„Es ist ein einziger Alptraum“
Angehörige fordern zum „Tag der Pflege“ dringend Entlastungsangebote
Würzburg/Erlangen (epd). Die Schließung der Tagespflege-Einrichtung droht Birgit Dölfel an den Rand ihrer Kräfte zu bringen. Ihr Mann sei in der Tagespflege in guter Obhut gewesen, erzählt sie. „Er ging auch gern dorthin.“ Dann schloss die Einrichtung pandemiebedingt. Seither ist der an Demenz erkrankte Gatte der 63-jährigen Würzburgerin zu Hause. Dölfel hat noch einen 35-Stunden-Job als Bibliotheksangestellte. Und keine Ahnung, wie es nun weitergehen soll, da ihr Mann rund um die Uhr Betreuung benötigt. „Die momentane Situation ist für mich ein einziger Alptraum“, sagt die pflegende Angehörige.
„Seit der Demenzdiagnose im Sommer 2018 fühle ich mich, als würden zwei Köpfe auf meinem Hals sitzen: einer, der mein eigenes Leben betrifft, und der andere, der das Leben meines Mannes betrifft“, sagt sie. Auch als ihr Mann in die Tagespflege ging, sei sie immerzu angespannt gewesen.
Wie es pflegenden Angehörigen gerade geht, darauf möchte sie anlässlich des „Tages der Pflege“ am 12. Mai aufmerksam machen. Niemand hat momentan eine Antwort parat, wie berufstätige Angehörige, die ein Familienmitglied pflegen, beide Anforderungen während der Corona-Krise managen können, sagt Dölfel. Zwar ist es gesetzlich möglich, sich bis zu zehn Tage von der Arbeit freistellen zu lassen, um die Pflege neu zu organisieren. Diese Zeit hat die Angestellte im öffentlichen Dienst längst aufgebraucht. Nachdem sie eidesstattlich versichert hat, dass es derzeit niemanden gibt, der sich um die Pflege ihres Mannes kümmert, wurde sie vom Arbeitgeber vorübergehend freigestellt.
Viel Leid und Verzweiflung
Woche für Woche hofft Dölfel, dass es endlich eine Tagespflege-Notbetreuung gibt. Seit März versucht Birgit Dölfel, die Tage irgendwie zu überstehen. Eine Haushaltshilfe aus Osteuropa kommt für sie nicht infrage: „Dazu ist unsere Mietwohnung zu klein.“ Auch würde es nicht viel nützen, die Sozialstation einzuschalten. Denn es geht bei der Pflege ihres Mannes nicht nur um ein paar Handgriffe: „Er kann nichts mehr alleine tun.“ Im schlimmsten Fall müsste Birgit Dölfel ihren Job quittieren und, mit Abschlägen, zwei Jahre früher als geplant in Rente gehen.
Anderen Angehörigen, die in der Corona-Krise kurzfristig die Pflege übernehmen mussten, wurde gar mit Kündigung gedroht, berichtet Michael Schröter vom Gautinger Unternehmen „Bayernpflege“, das polnische Betreuungs- und Pflegekräfte vermittelt. Die Nachfrage nach diesen Kräften sei momentan immens, sagt er. Sein Unternehmen könne sie bei weitem nicht decken. Schon gar nicht prompt. Schröter weiß, wie sehr häusliche Pflege stresst: „Wir erleben in den Familien gerade viel Leid und Verzweiflung.“
„Dann starb er, kurz bevor sie wieder gesund wurde“
Verschärft wird die Situation, wenn Angehörige und Pflegebedürftige kein gutes Verhältnis haben. Dass sie von jetzt auf gleich nahezu alleine für die Pflege verantwortlich sind, kann für Angehörige dann höchst problematisch werden, sagt die Erlanger Pfarrerin Isolde Meinhard. Eine Beziehung zwischen Elternteil und Kind, die noch nie sehr gut war, könnte sich weiter verschlechtern, wenn man nun stark aufeinander angewiesen ist.
Für Menschen im Seniorenheim ist es stets ein Lichtblick, wenn Besuch kommt. Auch das fällt krisenbedingt bis zum 9. Mai weg. Welche Dramen dadurch entstanden, erfuhren die Beraterinnen des Würzburger Vereins „Halma – Hilfen für alte Menschen im Alltag“. So erzählte eine Klientin am Telefon von ihrem Ehemann, der im Heim lebte und dort mit dem Coronavirus infiziert wurde. „Die Ehefrau hatte sich selbst angesteckt und lag schwer krank zu Hause“, berichtet „Halma“-Leiterin Sabine Seipp. Wochenlang konnte sie ihren Mann nicht sehen: „Dann starb er, kurz bevor sie wieder gesund wurde.“
Pat Christ (epd)