Von Milchsuppe und einer geretteten Marienfigur
Auf den Spuren der Reformation in der Schweiz
Milch, etwas Salz, Muskatnuss, ein Lorbeerblatt, eine Gewürznelke, dazu Eigelb, Sahne, Brot und etwas Butter – eine gute Handvoll Zutaten, mehr braucht es nicht für die „Kapeller Milchsuppe“. Entscheidend ist zudem der Hinweis, gemeinsam aus der gleichen Schüssel zu essen. Nur die Brotwürfel bleiben auf der eigenen Seite.
Mit diesem Rezept ist man mittendrin auf der Spurensuche nach dem Schweizer Ulrich (Huldrych) Zwingli, der wie später Johannes (Jean) Calvin den reformatorischen Gedanken Martin Luthers im 16. Jahrhundert bei den Eidgenossen verbreitete.
Die reformatiorische Bewegung in der Schweiz – und eine Milchsuppe
Nach seiner Ausbildung erhielt Zwingli mit 22 Jahren die Priesterweihe. In Zürich wirkte er als Prediger am Grossmünster, als Sozialreformer und Politiker und schob so die Zürcher Reformation an, die ab 1523 in der deutschsprachigen Schweiz ihren Durchbruch fand – mit Ausnahme der Innerschweizer Kantone.
Zwingli starb im Zweiten Kappeler Krieg am Albis, der aufgrund der Erfolge der protestantischen Bewegung entbrannt war. „500 Jahre Reformation“ sind daher auch in der Schweiz ein bedeutendes Thema und werden unterschiedlich aufbereitet. Das Rezept der Milchsuppe ist ein kleines Detail der Ausstellung über Zwinglis Weg zum Theologen und seine Wirkung auf die reformatorische Bewegung.
Die Schau im Zwingli-Zentrum Toggenburg ist Teil der Erinnerung an den Reformator in seinem Geburtsort Wildhaus. Sie widmet sich dem Leben und Wirken Zwinglis, der Zürcher Reformation und der Familienforschung.
Bibelausgaben, Abendmahlsgerät und ein Gemüsegarten
Zwinglis Geburtshaus wurde vom Vater, einem Kaufmann, mit großem Lagerraum um 1450 in aufwendiger Holzbauweise errichtet. Es wird heute als Museum liebevoll gepflegt, wenn auch teils karg eingerichtet – es scheint der Persönlichkeit Zwinglis angemessen und wirkt eindrucksvoll.
„Die Handelsreisen des Vaters führten bis in die Lombardei. Es war eine kinderreiche Familie, teilweise lebten hier bis zu 13 Personen“, erläutert Renate Meyer bei einem Rundgang. Das Haus wurde 1848 dank der Zwinglianischen Gesellschaft Wildhaus-Alt St. Johann und des Zürcher Zwinglivereins gerettet. Neben der Architektur aus Fichtenholz und Decken-Schnitzereien sind auch Bibelausgaben zu betrachten, darunter die Faksimile-Edition der Zürcher Bibel von 1531.
Zudem verdeutlicht einfaches liturgisches Abendmahlsgerät – Becher und Schale aus Holz – die puristische, am Wort der Bibel allein orientierte Ausrichtung Zwinglis. Seit vergangenem Jahr ist auch ein historischer Garten mit Kräutern und Gemüse angelegt.
Die Churer Reformation
Ortswechsel: Die Stadt Chur ist ein wichtiger Handels- und Bahnknotenpunkt im Südosten der Schweiz, Bischofssitz damals wie heute und Hauptort des Kantons Graubünden. Die Altstadt mit ihren vielen Gassen, Geschäften und Restaurants lässt sich auch im Geist der Kirchengeschichte erkunden, historisch-klassisch oder szenisch in Kostümierung, mit einem Stadtführer wie Peter Laube, dem ehemaligen Tourismusdirektor.
Für die Churer Reformation ist vor allem Johannes Comander (1484-1557) wichtig: „Gemeinsame Studienjahre in Basel verbinden ihn mit Zwingli, 1523 wurde er an die Hauptkirche St. Martin in Chur berufen und schloss sich bald darauf der reformatorischen Bewegung an“, berichtet Laube.
„Hier beginnt ein Spaziergang durch die Stadt zur Orts- und Reformationsgeschichte.“
Dass in den drei Bünden – Grauer Bund, Zehngerichtebund und Gotteshausbund als Keimzelle des heutigen Kantons – ein spürbarer Wille zur Reform der kirchlichen Ordnung bestand und sich unter der Mitwirkung politisch-weltlicher Instanzen zu artikulieren begann, zeigt sich auch in der „Reformationsstadt“ Ilanz.
In Ilanz wartet Marianne Fischbacher, Kuratorin des dortigen Museum Regiunal Surselva, am Rathaus, oberhalb des Landsgemeindeplatzes: „Hier beginnt ein Spaziergang durch die Stadt zur Orts- und Reformationsgeschichte.“
Hier verteidigte Comander 1526 seinen reformatorischen Glauben in einer Disputation, die „Ilanzer Artikelbriefe“ (1524 und 1526) ebneten dann den Weg für die Reformation, zuerst durch die Isolation des Churer Bischofs von weltlicher Macht, dann durch den Erwerb des Rechts, die Pfarrer selbst zu wählen und zu entlassen.
Deckenmalereien, eine Marienfigur und das Zusammenleben der Konfessionen
Zwölf Stationen umfasst der Weg, der auch an der reformierten Kirche St. Margarethen mit ihren Deckenmalereien der Renaissance und dem Regionalmuseum vorbeiführt. Hier läuft noch bis Ostern 2018 die Sonderausstellung „Kreuz oder Hahn“ zu den Ereignissen der Reformationszeit und zum Zusammenleben der Konfessionen.
Erzählt wird anhand von Fotografien und Exponaten auch, wie eine Marienfigur der Sage nach um 1530 von den reformierten Duvinern ins Tal geworfen und von katholischen Bewohnern in Peiden aus dem Bach Glenner gefischt wurde. Auf den Spuren der Reformation in der Schweiz gibt es vieles zu entdecken.
Hans-Christian Roestel (epd)