Bericht des Präsidiums der Synode der EKD

4. Tagung der 12. Synode der EKD vom 12. bis 15. November 2017 in Bonn

©Foto:

Ihre Cookie-Einstellungen verbieten das Laden dieses Videos

Präses Dr. Irmgard Schwaetzer

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Synodale,

"‚Gott neu …‘ 500 Jahre Reformation: Das Jubiläum wird etwas anderes als nur Rückblick, Festakt und feierliche Erinnerung sein. Es wird – so Gott will – ein neuer Anfang sein. Denn wir begeben uns in den kommenden Monaten gemeinsam auf Gottessuche. Wir wollen Gott und Kirche im 21. Jahrhundert und für das 21. Jahrhundert neu finden."

So begann der Präsidiumsbericht vor einem Jahr in Magdeburg. Heute werden wir uns die Fragen stellen müssen: War es ein neuer Anfang? Haben wir etwas Zeitgemäßes gestaltet? Konnten wir die Grundlagen für kommende Herausforderungen und künftige Zeiten legen?

Es war uns ein wichtiges Anliegen, das Jubiläum international und ökumenisch und ohne
Luther-Heldenpathos zu feiern – das sind die zentralen Überlegungen für die Auswertung der vergangenen zwölf Monate. Dies so zu tun, ist richtig und eine wunderbare Erfahrung. Wir werden von der Botschafterin des Rates für das Reformationsjubiläum, Margot Käßmann, die weltweit unterwegs war, heute Abend noch davon hören.

Daneben ist es wichtig, auf den gesellschaftlichen Kontext zu blicken, in dem wir das Jubiläum gefeiert haben: Globalisierung und Digitalisierung haben unsere Lebenswelt verändert und verändern sie weiter, internationale Krisen, der vielfach menschengemachte Klimawandel, zerstören Lebensgrundlagen. Die Auswirkungen –  vor allem die weltweite Migration – fordert auch die Kräfte der Kirchen wie der gesamten Gesellschaft heraus. Völlig verändert hat sich die Rolle der Kirche: Wir leben unseren Glauben als Gemeinschaft heute in einer säkularen Gesellschaft. Vor 500 Jahren gehörte Religion zum Leben nahezu aller Menschen in unserem Land. Heute gibt es dagegen viele, die überzeugt sind, Gott nicht zu brauchen oder "vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben", wie der frühere Bischof Axel Noack die Situation in seiner Heimat, der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, beschreibt. Haben wir diese Situation als eine besondere Herausforderung ausreichend im Blick gehabt? Wo ist es uns gelungen, weiterzugeben, was uns in unserem Glauben trägt? Konnte es gelingen, in einer unbeschreiblichen Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens unsere Überzeugungen kund zu tun?

Jede und jeder von uns kann nur einen kleinen Ausschnitt aus den tausenden von Veranstaltungen und Beiträgen des Reformationsjubiläums erlebt haben. Darunter sind bei mir persönlich viele, die gut gelungen waren, und wenige, die nicht angenommen wurden. Den Gründen für beides nachzugehen – das wird auch bei unserer Tagung hier in Bonn zur Sprache kommen: Was ist gelungen und warum? Und was ist misslungen und warum? Besonders an zwei Stellen haben wir uns mit unseren Annahmen und Erwartungen geirrt. Zum einen hatten wir keine Ahnung, wie viele Menschen sich aufmachen würden nach Wittenberg – da haben wir das Interesse an der Weltausstellung in den Anfangswochen, am Festgottesdienst auf den Elbwiesen und an den Kirchentagen auf dem Weg überschätzt. Aber wir konnten auch auf keine Erfahrung zurückgreifen. Zum anderen haben wir völlig unterschätzt, wie viele Menschen den freien Reformationstag 2017 zum Gottesdienstbesuch nutzen würden. Es war wirklich eine Freude, 500 Jahre Reformation mit so vielen Menschen gemeinsam zu feiern.

Was nehmen wir mit? Das wird die zentrale Fragestellung der nächsten Tage sein, und – hoffentlich – können wir uns dabei auf einige Schlussfolgerungen einigen, die wir für die Gestaltung der Präsenz unseres Glaubens und unserer Kirche in der säkularen Gesellschaft mitnehmen wollen. Manches wird nicht neu sein – geahnt und auch ausprobiert haben wir schon vorher vieles. Und natürlich sind wir hinterher schlauer, aber: Für ein 500-jähriges Jubiläum hatte niemand eine Blaupause, wir haben es alle zum ersten Mal gemacht. Deswegen sind die Erfahrungen der Scouts und unsere eigenen vielfältigen Wahrnehmungen so wichtig: Wir leben als Kirche auf gutem Grund, wenn wir in Vielfalt und Ungleichzeitigkeit, in den wunderbaren Räumen unserer Kirchen und vor unseren eigenen mentalen und kirchlichen Mauern Gott neu suchen und erleben, neu denken und feiern, neu danken und weitersagen.

Diese Überzeugung geht auch aus den Berichten der Scouts hervor, die auf ihre je unterschiedliche Weise und nach ihren verschiedenen Interessen für uns das Reformationsjubiläum beobachtet haben. Das Präsidium hat sehr schnell nach der Synodentagung in Magdeburg 23 Scouts benannt und mit Unterstützung durch die Mitarbeitenden des Kirchenamts einen Leitfaden entwickelt, um für die Zukunft der Kirche relevante Eindrücke wahrzunehmen und zu kommunizieren. Zum Auftakt gab es ein Treffen des Präsidiums mit den Scouts im Januar. Eine Zwischenbilanz wurde im Juni in Wittenberg gezogen, gleichzeitig konnten wir auch die Weltausstellung als einen der bedeutenden Orte des Reformationsjubiläums besuchen. Die Gesamtauswertung folgte schließlich im September in Berlin. Bei diesem Treffen wurden die Inhalte und die Form der Vorlage zum Schwerpunktthema entwickelt, die wir für unsere Diskussion morgen vor uns haben werden. War unser erstes Treffen noch geprägt von der Neugier auf das, was uns erwarten wird, so konnten schon alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Wittenberg erste Schlüsse ziehen und erste Konsequenzen vermuten sowie von gelungenen Gottesdiensten und bereichernden Begegnungen in der Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Partnern berichten. Auch Schwierigkeiten, beispielsweise im Zusammenhang mit den Kirchentagen auf dem Weg, kamen zur Sprache. Auch das Missverhältnis zwischen von uns selbst kommunizierten, hochgesteckten Besuchererwartungen und tatsächlicher Resonanz bei manchen Projekten wurde benannt.

Das Zusammenkommen schließlich zur Gesamtauswertung unserer Erfahrungen und Erlebnisse war geprägt von der Erfahrung der Fülle gelungener Veranstaltungen überall in Deutschland, von Anerkennung für das Engagement der Menschen, die das alles vorbereitet haben und von großer Dankbarkeit über ein Fest, das als gut gelungen wahrgenommen wurde. Kurz und – zweifellos pauschalisierend – können die Erfahrungen so zusammengefasst werden: Überall dort, wo Kirche in neuen Formaten an neuen und überraschenden Orten und mit vielfältigen Kooperationspartnern in der Öffentlichkeit mit ihren Inhalten präsent war, gelang es Menschen anzusprechen, denen wir sonst eher selten begegnen. An diesem Gesamteindruck werden auch einzelne und berechtigte Fragen an manch inhaltlicher Gestaltung, die auch morgen in den Scoutberichten zur Sprache kommen werden, nichts ändern.

Dreimal hat sich das Präsidium mit den Scouts getroffen. Bei dem letzten Treffen in Berlin im September haben sie ihre Erfahrungen in vier Beschreibungen zusammengefasst, die Sie aus dem Arbeitspapier zum Schwerpunktthema kennen: 2017 war ein Glaubensjubiläum, ein Beteiligungs-, Ökumene- und Kulturjubiläum. Und sie haben für unsere Diskussion vier Leitfragen formuliert, anhand derer wir morgen unsere Prioritäten sowie unsere Anliegen für den weiteren Auswertungsprozess klären müssen. Unsere Vorstellungen dazu stelle ich morgen bei der Einbringung vor.

An dieser Stelle möchten wir – das Präsidium –, das ja sozusagen die Aufgaben des Vorbereitungsausschusses übernommen hat, den Scouts für ihr Engagement und ihre Sorgfalt, für ihren scharfen Blick und alle klugen Gedanken sehr herzlich danken. Und unser Dank gilt natürlich auch den Mitarbeitenden des Kirchenamts, Herrn Vizepräsidenten Dr. Thies Gundlach und Pfarrer Henning Kiene, die die Scouts und uns so tatkräftig, ideenreich und kreativ unterstützt haben.

Die Auswertung der Scoutberichte und die Vorbereitung dieser Synodaltagung haben die Sitzungen des Präsidiums wesentlich geprägt. Daneben gab es aber auch für uns im vergangenen Jahr ganz besondere Begegnungen. Von einigen möchten wir kurz berichten:

Knapp hundert Delegierte aus den Synoden der GEKE-Kirchen trafen sich im vergangenen März in Bern bei den Dritten Europäischen Begegnungstagen. Für uns nahmen Elke König und Viva-Katharina Volkmann an dem Treffen teil. Es wurde darüber diskutiert, was es bedeutet, evangelische Kirche zu sein und zu gestalten in einer Umwelt, in der immer mehr Menschen sich keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen. Eine Antwort war auch hier: Wir brauchen offene Türen. Mit der biblischen Zusage im Ohr "in meines Vaters Haus (sind) viele Wohnungen" besuchten die Teilnehmenden das Haus der Religionen. Dieses Haus stellt als Ort lebendiger Religionsausübung von fünf Weltreligionen eine Einmaligkeit in Europa dar, und gleichzeitig nimmt es als Begegnungs- und Kulturzentrum einen besonderen Platz im Leben der Stadt Bern ein. Immer wieder wurde in Vorträgen und Diskussionen die Bedeutung von Begegnung und Dialog betont. Offenheit wurde als ein Kennzeichen unser Identität identifiziert, das uns als europäische Christinnen und Christen miteinander verbindet. Viele Workshops ermöglichten den wichtigen Austausch und boten Raum für Auseinandersetzung zu den angezeigten Fragen, die in den Herkunftskirchen der Synodalen wohl auch weiterhin auf der Tagesordnung stehen.

Ich persönlich habe im Jubiläumsjahr viele Einladungen erhalten, um über die Reformation und deren Wirkung zu sprechen. Damit hatte ich gerechnet. Das bringt dieses Amt mit sich und ist sehr erfreulich. Überrascht haben mich allerdings die Absender mancher Einladungen zu Gesprächsabenden in zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Rotary Clubs, in zivilen Stiftungen oder in Mitgliedertreffen von politisch engagierten Menschen: Menschen, die ich aus meinen früheren Tätigkeiten kenne, denen ich seit Jahren hier oder dort immer wieder begegne, die aber mein kirchliches Engagement bisher eher überraschte oder die sich sonst nicht so drängend dafür interessierten, fragten plötzlich: Was feiert ihr eigentlich? Was ist die Botschaft dieses Jubiläums? Was war die Erkenntnis Luthers, die zu einer neuen Kirche führte? Und was genau glaubt ihr heute? Es ging bei den Fragen weniger um die Bedeutung der Kirche heute, als eine der gesellschaftlichen Gruppen. Zu diesem Thema werde ich auch sonst häufig gefragt. Es ging dagegen um Freiheit, es ging um Bildung, es ging aber vor allem um Fragen des Glaubens, Fragen der Theologie.

Dies ist eine Erfahrung, die ich vorwiegend im Westen Deutschlands machte, mit Menschen, die die Sozialisation eines obligatorischen Religionsunterrichts erlebt haben, die in ihrer Mehrzahl konfirmiert worden sind oder die Kommunion empfangen haben – und sich erst später von ihrer kirchlichen Bindung entfernt haben.

Die Erfahrungen im Osten der Republik waren zunächst von Distanz und Skepsis der Menschen geprägt. Aber auch und gerade dort wuchs die Neugier auf das, wovon Christinnen und Christen sprechen, vor allem in Wittenberg, aber genauso auch an anderen Orten. Von den Tagzeitengebeten und Andachten mit wachsender Teilnehmer/-innenzahl über die Wochen hin in Wittenberg, ist viel die Rede gewesen. In der letzten Woche der Weltausstellung habe ich mit Margot Käßmann und anderen die Weltausstellung besucht, um zu hören, welche Erfahrungen die Aussteller/-innen gemacht haben. Eine ziemlich große Gruppe, darunter viele aus Wittenberg, hat sich mit uns auf den Weg gemacht. Das hat mich beeindruckt. Sie wollten dabei sein wenn "ihre" Ausstellung ausgewertet wird und drückten den Wunsch aus, dass nicht alles vorbei sein möge, wenn das Reformationsgedenkjahr zu Ende geht.

Eine Erfahrung war gleich in allen Teilen unserer Republik: Die Unterschiede zwischen der evangelischen und katholischen Glaubenslehre waren nicht mehr überzeugend darzulegen. Konfessionelle Kooperation in Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen oder auch gemeinsame Stellungnahmen zu Themen der Zeit – "die christlichen Kirchen" als Begriff und Bild überzeugte mehr als evangelisch oder katholisch. Die Stimme der christlichen Kirchen in unserer säkularen Gesellschaft wird eher und mehr gehört, wenn sie gemeinsam christliche Freiheit und Verantwortung in die säkulare Gesellschaft hineinsprechen und vor allem leben.

In vielen Begegnungen ist mir die Vielfalt der Wirkung der Reformation bewusst geworden. Und es ist mir klar geworden, dass die Freiheit eines Christenmenschen, wie Luther sie gesehen hat, nicht ohne die Aufnahme der Impulse der Aufklärung zu unserem heutigen Begriff von Freiheit und Verantwortung geworden ist. Es ist außerdem möglich gewesen, die Bedeutung der tröstenden und befreienden Wirkung der Liebe Gottes in der Rechtfertigung allein aus Glaube für moderne Menschen zu vermitteln, die wir ständig unter Leistungsdruck und Selbstoptimierungszwang stehen. Wie sehr haben bei der Vermittlung dieser Erkenntnisse der Reformatoren die so zahlreich erschienenen Bücher, Vorlesungsreihen, Kompendien, historischen Aufarbeitungen – in einer auch für Laien kompatiblen Sprache – geholfen!

Natürlich sprechen wir in unseren Gremien über die Quellen unseres Glaubens und beziehen diese auf die jeweils aktuellen Fragestellungen. Wir feiern im Gottesdienst die Liebe Gottes, begegnen in Liedern und traditionellen Gebeten den Glaubensüberzeugungen der Väter und Mütter ganz unterschiedlicher Epochen und besinnen uns in Andachten auf das Wort Gottes. Als Verantwortliche der Kirche – und als diese können wir uns hier als EKD-Synodale alle zählen – werden die zentralen Fragen des Glaubens in den Kontexten, in denen wir uns oft bewegen, immer wieder angesprochen. Die Frage, die sich mir nach meinen Begegnungen nun stellt, ist also diese: Wie kommen wir mehr ins Gespräch mit den Menschen, die dem Glauben und der Kirche fernstehen? In welchen Momenten und an welchen Orten begegnen wir denen, die nicht in unsere Gottesdienste kommen? Wie können wir mit ihnen ins Gespräch kommen? Wie können wir offener werden? Wie schaffen wir es Gemeinde für andere zu sein? Und es ist auch richtig: Über den eigenen Glauben zu sprechen braucht Mut, weil man gleichzeitig viel über sich selbst sagt. Und wenn wir nach unserem Glauben gefragt werden, dann ist es so wichtig, dass wir Christinnen und Christen sprachfähig werden und auch theologisch gebildet sind.

Eine Lernerfahrung will ich zuletzt festhalten:  Der Beschluss "Martin Luther und die Juden – notwendige Erinnerung zum Reformationsjubiläum" hat das deutlich gemacht. Es ist ein Beschluss, der als historisch empfunden wird. Es gibt Fragen danach, diesen Beschluss in Schulbüchern zu drucken. Und kürzlich wurde ich nach Bratislava eingeladen, um einen Vortrag darüber zu halten. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Thematik lerne ich daran: Die intensive Arbeit, der Dialog mit vielen verschiedenen Partnerinnen und Partnern und Menschen mit unterschiedlichen Traditionen, auch innerhalb der Synode, der Studientag in Hannover – all dies war wichtig, weil wir theologisch fundiert gearbeitet haben und dem Beschluss dadurch die nötige Tiefe geben konnten. Aus dieser Erfahrung lernend, ist uns als Präsidium eines wichtig geworden: Bei der Vorbereitung der Tagungsthemen für die Synode sollten wir flexibel und von Jahr zu Jahr neu überlegen, was die beste Vorbereitungsform darstellt und eventuell auch vereinzelt den Zeitraum von einem Jahr der Vorbereitung überdenken. Manche Themen brauchen andere Formate und Formen der Vorbereitung.

Mit den Erfahrungen des Reformationsjubiläums sowie den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, steht die Aufgabe für künftige Zeiten klar vor uns. Wir sind mit Neugier dem begegnet, was der christliche Glaube in der heutigen säkularen Gesellschaft an Relevanz für das Leben des Einzelnen ausmacht. So viel Neugier braucht eine Kirche, die weiter im Dialog sein wird, die sprachfähig in ihrem Auftrag sein wird, die weiter vor der Kirchentür und auf den öffentlichen Plätzen sein wird, die weiter ansprechbar ist und sein wird. Nehmen wir den Schwung und die Energie aus den Erfahrungen dieses Jahres mit in unsere Gemeinden, in die Landeskirchen, in die EKD, in die Werke und tragen wir vor allem die wiederentdeckten Botschaften der Reformation in die säkulare Welt.

Bericht des Präsidiums der Synode der EKD, 2017

Präses Dr. Irmgard Schwaetzer