Jubiliäumspredigt zum 50. Jahrestag der Einweihung der Kreuzkirche Eschenbach
Jak 5,13: Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. 14 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. 15 Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. 16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
Liebe Gemeinde,
jeder von uns hat eine Muttersprache. Sie ist uns in die Wiege gelegt. Sie ist die Sprache, die wir von den Lippen unserer Eltern ablesen: Zuerst haben wir gelallt und gestottert, doch schon bald haben wir vorsichtig die ersten Silben geformt. Zuerst haben wir sie tastend gefunden, dann immer und immer wieder mit wachsender Begeisterung wiederholt. Und schließlich fielen uns die ersten Worte zu, unter großer Freude und großem Applaus unserer Eltern.
Die Muttersprache verbindet sich mit dem tiefsten Inneren eines jeden von uns, und man beginnt in ihr zu denken, zu träumen, sich die Welt zu erobern. Sie begleitet uns ein Leben lang.
Oft sind es einzelne Worte, die wir durch das Leben tragen oder von denen wir durch das Leben getragen werden. Sie klingen nur in unserer Muttersprache so. Nur sie ist in der Lage, uns so tief zu berühren.
Das Gebet ist die Muttersprache der Christen. Es geht mit uns durch Hohes und durch Tiefes. Es schenkt uns Sprachfähigkeit in allen Situationen. Nichts anderes meint der Apostel, wenn er uns im ersten Satz des Predigttextes auffordert: Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. Man kann diese beiden entgegen gesetzten Aufforderungen getrost exemplarisch verstehen. Sie sind zwei entgegengesetzte Punkte einer vielgestaltigen Skala von Gemütsverfassungen.
„Not lehrt beten“, sagt der Volksmund. Ja, das ist wahr, würde Jakobus antworten: Leidet jemand unter euch, der bete.
Im Leiden, in der körperlichen wie in der seelischen Not, da wende dich an deinen Gott, klage ihm dein Leid, erbitte von ihm Heilung und Linderung, flüchte dich zu ihm, lass dich von seiner Vaterliebe umfangen. Doch auch, wenn du glücklich und herzensfroh bist, dann bete ebenso. Das Gebet des Fröhlichen ist ein gesungener Psalm: ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.
Wenn wir frohen Herzens sind, wenn uns etwas gelingt, wenn eine Last von unseren Schultern weicht, wenn wir in unserer Arbeit Erfüllung finden, wenn wir im Leben unser Glück in einem Menschen gefunden haben, dann geht oft wie von selbst eine Melodie über unsere Lippen. Manche summen leise, andere trommeln mit den Fingern einen fröhlichen Rhythmus, wieder andere singen leise oder auch lautstark. Es geht meist ganz von allein, was Jakobus da sagt. „If you’re happy and you know it, sing a song!”
Und bei der ganzen Palette der Gemütsregungen, die zwischen Leid und Freude liegen, ist das Gebet die Ausdrucksform von uns Christen, eben unsere Muttersprache. Das Gebet hat so viele Schattierungen, dass es das ganze Leben abbilden kann. Das geht so weit, dass ein Gebet manchmal ganz ohne Worte auskommt, dass es ganz zum Schweigen wird.
Sören Kierkegaard formulierte tiefsinnig: „Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde Hörer. Ich meinte zuerst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, das Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören. Und so ist‘s: Beten heißt nicht, sich selbst reden hören. Beten heißt, stille werden und stille sein und warten, bis der Betende Gott hört.“
Das Beten ist keine Einbahnstraße von uns zu Gott, kein Plappern und Plärren, mit dem wir Gott in den Ohren liegen, sondern eine Kommunikationsweise, die uns beizeiten verstummen lässt, die uns auch zum Schweigen und zum Hören auf Gottes Wort führt. Erst dann gelingt wahre Kommunikation. Denn Kommunikation heißt Austausch, heißt Geben und Nehmen, sie findet nur wirklich statt, wenn nicht nur einer redet und andere zuhören, sondern wenn man aufeinander hört.
So funktioniert ein Gespräch und erst recht das mit Gott!
Das, was uns der Apostel Jakobus sagen will, ist dies: Setze dein ganzes Leben in eine Beziehung zu Gott, bleibe in Kontakt und Austausch mit ihm. Es gibt nichts in deinem Leben, was sich nicht angemessen im Gebet sagen ließe.
Wir sind nicht immer geübt darin, tatsächlich alles in unserem Leben ins Gebet zu nehmen. In manchen Situationen ist es uns nicht selbstverständlich oder es kommt uns sogar komisch vor, mit Gott zu sprechen. Vielleicht, weil es uns zu banal vorkommt, vielleicht, weil wir Gott nicht mit all unseren „Kleinigkeiten“ belästigen wollen, vielleicht, weil wir es schlicht und einfach nicht gewöhnt sind.
Das Tischgebet ist so eine Form alltäglichen Gebets, die scheinbar ganz Banales jeden Tag neu vor Gott trägt und ihn damit an unserem Leben teilhaben lässt. Im Gebet müssen wir nicht immer Weltbewegendes mit Gott besprechen, nicht immer das große Ganze im Blick haben und vor allem nicht meinen, unsere kleinen Sorgen seien zu klein dafür. Nein, gerade umgekehrt wird ein Schuh daraus: Gott interessiert sich für uns, für alles, was uns auch interessiert und was uns bewegt. Für all das ist das Gebet die angemessene Sprache, die unser Leben vertont. Und bedenken wir: Ist es wirklich banal, Gott für das tägliche Brot zu danken? Meinen wir wirklich, auf diesen Dank verzichten zu können? „Ohne Gott und Sonnenschein, holen wir die Ernte ein!“ So tönte es im Sozialismus. Nein, das ist keine christliche Haltung. Das sind nicht wir. Dank und Demut angesichts der reichen Gaben Gottes gehören für uns dazu. Das Gebet ist dafür eine angemessene Form.
Die Kreuzkirche ist ein Haus des Gebetes. Sie ist ein Stein gewordener Ausdruck für die Haltung des christlichen Glaubens, das ganze Leben ins Gebet zu nehmen. Jeder einzelne Stein, den wir heute um uns herum verbaut sehen in den Mauern, ist Folge vieler Gebete und hat viele Gebete gehört. Es waren zuerst die Gebete der Gemeinde, die vor über 50 Jahren in der Notkirche am Stadtweiher darum gebetet hat, endlich ein angemessenes Haus zu haben, in der sie Gottesdienst feiern, auf Gottes Wort hören, die Sakramente begehen und Gott im Gebet antworten kann.
Es waren Menschen wie meine Großeltern, oder die Eltern und Großeltern von Ihnen, die schon zu ihren Zeiten voll Inbrunst dafür gebetet haben, dass es endlich eine eigene, eine „richtige“ Kirche in Eschenbach für die Evangelischen geben soll. Aus diesen Gebeten sprechen Leid und Not der Nachkriegsjahre, auch eine geistliche Not, eine geistliche Heimatlosigkeit.
An jedem der Steine dieser Kirche hängen aber auch all jene Gebete, die die Gemeinde während der Bauzeit auf das Gelingen und die Vollendung dieses doch recht großen Projekts verwandt hat: Jedes Gebet, das sie den Bauleuten, den Freiwilligen und den Spendern gewidmet hat. Das bange Stoßgebet nicht zuletzt, das mancher sprach, als das Turmkreuz mit dem Hubschrauber auf den Turm gesetzt wurde.
Nicht zu vergessen sind natürlich die Gebete, die guten Wünsche und Segensbitten, die bei der Einweihung der Kreuzkirche vor bald 50 Jahren am 21. Oktober 1962 gesprochen wurden, die Freude und der hoffnungsvolle Blick in die Zukunft, den man noch auf all den alten Fotos auf den Gesichtern sieht.
Und danach ist die Kirche so richtig als Haus des Gebetes in Betrieb genommen worden. Danach hat jeder Stein um uns herum unzählige Gebete gehört, war Zeuge von großen Lebensmomenten, kleinen Dramen und ganz alltäglichem Leben. Wohl jeder von uns verbindet mit dieser Kirche ganz persönliche, vielleicht prägende Momente seines Lebens: Konfirmation, Trauung, Taufe der Kinder und Geschwister, Beerdigung von lieben Familienmitgliedern, aber auch das alltägliche oder allsonntägliche Gebet der versammelten Gemeinde, mal größer, mal kleiner, mit ihren kleinen und alltäglichen Sorgen, aber auch Freuden.
Und zu jedem dieser Anlässe ist hier gebetet worden, ist dieser Raum, ist jeder Winkel aufgeladen worden mit all dem Leben, das im Gebet mit Gott verbunden wurde. Diese Kirche hat große Freude erlebt und großes Leid und alle Schattierungen des Menschlichen, die sich dazwischen ereignet haben.
Natürlich ist eine Kirche nur ein steingewordenes Zeichen für einen Gebetsort. Sie kann das individuelle Beten nicht herbeiführen oder erzwingen. Aber sie erleichtert es, weil man als Beter in einer Reihe steht, mit alle denen, die vor einem und die mit einem hier beten und gebetet haben. Sie erleichtert es, weil sie die Menschen aus dem Alltag herausreißt, weil sie allem entgegensteht, was profan und alltäglich ist. Sie erleichtert es, weil sie Ruhe ermöglicht.
Und doch bleibt das persönliche Gebet wichtig, das an jedem Ort stattfinden kann, das eines festen Ortes nicht bedarf oder das sogar an anderen Stellen stattfinden muss, damit es wahrhaft mitten im Leben ist: Sei es am Krankenbett im Krankenhaus, auf der Bettkante vor dem Schlafengehen, zu Tisch vor dem Mittagessen oder in der Schule am Morgen. Zu diesen Gebetsorten kann und wird eine Kirche, auch die Kreuzkirche, nicht in Konkurrenz treten. Sie müssen weiter bestehen. Und doch ist es gut für die ganze Gemeinde Eschenbach, dass es mit der Kreuzkirche seit 50 Jahren einen Kristallisationspunkt des Gebetes gibt. Einen Ort, an dem sich Gebete konzentrieren und an dem vor allem die Gemeinschaft der Betenden untereinander gepflegt wird.
Denn das ist doch eine weitere Dimension des Gebetes, die Jakobus an einem Beispiel verdeutlicht:
Das Gebet ist immer auch ein Ins-Gebet-Nehmen der Sorgen und Nöte, aber auch der Freuden und Hoffnungen des anderen neben mir.
Jakobus buchstabiert dies für die Kranken der Gemeinde durch. Sie sollen die Ältesten der Gemeinde zu sich rufen, und diese sollen über sie beten zu Gott. Das ist so ein Gebet, das den Raum einer Kirche nicht braucht, das aber vielleicht seinen Haft- und Kristallisationspunkt im sonntäglichen Gemeindegottesdienst findet, wo das Gebet, das am Bett des Kranken gesprochen wurde, in die Gemeinschaft der Glaubenden einfließt.
Diese Aufforderung des Jakobus stellt an uns konkret die Aufgabe, unsere Kranken nicht zu vergessen. Wir sollen sie besuchen, mit ihnen sprechen und mit ihnen die Hände falten. Das war damals die Aufgabe der Gemeindeleitung, der Ältesten eben: Es entweder selbst zu tun, oder andere zu finden und zu beauftragen, die diesen Dienst an den Kranken leisten. Doch die Aufforderung des Jakobus gilt auch uns allen: Das Gebet ist nicht nur eine eindimensionale Verbindung des Einzelnen zu Gott, sondern es gewinnt erst die rechte Tiefenschärfe, wenn wir unseren Nächsten, sei er nun krank oder nicht, in diese Muttersprache des Glaubens als Bestandteil unseres Lebens mit einbeziehen.
Die Beziehung eines Menschen zu Gott ist erst dann vollständig, wenn sie auch zu einer Beziehung zum Nächsten führt. Miteinander zu beten oder auch füreinander zu beten, das ist eine reelle Möglichkeit, innerhalb der christlichen Gemeinde füreinander da zu sein.
Dieses füreinander Einstehen kennt viele Formen, auch ganz handfeste und konkrete. Es ist unerlässlich für eine wahrhafte Gottesbeziehung.
Wer den Nächsten nicht sieht, der kann auch Gott nicht wahrhaft lieben. Und wer den Nächsten nur am Rande wahrnimmt, ihn aber nicht unterstützt, der liebt Gott ebenso wenig.
Erst die Gemeinschaft der Glaubenden untereinander macht auch ihre Gottesbeziehung zu einer lebendigen, ganzheitlichen.
Und auch dafür steht die Kreuzkirche als Gebäude. Sie ist der Ort, an dem die Gemeindeglieder ihre Stimmen zum Gebet vereinigen, an dem nicht nur jeder für sich mit Gott Zwiesprache halten kann, sondern wo wir das gemeinsam tun.
Sie ist zugleich der Ort, an dem Fürbitte für die nahen und die fernen Nächsten gehalten wird. Sie ist ein Ort in der das „Füreinander-Dasein“ der christlichen Gemeinde, der evangelischen Gemeinde in Eschenbach, Gestalt gewinnt. Hier wird es spürbar und erlebbar.
In solch einer Gemeinschaft können auch Fehler und Schwächen angegangen werden. Aufgefangen im Sicherheitsnetz von echter Geschwisterlichkeit kann ein Mensch seine Sünden bekennen und Vergebung finden. Auch davon spricht der Apostel: Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet.
In der Gemeinschaft der Glaubenden kann das Vertrauen reifen, in dem man sich seiner Verfehlungen bewusst werden und sie schließlich auch beim Namen nennen kann. Hier wird die gnädige Vergebung Gottes zugesprochen.
Viele haben hier schon Vergebung gesucht und konnten sich ihrer Schuld stellen, aufgehoben in der Gemeinschaft der anderen, vielleicht ohne ihre Verfehlungen auszusprechen, aber doch getragen von der Gemeinschaft, die sich im Gottesdienst versammelt um das allgemeine Sündenbekenntnis zu sprechen. So wird bis heute Tröstung und Vergebung durch das Wort Gottes empfangen.
An solch einem Festtag ist ein guter Zeitpunkt, sich der Besonderheit einer Kirche und besonders unserer evangelischen Kreuzkirche klar zu werden.
Es sind die Gebete und das darin versammelte und vor Gott gebrachte Leben der Menschen: unser eigenes und die unserer Eltern und Großeltern, die Leben unserer Nachbarn und Freunde, die sich hier vielfach begegnet sind.
Gekreuzt haben sich die Wege der Menschen in dieser Kirche, gekreuzt hat sich ihr Weg mit Gott an dieser Stelle, ihr Leben hat durch das Kreuz Jesu zu Gott geführt.
Ein Tag wie heute kann nur ein neues Gebet hervorbringen. Heute ist es ein Gebet des Dankes und des Lobes. Wir loben und danken Gott dafür, dass er dem Leben unserer Gemeinde in Eschenbach so nah gekommen ist, dass dies für nun 50 Jahre seinen sichtbaren Ausdruck in diesem Kirchenbau gefunden hat.
Und es ist ein Gebet der Hoffnung und der Bitte, dass Gott seinen Geist über uns und alle folgenden Generationen ausgießen möge, damit Gebet, Lob und Dank in diesen Mauern nie aufhören mögen.
Das gewähre uns Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.