Zwischen Verantwortung und Widerspruch
Landesbischof Markus Dröge zum 50. Todestag von Otto Dibelius
Otto Dibelius ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der jüngeren Geschichte unserer Kirche. Vier politische Systeme hat er durchlebt: Im Kaiserreich aufgewachsen, wurde er in der Weimarer Republik erstmals mit einer öffentlichen Leitungsposition betraut. Nach 1933 begrüßte er zunächst aus seiner nationalkonservativen Haltung heraus den Nationalsozialismus, trat aber bald in Konflikt mit seinen Anhängern und wirkte nunmehr in der Bekennenden Kirche. Schließlich hat er in der Nachkriegszeit die Rolle der evangelischen Kirche im Wiederaufbau Deutschlands wesentlich geprägt und war leitend im Ökumenischen Rat der Kirchen tätig.
Im Wechsel der politischen Systeme war die Orientierung an Jesus Christus der Bezugspunkt, von dem aus Otto Dibelius seinen Glauben gelebt und an dem er seine Verkündigung ausgerichtet hat. Otto Dibelius ist Herausforderungen nicht ausgewichen, auch wenn er dadurch Entscheidungen getroffen hat, die heute als zweifelhaft erscheinen:
So hat er am „Tag von Potsdam“, am 21. März 1933, am Staatsakt in der Garnisonkirche teilgenommen und danach für die evangelischen Reichstagsmitglieder in der Potsdamer Nikolaikirche gepredigt. Im Nachhinein wurde dies geradezu zu einem Symbol dafür, dass die Evangelische Kirche dem propagandistisch als Schulterschluss von Preußentum und Nationalsozialismus dargestellten Ereignis den Segen erteilt habe. Aber auch dies gehört zu seiner Haltung: Er hat Senta Maria Klatt, die im Nationalsozialismus als „Halbjüdin“ galt, als seine persönliche Mitarbeiterin angestellt. An Otto Dibelius können wir ablesen, dass Widersprüche und Fehleinschätzungen zu einem Leben im Glauben, das bereit ist Verantwortung zu übernehmen, dazu gehören.
Verhältnis der evangelischen Kirche zum Staat wesentlich mit geprägt
Dibelius hat das Verhältnis der evangelischen Kirche zum Staat in der Nachkriegszeit wesentlich mit geprägt, mit Grundsätzen, die bis heute Geltung haben: Er trat ein für eine öffentliche Kirche, die in sich selbständig und frei und doch gleichwohl bezogen auf den Staat ist. Ihr kommt eine außerordentliche Rolle in der Werte-Erhaltung und Werte-Bildung zu. Sie versteht sich als Volkskirche, und das heißt, sie will an möglichst viele gesellschaftliche Gruppen Zuspruch und Anspruch des Evangeliums weitergeben.
Wer wie Otto Dibelius als Christ Verantwortung übernimmt, dem wird widersprochen werden. Auch zu Recht. Ich denke dabei an manche seiner antisemitischen Äußerungen. Aber darauf darf seine Person nicht reduziert werden. Otto Dibelius hat sich eingebracht und wurde angefeindet, zum Beispiel durch die SED, als er gegen den Staat der DDR deutlich Stellung bezog. Dabei scheute sich Dibelius nicht, seinem Glauben zu folgen und sich selbst immer wieder in Frage zu stellen. Er wusste, dass auch er selbst aus der barmherzigen Nähe Gottes lebt und immer wieder der Vergebung bedarf.
Das eigene Testament mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis formuliert
Otto Dibelius hat schon früh, bereits auf der EKD-Synode von 1960, sein kirchliches Testament formuliert, in dem er das Stuttgarter Schuldbekenntnis, das er maßgeblich und federführend mitformulierte, auf sein eigenes Leben bezog:
„Ich will nicht aus der Welt gehen, ohne das, was wir damals gemeinsam bekannt haben, auch für mich persönlich zu bekennen. Auch ich gebe mir Schuld, daß ich 'nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt habe‘. … Und weil ich selber jeden Tag aus der Vergebung Gottes gelebt habe, darum bitte ich auch die Menschen, an denen ich mich versündigt habe, mir zu vergeben, wie auch ich vergebe allen meinen Schuldigern. Das ist mein Testament.“ Wir behalten seinen Dienst und sein Wirken in würdiger Erinnerung.