Adventsandacht beim Deutschen Beamtenbund
Liebe Gemeinde, haben Sie schon einmal einen richtigen Frühstart hingelegt?
Ein Frühstart ist immer eine unangenehme Sache. Wenn vor dem 100-Meter-Lauf alle Läufer in den Startblöcken hocken und die Spannung ins Unermessliche steigt, wenn sich die Füße gegen das Startgerät stemmen, als wollten sie dieses in die Tartanbahn rammen und alles gespannt auf den Startschuss wartet und sich dann bei einem der Sportler die Spannung zu früh löst und er früher als alle anderen aus dem Startblock auf die Laufbahn schnellt, dann ist das vor allem eines: sehr peinlich. Frühstart, wie entblößt steht man da, muss zurücktraben, weil man die Spannung nicht halten konnte, während die anderen sich genervt abwenden.
Genauso peinlich ist ein musikalischer Fehlstart. Kaum etwas ist so unangenehm, wie als Einziger in eine der wohlgesetzten Generalpausen eines großen Chorstückes beherzt einen Ton in die gespannte Stille zu singen. Ich hoffe, dass nicht viele von Ihnen diese Erfahrung teilen: Der forsche Ton mag dann zwar richtig gewesen sein - nur der Zeitpunkt war leider denkbar schlecht. Der Einsatz ist verdorben, die Chorkollegen drehen sich irritiert um, der Dirigent versucht seinen Ärger nicht allzu deutlich werden zu lassen und im Publikum sind im Idealfall nur einige Räusperer hörbar.
Auch in anderen Lebenszusammenhängen ist das so: Ein Frühstart tut weh. Der zur Unzeit Startende lässt das richtige Zeitgefühl vermissen und stürzt sich auf eine Sache, deren Zeit noch gar nicht gekommen ist. Mitleidig und kopfschüttelnd schauen die Kollegen oder Nachbarn zu, wie man losläuft, noch bevor es losgeht.
Und wer zu früh startet und seine Energie nicht richtig einteilt, dem geht zum Ende hin manchmal die Puste aus. Wer sich anfangs verausgabt, hat oft nicht mehr die Kraft, das Angefangene wirklich zu vollbringen und bis zum Ende durchzuhalten. Jedem von uns fällt wohl mindestens eine Situation ein, in der wir frohgemut gestartet sind und kurz vor Schluss ins Straucheln kamen, weil die Kondition nicht mehr reichte. Auch das ist mehr als unangenehm, weil kontraproduktiv.
Mit Blick auf die Adventszeit kann man das immer wieder feststellen. Der erste Frühstart begegnet einem schon im September: Spekulatius in den Supermarktregalen und Weihnachtsbäume schon vor dem ersten Advent in allen Läden, die etwas auf sich halten.
Einen sehr peinlichen Frühstart musste ich kürzlich - in der Woche zwischen Volkstrauertag und Totensonntag - im Radio wahrnehmen. Ein Moderator bekannte dort freimütig, er sei noch gar nicht in Weihnachtsstimmung. Ich antwortete innerlich: „Das kannst du auch noch gar nicht sein! Erinnere dich nur einmal daran, an welcher Stelle im Jahresverlauf wir uns befinden.“ Der Monat November mit dem Totengedenken ist noch im Ausklingen, erst mit dem ersten Advent beginnt mit dem neuen Kirchenjahr die Zeit, in der wir uns - so ganz allmählich - vier Wochen lang auf Weihnachten einstimmen.
Erst der Advent ist die Zeit der Vorbereitung auf Gottes Kommen in die Welt, und auch da nehmen wir Anlauf und nehmen uns diese Zeit, um an Heilig Abend dann vorbereitet zu sein, um loslegen zu können mit der Feier von Christi Geburt.
Wichtig ist also, sich die rechte Zeit zu nehmen, nicht zu früh und auch nicht zu spät zu starten. Wer jetzt, wenige Tage vor Weihnachten, noch so gar nicht begonnen hat, sich innerlich mit Weihnachten zu beschäftigen und noch keine rechte Weihnachtsstimmung in sich aufsteigen spürt, der darf sich langsam Gedanken machen, ob nicht auch er einen Fehlstart hingelegt hat – in diesem Falle allerdings einen, bei dem alle anderen schon längst losgelaufen sind und der rechte Zeitpunkt zu beginnen verpasst wurde. Jetzt nämlich, da die vierte Kerze brennt, ist die Adventszeit so gut wie erfüllt. Wer das im Inneren nicht spürt, muss sich fragen, warum der Advent in diesem Jahr vielleicht genauso schnell vorbeigerauscht ist wie der ICE manchmal an Wolfsburg.
Allerdings: Noch bleiben uns einige Tage Zeit, um uns dem Licht des Adventes zu stellen, uns ihm auszusetzen, es wirken zu lassen.
Aber was genau passiert in dieser Zeit des Advents, wenn sie recht verstanden und gefüllt wird?
Ein Vers aus dem Prophetenbuch Jesaja macht das, wie ich finde, unvergleichlich treffsicher und prägnant klar. Am Beginn des 60. Kapitels des Jesajabuches heißt es:
„Mache dich auf und werde Licht; denn dein Licht kommt!“
Was ist dieses Licht, das auf uns zukommt? Es ist Gott selbst, der sich in Jesus Christus uns zuwendet. Gott bewegt sich auf uns zu, wird Mensch und wohnt unter uns. Es will unsere Dunkelheit erhellen. Und wir sind gerufen, uns auf den Weg zu machen, ihm entgegenzugehen. Durch sein Licht sind wir motiviert, uns diesem zuzuwenden, damit wir von ihm erhellt und selbst Licht werden.
Es geht also im Advent um eine doppelte Hinwendung: Gott wendet sich uns Menschen zu, und der Mensch, jeder und jede Einzelne von uns, kann sich Gott zuwenden und ihm entgegen gehen. Beide Seiten bewegen sich, es ist eine aufeinander bezogene Bewegung. Sie ist vom Drang getragen, sich begegnen zu wollen, sich nahe zu sein.
Wichtig bei dieser Hinwendung ist, dass wir uns Gott ganz zuwenden. Mit seiner Hinwendung zu uns möchte Gott unser ganzes Herz erleuchten und erwärmen. Vor Gott stehen wir immer als ganze Menschen: Mit unserem gesamten Wesen, mit all unseren Eigenschaften, den guten wie den schlechten. Ihn interessieren nicht die hellen und strahlenden Seiten, die wir anderen zeigen, er will uns nicht wahrnehmen mit unserer glatten und polierten Oberfläche, sondern er sieht das, was wir sonst verbergen unsere Schwachheit, das unfertigen Sein unseres Lebens, das Verwerfliche, das zu uns gehört.
Nur wenn wir Gott auch diese dunkle Seite von uns zeigen, kann er sie mit seinem Licht erhellen und ausleuchten. Nur dann können wir selbst ganz Licht werden. Nur dann sind wir in der Lage, auch anderen ein wärmendes Licht zu sein. Dann ist der Sinn und Zweck des Advents, das „Mache dich auf und werde Licht!“ wirklich ganz verstanden und erfüllt.
Und Gottes Licht verändert uns und bringt das Göttliche in diese Welt des allzu Menschlichen. Nur wenn wir diesem Licht Gottes die Kraft zutrauen, uns selbst in unserem Verhalten zu verändern, dann ist der Advent eine Zeit, in der sich das Warten gelohnt hat, denn an Weihnachten verändert sich der Blick auf die Welt. Der Blick auf die Welt geschieht plötzlich mit den Augen, die Christus uns geöffnet hat. Es ist der Blick, der den Schwachen sieht und ihn aufrichtet. Es ist der Blick, der den Einsamen erkennt. Wir können ihn beim Namen nennen, damit er oder sie die Gemeinschaft der Menschen wieder schmecken kann. Es ist der Blick, der in den Fehlern des anderen nicht das Makellose der eigenen Person sieht, sondern das Angewiesensein aller Menschen auf Gottes Gnade. Licht zu werden heißt: Dunkelheiten der Welt für andere zu erhellen, weil man selbst in der Lage ist, Licht zu geben. Lassen Sie uns als Kinder des Lichts diese Welt für die Menschen erhellen, denen wir begegnen, für die wir wichtig sind. Das ist eine Aufgabe, die Zeit, Kraft und Geduld erfordert. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, zur rechten Zeit zu starten, damit wir nicht zu früh an Strahlkraft verlieren.
So kann es schließlich zur rechten Zeit Weihnachten werden. Und wir können gemeinsam das Fest feiern, zu dem Gott all die Dunkelheiten der Welt erhellt. Dann geht an Weihnachten über aller Nacht der Welt der strahlende Morgenstern Gottes in Gestalt des Kindes in der Krippe auf, der Nacht und Dunkelheit vertreibt, unsere Herzen erfüllt und wärmt.