Bericht des Beauftragtenrates zum Schutz gegen sexualisierte Gewalt

Sprecherin des Beauftragtenrates, Bischöfin Kirsten Fehrs und Mitglied des Beauftragtenrates, Dr. Nikolaus Blum

©Foto:

Ihre Cookie-Einstellungen verbieten das Laden dieses Videos

Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrte Präses, hohe Synode!

Ich danke Ihnen für die freundliche Einführung und gebe diesen Dank gern weiter an all diejenigen, die sich während der vergangenen zwölf Monate mit hoher persönlicher Motivation und bisweilen bis an die Grenzen des Möglichen engagiert haben. Und zwar – und damit bin ich schon beim ersten Thema und im Thema – einerseits mit Schnelligkeit angesichts des von Betroffenenseite vielfach angemahnten „Es hat eh alles schon so lang gedauert“, andererseits aber mit der gebotenen Präzision und Sorgfalt, die jeder der elf Punkte braucht. Und dies wiederum ist nicht möglich ohne die Partizipation von betroffenen Menschen und anderen Expertinnen und Experten. Und Partizipation – die braucht Zeit.

Angesichts dieser Aporie stehe ich dankbar davor, wie viele sich mit Herz und Verstand in Lernprozesse begeben haben und wie besonders und großartig die Leistung von den betroffenen Menschen über die vergangenen Monate hin war, die uns dabei geholfen und uns begleitet haben: Ohne sie wären wir vielleicht in manchen Punkten sehr schnell gewesen, aber nicht sorgfältig genug. Und dass es weiterhin Aspekte gibt, die wir aus Betroffenenperspektive nicht genügend beachtet oder verstanden haben, daran werden wir weiter arbeiten müssen. Es ist bei allem guten Wünschen und Wollen eben immer auch ein work in progress. Insofern ist dieser Bericht, den Dr. Blum und ich für den Beauftragtenrat zum Schutz vor sexualisierter Gewalt nun halten werden, eben gerade kein „Abarbeiten“ von elf Punkten. Sondern der Versuch einer selbstkritischen Reflexion, die uns alle, liebe Synodale, in unseren Arbeitsfeldern für weiterführende Fragen sensibilisieren und zu neuen Einordnungen bringen möge. Hier hat uns besonders Kerstin Claus wichtige Impulse gegeben mit ihrer Idee, in Workshops nachher Teilaspekte des Themas „sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche“ zu vertiefen. Genau richtig, fanden wir. Denn es ist etwas ganz anderes, Berichte und Begriffe wie Prävention, Intervention und traumasensibel zu hören, anstatt direkt im Gespräch mit Referentinnen und Referenten und betroffenen Menschen dies auch emotional zu erfassen – mit dem klaren Ziel: Wer verstanden hat, wie sich Tätersysteme etablieren und Taburäume entstehen, wer gehört hat, was Traumata seelisch wie körperlich anrichten können, wird im Umgang mit betroffenen Menschen aufmerksamer und jede Prävention auf neue Weise ernstnehmen.

Punkt 1: Betroffenenpartizipation

So kann ich nahtlos anschließen an Punkt 1 des Elf-Punkte-Planes. Betroffenenpartizipation. Nicht umsonst an erster Stelle – auch meines und unseres persönlichen Lernprogramms. Denn Beteiligung Betroffener – das sagt sich so einfach. Aber wie gelingt es, dass sich Betroffene wirklich als beteiligt erleben und als wirksam? Auf Augenhöhe? Wenn das Kreuz an der Wand oder das Gesangbuch auf dem Besprechungstisch echten Stress auslöst. Heißt: Die betroffenen Menschen ebenso wie Kirchenverantwortliche befinden sich auf mehreren Gratwanderungen gleichzeitig. Einerseits gemeinsam auf der Suche nach Klärung oder gar Einigung – alle wollen ja etwas voranbringen – andererseits möchte man nicht instrumentalisiert werden. Oder, zweite Gratwanderung: Einerseits verstehen wir als Beauftragtenrat zutiefst, wie dringlich Veränderungen in Gesetzestexten, Verhaltenskodices und Richtlinien sind. Zugleich sind aus Betroffenensicht die Strukturen der EKD und der Diakonie schwer zu durchschauen und deshalb nicht sehr vertrauensbildend.

Dann: Wer mandatiert welche Betroffene bundesweit und aus welchen Gruppierungen heraus? Faktum ist: niemand und keiner. Die einzige Ausnahme ist Frau Claus, die ausgewiesenermaßen als Betroffene im evangelischen Kontext im Betroffenenrat des UBSKM sitzt. Und wir sind Ihnen dankbar, Frau Claus, dass Sie in dieser Funktion heute auch reden und die Workshops mitgestalten.

Wir hatten also in Punkto Betroffenenbeteiligung für die evangelische Kirche kaum Anhaltspunkte. So mussten wir erst einmal eine zugegeben etwas improvisierte Form wählen: eine Art Denkwerkstatt, ein Think-Tank mit Betroffenen und einigen Präventionsbeauftragten der Landeskirchen. Dort war erst einmal zu erarbeiten, wie Betroffenenbeteiligung aussehen und auf die Spur gesetzt werden muss.

Ergebnis nach fünf Treffen à vier Stunden:

  1. Die EKD richtet einen Betroffenenbeirat ein. Das Konzept dazu wurde auf der Grundlage der Erfahrungen, die der Betroffenenrat des UBSKM gemacht hat, gemeinsam erarbeitet und ist vom Rat im September beschlossen worden. Der Beirat soll als kritisches Gegenüber zur EKD die Betroffenenperspektive in die verschiedenen Arbeitsprozesse einbringen und eigene Positionen formulieren.

    Das Interessenbekundungsverfahren zu diesem neuen Betroffenenbeirat wird hier, jetzt und heute gestartet. Ab sofort ist es Betroffenen aus dem Bereich der evangelischen Kirche und der Diakonie möglich, sich für diesen Beirat zu bewerben. Es werden zwölf Personen für die Dauer einer Amtszeit von vier Jahren gesucht. Ab sofort läuft die Bewerbungsfrist; sie beträgt – da bestand im Think-Tank Konsens – zehn Wochen bis zum 24. Januar 2020, damit der Betroffenenbeirat sich möglichst im Frühjahr 2020 konstituieren kann. Ein Auswahlgremium, bestehend aus Mitgliedern des Betroffenenrates des UBSKM, Mitarbeitenden von externen Fachberatungsstellen und dem Beauftragtenrat, legt dem Rat der EKD eine Vorschlagsliste vor.
     
  2. Der Betroffenenbeirat ist auch deshalb wichtig, ich komme zum zweiten Ergebnis, um eine Plattform zu konzipieren, die die Vernetzung und den Austausch von Betroffenen im evangelischen Kontext ermöglicht. Immer wieder wurde zu Recht angemahnt, dass die Vereinzelung betroffener Menschen im evangelischen Bereich ein besonderes Problem ist. Wir hoffen hier auf ein stabilisierendes Netzwerk.
     
  3. Überdies sind insgesamt sieben Betroffene bei folgenden weiteren Maßnahmen beteiligt gewesen:
  • bei der Entwicklung und Durchführung des wissenschaftlichen Fachtages zum Thema Aufarbeitung am 11. Juni 2019,
  • bei der Ausschreibung für die Aufarbeitungsstudien, insbesondere was Art und Umfang von Betroffenenpartizipation angeht,
  • bei der sogenannten Gewaltschutzrichtlinie,
  • bei der Kommunikation zur zentralen Ansprechstelle help! und
  • schließlich heute auf der Synode.

Wir danken Ihnen allen sehr, wissend wie anstrengend das für Sie auch ist. Danke, dass Sie in den Gesprächen Ihre Kritik und Ihre Forderungen so reflektiert eingebracht und stets mit konstruktiven Ideen verbunden haben. Und das achtsam im Blick auf die unterschiedlichen Rollen. Hartnäckig waren Sie auch, klar, aber stets fair. Das ist ja überhaupt nicht selbstverständlich. Sie haben auf beeindruckende Weise dazu beigetragen, dass wir fast alle elf Punkte angehen und auf den Weg bringen konnten. Und so danke ich Ihnen ausdrücklich im Namen von Synode und Rat der EKD.

Punkt 2: Individuelle Aufarbeitung – Unabhängige Kommissionen

Lassen Sie mich ganz nüchtern mit Zahlen beginnen: Im vergangenen November waren uns vor der Synode 479 Fälle bekannt; mit heutigem Stand sind es 770. Der Anteil der Fälle aus der Diakonie liegt bei knapp unter 60 % (vor allem Heimkinder), der der verfassten Kirche bei etwas über 40 %. Dabei handelt es sich nicht nur um sexualisierte Gewalt an Minderjährigen. Erfasst sind auch alle Fälle sexualisierter Gewalt zwischen Erwachsenen, zwischen Teilnehmenden von Freizeiten o. ä., sowie alle Berufsgruppen.

Seit Jahren schon verurteilen die Kirchenleitungen sexualisierte Gewalt, gestehen Schuld ein. Sie arbeiten mit den staatlichen Ermittlungsbehörden zusammen, es gibt Strafverfahren und Disziplinarverfahren gegen die Täter. Ebenso können selbstverständlich Klagen auf Schadenersatz und Schmerzensgeld vor den staatlichen Gerichten erhoben werden – die Kirchen unterliegen uneingeschränkt der Rechtsprechung und haben entsprechende Entscheidungen zu akzeptieren.

In den direkten Gesprächen mit betroffenen Menschen jedoch wird immer wieder deutlich, wie wichtig die individuelle Aufarbeitung ist. Hier geht es um den Einzelfall und das Sich-Einlassen auf ihre persönlichen Erlebnisse und die individuellen Folgewirkungen. Es war Teil meines persönlichen Lernprogramms als Jurist, dass die üblichen rechtsstaatlichen Verfahren, die für alle staatlichen und privaten Organisationen gelten, auch wenn sie mit den besten Vorsätzen durchgeführt wurden, dieses Ziel nicht erreichen.

Darauf haben die Betroffenen immer wieder kritisch hingewiesen – und das völlig zu Recht. Die Kirchen müssen aus ihrem besonderen Auftrag und ihrer Schutzfunktion gegenüber den ihnen anvertrauten Menschen mehr leisten als diese Verfahren durchzuführen bzw. sie zu unterstützen. Denn allzu oft reißen die juristisch geprägten Verfahren alte Wunden auf, führen zu Retraumatisierung und dem Gefühl des Ausgeliefertseins.

[Hinter dieser Feststellung steckt keine Kritik an den rechtsstaatlichen Verfahren. Von ihrer Verfahrenslogik sind sie nicht vereinbar mit den Erwartungen und Bedürfnissen der Betroffenen. Der Grund ist einfach: Bei Straf- und Disziplinarverfahren geht es vor allem um die Täter. Was sie getan haben muss juristisch bewiesen werden. Es geht also um nachweisbare Sachverhalte, um eingetretene Schäden und Kausalitäten. Das ist in rechtsstaatlichen Verfahren zwingende Voraussetzung, um Strafen oder Disziplinarmaßnahmen zu verhängen.]

In diesen Verfahren erleben sich die Betroffenen oft nicht als gewürdigtes Gegenüber, sondern als Untersuchungsgegenstand. Für Betroffene wie Angehörige ist das kaum auszuhalten.

Im Verlauf unseres Lernprozesses ist uns sehr eindrücklich klargeworden, dass wir zusammen mit den Betroffenen eine individuelle Aufarbeitung leisten müssen. Auf der Basis von klaren, gemeinsam getroffenen Verabredungen muss der Boden dafür bereitet werden, dass sich Betroffene mit ihren jeweiligen Bedürfnissen oder Forderungen wahrgenommen fühlen und sie die Begegnungen auf Augenhöhe erleben.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn natürlich ist zunächst viel Misstrauen vorhanden und die Sorge, dass sich die Kirche ihrer erneut bemächtigt. Uns als Beauftragtenrat sind dabei besonders die Berichte aus den Unabhängigen Kommissionen und von den Mitarbeitenden in den bestehenden Ansprechstellen der Landeskirchen lehrreich gewesen. Wir haben gelernt, dass es den meisten Betroffenen zunächst darum geht, dass die Kirche ihre Schuld eingesteht und Verantwortung übernimmt. Natürlich geht es dann auch um materielle Anerkennungs- oder Unterstützungsleistungen. Dieser materielle Aspekt der Aufarbeitung ist wichtig. Er ist nicht selten verbunden mit dem Bedürfnis nach Vertrauenspersonen, die den Prozess der Aufarbeitung begleiten. Denn es geht um die persönliche Zukunft und die Gestaltung des Lebens nach peinigenden und leidvollen Erfahrungen. Das ist die entscheidende Zielrichtung der individuellen Aufarbeitung. Ob Aufarbeitung in diesem Sinne immer und in jedem Fall gelingt, bleibt offen. Im Beauftragtenrat sind wir aber der Überzeugung, dass gerade Kirche und Diakonie diesen Weg der Begegnung auf Augenhöhe weitergehen müssen. Dabei ist ohne Zweifel auch noch vieles zu lernen und zu verbessern.

Wie nun soll die individuelle Aufarbeitung konkret geleistet werden? Die EKD befürwortet das vom „Runden Tisch Sexueller Kindesmissbrauch“ empfohlene fachlich-professionelle und individuelle Anerkennungs- und Unterstützungssystem, das den Betroffenen dauerhaft zur Verfügung steht. Neben den bereits flächendeckend eingerichteten Ansprech- und Meldestellen, an die sich Betroffene unter Wahrung der Vertraulichkeit wenden können, sind die Unabhängigen Kommissionen die Basis dieses Systems. In zehn Landeskirchen gibt es sie bereits seit längerem, zum Teil schon seit 2012, in acht weiteren Landeskirchen wurden Unabhängige Kommissionen im vergangenen Jahr eingeführt. Die Kommissionen sind u. a. mit externen, sachkundigen Personen besetzt, die von Weisungen unabhängig sind. Sie sprechen den Betroffenen nach Würdigung und Befassung mit dem individuellen Fall Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen zu bzw. entwickeln diese im gemeinsamen Gespräch. Es sind sehr häufig Leistungen, auf die wegen Verjährung der Fälle kein Rechtsanspruch besteht. Die Leistungen können aufgrund von Plausibilität, also ohne Beweisführung nach juristischen Maßstäben, gewährt werden. Es gibt aus den vergangenen Jahren viele Beispiele, die zeigen, dass dieses System gut funktionieren kann.

Der noch bestehende Schwachpunkt dieses Systems: Bisher ist die Praxis der Unabhängigen Kommissionen noch sehr unterschiedlich – sowohl hinsichtlich der Besetzung der Kommissionen, als auch der Herangehensweise und der Höhe der zugesprochenen Leistungen. Der grundsätzliche Rahmen wird von der jeweiligen Landeskirche bestimmt. Von Seiten der EKD und vom Beauftragtenrat setzen wir uns für eine Vereinheitlichung der Arbeitsweise der Unabhängigen Kommissionen ein und streben allgemein gültige Kriterien für die Bewilligung von Leistungen an.

[Ein erster Schritt in diese Richtung war das Treffen der Vorsitzenden der Unabhängigen Kommissionen, das im Oktober 2019 stattgefunden hat. Dort wurde festgestellt, dass die Verfahrensgrundsätze für die Gewährung von Leistungen bereits sehr ähnlich gehandhabt werden. Das sollte eine gute Basis sein, um auch zu gemeinsamen Maßstäben bei der Gewährung von Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen zu kommen.]

Die Katholische Kirche diskutiert derzeit „Entschädigungszahlungen“ in gehobenen sechsstelligen Größenordnungen. Wir halten dies aus folgenden Gründen für eine Verkürzung der Problematik.

  • Entschädigung ist genau nicht, was wir als Institution leisten können. – Welche Institution könnte allen Ernstes entschädigen, was ein Täter jemandem an Leid angetan hat?
  • Die Forderung nach Zahlungen in diesen Größenordnungen führt zwangsläufig zu Auseinandersetzungen über die Beweisbarkeit von Sachverhalten – und das bei verjährten Fällen – also genau zu den Verfahren, die die Betroffenen über lange Zeit stark belasten und retraumatisieren würden.

Deshalb verfolgen wir einen anderen Ansatz: Wir wollen der Forderung nach individueller Aufarbeitung nachkommen und sie mit einem professionellen Anerkennungs- und Unterstützungssystem für und mit den Betroffenen verbinden, das auch nach Verjährung und ohne strenge Nachweispflichten seine Wirksamkeit entfaltet. Das Modell setzt darauf, sich gemeinsam mit den betroffenen Menschen (oder ihren Anwältinnen und Anwälten und Lotsen) darüber zu verständigen, was ihr Leid lindert und ihnen für die Zukunft neue Möglichkeiten eröffnet. Es geht doch auch darum, sich als Institution auseinanderzusetzen, ins Gespräch zu gehen. Dass dieses so behutsam, unbürokratisch und schonend wie möglich geschehen muss, ist selbstverständlich. Und in diesem Sinne setzt sich der Beauftragtenrat für die Weiterentwicklung des kirchlichen Anerkennungs- und Unterstützungssystems ein.

Punkt 3: Institutionelle Aufarbeitung

Die institutionelle Aufarbeitung nun war entscheidendes Schwerpunktthema der vergangenen Synode mit Ihrem einstimmigen Beschluss, einen umfassenden Aufarbeitungsprozess zu initiieren. Dieser sollte bei regionalen Aufarbeitungen ansetzen und in einer überregionalen Gesamtstudie Aufschluss darüber geben, wo strukturelle und systemische Risiken für sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch in der evangelischen Kirche und Diakonie liegen. Zugleich sollte mithilfe einer Dunkelfeldstudie geklärt werden, wie groß das tatsächliche Ausmaß ist. Dabei war noch ungewiss, ob erst das eine oder erst das andere. Es hätte auch manches dafür gesprochen, zunächst mit einer Dunkelfeldstudie zu beginnen. Doch dies, das wird Dr. Blum gleich erläutern, hätte laut wissenschaftlicher Expertise einen enormen Zeitverzug für die anderen Studien bedeutet.

In der konkreten Umsetzung der Aufarbeitungsstudien nun zeigte ein von der EKD einberufener Fachtag am 11. Juni 2019, dass es weder in der Wissenschaft noch bei anderen gesellschaftlichen oder staatlichen Akteuren geklärte Standards von Aufarbeitung gibt. Diese sind durchaus in Arbeit bei der Aufarbeitungskommission des UBSKM, lieber Herr Rörig, und sollen zum 3. Dezember 2019 veröffentlicht und diskutiert werden.

[Doch zunächst gilt: Es gibt keine allgemein gefassten Standards. Vor diesem Hintergrund haben wir uns bereits für die Ausschreibung der Fachexpertise des Universitätsklinikums Eppendorf bedient, um zeitnah in die Umsetzung zu gehen. Das Ausschreibungsverfahren, bei dessen Formulierung auch betroffene Menschen eingebunden waren, ist direkt nach dem positiven Beschluss der Kirchenkonferenz angelaufen. Bis zum 15. Januar 2020 können sich interessierte Forschungsverbünde bewerben.]

Gestatten Sie mir dazu einige wenige Schlaglichter auf die äußerst interessante Fachdebatte vom 11. Juni 2019. Fast 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nahmen teil, u. a. Kriminologen, Zeitgeschichtlerinnen, Traumapsychologinnen, Sozialwissenschaftler, Juristinnen. Dabei waren folgende Aspekte weitgehend unstrittig und sind womöglich als Standards geeignet:

  1. Aufarbeitung kann nur durch unabhängige, wissenschaftliche Expertise erfolgen. Dabei ist mehr als bisher auf interdisziplinäre Forschungsteams zu achten.
     
  2. Betroffene sind Beteiligte – und nicht etwa nur Zeugen. Heißt: Sie sind Expertinnen und Experten ihrer eigenen Geschichte und tragen wie die wissenschaftlichen Fachexpertinnen und -experten ihren Anteil zur systemischen Analyse bei.
     
  3. Dies hat zur Folge, dass jeder Aufarbeitungsprozess eine Begleitstruktur haben muss, in denen Wissenschaftlerinnen und betroffene Menschen ebenso wie die Auftraggeber in Abständen immer wieder den Prozess reflektieren.
     
  4. Aufarbeitung ist nicht Aufklärung. Nach vielen Jahren lässt sich oft nicht nachvollziehen, wann genau was geschehen ist. Das hängt u. a. mit der in der Vergangenheit unzureichenden oder gar nicht erfolgten Dokumentation in Landeskirchenämtern zusammen. Trotzdem oder gerade deshalb ist Aufarbeitung notwendig.
     
  5. Schließlich: Was geschieht in den Einrichtungen und Gemeinden, die eine Aufarbeitung hinter sich haben? – Trägt sie zur Befriedung bei oder bleiben die Spaltungskräfte und Konflikte? Wie kann und muss man diese Gemeinden begleiten? Auch ein Workshop-Thema nachher.

Was nun die Einzelmodule der Ausschreibung angeht, möchte ich lediglich zwei Punkte nennen, weil sie sehr relevant sind für die Beteiligung von Ihnen als Synodale im Blick auf Ihre Landeskirchen: Das eine ist die Dunkelfeldstudie, dazu kommt Dr. Blum gleich.

Das andere sind die regionalen Aufarbeitungsstudien der Landeskirchen, die sich sinnvollerweise in regionalen Verbünden zusammenschließen. Bei den jeweiligen Aufarbeitungen könnten auch regionale Besonderheiten eine Rolle spielen, so etwa eine eher evangelikal geprägte Diakonie hier, freiheitlich gemeindedistanzierte Pfadfinderverbünde dort, eine reformpädagogisch geprägte Gemeinde der 80er Jahre als drittes und so weiter.

Punkt 5: Unabhängige zentrale Ansprechstelle der EKD

Am 1. Juli 2019 hat die „Zentrale Anlaufstelle.help!“ ihre Arbeit aufgenommen; sie war uns ja von betroffenen Menschen besonders ans Herz gelegt worden.

Auch wenn wir in der Konzeption und in der Kommunikation noch manches nachjustieren mussten und müssen, können wir festhalten: Dank der Unterstützung der Beratungsstelle Pfiffigunde ist es recht schnell gelungen, eine zentrale Anlaufstelle zu etablieren.

Doch schon in den ersten Wochen hat sich gezeigt, das haben auch Betroffenenvertreter kritisiert, dass der Bedarf der Anrufenden weit über eine reine Lotsenfunktion hinausgeht. Denn die Rückmeldungen von Betroffenen zeigen, dass es erst einmal enorm wichtig ist, ein Gegenüber zu haben, das sich Zeit nimmt und all die Wut, den Schmerz und das Leid mit aushält. Zudem wollen Betroffene zunächst gerade keinen persönlichen Kontakt zu Vertreterinnen und Vertretern der Kirche aufnehmen. Heißt also: die Vermittlungsfunktion braucht eine ganz eigene Behutsamkeit. Und Pfiffigunde bzw. help! arbeitet ja auch genauso: Betroffene Menschen und ihre Angehörigen werden angehört und im Gespräch wird geklärt, welche Unterstützung notwendig ist, welche regionalen Hilfsangebote genutzt werden können, welche Ressourcen im Umfeld vorhanden sind und wie das individuelle Leid sich darstellt. Alles was nötig ist, dass betroffene Menschen sich wirklich gesehen fühlen.

[Die Mitarbeitenden von help! sehen es als zentrale Aufgabe, zu dokumentieren, was Betroffenen widerfahren ist, wie vielfältig die Not im Alltag ist, wie schwerwiegend und langanhaltend die Folgen der erlebten Gewalt sind und wie schwierig es für Betroffene sein kann, Gehör zu finden und zu ihrem Recht zu kommen.]

Eine erste Auswertung am 10. Oktober 2019 hat gezeigt, dass die Zusammenarbeit der Anlaufstelle mit den landeskirchlichen Ansprechpersonen gut ist. Schwierigkeiten bereiten allerdings wiederholt in konkreten Fällen die komplizierten Strukturen in Kirche und Diakonie. Hier geht es oft um nicht geklärte Zuständigkeiten: Wer hat und vor allem wer übernimmt Verantwortung? Die mühsame Recherchearbeit fällt der Anlaufstelle help! und den Ansprechpersonen in den Landeskirchen zu. Hier könnte noch viel mehr Transparenz geschaffen werden, von der dann alle, vor allem die Betroffenen profitieren.

Seit Juli gingen bei help! 210 Anrufe ein. Nicht alle Anrufe sind laut Pfiffigunde zugleich bzw. unmittelbar ein Fall. Bislang 40 Betroffene haben sich durch die Anlaufstelle ermutigt gefühlt, erstmalig über ihre Erlebnisse im evangelischen Kontext zu sprechen.

Neben diesen betroffenen Menschen melden sich auch

  • Angehörige, die sich nach bestimmten Einzelheiten erkundigen,
  • besonders häufig Fachkräfte vornehmlich aus Fachberatungsstellen, die Näheres über die kirchlichen Verfahren wissen möchten sowie
  • einsame, belastete Menschen, die verständnisvolle Gesprächspartnerinnen und -partner suchen.

Die Anforderungen an die Mitarbeitenden von help! sind hoch, sind doch die Kontakte telefonischer Art. Betroffene und schwer Traumatisierte mit dieser eingeschränkten Form der Kommunikation zu stabilisieren, braucht enorme Einfühlsamkeit und Professionalität der Beratungskräfte. Dies sehen wir unbedingt bei help! erfüllt, auch wenn teils deutlich mehr Zeit und ein persönlicher Kontakt zu den Betroffenen notwendig wären, um den vielfältigen Anliegen gerecht zu werden.

Doch es gibt auch Kritik: Der erste Flyer, den wir schnell auf den Weg bringen mussten, hatte in Bezug auf Empathie deutlich Luft nach oben. Das korrigieren wir in der neuen Auflage und danken allen betroffenen Menschen, die daran mitgearbeitet haben. Es war uns vor allem eins wichtig: Eine Instanz zu schaffen, die es erleichtert, dass sich Betroffene in den vielschichtigen Strukturen der evangelischen Organisationen zurechtfinden! Denn das war ja völlig zu Recht mehrfach auf dem Hearing im Juni 2018 von Betroffenen gefordert worden. Hinzu kommt: Die Ansprechpersonen in den Landeskirchen und eingebundene, ebenfalls unabhängige Fachberatungsstellen sind ja regional vorhanden. Hier kann unbedingt die persönlich-fachliche Begleitung gewährleistet werden, sofern Betroffene dies wünschen.

Punkt 4: Dunkelfeldstudie

Das tatsächliche Ausmaß von Missbrauch und Sexualisierter Gewalt wird sich nur durch eine sogenannte Dunkelfeldstudie valide abschätzen lassen.

[Dunkelfeldstudien sind anonyme Befragungen einer Vielzahl von Personen, die nach wissenschaftlichen Kriterien als repräsentative Stichprobe der Bevölkerung ausgewählt wurden. Aus den Antworten dieser Personen können dann belastbare Zahlen für die Gesamtbevölkerung abgeleitet werden. Bei dieser Art von Studien ist jedoch zu berücksichtigen, dass je geringer die Zahl der Fälle bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist, desto größer die Zahl der Personen sein muss, die befragt werden.]

Unverbindliche Vorgespräche mit Fachleuten haben ergeben, dass etwa 100.000 Personen in Deutschland befragt werden müssten, um valide Ergebnisse zu erhalten. Sinnvoller erscheint es uns deshalb, dass eine so große Studie nicht nur von einer Institution in Auftrag gegeben wird, die mit Missbrauchsfragen konfrontiert ist, sondern wenn die Untersuchung in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext gestellt würde. Vielleicht gelingt es Ihnen, lieber Herr Rörig, dazu ein Bündnis interessierter Verbände und größerer Organisationen zu schmieden. Dass wir anteilige Kosten dabei übernehmen, ist selbstverständlich. Wir hatten ja schon darüber gesprochen und möchten Sie in jeder Hinsicht unterstützen!

Punkt 6: Beauftragtenrat:

[Er wurde als fünfköpfiges Gremium direkt im Anschluss an die Würzburger Synode etabliert. Derzeitige Sprecherin ist Bischöfin Kirsten Fehrs. Wir werden am Ende des Vormittags alle gemeinsam zu sehen sein und die Workshop-Ergebnisse entgegennehmen.]

Die Aufgabe des Beauftragtenrats liegt nicht nur darin, kirchenintern den Elf-Punkte-Plan umzusetzen und die Aufarbeitung voranzubringen, sondern auch die Vernetzung mit anderen Einrichtungen und Institutionen zu suchen, die sich ebenfalls mit der Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt beschäftigen. Hier ist zunächst der UBSKM (Punkt 7) zu nennen. Im Jahr 2019 fanden zwei intensiv vorbereitete Treffen in Berlin statt. Daraus hat sich ein gutes und konstruktives Miteinander entwickelt – zum Beispiel in der Erarbeitung von Leitkriterien für Aufarbeitungsprozesse.

Der Beauftragtenrat hat weitere Personen zu seinen Sitzungen hinzugezogen. Wir sind froh, mit Frau Loheide ein Vorstandsmitglied des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung (EWDE) dabei zu haben und so die enge Zusammenarbeit zwischen Kirche und Diakonie sicherzustellen. Ebenso nimmt Herr Prälat Dutzmann als Bevollmächtigter des Rates der EKD an den Sitzungen teil sowie zwei Vertreterinnen der Konferenz für Prävention, Intervention und Hilfe in Fällen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung, kurz PIH-K (Punkt 9). Damit ist die Verbindung zur fachlichen Ebene der Landeskirchen sichergestellt. Von ihrem Erfahrungswissen, das über die vergangenen fast zehn Jahre immer neue Lernprozesse angestoßen hat, profitiert der Beauftragtenrat ungemein.

[Wir freuen uns, dass auch heute mehrere Vertreterinnen und Vertreter der PIH-K anwesend sind und bei den Workshops mit dabei sein werden. Sowohl PIH-K als auch Beauftragtenrat werden tatkräftig durch Frau Abram und Frau Segert vom Kirchenamt der EKD in Hannover unterstützt. Ohne ihre engagierte Vor- und Nachbereitung der Sitzungen wären wir aufgeschmissen. Von dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle genannten Personen.]

Punkt 8: Zentrale Meldestellen in den Landeskirchen und Gewaltschutzrichtlinie

Die Synode der EKD hat 2018 die Einrichtung von Meldestellen gefordert, an die Mitarbeitende Vorfälle sexualisierter Gewalt melden können. Das haben die PIH-K und die Kirchenkonferenz aufgegriffen und angeregt, eine EKD-weite Richtlinie zu entwickeln mit dem übergeordneten Ziel, „Prävention, Intervention und Aufarbeitung in Fällen sexualisierter Gewalt“ so verbindlich wie möglich zu etablieren.

Das ist ein echter Meilenstein: Denn mit der Gewaltschutzrichtlinie werden verbindliche Standards festgelegt für Prävention einschließlich zum Beispiel der Entwicklung von Schutzkonzepten in jeder Gemeinde. Es geht um Nähe-Distanz-Beschreibungen ebenso wie um klare Regelungen für den Fall, wenn etwas passiert ist, also für die Intervention. Nicht zuletzt werden Aufarbeitungsstandards beschrieben und Anerkennungs- oder Unterstützungsleistungen geregelt. Alles im Oktober vom Rat der EKD beschlossen.

Drei Punkte möchte ich herausheben:

  1. Die Richtlinie definiert den Begriff der sexualisierten Gewalt. Das Besondere: Diese Definition geht weiter, als es die strafrechtliche Terminologie vorsieht. Und es wird klargestellt: Immer dann, wenn Kinder involviert sind, gibt es keinen Ermessensspielraum. Das bedeutet: Sexuell bestimmtes Verhalten bei Kindern ist immer und ohne Ausnahme sexualisierte Gewalt. Ferner wird auf ein balanciertes Nähe-Distanz-Verhältnis in Abhängigkeitsverhältnissen insistiert, das Abstandsgebot.

    In diesem Zusammenhang sei klar und unmissverständlich betont, dass ein Spiel wie „Original Play“ in Kitas nach Ansicht von Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Pädagogik damit nicht vereinbar ist. Sie haben es sicherlich in den vergangenen Wochen verfolgt, liebe Synodale, dass dieses Spiel viel Unruhe ausgelöst hat. Bei „Original Play“ oder „Mattenspiel“ geht es um engen Körperkontakt und künstlich initiiertes Rangeln zwischen zum Teil fremden Erwachsenen und Kita-Kindern. Neben dem zweifelhaften pädagogischen Nutzen dieser Methode für die Entwicklung von Kindern liegt die Möglichkeit dieses „Spiel“ für Grenzüberschreibungen gegenüber kleinen Kindern zu nutzen auf der Hand. So haben EKD und Diakonie Deutschland dringend davor gewarnt, die Methode „Original Play“ einzusetzen.
     
  2. Das Abstinenzgebot. Sexuelle Kontakte innerhalb einer Seelsorge- und Vertrauensbeziehung sind mit dem Schutzauftrag der Kirche nicht und nie vereinbar und deshalb unzulässig.

    [Sanktionen sieht die Richtlinie nicht vor, denn dies ist nicht erforderlich. Das Dienst- und Arbeitsrecht hält die entsprechenden Reaktionen und Folgen vor.]
     
  3. Strukturen für eine Melde- und Ansprechstelle innerhalb der Landeskirchen werden verbindlich geregelt. Das heißt zum einen, dass die Aufgaben der ja in den Landeskirchen schon vorhandenen Ansprechpersonen weiter standardisiert werden. Zum anderen werden alle Mitarbeitenden verpflichtet, bei einem begründeten Verdacht auf sexualisierte Gewalt oder bei einem Verstoß gegen das Abstinenzgebot die Melde- und Ansprechstelle zu informieren.

    [Diese Maßnahmen müssen nunmehr von den Landeskirchen und von den diakonischen Einrichtungen aufgegriffen und umgesetzt werden. Dankenswerterweise werden bereits im Herbst 2019 und Frühjahr 2020 einige Landeskirchen auf der Grundlage dieser Richtlinie ihre eigene Gesetzgebung auf den Weg bringen.]

Elementares zur Jugendarbeit und zu Punkt 10: Diakonie

Lassen Sie mich in Anknüpfung an die Gewaltschutzrichtlinie kurz die evangelische Kinder- und Jugendarbeit in den Blick nehmen.

Es gehört laut aej zum Selbstverständnis der Evangelischen Jugend, die Präventions- und Interventionsarbeit stetig voranzubringen. Hierzu zählt, Schutzmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, Täterstrategien auszuhebeln und Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu stärken, eigene Grenzen und Grenzverletzungen zu erkennen und benennen zu können. Mit dem Thema Aufarbeitung jedoch steht die evangelische Kinder- und Jugendarbeit vor einer neuen Aufgabe. Es ist Pionierarbeit, sind eben auch hier keine Aufarbeitungsstandards entwickelt und Forschungsvorhaben evaluiert, auf die man zurückgreifen könnte. Um angemessene Antworten und Verfahren finden zu können, beteiligt sich die Evangelische Kinder- und Jugendarbeit am gesamtkirchlichen Diskurs und insbesondere an den landeskirchlichen Studien.

Ich komme zu Punkt 10 des Elf-Punkte-Planes, zur Zusammenarbeit mit der Diakonie. Die Diakonie sieht sich genau wie die Kirche in der Verantwortung, die vorgekommenen Fälle sexualisierter Gewalt schonungslos aufzuklären und umfassend aufzuarbeiten sowie Maßnahmen der Prävention flächendeckend zu verankern. Deshalb beteiligt sich die Diakonie engagiert an der qualifizierten Umsetzung des Elf- Punkte-Planes, sowohl auf Ebene der EKD als auch auf landeskirchlicher Ebene. So arbeitet zum Beispiel die neu eingerichtete zentrale Anlaufstelle help! gleichermaßen für Kirche und Diakonie. Gleiches gilt für den Betroffenenbeirat sowie die geplanten Aufarbeitungsstudien. Natürlich müssen bei der Umsetzung von Maßnahmen die besonderen Strukturen und Arbeitsweisen der Diakonie berücksichtigt werden. Nicht alles kann eins zu eins übernommen werden.

[In manchen Fragen sind die diakonischen Einrichtungen weit gekommen, zum Beispiel bei der Implementierung von Schutzkonzepten. Letztere werden aktuell bei etlichen diakonischen Trägern und Einrichtungen auf der Basis eines Bundesrahmenhandbuchs der Diakonie arbeitsfeldübergreifend eingeführt. Als Fazit kann festgehalten werden, dass die enge Zusammenarbeit von Kirche und Diakonie wirksam dazu beiträgt, dass für den gesamten kirchlichen Bereich die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und die Umsetzung von Präventionskonzepten erkennbar voranschreiten.]

Punkt 11: Seelsorgegeheimnis

[In meiner Einbringung letztes Jahr schon habe ich betont: Das Seelsorgegeheimnis ist ein hohes Gut. Für jedes seelsorgerliche Handeln ist es konstitutiv, dass wir über anvertraute Geheimnisse Stillschweigen bewahren. Jedoch kann es in dem Falle, in dem erlittene Gewalt anvertraut wird, auch geboten sein, gemeinsam mit dem/der Klienten/Klientin behutsam zu klären, ob es sich hier wirklich um ein Seelsorgegespräch handelt bzw. ob er/sie den/die Seelsorger/in von der Schweigepflicht entbinden möchte.]

Die Synode hat 2018 darum gebeten, in der Ausbildungspraxis aller kirchlichen Berufsgruppen darauf hingewirkt wird, dass bei Wahrung des Seelsorgegeheimnisses im Kontext sexualisierter Gewalt sensibel und professionell verfahren wird.

Auch hier ist einiges geschehen. So ergab etwa eine Abfrage, dass sämtliche Predigerseminare der EKD diese Thematik in ihren Curricula haben. Konkret kommt sie zur Sprache in den Bereichen Seelsorge wie auch Religionspädagogik – Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Es gibt demnach in der jüngeren Generation der Pfarrerschaft niemanden, der nicht in diesem Bereich sensibilisiert und geschult wurde.

Soweit die Predigerseminare. Mir ist aber – ich komme zum Schluss – gerade in dem Diskurs mit betroffenen Menschen in den vergangenen Monaten deutlich geworden, dass es hier um viel mehr geht. Das eine ist, zu klären, wo wir schweigen müssen. Das andere aber ist, gerade bei diesem Thema, eine Kultur zu ermöglichen, in der geredet wird. Raus aus dem Tabu! Und davon haben wir, geben wir‘s zu, jede Menge. Nur wenn ansprechbar wird, was beschämt, verunsichert, was als Machtmissbrauch erlebt wird, kann verhindert werden, dass Täter ihr System etablieren. Reden, Klartext, in der Kirche, hier zuallererst. Und je länger desto mehr ist uns als Beauftragtenrat nachgegangen, wie wir gemeinsam mit anderen Institutionen und gesellschaftlichen Akteuren Lernwege gehen können. Wir sind dankbar für jede Kooperation, aber für uns steht fest: Wir bleiben dran. Und das heißt eben auch: Wir setzen ein. Uns selbst.

Aber natürlich auch finanzielle Mittel. Denn es ist ja evident, dass

  • ein Betroffenenbeirat,
  • ein Netzwerk für Betroffene,
  • die weitere Ausstattung der zentralen Ansprechstelle help!,
  • die Aufarbeitungsstudien und
  • umfängliche Fortbildungsprogramme für unterschiedliche Berufsgruppen

weitere Mittel erforderlich machen. Wir rechnen mit bis zu einer weiteren Million Euro. Ich bin dankbar, dass es aus den Vorberatungen im Ständigen Haushaltsausschuss die Bereitschaft gibt, über die bereits bewilligten 1,3 Millionen Euro hinaus, aus dem Haushaltsplan 2020 bis zu eine Million Euro zusätzlich dafür bereitzustellen.

Wir bleiben dran. Überzeugt. Manchmal angesichts der Fülle – und auch der anhaltenden Kritik – etwas angefasst. Aber unverzagt. Lassen Sie uns gemeinsam dran bleiben, liebe Synodale, zum Schutz derer, die uns brauchen und die uns anvertraut sind. Heute, morgen, übermorgen, immer. Das Thema bleibt. Weil es auch für die Betroffenen bleibt. Lebenslang.

Wir danken Ihnen.

Bericht des Beauftragtenrates zum Schutz gegen sexualisierte Gewalt

Sprecherin des Beauftragtenrates, Bischöfin Kirsten Fehrs und Mitglied des Beauftragtenrates, Dr. Nikolaus Blum