Die neue Lust an der Theologie
Wie die digitale Zeitschrift „Cursor“ Menschen aus Theorie und Praxis am theologischen Diskurs teilhaben lässt
Theologische Zeitschriften gibt es viele. Doch im Internet gibt es kaum Orte für die theologische Diskussion. Eine Ausnahme ist „Cursor“, eine digitale Zeitschrift. Sie entsteht sogar zuerst im Internet und im Gespräch zwischen Fachwissenschaftler:innen und Interessierten, bevor sie in den Druck geht.
Von Sven Kriszio
Heidelberg/Hannover. „Cursor ist ein ungewöhnliches Experiment“, sagt Frederike van Oorschot. Denn die digitale Zeitschrift ermögliche einen Zugang zu theologischen Themen und Diskursen, die bisher nur selten im Internet ausgetragen werden. Doch noch ungewöhnlicher und wichtiger sei die ungewöhnliche Entstehungsweise, betont die Theologie-Dozentin von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg (FEST). Denn bei „Cursor“ könnten theologisch Interessierte eigene Kommentare zu den Texten abgeben und dadurch neue Diskussionen und sogar Neufassungen der Texte anregen. „Cursor“ sei „explorative Theologie“, die Zeitschrift fordere zum Streit über theologische Themen heraus.
Jede Ausgabe entstehe in einem „spannenden Prozess“. Denn an den einzelnen Texten würden mitunter bis zu 20 Interessierte als Autor:in oder Kommentator:in arbeiten, betont van Oorschot, die den Arbeitsbereich Recht, Religion und Kultur bei der FEST leitet und zum Herausgeber:innenkreis der Zeitschrift gehört. Kostenlosen Zugang für alle, die es wünschen, ermögliche eine digitale Plattform namens „PubPub“. Ihren Namen hat die Zeitschrift vom „Cursor“, dem blinkenden Strich in Textprogrammen.
Willkommener Effekt dieser für wissenschaftliches Arbeiten ungewöhnlich offenen und breiten Gesprächskultur sei eine lebendige Diskussion mit neuen, teilweise verblüffenden Sichtweisen. „Denn nicht nur Theologinnen und Theologen, die an Universitäten arbeiten, tauschen ihre Argumente aus, sondern es beteiligen sich auch Pfarrer:innen, Kirchenvorsteher:innen und andere aus der kirchlichen Praxis“, so van Oorschot. Auch Jurist:innen, Lehrer:innen und Philosoph:innen würden sich beteiligen. „Das zusammen macht es fruchtbar und attraktiv.“
Den Anfang von „Cursor“ machten zunächst Heidelberger Studierende, die viel im Internet unterwegs waren. Sie wollten wissenschaftliches Arbeiten besser mit der kirchlichen Praxis verknüpfen. „2015 hatten sie die Idee, eine Diskussionsplattform zu schaffen, die für alle offen ist.“ Daraus wurde ein Projekt, das auch die EKD mit ihrem Digital-Innovationsfonds gefördert hat.
„Heute umfasst das Team einen Herausgeber:innenkreis mit sieben Personen und einen Beirat von etwa 20 Personen“, so van Oorschot. Täglich würden bis zu 100 Menschen die Seite von „Cursor“ aufrufen. Wenn Texte Themen von Tagungen seien, würden es auch einmal 400 sein.
So verschieden der Kreis der Interessierten ist, so weit reicht auch das thematische Spektrum von „Cursor“. Ein Heft setze sich zum Beispiel aus verschiedenen Blickwinkeln mit den theologischen Implikationen der Corona-Pandemie auseinander, ein anderes mit Identitäten. Im Blick seien vor allem aktuelle Entwicklungen, so van Oorschot. Die Publikation erscheint in deutscher und englischer Sprache.
Mit dem Heft ‚Neuland!‘ macht die erste abgeschlossene Ausgabe von ‚Cursor‘ zum Thema, worum es den Macherinnen und Machern insgesamt geht. Nämlich die Lust am Erkunden unkonventioneller Wege. Damit trage „Cursor“ dem theologischen Diskurs Rechnung, der sich verschiebe. „Die Debatte wird immer breiter und kritischer“, sagt von Oorschot. „Man wird gezwungen, die Dinge verständlich auf den Punkt zu bringen.“
Der gedankliche Prozess, den „Cursor“ widerspiegelt, brauche allerdings seine Zeit. Bis eine Ausgabe abgeschlossen sei, würden mehrere Monate vergehen. Am Ende kann die Zeitschrift bei Bedarf im Heidelberger Universitätsverlag gedruckt werden. Gleichzeitig könne die Diskussion auf der Plattform weitergehen. „Es bleibt fluide. Wir schließen die Diskussionen nicht ab.“
Einen umfassenden Einblick in die erste abgeschlossene Ausgabe „Neuland!“, weitere Ausgaben und Texte, die noch in der Entstehungsphase sind, bietet die umfangreiche Seite von „Cursor“. Auch den Newsletter, der vier Mal im Jahr erscheint, können Interessierte hier bestellen.
Die Evangelische Kirche in Deutschland will innovative digitale Projekte unterstützen und damit den Wandel der Kirche hin zu mehr digitalen Angeboten fördern. Dazu gibt es den Digital-Innovationsfonds, der eine Million Euro umfasst. Weitere innovative Projekte, aber auch Informationen zur Antragsstellung finden Sie auf der EKD-Seite zum Fonds.
Frederike van Oorschot
Theologie-Dozentin von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg (FEST).