Andacht zur Friedensdekade in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, 11. November 2021, 18 Uhr
Prälat Dr. Martin Dutzmann, Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union.
Es gilt das gesprochene Wort
Johannes 14, 27
Gnade sei mit euch und Friede…
Liebe Schwestern und Brüder,
im Jahr 2007 veröffentlichte der Rat der EKD eine Friedensdenkschrift: „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ ist ihr Titel. Seitdem wird innerhalb und außerhalb der evangelischen Kirche auf der Grundlage dieses Textes über Wege zu einem gerechten Frieden diskutiert: Was ist gerechter Friede? Wie kann man für ihn sorgen? Wer ist dafür verantwortlich? Was muss die nationale, was die internationale Politik leisten? Aber auch: Was kann jede und jeder von uns für einen gerechten Frieden tun? Und es geht auch um die immer wiederkehrende Frage: Sind gerechter Friede und Gewalt vereinbar? Man denke nur zum Beispiel an den Völkermord im bosnischen Srebenica im Jahr 1995. Da hätte der Einsatz militärischer Gewalt vielleicht viele Menschenleben gerettet und zum Frieden beigetragen…
Heute Abend soll es nun weniger um den zweiten als um den ersten Teil des Titels der Denkschrift gehen: „Aus Gottes Frieden leben.“ Das legt der für diesen Gottesdienst vorgeschlagene Predigttext nahe. Er steht in den so genannten Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium.
Jesus sieht sein Leiden und Sterben in Jerusalem vor sich und nimmt Abschied von denen, die ihm nachgefolgt sind. Die sind traurig. Und unruhig. Sie haben Angst. Angst, allein zu bleiben. Angst, die Orientierung zu verlieren, wenn Jesus ihnen nicht mehr den Weg weist. Angst, angegriffen und womöglich getötet zu werden, wenn Jesus sich nicht mehr schützend vor sie stellt.
Jesus nimmt sich Zeit für eine lange Trostrede. Darin heißt es, nachzulesen in Johannes 14, 27: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ Wir hören diese Trostworte Jesu an seine Nachfolgerinnen und Nachfolger auch als Ermutigung für uns.
„Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“ sagt Jesus. Er wünscht uns nicht nur Frieden. Er gibt ihn uns. Auch wenn er nicht leibhaftig unter uns ist, sind wir nicht verlassen. Sein Vater, so sagt er weiter, sendet uns in seinem Namen den Tröster, den Heiligen Geist. So sind wir nicht allein und nicht schutzlos. „Frieden gebe ich euch.“
„Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.“, fährt Jesus fort. Der Friede, den die Welt gibt, ist stets gefährdet und brüchig. Er ist es nicht zuletzt deshalb, weil wir Menschen nach Sicherheit streben und deshalb immer neue Mittel ersinnen, um uns zu schützen. Bewaffnete Drohnen zum Beispiel oder eine Kriegführung mit digitalen Mitteln. „Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.“ Jesus stattet uns nicht mit besonderen Waffen oder mit besonderer Macht aus. Aber wir können uns darauf verlassen: Der Friede, den er gibt, ist unverbrüchlich. Kein Mensch kann seinen Frieden zunichtemachen, niemand ihn durch noch so moderne Waffen in Frage stellen. Deshalb tröstet Jesus seine Nachfolgerinnen und Nachfolger und auch uns.:
„Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ Jesus sagt uns also: Verlasst euch darauf, dass ich an eurer Seite bin. Dass nichts und niemand euch von meiner Liebe trennen kann. Dass ihr in meinen Augen unendlich kostbare Geschöpfe Gottes seid. Dass ihr deshalb nicht um Anerkennung ringen und um Macht kämpfen müsst. Dass ihr unerschrocken und furchtlos sein könnt. So könnt ihr selbst Friedensstifter sein.“
Unerschrockene und furchtlose Friedensstifter – damit sind wir nun doch bei dem zweiten Teil des Titels der Denkschrift: „Für gerechten Frieden sorgen“. Gerechtigkeit ist grundlegend für den Frieden. Heute am Martinstag schauen wir auf den Offizier und späteren Bischof Martin von Tours, ein Beispiel für gerechtes Handeln. Martin wirft dem frierenden Bettler nicht gönnerhaft vom Pferd herab eine Münze zu, was dem Mann vielleicht etwas geholfen, in jedem Fall aber das Gewissen des Reiters erleichtert hätte. Nein, Martin teilt mit dem Menschen am Weg seinen Mantel.
Teilen, gerecht teilen, das wäre ein großer Schritt auf dem Weg des Friedens. Gerecht teilen – die Ressourcen der einen Welt und zurzeit auch ganz besonders die Impfstoffe gegen Covid-19. Das würde vielen Menschen viel Verzweiflung ersparen und sie den Trost Jesu spüren lassen: „Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ Gerecht teilen - ein maßgeblicher Beitrag zu einem gerechten Frieden. Denn wo es gerecht zugeht, finden Neid und Missgunst keine Nahrung. Vor allem lindert Gerechtigkeit die Not, die verständlicherweise nicht wenige Menschen unfriedlich macht.
Bis zu ihrem Tod vor zwölf Jahren hat meine Mutter mich jedes Jahr am Abend des Martinstages angerufen. Immer hat sie diesen Satz gesagt: „Junge, denk daran, warum dein Vater und ich dir den Vornamen Martin gegeben haben. Vergiss nie, mit anderen zu teilen.“ Sie hätte auch sagen können: Leiste auch du deinen Beitrag zu einem gerechten Frieden. Ihre Mahnung habe ich auch heute wieder im Ohr. Und sie gilt wohl nicht nur mir und allen anderen, die Martin heißen, sondern auch denjenigen, deren Eltern andere Namen gewählt haben. Kurzum: Sie gilt uns allen. Und der Friede Gottes…