„Je mehr Lichter brennen, desto näher rückt Weihnachten“
Der Greifswalder Bootsbauer Robert Schneider baut den Ur-Adventskranz mit mehr als 20 Kerzen nach
Wenn im Herbst die letzten Boote den Weg von der Ostsee in ihr Winterlager gefunden haben, bricht auch für den Greifswalder Bootsbauer Robert Schneider die ruhigere Jahreszeit an. „Dann habe ich auch wieder Zeit für meine Wichernkränze“, sagt der 47-Jährige. Vor rund zehn Jahren hat er damit begonnen, den heute fast in Vergessenheit geratenen originalen Adventskranz nachzubauen.
Vier weiße Haushaltskerzen und 18 bis 24 kleine rote Baumkerzen
Bootsbauer Schneider hat einst als Schüler der Hamburger Wichernschule von dem Brauch erfahren. „Mich hat schon immer die Geschichte mit der unterschiedlichen Länge der Adventszeit beschäftigt“, sagt er. Die herkömmlichen Adventskalender beginnen alle am 1. Dezember – doch nur selten fällt der Beginn der Adventszeit auch tatsächlich auf diesen Tag. Und die üblichen Adventskränze mit ihren vier Kerzen würden die jährlichen Zeit-Variationen ebenso wenig abbilden.
„Da ist mir der Gedanke mit dem Wichernkranz gekommen“, sagt er: „Weil der erste Advent in jedem Jahr unterschiedlich ausfällt, standen folglich auch immer unterschiedlich viele Kerzen im Kranz.“ Vier große weiße Haushaltskerzen symbolisieren die Adventssonntage und zwischen 18 und 24 kleinere rote Baumkerzen die Wochentage bis zum Weihnachtsfest.
„Je mehr Lichter brennen, desto näher rückt Weihnachten und desto froher werden Knaben und Mädchen“
Es sind am wenigsten Kerzen, wenn Heiligabend auf den vierten Advent fällt – wie in diesem Jahr. Die Adventszeit dauert dann nur 22 Tage, es ist die kürzest mögliche. Voll ist der Kranz dagegen, wenn – wie im vergangenen Jahr – Heiligabend erst am Samstag nach dem vierten Advent ist. „In diesem Jahr nimmt man eben ein paar kleine Kerzenständer heraus – dann passt es“, erklärt Schneider das Prinzip.
„Erfinder“ Wichern schrieb in seinen Erinnerungen: „Was gucken die Knaben- und Mädchenaugen so lustig zum Kronleuchter empor? Oh, was sie da sehen, kennen sie wohl. Es ist nichts als ein einfacher Kranz, den der Kronleuchter auf seinen Armen trägt, und auf dem Kranz brennt das erste Licht, weil heute der erste Adventstag ist. Und je mehr Lichter brennen, desto näher rückt Weihnachten und desto froher werden Knaben und Mädchen; und brennt der volle Kranz mit allen 24 Lichtern, dann ist er da, der heilige Christ in all seiner Herrlichkeit.“
„Wenn alle Kerzen brennen, entwickelt der ganz schön Wärme“
Schneiders Kränze sind – im Gegensatz zu ihrem berühmten Vorgängermodell – allerdings zum Hinstellen und nicht zum Aufhängen gedacht. „Mir gefällt es nicht, wenn man den Kranz nur von unten sieht“, sagt er.
Inzwischen hat der Bootsbauer schon viele von seinen Wichern-Kränzen aus Birkensperrholz verkauft. Vor allem Kirchengemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg, Hamburg und Hessen griffen die Tradition wieder auf. Drei Tage braucht Schneider in der Regel für einen Kranz, der 144 Euro kostet: „Ich habe schon ein paar vorgefertigt.“
Mit einem Durchmesser von 55 Zentimetern sei der Kranz allerdings nicht unbedingt für den Hausgebrauch geeignet, sagt der Bootsbaumeister: „Wenn alle Kerzen brennen, entwickelt der ganz schön Wärme.“
Nicole Kiesewetter (epd)