„Die große Bühne zu bespielen hatten wir im Osten ja nicht gelernt“
Barbara Rinke über ihre Amtszeit als Präses der Synode der EKD
„Das ist gefühlt schon so weit weg“, beginnt Barbara Rinke das Gespräch zu ihren Erinnerungen an ihre Zeit als Präses der 10. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von 2003 bis 2009. Sie war die erste Frau in diesem Amt und erste Ostdeutsche an der Spitze der gemeinsamen Synode. „Das war für mich eine ziemliche Herausforderung, denn die große Bühne zu bespielen hatten wir im Osten ja nicht gelernt. Vieles drehte sich immer noch um den Vereinigungsprozess, den kirchlichen ebenso wie den gesellschaftlichen“, erinnert sich Rinke. Und so wechselten sich auch die Tagungsorte ab – Leipzig, Trier, Magdeburg, Berlin, Würzburg, Dresden, Bremen.
Auch die Schwerpunktthemen der einzelnen Synoden versuchten Antworten zu geben auf die drängenden Fragen der Menschen. „Mal ging es um die Selbstvergewisserung der Kirche – wer sind wir, wo kommen wir her, wie können wir heute das Evangelium zu den Menschen bringen? Dann griffen wir die Themen auf, die der Gesellschaft auf den Nägeln brannten“, sagt Rinke und erinnert an das Thema „Armut und Reichtum“: „Zu den einzelnen Themen gab es Vorschläge aus der Mitte der Synode und aus dem Präsidium. Letzlich fasste die Synode dazu einen Beschluss. Mir war dabei immer wichtig, dass Glaube und Gesellschaft nicht losgelöst voneinander betrachtet werden.“
Keine Illusionen macht sich Rinke über den Nachhall der Kundgebungen und Papiere, die von der Synode erarbeitet wurden. Sie hätten zwar viel Zustimmung oder auch vehemente Kritik bekommen „und die Adressaten haben sie sicher auch aufmerksam gelesen“, ist die ehemalige Synodenpräses aus Nordhausen (Thüringen) sicher, „aber ich hätte mir mehr Resonanz in den Landeskirchen und Gemeinden gewünscht.“ Der Spagat zwischen EKD-Leitung und den Kirchengemeinden vor Ort sei strukturell bedingt wahrscheinlich einfach zu groß.
Erneuerung der Kirche
Eine zentrale Aufgabe während ihrer Amtszeit sei die Erneuerung der Kirche gewesen. Da stand am Anfang die Notwendigkeit einer strukturellen Erneuerung. Das sogenannte Verbindungsmodell, also die Zusammenführung der lutherischen und unierten Kirchen unter dem Dach der EKD war ein wichtiges Ziel im Bemühen um Deutlichkeit und Verstehbarkeit unserer Kirche. Erst dadurch wurde eine Konzentration der Kräfte möglich, um den Auftrag der Kirche auch in Zukunft zu erfüllen. Das war ein zäher und trockener Prozeß. „Da ging es unter anderem auch darum, ob die EKD überhaupt eine richtige Kirche sein soll, oder nur ein verwaltungstechnischer Dachverband“, sagt Rinke. „Ich habe in den Monaten der Diskussion viel Trennendes und auch Rivalitäten erlebt. Die oft beschworene Geschwisterlichkeit wurde mehr als einmal auf die Probe gestellt.
Dass es schließlich dennoch gelungen ist – genau zum 60. Jahrestag der EKD-Gründung – das „Kirchengesetz zur Änderung der Grundordnung und zur Ratifizierung der Verträge der EKD mit der VELKD und der UEK“ endgültig zu fixieren und zu unterzeichnen, war aller Mühe wert. Ich war ja viel herumgereist, um bei den Präsidien der Landeskirchen mit vertrauensbildenden Maßnahmen für den Vorschlag des hannoverschen Landeskirchenamtspräsidenten Eckhart von Vietinghoff zu werben.“
Der Prozess zur Erarbeitung des EKD-Impulspapiers „Kirche der Freiheit“ (2006) sieht Barbara Rinke als weiteren wichtigen Schritt zur Erneuerung der Kirche. „Die Arbeit mit dem Papier hat eine Aufbruchstimmung vermittelt, aber es traten auch Differenzen und Ängste deutlich zutage. Regionale Gremien und Kirchengemeinden fühlten sich zunächst nicht mitgenommen und sorgten sich vor allem im Osten, daß sich dahinter ein weiterer Abbau verbergen könnte. Eine andere Befürchtung war die, daß zu viel zentralisiert werden sollte.“ Der Zukunftskongress in Wittenberg (2007) war ein wichtiger Meilenstein. Das Schauen auf die von Gott geschenkte Freiheit und mit dieser Zuversicht unsere Kirche zu erneuern, bedeutete eben auch allen Sorgen und Ängsten zum Trotz die notwendigen Veränderungen voranzubringen.
„Die Rinke fährt zum Papst“
Mit Spannung habe sie die Bemühungen des damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber aufgenommenen, eine „Ökumene der Profile“ zu entwickeln. Manche Äußerung aus der katholischen Kirche oder vom Papst seien schon als provozierend empfunden worden, etwa die Meinung, dass die evangelische Kirche gar keine richtige Kirche, nur christliche Gemeinschaft sei. Dennoch kann Barbara Rinke auf zwei persönliche Begegnungen mit Päpsten zurückblicken. Auf Papst Johannes Paul II traf sie schon 1996 in Paderborn, im offiziellen Auftrag der EKD. Zum Gottesdienst, den sie mit einer Lesung mitgestalten durfte, musste sie aber den Hintereingang benutzen, ebenso wie die Vertreterin der katholischen Frauen. „Da mußte ich erst einmal tief durchatmen“. Im Gespräch wirkte Johannes Paul dann doch sehr viel offener und sympathischer.
Seinen Nachfolger Benedikt traf Barbara Rinke beim Weltjugendtag 2005 in Köln. „Die Vorbereitungen dazu hatten Rat und Kirchenamt getroffen. Sie müssen wohl sehr detailliert und schwierig gewesen sein“, erinnert sich die damalige Synodenpräses. In ihrer Heimatstadt Nordhausen habe sich schnell herumgesprochen: „Die Rinke fährt zum Papst.“ Daraufhin sei sie von einer katholischen Ratsfrau gebeten worden, einen Rosenkranz mitzunehmen und Benedikt um einen Segen dafür zu bitten. Den wollte sie ihrem Sohn schenken, der katholische Theologie studieren wollte. „Tatsächlich hatte ich beim Gruppenempfang die Möglichkeit, Benedikt diesen Wunsch vorzutragen und er hat den Rosenkranz gesegnet.“
„Wir wollten keine Sonderbehandlung“
Natürlich unterlag auch die Synodenarbeit einer ständigen Überprüfung. Was kann eingespart werden an Zeit, an Ressourcen? Brauchen wir neue Formate?
Die am Anfang ins Spiel gebrachte Idee, einen Synodenausschuss zu bilden, der sich mit kirchlichen Ost-West-Fragen befassen sollte, habe sich nicht durchgesetzt, berichtet Barbara Rinke. „Das haben wir aus dem Osten abgelehnt, wir wollten keine Sonderbehandlung.“ Im Nachhinein betrachtet war das auch richtig. Dennoch sind einige Entwicklungen, die uns heute auch in unseren Kirchen beschäftigen, schon damals im Osten deutlicher zu Tage getreten. Das Aufkeimen rechter Strukturen wurde zwar auch in der Synode behandelt, aber immer nur als Randerscheinung. „Der Gedanke, dass uns so etwas wie Pegida und die Höcke-AfD ins Haus stehen könnte, war zwar nicht absehbar aber wir hätten aufmerksamer sein können“.
„Ein Brett, das immer wieder gebohrt werden muss“
Zufriedenheit erfüllt sie aber, wenn die ehemalige Synodenpräses auf die Flüchtlings- und Friedensthemen zurückblickt. „Die wurden in allen Synodentagungen behandelt.“ Und, so setzt sie mit Blick auf das Heute hinzu: „Ich bin so glücklich, dass beim Kirchentag 2019 in Dortmund die Idee entstand, ein Schiff zu kaufen, um Flüchtende im Mittelmeer aus Seenot zu retten, und dass die EKD diese Idee umgesetzt hat und das Schiff nun unterwegs ist.“
Ebenfalls „ein Brett, das immer wieder gebohrt werden muss“, sei die Befassung der Synode mit Armut und Reichtum. Hier dürfen wir nicht locker lassen, wenn wir unseren Glauben ernst nehmen. Dass vor allem noch immer Kinder von Armut bedroht sind ist ein Skandal.
Immer wieder geschwisterlich zusammenfinden
Sicher nur ein Nebenaspekt, aber mit Langzeitwirkung, war ein Beschluss der Klimasynode 2008 in Bremen, künftig die Kohlendioxid-Belastung der EKD-Tagungen zu kompensieren. Seither werde penibel ausgerechnet, was wieviel Co2-Ausstoß verursacht. „Ob Papiere ausgedruckt werden, der Kaffee biologisch angebaut und fair gehandelt wird, ob man mit Auto, Bahn oder Flugzeug anreist – das alles mögen kleine Schritte sein, aber die Belastung summiert sich.“
Die erste Co2-Berechnung habe ein engagierter Mitarbeiter des Synodenbüros gemacht. Das lenkt Barbara Rinkes Blick auf die Menschen hinter den Kulissen, die Großes zum Gelingen der Synodenarbeit beigetragen haben. Namentlich nennt sie ihre Mitarbeiterinnen im Synodalbüro, Heidi Heine und Brigitte Bruns. „Ganz großen Respekt“ aber zollt sie vor allem dem damaligen Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber: „Er brachte die Dinge und uns in Bewegung.“ Dass die Synode trotz mancher Konflikte und heftiger Debatten am Ende immer wieder geschwisterlich zusammenfinden konnte, dafür ist die ehemalige Synodenpräses den Menschen dankbar, die mit Liedern,Texten und kleinen Darbietungen humorvoll die Abschlussabende gestalteten.
Michael Eberstein / EKD