Bericht des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt bei der EKD-Synode
„Die Uhr tickt!“
Das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt (BeFo) der EKD hat im Rahmen der Synode in Würzburg seinen jährlichen Bericht vorgestellt. In den letzten Monaten hat das BeFo vieles erreicht, auch wenn das öffentlich nicht immer wahrgenommen wird. Dazu zählen entscheidende Schritte bei der Reform der Anerkennungsrichtlinie, die Freischaltung der Online-Plattform BeNe, die Beteiligung an der Reform des Disziplinarrechts und die Entwicklung des Maßnahmenkatalog zur ForuM-Studie.
Reform des Disziplinarrechts
Die Reform des Disziplinarrechts hat das Beteiligungsforum maßgeblich vorangebracht. Die Rechte von Betroffen im Verfahren sollen damit deutlich ausgeweitet werden. So soll die Möglichkeit zur weitgehenden Akteneinsicht geschaffen werden. Darüber hinaus soll ein Informationsrecht über den Verfahrensstand und das Recht, sich durch das gesamte Verfahren von drei Personen begleiten zu lassen, deren Kosten übernommen werden, eingeräumt werden. Derzeit entsteht außerdem ein Leitfaden für betroffene Menschen, die als Zeug*innen in Disziplinarverfahren aussagen.
Die Änderungen werden der Synode am Mittwoch zur Beschlussfassung vorgelegt.
Maßnahmenplan zur ForuM-Studie
Bei der Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der ForuM-Studie in EKD und Diakonie hat das BeFo eine zentrale Rolle eingenommen. Es entwickelte einen Maßnahmenplan, der transparent und vollständig auf alle Empfehlungen von ForuM eingeht. Der Maßnahmenplan ist ein Meilenstein in der Bearbeitung der ForuM-Ergebnisse. Er soll am Mittwoch von der Synode beschlossen werden.
Der ForuM-Maßnahmenplan übersetzt alle 46 Empfehlungen der Studie in 12 konkrete Maßnahmen. Durch die Bündelung soll vermieden werden, dass einzelne Empfehlungen nicht beachtet werden.
Mit dem regelmäßigen „ForuM-Bulletin“ (https://www.ekd.de/bulletin-84802.htm) wird die Ergebnisdiskussion transparent gemacht sowie niedrigschwellig über das gesamte Themenfeld informiert.
Online-Plattform BeNe freigeschaltet
Seit Oktober 2024 ist die Online-Plattform BeNe freigeschaltet, die aus dem BeFo heraus entwickelt und vorangetrieben worden ist. BeNe ist eine Seite von Betroffenen für Betroffene, sie bietet ihnen die Möglichkeit, sich auszutauschen und zu vernetzen. Zentrales Element ist das Ermöglichen der Kommunikation in Foren, die durch geschultes Personal moderiert werden. Hier können verschiedenste Themen in einem sicheren Rahmen diskutiert werden.
Endlich gibt es eine digitale Plattform für Betroffene von sexualisierter Gewalt, ganz gleich, wo die Tat stattgefunden hat. Das war dem Betroffenenforum wichtig. In öffentlichen, moderierten Foren kann sich zu derzeit noch festgelegten Öffnungszeiten ausgetauscht werden, zu Veranstaltungen, internen und externen Unterstützungsangeboten. Ziel ist, dass die Seite sich stetig weiterentwickelt und an die Bedarfe der Nutzer*innen angepasst wird.
Parallel zur Website gibt es auch einen Instagram-Account von BeNe. Durch Posts und Storys wird über BeNe und etwa die Öffnungszeiten informiert. Der Instagram-Account hat 552 Follower*innen (Stand 06.11.2024).
Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommission
Auch bei der Entwicklung der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen ist das BeFo entscheidende Schritte vorangekommen. Die Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung von EKD, Diakonie Deutschland und der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, läuft: Im Frühjahr 2025 sollen alle neun Kommissionen ihre Arbeit aufnehmen. Nächste Schritte sind jetzt die Besetzung von Geschäftsführungen für die Kommissionen, die Verständigung über Kommissionsmitglieder aus dem kirchlich-diakonischen Kontext sowie die Benennung von unabhängigen und externen Expert*innen durch die jeweiligen Landesregierungen.
Das Beteiligungsforum begleitet diesen Weg aufmerksam, kritisch-konstruktiv und mit der klaren Erwartungshaltung, dass es an keiner Stelle nennenswerte Verzögerungen oder Abweichungen geben wird.
Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst, Sprecherin der kirchlichen Beauftragten im Beteiligungsforum, sagt: „Das Beteiligungsforum hat die Rolle, die ihm durch Synode, Kirchenkonferenz und Rat klar und eindeutig zugewiesen worden ist, angenommen und arbeitet nun erfolgreich an den Zielen. Wir diskutieren hart an der Sache, sind uns beileibe nicht immer einig, ringen um Kompromisse, halten einander manchmal nur schwer aus, aber suchen immer wieder nach konstruktiven Lösungen. Die Arbeit kostet Kraft. Das ist auszuhalten, wenn die Arbeit etwas austrägt, wenn sie etwas anstößt und in Bewegung bringt.“
Reform der Anerkennungsrichtlinie
Bei der Reform der Anerkennungsrichtlinie der EKD ist das BeFo einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Aktuell befindet sich der im BeFo erarbeitete Richtlinien-Entwurf in einem Stellungnahmeverfahren mit den Landeskirchen und diakonischen Landesverbänden, um eine möglichst breite Unterstützung zu erreichen. Mit der Reform sollen die Anerkennungsverfahren vereinheitlicht und ein Gesprächsrecht verankert werden.
Vor allem aber die Kombination aus individueller und pauschaler Leistung bei den Anerkennungsleistungen sind aus Sicht des BeFo eine wichtige Errungenschaft. Sie trägt entscheidend dazu bei, dass Betroffene nicht als pauschal abzugeltende Fälle betrachtet werden. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Menschen mit ihren individuellen Bedürfnissen. So sollen künftig die Anerkennungsleistungen an den individuellen Folgen bemessen werden. Darüber hinaus steht den Betroffenen ein Pauschalbetrag von 15.000 Euro zu, sofern es sich um einen Straftatbestand handelt. Mit einer finalen Fassung der Anerkennungsrichtlinie wird im März 2025 gerechnet.
Detlev Zander, Sprecher der Betroffenen im BeFo, sagt: „Anerkennung ist keine reine Frage des Geldes. Sie steht für eine Haltung, die die Kirche nach außen zeigen sollte und auch muss. Anerkennung zeigt sich auch darin, ob die Kirche den Mut hat, neue Wege zu bestreiten. Nicht irgendwann, sondern in dem Zeitplan, den wir uns gesetzt haben. Denn die Uhr tickt.“
Nancy Janz, Sprecherin der Betroffenen im BeFo, sagt: „Unsere Arbeit ist ein Spagat. Der uns viel Kraft kostet, der Ärger und Grollen mit sich bringt. Unser Fokus liegt klar auf den Interessen der Betroffenen. Für sie kämpfen wir um elementare Verbesserungen. Wir im Beteiligungsforum wollen viel, wir suchen nach Lösungen und der Spagat bleibt. Die Betroffenen sagen zurecht, es muss mehr sein und sie müssen weiterhin Forderungen stellen! Die Verantwortlichen in Kirche und Diakonie dürfen nicht immer und immer wieder in Frage stellen, was wir im Beteiligungsforum hart erarbeiten.“
Hinweis zum Anerkennungsmodell
Hinweis an die Medienvertreter*innen: In der Öffentlichkeit, in klassischen Medien und im Internet werden oft die Anerkennungsleistungen auf die Zahlung der Summe von 15.000 Euro reduziert. Das vermittelt den Betroffenen ein falsches Bild und führt so zu massiver Verunsicherung. Beim ausgearbeiteten Reformvorschlag zu den Anerkennungsverfahren handelt es sich vielmehr um ein Kombimodell, dass sich ganz wesentlich zusammensetzt aus
1.) individuellen Leistungen. Diese orientieren sich an den individuellen Folgen für die Betroffenen
2.) einer pauschalen Leistung von 15.000 Euro, die im Falle der Strafbarkeit gezahlt wird.
Daraus ergibt sich, dass in den allermeisten Fällen die Anerkennungsleistung für Betroffene deutlich höher ausfallen wird. Es ist von essenzieller Bedeutung für Betroffene, dass jeder Fall individuell betrachtet und bewertet wird! Das Kombimodell erreicht genau das.
Würzburg, 11. November 2024
Die Sprecher*innen des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt der EKD
über Pressestelle der EKD
Kontaktmöglichkeiten:
Beteiligungsforum@ekd.de / Betroffenenvertretung@befo.ekd.de
Nancy Janz: Nancy.janz@befo.ekd.de / 0160 944 202 31
Detlev Zander: detlev.zander@befo.ekd.de / 0151 514 765 27
Dorothee Wüst: oeffentlichkeitsreferat@evkirchepfalz.de / 06232 6671 45
Info-Link zur ForuM-Themenseite
https://www.ekd.de/umgang-mit-der-studie-82291.htm
Zur Information:
Die Ende Januar veröffentlichte unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitungsstudie ForuM besteht aus fünf Teilprojekten und einem Metaprojekt. Thematisch beschäftigten sich die Teilprojekte mit der historischen Perspektive auf den kirchlichen und öffentlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche, der bisherigen Praxis der Aufarbeitung, Erfahrungen und Sichtweisen von Menschen, die sexualisierte Gewalt in evangelischen Kontexten erlitten haben, der Perspektive Betroffener auf Strukturen der evangelischen Kirche und deren Nutzung durch Täter*innen und Kennzahlen zur Häufigkeit sowie Aktenführung. Auf Grundlage der in den Teilprojekten gewonnenen Erkenntnisse wurden Empfehlungen an die Kirche und Diakonie ausgesprochen.
Im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt werden alle Fragen, die sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie betreffen, von Betroffenenvertreter*innen und kirchlichen sowie diakonischen Beauftragten bearbeitet. Die Mitglieder des Beteiligungsforums bringen ihre Fragestellungen und Themen in das Forum ein. Ebenso werden Anfragen aus den Gremien der EKD und Diakonie in das Beteiligungsforum getragen. Das Beteiligungsforum erarbeitet dazu konkrete Beschlussvorschläge. Für einen Beschlussvorschlag ist sowohl eine Mehrheit in der Betroffenenvertretung als auch unter den kirchlichen und diakonischen Beauftragten notwendig. Die abgestimmten Beschlussvorschläge werden dann in den Rat der EKD, die Kirchenkonferenz oder die Synode eingebracht, wo sie endgültig beschlossen werden. So ist gewährleistet, dass jede kirchenpolitische Entscheidung zum Umgang mit sexualisierter Gewalt unter Partizipation Betroffener erfolgt.
Ansprechpersonen für Betroffene sexualisierter Gewalt:
Betroffene von sexualisierter Gewalt im Raum der evangelischen Kirche und der Diakonie können sich an die „Zentrale Anlaufstelle.help“ sowie an die landeskirchlichen Ansprechpersonen für Betroffene sexualisierter Gewalt wenden.
www.ekd.de/Ansprechpartner-fuer-Missbrauchsopfer-23994.htm
Das bundesweite Hilfe-Portal/Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch ist ein Angebot der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs:
https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/hilfe-telefon / 0800 22 55 530
Rund um die Uhr kann man sich ratsuchend und in Krisen an die TelefonSeelsorge wenden:
Per Telefon: 0800 / 111 0 111, 0800 / 111 0 222 oder 116 123
Per Mail und Chat: www.telefonseelsorge.de
Weitere Informationen zum Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD und seinen Projekten:
Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD
Gemeinsame Erklärung und Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommissionen – EKD
Vernetzungsplattform „BeNe“