Digitalisierung auf dem Land

Fünf Gemeinden in und um Detmold haben sich zu „Kirche.plus“ zusammengetan

Vielen kleinen Kirchengemeinden im ländlichen Raum fällt es schwer, mit der Digitalisierung mitzuhalten. Denn in den Dörfern und kleinen Ortschaften fehlen oft die Engagierten mit dem nötigen Wissen. Wie es trotzdem funktionieren kann, zeigt die Zusammenarbeit von fünf Gemeinden bei „Kirche.plus“. 

Wolfgang Loest und Andreas Flor im Studio von Kirche.plus bei Detmold

„Einfach da“ aus dem Studio mit Wolfgang Loest (rechts), Detmolder Pfarrer und Social-Media-Beauftragte der Lippischen Landeskirche und Andreas Flor (links), Pastor in Pivitsheide.

Detmold. Wolfgang Loest erinnert sich noch genau an jenen Freitag im vergangenen Jahr, als die Gottesdienste wegen der Pandemie abgesagt wurden. „Wir haben uns sofort zusammengesetzt und überlegt, was wir machen können. Und noch an dem Abend stand fest, dass der Gottesdienst am Sonntag live im Internet stattfinden würde“, sagt der Detmolder Pfarrer und Social-Media-Beauftragte der Lippischen Landeskirche. „Wir hatten alles zusammen, was wir dafür brauchten: die Menschen und die Technik.“

Ein bisschen Zufall war dabei. Denn erst Mitte 2019, kaum ein halbes Jahr zuvor, hatten sich fünf kleine Gemeinden der Lippischen Landeskirche zu einem ungewöhnlichen Social-Media-Projekt zusammengeschlossen. Aus eigener Kraft und mit der Unterstützung der landeskirchlichen Erprobungsräume wollten sie ein neues Angebot im Internet schaffen und so Menschen ansprechen, die sie mit ihrer klassischen Arbeit nicht erreichen können. Ohne diese Vorarbeiten von „Kirche.plus“, so heißt das Projekt, hätte keine der Gemeinden so schnell auf die Pandemie regieren können. „Auf dem Land hinken viel Gemeinden der Digitalisierung noch hinterher“, sagt Loest.

„Das digitale Angebot hat sich seitdem gut entwickelt“, so der 38-jährige Pfarrer. „Wir feiern Gottesdienste im Live-Stream, haben eine Talkshow mit Musik und bieten sogar Kräftigungsübungen mit Physiotherapeuten.“ Die Angebote auf dem eigenen YouTube-Kanal heißen „Einfach da“, „Musik und Talk“ und „Kirche.plus.Sport“. Daneben gebe es in den Gemeinden weiterhin die klassische Arbeit, sofern die Vorsichtsmaßnahmen dies zuließen. 

Neben einigen zehntausend Euro für die Technik sind es vor allem die rund 50 Ehrenamtlichen, die das „Kirche.plus“ ermöglichen. Sie engagieren sich über die Grenzen der fünf Kirchengemeinden Detmold-Ost, Reelkirchen, Wöbbel, Pivitsheide und Wülfer-Knetterheide hinweg für die gemeinsame Sache. „Das ist wichtig. Denn keine der Gemeinden allein hätte die Spezialisten“, so Loest.

„Innovativ“ nennt Loest vor allem das konsequente Planen der Interaktivität der Formate und das Studio, das in einem Gemeinderaum der Kirchengemeinde Pivitsheide bei Detmold aufgebaut und mit Ledersofa und Bücherregal wohnlich hergerichtet und professionell ausgestattet wurde. Von dort werden beispielsweise die Talkformate übertragen.

„Wir sind im Lockdown mit dem Format ‚Einfach da‘ gestartet, weil wir merkten, dass die Leute nach Unterhaltung und Begegnung lechzten.“ 20 bis 25 Leute hätten damals zugeschaut. „Das ist nicht die Welt gewesen, aber für einige war der Kontakt dringend nötig“, betont der Pfarrer. Mittlerweile lade man beim Format Musik und Talk lokale Künstler ein und biete ihnen in dieser schwierigen Zeit eine Bühne.

So wie das Studio, das für alle Interessierten in den fünf Gemeinden geöffnet ist, habe auch das Projekt für viel Bewegung in den einzelnen Gemeinden gesorgt. „Plötzlich sprechen Jugendliche über die Bibel und ihren Glauben, wenn sie zum Beispiel einen Gottesdienst einleiten“, sagt Loest.

Bei allen digitalen Angeboten werde auf Teilhabe gesetzt. Nicht nur über den Chat auf Youtube, sondern auch über „WhatsApp“ und andere Messenger könnten die Gottesdienstzuschauer grüßen, Fragen stellen und kommentieren. Auf diesem Weg und auch vorab  auf der Internetseite von „Kirche.plus“ könnten Interessierte Gebete und Fürbitten einreichen, die in den Gottesdiensten vorgelesen werden.

Für Pfarrer Loest ist die digitale Kirche deshalb ein großer Gewinn: „Sie setzt um, was Martin Luther mit dem „Priestertum aller Gläubigen“ gemeint hat. Dass jeder zur Verkündigung aufgerufen ist und etwas zu erzählen und beizutragen hat.“ Kirche werde durch die Digitalisierung vielfältiger, Leitungsstrukturen würden flacher. „Der Pastor ist nicht mehr derjenige, der von oben herab predigt, was richtig und falsch ist.“

Für die fünf eher ländlich geprägten Gemeinden mit ihren acht Predigtstätten und zusammen rund 12.000 Gemeindegliedern ist noch ein weiterer Aspekt wichtig: die Vernetzung über größere räumliche Entfernungen hinweg. „Es entstehen neue Kooperationen zwischen den fünf Gemeinden, die nicht mal benachbart sind“, sagt Loest. Was dadurch möglich wird, hat schon der erste Live-Gottesdienst im Internet bewiesen, als der Lockdown begann.

Von Sven Kriszio


Weitere Informationen und die nächsten Veranstaltungen sind auf der Homepage von „Kirche.plus“ und auf YouTube zu finden.



Die Evangelische Kirche in Deutschland will innovative digitale Projekte unterstützen und damit den Wandel der Kirche hin zu mehr digitalen Angeboten fördern. Dazu gibt es den Digital-Innovationsfonds, der eine Million Euro umfasst. Weitere innovative Projekte, aber auch Informationen zur Antragsstellung finden Sie auf der EKD-Seite zum Fonds.