Reformatorisches Wurstessen
Der Schweizer Reformator Ulrich Zwingli im Porträt
Ulrich Zwingli überlebte die Pest und wurde am Ende für seinen Glauben buchstäblich in Stücke gerissen. Der Zeitgenosse Luthers führte mit Hilfe der Bürger die Reformation in Zürich ein und legte die Grundlage für die Reformierte Kirche.
Die Reformation in Zürich beginnt mit einem Wurstessen. Für den 9. März 1522, den ersten Sonntag der österlichen Fastenzeit, hatte der Drucker Christoph Froschauer zum Wurstverzehr eingeladen – und damit zum Bruch der kirchlichen Fastenvorschriften.
So sind es einflussreiche Bürger, die erstmals Konsequenzen aus dem ziehen, was der Pfarrer und spätere Reformator Ulrich Zwingli am Großmünster in Zürich schon seit längerem predigt: die strikte Orientierung an Jesus Christus und an der Bibel und nicht an kirchlichen Vorschriften.
„Von der freien Wahl der Speisen“
Damit vertritt der Schweizer Zwingli zeitgleich mit dem Deutschen Martin Luther die Ansichten, die zu den großen kirchlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen führen. Und er legt mit dem 25 Jahre später geborenen Genfer Reformatoren Johannes Calvin die Grundlage für die Reformierte Kirche: neben den Lutheranern der große Zweig im Protestantismus mit heute weltweit 80 Millionen Christen.
Seine Ansichten zum Fasten fasst Zwingli wenig später in einer Predigt zusammen, deren Text sein Drucker und Verleger Froschauer am Gründonnerstag 1522 ausliefert: „Von der freien Wahl der Speisen“. Keine menschliche Instanz habe das Recht, dem freien Christenmenschen religiöse Vorschriften zu machen.
Unterstützung für Zwingli
Die Provokation Wurstessen verfehlt ihre Wirkung nicht, es gibt Auseinandersetzungen bis hin zu Prügeleien. Eine Delegation des Bischofs von Konstanz verlangt vom Zürcher Rat die Bestrafung der Fastenbrecher. Doch die im Rat versammelten Vertreter der Zünfte wollen Zwingli dazu hören, für Januar 1523 laden sie zur Ersten, für Oktober zur Zweiten Zürcher Disputation.
Die Ratsherren schließen sich Zwinglis Forderungen an: Alle sollen auf Grundlage der Bibel predigen, Pflichtzölibat und Verehrung von Heiligen werden abgeschafft, kultische Bilder aus den Kirchen entfernt, eine neue Abendmahlsordnung eingeführt, Klöster in Armenhäuser umgewandelt. Zudem gibt es werktägliche öffentliche Bibelauslegungen. Aus dieser „Prophezey“ geht bis 1531 die Übersetzung hervor, die bis heute als „Zürcher Bibel“ existiert.
Keine Einigung mit Martin Luther
So wird innerhalb von zwei Jahren die Reformation in Zürich eingeführt – nicht, wie in Deutschland, von einzelnen Fürsten, sondern von den Bürgern, die erstmals über kirchliche und religiöse Fragen entscheiden.
Der aufbrausende Luther steht dem bedächtigen Zwingli skeptisch gegenüber. Sie treffen sich Anfang Oktober 1529 zum Marburger Religionsgespräch, können sich aber über den entscheidenden Punkt, ob Christus im Abendmahl gegenwärtig ist, nicht einigen. Das tun Reformierte und Lutheraner erst rund 450 Jahre später in der „Leuenberger Konkordie“. In Marburg bleibt Luther eher katholisch: Brot und Wein werden in Leib und Blut Christi verwandelt. Für Zwingli ist das Abendmahl reine Zeichen- und Erinnerungshandlung.
Nachdem er die Pest überlebt hat, glaubt Zwingli noch intensiver, er lebe allein aus Gottes Gnade. Er sei ein „Gefäß Gottes“, das dieser „zur Ehre oder Unehre“ brauchen könne.
Theologe, Priester und Seelsorger
Er ist aber auch ein politischer Kopf. Der am 1. Januar 1484 in Wildhaus (Ostschweiz) geborene Ulrich Zwingli erfährt die eidgenössische Selbstverwaltung schon als Kind eines reichen Bauern mit politischem Einfluss. Nach dem Studium der „artes liberales“ in Wien und Basel und einem Semester Theologie tritt er 1506 eine Stelle als Priester in Glarus an.
Dort ist er Seelsorger, intensiviert seine theologischen Studien und trifft den Humanisten Erasmus von Rotterdam. Zweimal begleitet er als Feldprediger Schweizer Söldner nach Italien und erlebt im September 1515 die grausame Schlacht von Marignano. Seine anschließende heftige Kritik am Söldnertum basiert weniger auf Pazifismus als auf der Überzeugung, das Söldnerwesen gefährde die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft.
Zwingli fällt im Kampf
Zwingli ist nicht grundsätzlich gegen Gewalt. Das zeigt sich im Machtkampf mit innerreformatorischen Gegnern, den Täufern. Die Täufer lehnen die Kindertaufe als unbiblisch ab, wollen keine Eide auf Gott schwören und keinen Kriegsdienst leisten. Nach vergeblichen Überzeugungsversuchen billigt Zwingli schließlich ab 1527 die Todesstrafe für seine einstigen Weggefährten.
Und für ihn gibt es den „gerechten Krieg“, in dem er bereit ist, zu sterben. In den zwei „Kappeler Kriegen“ bekämpfen sich reformierte und „altgläubige“ Kantone. Zwingli wird am 11. Oktober 1531 in der Bürgerkriegsschlacht beim Kloster Kappel zusammen mit 500 weiteren Reformierten getötet. Sein Leichnam wird gevierteilt und verbrannt.
Wiebke Rannenberg (epd)