C. Empfehlungen
C.III. Wettbewerb im Versicherungssystem: Versicherungssystem schrittweise weiterentwickeln
- Die Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre hat deutlich gemacht, welch hohes Gut eine verlässliche Sozialversicherung ist. Sie sichert als Solidarsystem nicht nur den überwiegenden Teil der Bevölkerung gegen die negativen Folgen individuell nicht oder kaum beeinflussbarer sozialer Risiken ab, sondern wirkt zugleich auch als automatischer Stabilisator der Konjunkturentwicklung und als wichtiges Instrument zur Sicherung des sozialen Friedens in Krisenzeiten. Sozialversicherungssysteme haben sich nicht erst in den letzten Jahren als äußerst flexibel erwiesen und plötzliche gesellschaftliche Umbrüche ebenso bewältigt wie die langsameren, kontinuierlichen Veränderungen der Wirtschaft, der Arbeitswelt und der Lebensformen. Dies gilt insbesondere für die Gesetzliche Krankenversicherung, aber auch die Soziale Pflegeversicherung hat sich in der Gesamtschau als ein verlässliches System erwiesen, das zuvor bestehende Regelungslücken verringert hat. Wie in der Orientierungshilfe des Rates der EKD "Das Prinzip der Solidarität steht auf dem Spiel" betont wird, müssen beide Systeme auch in Zukunft schrittweise so weiterentwickelt werden, dass dabei das Grundprinzip der Solidarität nicht aufs Spiel gesetzt wird.
- Auch in Zukunft muss es somit darum gehen, die Aufgaben und Finanzierungsgrundlagen der Gesetzlichen Krankenversicherung und Sozialen Pflegeversicherung so zu gestalten, dass sie einerseits von privaten Versicherungssystemen, andererseits aber auch von rein steuerfinanzierten staatlichen Sozialleistungen unterscheidbar bleiben. Dazu ist genauer zu definieren, welche Aufgaben - insbesondere im Bereich der Infrastruktur des Gesundheitswesens und der allgemeinen Prävention - direkt vom Staat geleistet werden müssen. Werden gesamtgesellschaftliche Aufgaben aus organisatorischen Gründen ausnahmsweise von gesetzlichen Krankenversicherungen erbracht, so sind die damit verbundenen Belastungen aus Steuermitteln zu kompensieren. Beitragsermäßigungen für Transfereinkommensbezieher dürfen nicht dazu dienen, den Bundeshaushalt oder die Budgets anderer Zweige der sozialen Sicherung auf Kosten des Versichertenkollektivs der GKV zu entlasten. Aus ordnungspolitischen Gründen ist es daher abzulehnen, für den Sozialausgleich beim einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag die in der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds angesammelten Überschüsse aus Versichertenbeiträgen zu verwenden. Die gesamtgesellschaftliche Aufgabe, jedem einen bezahlbaren Zugang zum Krankenversicherungssystem zu ermöglichen, muss aus Steuermitteln finanziert werden.
- Kritisch zu überprüfen ist auch die Beitragssystematik, die neben dem allgemeinen und von der Bundesregierung festgesetzten Beitragssatz den Krankenkassen nur Spielraum bei der Erhebung eines einkommensunabhängigen Zusatzbeitrags lässt. Diese im Rahmen des Gesundheitsfonds eingeführte Regelung sollte den Kassenwettbewerb stärken, weil angenommen wurde, dass Versicherte absolute Zusatzkosten der Wahl einer Kasse besser beobachten können als relative Zusatzkosten, die im Zuge unterschiedlicher Beitragssätze anfallen. Unterstützt wurde diese Wettbewerbsorientierung dadurch, dass gesetzliche Krankenversicherungsträger seit dem 1. Januar 2010 insolvenzfähig sind. Mit dieser Wettbewerbsstärkung sollte insbesondere bewirkt werden, dass unwirtschaftliche Kassen vom Markt verdrängt werden und die Zahl der Krankenkassen insgesamt sinkt. Es wurde jedoch nur unzureichend berücksichtigt, dass Kassen, die aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag erheben müssen, verstärkt mit Versicherungsaustritten konfrontiert werden. Da nach allgemeiner Erfahrung vor allem gesunde und junge Versicherte ihre Kasse wechseln, kann sich die Versichertenstruktur von in Schieflage geratenen Kassen im Zeitablauf so verschlechtern, dass eine Insolvenz auch bei größten Anstrengungen nicht zu vermeiden ist. Verschiedene Kassen versuchen daher, die Erhebung von Zusatzbeiträgen durch betriebsbedingte Kündigung, Lohnverzicht und Kurzarbeit ihrer Beschäftigten zu vermeiden. Dadurch werden aber keine Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen, sondern es wird lediglich ein Unterbietungswettbewerb auf Kosten der Beschäftigten ausgetragen. Es ist daher zwingend notwendig, dass Krankenkassen wieder ausreichende Möglichkeiten der Beitragsgestaltung haben, um im Interesse ihrer Beschäftigten und Mitglieder handlungsfähig zu bleiben und tatsächlich zu einer Sanierung und Wirtschaftlichkeitserhöhung in der Lage zu sein.
- Zur Gewährleistung einer umfassenden Solidarität zwischen allen Versicherten und zur Verhinderung eines unfruchtbaren Wettbewerbs der Krankenkassen um möglichst junge, gesunde und gut verdienende Mitglieder muss der Risikostrukturausgleich weiter verbessert werden. Die im Zuge der Einführung des Gesundheitsfonds erfolgte Weiterentwicklung zu einem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich hat hier deutliche Fortschritte gebracht, es besteht aber noch Spielraum für weitere Verbesserungen. Dass verschiedene Krankenkassen bereits nach der ersten Insolvenz eines gesetzlichen Krankenversicherungsträgers eine Begrenzung der Pflicht zur Aufnahme unfreiwillig versicherungslos gewordener Menschen gefordert haben, kann als Hinweis darauf gesehen werden, dass der Risikostrukturausgleich noch nicht wie gewünscht funktioniert - ansonsten hätten sie Aufnahmewünschen neutral gegenüberstehen müssen. Da sich einzelne Ungenauigkeiten im Risikostrukturausgleich nicht vollständig vermeiden lassen, muss auch das Bundesversicherungsamt als verantwortliche Instanz verstärkt Wert darauf legen, neben der finanziellen Redlichkeit auch das Wettbewerbsverhalten der Krankenkassen zu kontrollieren und Verstöße gegen die Pflicht zur Aufnahme aller Versicherungswilligen scharf zu ahnden.
- Grundgedanke der Einkommenssolidarität innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung ist, dass Beitragszahler proportional zu ihren finanziellen Möglichkeiten mit Beitragsverpflichtungen belastet werden. Diese Ausprägung des Solidarprinzips bedeutet nicht nur, dass Besserverdienende mit Geringverdienern solidarisch sind. Sie ermöglicht zugleich, dass Phasen eines temporären Ausstiegs aus dem Erwerbsleben - zum Beispiel zur Erziehung von Kindern oder zur Pflege von Angehörigen - nicht zum Verlust eines bezahlbaren Krankenversicherungsschutzes führen. Gerecht ist die Einkommenssolidarität aber nur dann, wenn sie die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Beitragszahler abbildet. Diese ergibt sich jedoch nicht allein aus den Erwerbs- und Transfereinkommen der Versicherten. In zunehmendem Maße bestreiten Menschen ihren Lebensunterhalt aus Kapitaleinkünften - beispielsweise im Rahmen der privaten Altersvorsorge. Auch die Beitragsbasis der Gesetzlichen Krankenversicherung sollte daher verbreitert werden.
- Die gesetzlichen Krankenkassen sollten zudem öffentlich-rechtliche Körperschaften bleiben, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Ihre innere Selbstverwaltung ist neu zu beleben. Selbstverwaltung sollte als Chance auf Teilhabe der Versicherten an Entscheidungen verstanden werden, die nicht völlig durch staatliche Steuerung oder professionelles Management ersetzt werden kann. Um dies zu erreichen, sind die Arbeitnehmerorganisationen und andere sozialpolitische Organisationen zu stärkerem und öffentlicherem Engagement aufgefordert. Die Sozialversicherungswahlen sollten an Partizipation orientiert weiterentwickelt werden.
- Zur Stärkung partizipativer Elemente in der Selbstverwaltung könnte zudem beitragen, beim Gemeinsamen Bundesausschuss eine Art Gesundheitsbeirat einzurichten. Hier könnte über die noch immer offenen Fragen, welche Gesundheitsziele in Deutschland prioritär verfolgt werden sollen, öffentlich diskutiert werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss empfiehlt sich als Institution für ein solches, von verschiedenen Seiten (u.a. der Bundesärztekammer) gefordertes Gremium, weil er es ist, der für die Konkretisierung der Leistungen der GKV zuständig ist. Angesichts der Wichtigkeit, über partizipative Elemente in der Gesundheitspolitik nachzudenken, wäre auch zu prüfen, ob im Rahmen der gegebenen demokratischen Möglichkeiten eine Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages eingesetzt werden sollte, die neben den formalen Fragen der Beteiligung auch inhaltliche Gesichtspunkte wie die nach Gesundheitszielen und möglichen Priorisierungen in der Gesundheitsversorgung thematisieren könnte. Selbstverwaltung sollte sich zudem stärker auf die konkrete Ausgestaltung der Gesundheitsleistungen und ihrer Infrastruktur beziehen und hierzu auch einen regionalen Bezug bekommen. Dazu könnten zum Beispiel jene Versicherten stärker beteiligt werden, die besonders auf Leistungen der Krankenkassen angewiesen sind, etwa über einen stärkeren Einbezug von Organisationen der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen.
- Gerade für sozialstaatlich finanzierte Gesundheitsleistungen muss der Primat einer effizienten Erbringung gelten. Aus Pflichtbeiträgen dürfen keine unwirtschaftlichen Leistungen, Strukturen und Prozesse finanziert werden. Es ist immer wieder notwendig, zu hinterfragen, ob bestehende Regelungen zur Inanspruchnahme, Vergütung, Finanzierung, Zulassung oder Steuerung einer effizienten Erbringung förderlich sind und nicht umgekehrt Unwirtschaftlichkeiten fördern. Anreize zur Effizienz, auch über das Instrument des Wettbewerbs, sind daher grundsätzlich sinnvoll, müssen aber in einen adäquaten Regulierungsrahmen eingebettet sein, der sicherstellt, dass Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung verbessert werden. Ohne adäquate Regulierung können marktliche und wettbewerbliche Instrumente Ausgrenzungen und Risikoselektionen sozial schwacher, kranker und behinderter Menschen fördern.
- Die Ausweitung des Wettbewerbs der gesetzlichen Krankenkassen untereinander in den letzten Jahrzehnten war somit insoweit wichtig und notwendig, wie vorrangig Effizienzreserven erschlossen und Anreize zu einer bedarfsgerechten Ausgestaltung der Leistungen gesetzt werden konnten. Dieser Wettbewerb ist sachgerecht weiterzuentwickeln, ohne schablonenhaft eine Entscheidung für mehr oder weniger Wettbewerb zu treffen - auf die sinnvolle Anwendung von Wettbewerbsprinzipien kommt es an. So wird es wichtig sein, den Wettbewerb so auszugestalten, dass von ihm nicht nur Preisdruck ausgeht, sondern auch Anreize für mehr Qualität und stärkere Bedürfnisorientierung erfolgen. Qualität durch Wettbewerb setzt unter anderem voraus, dass potenzielle Nutzer über Informationen zu den für sie relevanten Qualitätskriterien verfügen und diese auch aktiv nutzen, indem sie unter verschiedenen Wettbewerbern den jeweils für ihre Bedarfe passendsten auswählen. Einer der Hauptgründe für das Marktversagen im Gesundheitswesen besteht darin, dass diese Voraussetzung bisher noch nicht ausreichend erfüllt ist. Stattdessen liegt eine Informationsasymmetrie vor, bei der die Nutzer der Krankenkassen traditionell kaum über geeignete Qualitätsinformationen zum Leistungsangebot verfügen, während die Leistungsanbieter zumindest zum Teil solche Informationen besitzen. Für einen funktionierenden Qualitätswettbewerb bei der Krankenversorgung muss deshalb die bestehende Informationsasymmetrie zwischen Leistungsanbietern und Nachfragern überwunden werden. Entsprechend leisten Qualitätsinformationen bisher nur einen geringen Beitrag zum Wettbewerb in der Gesundheitsversorgung, da die vorliegenden Informationen bisher kaum genutzt werden. Insbesondere die unzureichende Anpassung vorliegender Informationen an den Bedarf der Nutzer werden in der fachlichen Diskussion als Hemmnisse identifiziert. Will der Gesetzgeber den Wettbewerb ausbauen, ist die Schaffung von Voraussetzungen für die Nutzung von Qualitätsinformationen durch die Patienten, Versicherten und Krankenkassen zentral. Besondere Aufmerksamkeit ist außerdem darauf zu legen, dass Patienten auch dann umfassend versichert und versorgt werden, wenn ihre Behandlung besonders aufwendig ist. Ein besonderer Aufwand entsteht z.B. bei der Versorgung chronisch kranker und behinderter Menschen oder der wohnortnahen Versorgung in bevölkerungsarmen Regionen.
- Auch die stärkere Bezugnahme auf die Eigenverantwortung der Versicherten hat in den letzten Jahren in die Gesundheitspolitik Einzug gehalten. Sie birgt jedoch das erhebliche Risiko, dass eine falsche Zuweisung gesundheitlich relevanter Aspekte an die Eigenverantwortung zu individuellen Überlastungen führen und dem Zweck einer solidarischen Absicherung entgegenlaufen kann. So kann die Ausgliederung einzelner Gesundheitsleistungen aus dem solidarisch finanzierten Bereich zu einer Verstärkung der Entwicklung zur Zwei-Klassen-Medizin und im Versicherungsbereich über Risikoselektionsprozesse zu einer schrittweisen Entsolidarisierung führen. Eine gerechte Abgrenzung zwischen selbst- und unverschuldeten Krankheitskosten dürfte zudem nicht nur praktisch äußerst schwierig sein, sie würde auch Kontrollkosten und Beschränkungen der individuellen Freiheitsrechte verursachen, die den Nutzen solcher Maßnahmen bei weitem überwiegen. Die Steuerungswirkungen von auf Eigenverantwortung zielenden Maßnahmen der Gesundheitspolitik sollten zudem nicht überschätzt werden. Der größte Teil der Gesundheitsausgaben entfällt auf sogenannte Hochnutzer und darunter vor allem auf schwer kranke Versicherte in ihren letzten Lebensjahren. Eine Verhaltenssteuerung ist hier weitestgehend ausgeschlossen, eine nachträgliche Sanktionierung etwaigen früheren gesundheitsschädlichen Verhaltens widerspricht den grundlegendsten Anforderungen an christliches Handeln.
- Diese Problematik entbindet nicht davon, sich mit der Frage des richtigen Maßes an Eigenverantwortung im Gesundheitssystem zu beschäftigen. Auf individueller Ebene sind Umgebungsbedingungen erforderlich, die eigenverantwortliche gesundheitsbewusste Entscheidungen überhaupt erst ermöglichen. Auf der überindividuellen Ebene muss die Trennung zwischen solidarisch abzusichernden Grundleistungen und ergänzenden Zusatzleistungen transparent sein. Gerade das grundsätzliche Bekenntnis zu einer solidarischen Krankenversicherung macht es notwendig, die individuellen Be- und Entlastungen über die verschiedenen Formen von allgemeinen Beitragsverpflichtungen, Zusatzbeiträgen, Zusatzversicherungen, Zuzahlungen für Gesundheitsleistungen und Leistungsbefreiungen übersichtlich auszuweisen und auf die Erreichung gesundheits- und sozialpolitischer Ziele hin zu überprüfen. Zusätzlich dazu ist dafür Sorge zu tragen, dass niemand wegen Armut auf notwendige medizinische Leistungen verzichten muss. In diesem Sinne ist die Wirkung der Zuzahlungen für Grundsicherungsempfänger und Personen mit niedrigem Erwerbseinkommen zu überprüfen. Die Sonderregelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes zur Gesundheitsversorgung sind aufzuheben. Unabhängig von allen sonstigen Reformen und Reformvorschlägen muss jeder Versicherte und Leistungserbringer prüfen, ob er sich gegenüber den begrenzten Ressourcen und damit gegenüber anderen verantwortlich verhält. Eine gemeinschaftsdienliche Entscheidung wird ihm dabei allerdings erleichtert, wenn er über die Ausgestaltung des Gesamtsystems den Eindruck gewinnt, dass sein eigenes Handeln nicht durch das Verhalten anderer Akteure im Gesundheitssystem konterkariert wird. Ein behutsames Abwägen und eine sorgfältige Beobachtung der Wirkungen von Veränderungen auf Qualität, Zugänglichkeit und Wirtschaftlichkeit von Leistungen sind angesichts der Komplexität des Systems unbedingt erforderlich.
- Eine darüber hinausgreifende Frage betrifft die Aufteilung des deutschen Kranken- und Pflegeversicherungsmarktes in ein gesetzliches und privates System, die gleichermaßen Vollversicherungsschutz bieten, zu denen aber abhängig vom Einkommen und vom beruflichen Status unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten bestehen. Der sogenannte Systemwettbewerb zwischen gesetzlichem und privatem Versicherungssystem gilt als hochgradig ineffizient und ist auch aus Gerechtigkeitserwägungen kritisch zu sehen. Zwar müssen bei zukünftigen Reformmaßnahmen im deutschen Gesundheitssystem die historischen "Pfadabhängigkeiten" von Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung ebenso berücksichtigt werden wie das Vertrauen vieler Versicherter auf eine kontinuierliche Fortentwicklung. Maßgeblich für die schrittweise Weiterentwicklung des Kranken- und Pflegeversicherungssystems sollte aber sein, dass es offengelegte Fehlentwicklungen beseitigt, heutigen Anforderungen genügt, allen Menschen gleiche Wahlmöglichkeiten eröffnet und eine Entsolidarisierung gerade der gut Verdienenden verhindert.
- In den Niederlanden, dem einzigen europäischen Land, das bis 2006 ein dem deutschen ähnliches duales Krankenversicherungssystem hatte, ist inzwischen ein einheitlicher Ordnungsrahmen entwickelt worden, der für alle Träger des früheren Systems gilt. Nach diesem Vorbild sollte auch in Deutschland über eine weitgehende Konvergenz von GKV und PKV nachgedacht werden. Punktuell ist es in den letzten Jahren bereits zu einer Annäherung der Systeme gekommen. Der Gesetzgeber hat in das Regelwerk der PKV Regelungen eingeführt, die eher für die GKV typisch sind und umgekehrt. Wenn man den Gedanken der Systemkonvergenz weiterverfolgt, so wird es - in vielen kleinen Reformschritten - zukünftig darum gehen, einen intensiven Wettbewerb der verschiedenen Versicherungsträger in einem gemeinsamen Ordnungsrahmen zu ermöglichen, in dem die Grundprinzipien der Risiko- und Einkommenssolidarität garantiert werden. Bislang private und öffentliche Krankenversicherungsträger würden im Wettbewerb miteinander eine Krankenvollversicherung anbieten, die dem heutigen Leistungsumfang der GKV entspricht.
- Hält man stattdessen an der Dualität der Systeme fest, würde dies bedeuten, dass weiterhin nur eine vergleichsweise kleine Gruppe der Bevölkerung, die nicht abhängig beschäftigt ist, über ein hohes Einkommen verfügt oder im Beamtenverhältnis steht, frei darin wäre, die eigene Absicherung des Krankheits- und Pflegebedürftigkeitsrisikos innerhalb des gesetzlichen oder des privaten Systems zu gestalten. Sie könnten sich damit, anders als der Großteil der Bevölkerung, aus individuellen Vorteilserwägungen der Einkommens- und Risikosolidarität der GKV entziehen. Bei grundsätzlichem Festhalten an der Dualität des Krankenversicherungssystems könnte aber eine ergänzende Alternative darin bestehen, Privatversicherte in den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich der GKV einzubeziehen. PKV-Unternehmen müssten dann für ihren im Durchschnitt jüngeren und gesünderen Versichertenbestand Ausgleichszahlungen an die GKV leisten. Damit könnte die GKV finanziell entlastet werden, zugleich würden die Wettbewerbsbedingungen um freiwillig Versicherte zwischen PKV und GKV ein wenig angeglichen.