Die vier Hauptakteure

Wer sind die wichtigsten Protagonisten bei Luthers Auftritt in Worms? Thomas Kaufmann stellt sie vor.

Luther auf dem Reichstag in Worms

1. Martin Luther

Worms markierte einen Wendepunkt in der Biographie des Wittenberger Augustinermönchs Martin Luther. Seit der Veröffentlichung seines Sermons „Von Ablass und Gnade“ (März 1518), der den Sachgehalt seiner Kritik am römischen Gnadenschacher vom Herbst des Vorjahres (sog. 95 Thesen) in popularisierender Form aufnahm, war er zum virtuosen Publizisten aufgestiegen. Mit Hilfe zweier Druckpressen, die ihm und seinen Mitstreitern seit der Jahreswende 1519/20 in Wittenberg zur Verfügung standen, schleuderte Luther Sermone, d. h. schriftliche Predigten, katechetische und Trostschriften, Bibelauslegungen, Polemiken gegen einzelne theologische Gegner, Thesenreihen und Bibelkommentare auf Latein und Deutsch in alle Welt.

Der publizistische Erfolg dieses Schrifttums war analogielos; kein lebender Autor seit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metalllettern war jemals zuvor so zügig und häufig nachgedruckt worden wie er – nicht nur im Reich, sondern auch in Basel, Paris, Prag und Antwerpen. Seit 1518/19 hatte die „Causa Lutheri“ europäische Dimensionen – in der Welt der Gelehrten, bald aber auch, vermittels volkssprachiger Übersetzungen, im frommen städtischen Bürgertum.

Auch ein spektakulärer akademischer Schaukampf, den Luther und sein Wittenberger Kollege Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, mit Johannes Eck, dem prominentesten Gegner der Wittenberger Theologie, aufführten, löste ein breites publizistisches Echo aus. Seit dem Jahresende 1519 erschienen dann auch volkssprachliche Flugschriften (Büchlein, lat. libelli), die für Luther Partei ergriffen; die „reformatorische Bewegung“ entstand. Die publizistisch erzeugte Berühmtheit Luthers sollte am Ende den wirksamsten Schutz des durch Bullen des Papstes (Juni 1520; Januar 1521) definitiv verurteilen „Ketzers“ darstellen.

Luther reiste in der sich als trügerisch erweisenden Erwartung zum Wormser Reichstag, dort seine Lehre in akademischer Form disputierend darlegen und verteidigen zu können. Er verglich seinen Weg dorthin mit dem Passionsweg Christi in Jerusalem. In Worms und rasch nach seinen Redeauftritten am 17. und 18. April heizten Luther und seine Begleiter, unter anderem die Parteigänger Nikolaus von Amsdorf, Justus Jonas und Georg Spalatin, eine publizistische Kampagne an, die den „Wormser Reichstag“ und Luthers Auftritt vor Kaiser und Reich zum aufsehenerregendsten Ereignis der bisherigen Druckgeschichte stilisierte.

Insofern machte das Agieren dieser „Printing Natives“, das heißt: der mit der Druckpresse und ihren Wirkungsmöglichkeiten aufgewachsenen jungen Gelehrten, Luther unmittelbar nach dem Reichstag in Dutzenden Flugschriften zum ersten Medienstar des Druckzeitalters. Als er auf der Rückreise von Worms, für die Öffentlichkeit unbemerkt, auf die Wartburg entführt wurde, legte er den Mönchshabit ab und vollzog eine dramatische biographische Wende; sie machte ihn zum Reformator.

 

2. Karl V.

In den Händen Karls V., des jungen Kaisers des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation (*1500), war eine einzigartige Machtfülle vereint. Neben dem burgundischen Erbe, dem sich der in Gent Geborene auch in sprachlich-kultureller Hinsicht besonders eng verbunden fühlte, waren ihm die spanische Krone einschließlich der überseeischen Besitzungen, der damit verbundene italienische Besitz und, in der Nachfolge seines habsburgischen Großvaters Maximilian, die Kaiserwürde zugefallen.

Religiös war Karl fest in der katholischen Tradition seiner Ahnen verwurzelt; humanistische Erzieher, unter ihnen der spätere Papst Hadrian VI., hatten ihm einen lebhaften Drang zur Kirchenreform, aber auch die Loyalität gegenüber der Institution des Papsttums nahegebracht. Karls Erfolg auf dem Frankfurter Kaiserwahltag war gegen Kandidaturen des sächsischen Kurfürsten Friedrich, des französischen Königs Franz I. und des englischen Monarchen Heinrich VIII. errungen worden. Der Verzicht des Sachsen, auf den sich bereits eine Mehrheit im Kurkollegium geeinigt hatte, scheint ein für die „Luthersache“ wichtiges, sehr spezifisches politisches Verhältnis zwischen Karl und dem Landesherrn Luthers begründet zu haben.

Nach der Aachener Krönung (23. Oktober 1520) reiste Karl über Köln nach Worms, wo er seit Januar residierte. Mehrfach bemühte sich Friedrich von Sachsen, eine Vorladung seines berühmtesten Professors Martin Luther vor den Reichstag zu erreichen. Außer einigen gegen ihn arbeitenden, entschieden „altgläubig“ gesinnten Reichsfürsten versuchte vor allem der päpstliche Gesandte Aleander, einen Auftritt des rechtskräftig verurteilten Ketzers zu verhindern.

In Karls Umfeld standen sich eine stark romaffine und eine eher reformhumanistischromkritische religionsdiplomatische Richtung gegenüber. Die Widersprüchlichkeit dieser Einflüsse wirkte sich dahingehend aus, dass der Kaiser einerseits mit dem pfälzischen Reichsritter Franz von Sickingen über eine Zuflucht Luthers auf dessen Ebernburg verhandeln ließ, andererseits die Vorladung des Wittenberger Theologen (Anfang März 1521) verfügte, schließlich aber bereits im Vorgriff auf das Lutherverhör dessen Bücher verbot und einziehen ließ (sogen. Sequestrationsmandat, 10. März 1521).

Luthers Reden des 17. und 18. April wird Karl nur in ihren lateinischen Teilen verstanden haben. Dieser Eindruck war allerdings stark genug, um ihn seinerseits zur Abfassung eines Bekenntnisses zu veranlassen, das er am 19. April einer Versammlung der Reichsfürsten vortrug. Darin bekannte er sich zu seiner heiligen Pflicht zum Schutz der römischen Kirche und zur Glaubenstradition seiner Ahnen; ein einzelner Mönch könne niemals gegen den Hauptstrang der kirchlichen Tradition im Recht sein. Am 21. Mai promulgierte der Kaiser das Wormser Edikt, das Luthers Lehre und ihre Verbreitung verbot; Zuwiderhandlungen sollten mit der Todesstrafe geahndet werden. Während der kommenden Jahrzehnte bildete das Dokument die Richtlinie der Religionspolitik Karls V.

 

3. Aleandro

Girolamo Aleandro, im Deutschen in der Regel Aleander genannt, ist heute vornehmlich wegen seines Wirkens gegen Luther und die Reformation im Umkreis des Wormser Reichstags bekannt. Hier hielt er sich als Nuntius Papst Leos X. auf, dem er regelmäßig berichtete. Diese Schreiben sind eine der wichtigsten Quellen zum Verlauf des Reichstags, zum Agieren einzelner Politiker und Fürsten und zu den allgemeinen Stimmungen im Land und in der Bevölkerung. Ihnen ist das Befremden eines hohen römischen Prälaten über die Sympathien der barbarischen Deutschen für einen ordentlich verdammten Ketzer zu entnehmen.

Aleanders politische Absicht war darauf gerichtet, das römische Urteil über Luther auf der politischen Ebene des Reiches durchzusetzen. Um die polemischen Reaktionen insbesondere der Humanisten gegen ihn zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass er ursprünglich einer von ihnen gewesen war. Des Lateinischen, Griechischen und Hebräischen war er in zum Teil herausragender Weise kundig. Die Kenntnis des Hebräischen wurde zum Anlass, ihn aus dem Umkreis des Erasmus als Konvertiten aus dem Judentum zu denunzieren.

An der Sorbonne hatte Aleander Griechisch gelehrt; seit 1516 war er dann als Sekretär des Papstnepoten Guilio de‘ Medici (später Papst Clemens VII.) in Rom tätig; 1519 wurde er päpstlicher Bibliothekar. Einige papstkritische Humanisten sahen in diesem Karriereweg einen Verrat an ihrer Sache. Nach der Promulgation der Bannandrohungsbulle gegen Luther reiste Aleander ins Reich, um ihren Inhalt bekannt zu machen. In Flandern, Lüttich, Löwen, Köln und Mainz wurden auf sein Betreiben hin Lutherschriften öffentlich verbrannt. Obschon diese Maßnahmen keine Abschreckungswirkung erzielten, hielt Aleander an der Bücherverbrennung als wichtigstem Ziel der Ketzerbekämpfung im Allgemeinen, seiner Mission im Besonderen fest.

In einer eindrucksvollen humanistischen Rede vor dem Kaiser, dessen Ratskollegien und den Ständen legte er am 13. Februar 1521 in Worms dar, dass allein ein konsequentes Vorgehen gegen den Ketzer Luther Schlimmeres verhindern könne. Mittels präziser Kenntnis auch der neuesten Schriften des Wittenbergers, etwa einer besonders scharfen zur römischen Sakramentenlehre („De captivitate Babylonica“), versuchte er die Gefahren aufzuzeigen, die Nachgiebigkeit für den Bestand der römischen Kirche haben musste.

Die Vorladung des Ketzers vermochte Aleander freilich nicht zu verhindern. Er sah darin eine Infragestellung des römischen Urteils und blieb deshalb den Verhören Luthers fern. Das Sequestrationsmandat, das Luther auf dem Hinweg nach Worms, in Weimar, bekannt wurde, trug Aleanders Handschrift. Auch der Text des Wormser Edikts ging im Wesentlichen auf ihn zurück. Bis zum Ende des Reichstags versuchte er in hintergründigen diplomatischen Aktionen, der römischen Position im Umkreis des Kaisers und unter den Reichsfürsten zum Durchbruch zu verhelfen.


4. Friedrich der Weise

Im Kollegium der Kurfürsten besaß Friedrich III., Herzog des ernestinischen Teilstaats Sachsens, besonderen Rückhalt. Nach dem Tode Kaiser Maximilians unterstützte Rom, das einen weiteren Vertreter des Hauses Habsburg auf dem Kaiserthron verhindern wollte, Friedrichs Kandidatur für das höchste weltliche Amt. Aufgrund seines Verzichts auf das Kaisertum gewann er ein besonderes Verhältnis zu Karl V., was im Ergebnis Luthers Reformation begünstigte.

Während dieser Phase wurde der gegen Luther initiierte römische Prozess sistiert. Seit 1518 hielt der sächsische Kurfürst seine schützende Hand über Luther, dessen Wirken auch der 1502 gegründeten Universität Wittenberg erheblichen Auftrieb verschafft hatte. Eine direkte briefliche Kommunikation zwischen Luther und seinem Landesherrn fand nur selten statt; in der Regel vermittelte der kursächsische Sekretär Georg Spalatin zwischen ihnen, er besaß das Vertrauen beider.

In Worms hat Luther Friedrich, dem wegen seiner vorsichtigen Religionspolitik der Beiname „der Weise“ gegeben wurde, in persona gesehen; ein persönliches Gespräch zwischen ihnen fand allerdings nie statt. Von Luthers Rede am 18. April aber zeigte er sich beeindruckt und ließ dies seinen Professor wissen. Dass Luther nach Worms vorgeladen wurde, war im Wesentlichen dem diplomatischen Agieren Friedrichs gegenüber dem kaiserlichen Hof zu verdanken. Ihm lag daran, Luther die Gelegenheit zu verschaffen, seine Lehre mittels der Heiligen Schrift zu verteidigen.

Der Verlauf und die Struktur des Verhörs Luthers dürfte dem sächsischen Kurfürsten vorher allerdings nicht bekannt gewesen sein; sie gingen im Kern auf Aleander zurück, der über den dickleibigen Sachsen Nachteiliges nach Rom berichtete. Auf Geheiß Friedrichs und nach Abstimmung mit seinem Bruder Johann wurde Luther nach dem Reichstag heimlich auf der Wartburg in Sicherheit gebracht.

Anhänger der Lehren des Wittenberger Theologen war Friedrich der Weise zum Zeitpunkt des Wormser Reichstags noch nicht. Doch die mutige Entschiedenheit, mit der der Wittenberger Theologe dort auftrat, dürfte ihn beeindruckt haben. Auch ist mit der Wirkung erbaulicher Lutherlektüren auf den frommen Fürsten zu rechnen. Faktisch rettete er mit seiner Politik Luthers Leben und schuf die Voraussetzungen dafür, dass eine reformatorische Umgestaltung des sächsischen Kirchenwesens möglich werden sollte.

Da der Kaiser darauf verzichtete, Friedrich III. das Wormser Edikt zuzustellen, bewegte sich dessen Religionspolitik jenseits eines offiziellen Bruchs mit dem Reichsrecht. Auf dem Sterbebett, 1525, kommunizierte er „unter beiderlei Gestalt“, d. h. mit Brot und Wein, was wohl einem finalen Bekenntnis zu Luthers Lehre gleichkam. Der Wittenberger Reformator hielt eine Leichenpredigt auf ihn; sie ist zum Muster dieser Gattung geworden.
 



PROF. DR. DR. THEOL. H.C. DR. PHIL. H.C. THOMAS KAUFMANN
ist Professor für Kirchengeschichte an der Georg-August-Universität in Göttingen.

 

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Gewissen befreien. Haltung zeigen. Gott vertrauen

EKD-Themenheft zum Wormser Reichstagsjubiläum 2021

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