Predigt von Prälat Dr. Martin Dutzmann beim CDU Parteitag
Psalm 25, 4-5
„Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige!" So haben wir gerade gebetet, als wir in den Psalm dieser Woche einstimmten. Lassen wir uns noch einmal auf die Worte ein und bewegen sie in unserem Herzen…
„Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige!", denn ich trage Verantwortung. Verantwortung als Kommunal-, Landes-, Bundes- oder Europapolitiker, als Mitglied meiner Partei, als Christenmensch. Ich trage Verantwortung, suche mit anderen nach Wegen, auf denen unser Gemeinwesen vorankommt. Aber ist, was ich als richtigen Weg zu erkennen meine, auch dein Weg, Herr?
„Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige!" Manchmal glaube ich genau zu wissen, was dein Weg ist. Unmissverständlich hast du deinem Volk Israel und uns geboten: „Du sollst Vater und Mutter zu ehren!" Vater und Mutter - das sind im vierten Gebot die alt gewordenen Eltern. Die, die Kinder groß gezogen haben und dafür eigene Bedürfnisse zurückstellten. Die, die oft mehrfach in Anspruch genommen waren durch Familie und Beruf. Die, die jetzt selbst Unterstützung brauchen. Die sollen wir ehren. Nicht nur in Sonntagsreden sondern auch mit unserer Politik. Die Alten sollen ein Auskommen haben, das ihrer Lebensleistung entspricht. Wenn sie gepflegt werden müssen, dann soll es ihnen gut gehen, und sie sollen in Würde sterben können. Doch dann trifft dein Gebot auf die Wirklichkeit. Auf eine Zukunft, in der wenige junge Menschen für viele alte Menschen aufkommen müssen. Was können und müssen die Jungen leisten? Womit sind sie überfordert? Woher sollen all die Pflegerinnen und Pfleger kommen, die die Alten aufmerksam und liebevoll begleiten? Wer soll sie bezahlen? Und ich sehe, dass ich als Politikerin abwägen muss. Dass dein Weg, Gott, jedenfalls keine breite Chaussee ist, sondern eher ein schmaler Grat mit Abgründen zur Linken und zur Rechten. Deshalb rufe ich zu dir: „Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige!"
„Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige!" Manchmal glaube ich genau zu wissen, was dein Weg ist, Herr. Die Bibel erinnert mich mit vielen Geschichten und Geboten daran, dass den Fremden und vor allem jenen, die vor Krieg und Gewalt fliehen mussten, deine besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge gilt. Juden und Christen ist es deshalb geboten, Geflüchteten Schutz zu gewähren. Viele Menschen in unserem Land haben das getan, als unvermittelt und in hoher Zahl Kriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten und aus Afrika bei uns um Aufnahme baten. Wir Politiker haben für geordnete Abläufe gesorgt und Rahmenbedingungen für die Integration der Schutzsuchenden geschaffen. Wir haben allerdings auch erfahren müssen, dass die Geflüchteten keineswegs überall und jederzeit willkommen waren und sind. Flüchtlingsheime wurden in Brand gesetzt und fremdenfeindliche Parolen, die noch vor kurzem undenkbar waren, haben es bis in die Parlamente geschafft. Als Christ und Politiker muss ich das alles im Blick behalten und weiß nicht immer mit letzter Klarheit, was dein Weg ist, Gott. Deshalb bitte ich dich: „Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige!"
Und dann bete ich mit dem Psalm weiter: „Leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich!" So lasse ich daran erinnern, dass nicht ich die Wahrheit habe und schon gar nicht über die Wahrheit verfüge. Auch wenn ich von meiner politischen Position – in der Flüchtlingspolitik, in der Sozialpolitik, in der Klimapolitik… - überzeugt bin, so will ich mich doch offen halten für neue Erkenntnisse und unerwartete Einsichten. Ich will mit anderen im Gespräch bleiben, ihre Argumente hören und prüfen. Vor allem aber bitte ich dich, mein Gott: „Leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich!"
Auf meiner Suche nach deinem Weg und deiner Wahrheit bin ich nicht allein. Andere sind mit unterwegs: Kolleginnen und Kollegen, Parteifreundinnen und –freunde, Menschen, mit denen ich im Glauben verbunden bin. Vor allem aber bist du, mein Gott, an meiner Seite: „Denn du bist der Gott, der mir hilft; täglich harre ich auf dich." Täglich. Auch heute. Auch an diesem besonderen Tag, an dem wir uns darüber verständigen, was für die Menschen, die in unserm Land leben, das Beste sein soll.
Liebe Schwestern und Brüder! Der Psalm dieser Woche lässt uns beides empfinden: Wir können uns jeden Tag neu mit unseren offenen Fragen an Gott wenden. Und: Gott hilft uns, tragfähige Antworten zu finden. In dieser Gewissheit lasst uns zuversichtlich ans Werk gehen. Amen.
Prälat Dr. Martin Dutzmann, Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union