entscheidungsfindungsprozesse stehen dabei in einem Spannungsverhältnis zu den Milliarden Euro, die binnen Sekunden um den Erdball transferiert werden. Das demokratische Handeln hat oft Mühe, mit den schnell geäußerten Urteilen der Ratingagenturen Schritt zu halten.
Dieses Spannungsverhältnis findet seinen konkreten Ausdruck beispielsweise in der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zum so genannten 9-er Sondergremium: Die Karlsruher Richter erklärten im Oktober, dass im Blick auf die Entscheidungen über „Euro-Rettungsschirme“ die Übertragung der Beteiligungsrechte des Bundestages auf ein Gremium aus neun Abgeordneten vorerst nicht stattfinden darf.
Auch die neue Expertenregierung in Italien ist in der Schnelle ohne einen explizit demokratischen Prozess zustande gekommen.
Die europäische Antwort auf die derzeitige Krise wird auch daran zu messen sein, wie dieses Spannungsverhältnis aufgelöst wird. Keinesfalls dürfen der wirtschaftlichen Rettung Europas die Grundpfeiler der europäischen Werteordnung wie Rechtsstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit und Demokratie geopfert werden.
Diese Grundprinzipien sind Vorrausetzungen für die Stabilität Europas, und bilden damit die Basis für eine wirtschaftlich gesunde Union. Rechtstaatlichkeit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit dürfen daher nicht als Gegensätze zu einer lösungsorientierten Strategie verstanden werden, im Gegenteil.
An dieser Stelle möchte ich besonders an die von den beiden großen Kirchen und ihren Hilfswerken schon lange geforderte Finanztransaktionssteuer erinnern, die wenigstens in Teilen eine nachhaltigere Finanzmarktwirtschaft erreichen, die Finanzakteure in die Verantwortung nehmen und einen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten könnte.
Es ist ein wichtiges politisches Signal, ein Akt der Fairness, dass es nunmehr einen Vorschlag für eine europäische Finanztransaktionssteuer gibt. Sie können sicher sein, dass wir dieses Vorhaben als Kirchen auch weiterhin stark befördern werden.
Wir unterstützen auch die Bemühungen der nationalen und europäischen Politik, das für die Überwindung der Schuldenkrise notwendige Vertrauen in das europäische Projekt wiederherzustellen und die gebotenen finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu treffen.
Denn auch wir wünschen uns ein Europa, das reformiert und gestärkt aus diesen Krisenzeiten hervorgeht. Allen unter Ihnen, die Tag für Tag engagiert daran arbeiten wünsche ich viel Kraft, Mut und Entschlossenheit und Gottes Segen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Europäische Kommission wird morgen ihre Vorschläge für das neue Forschungsrahmenprogramm, „Horizont 2020“, für den Zeitraum 2014 - 2020 vorstellen.
Nicht zuletzt bei der Frage, welche Forschung mit europäischen Mitteln gefördert werden kann, spielen ethische Erwägungen eine entscheidende Rolle.
Aus diesem Grund freue ich mich sehr auf den Vortrag von Herrn Bischof Dr. Gebhard Fürst. Exzellenz, Sie haben das richtige Thema zur richtigen Zeit gewählt. Es lautet:
„Bioethik in Europa: Zwischen dem technisch Machbaren und dem Prinzip Verantwortung“
Ich wünsche uns nun allen einen interessanten und anregenden Abend.