„Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“
Die Agenda 2030 als Herausforderung für die Kirchen. Ein Impulspapier der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung. EKD-Texte 130, 2018
4. Was wir erwarten
4.1 Umsetzung der Agenda 2030 – in, mit und durch Deutschland
Verantwortlich für die Umsetzung der Agenda 2030 und der SDGs sind primär die Regierungen der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. Die Bundesregierung hat eine anerkannt positive Rolle im Verhandlungsprozess zur Ausarbeitung der Agenda 2030 gespielt und sich an vielen Stellen für ambitionierte, umfassende Ziele eingesetzt. Damit weckt sie die Erwartung, dass sie die Agenda 2030 nun auch vorbildlich umsetzt. Im Lichte der Agenda 2030 ist auch die Bundesrepublik ein Land, das eine wirklich nachhaltige Entwicklung benötigt. In der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie stellt die Bundesregierung selbst fest, dass wir auch in Deutschland an vielen Stellen noch weit von einem nachhaltigen Leben, nachhaltigen Wirtschaften und nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen entfernt sind. Die Strategie weist aus, dass in einer ganzen Reihe von Bereichen großer Handlungsbedarf besteht, um die teilweise schon 2002 festgelegten nationalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Die Herausforderungen für Deutschland liegen auf der nationalen wie auf der internationalen Ebene. Bei letzterem geht es nicht nur um die Entwicklungszusammenarbeit – d. h. Umsetzung der Agenda 2030 mit Deutschland –, sondern auch um den Bereich Handel und Lieferketten – d. h. Umsetzung der Agenda 2030 durch Deutschland. In nahezu allen Politikbereichen sollte der Frage nachgegangen werden, wie Deutschland internationale Prozesse und Partnerländer unterstützen kann, damit die SDGs erreicht werden. Ebenso muss geprüft werden, wo es Inkohärenzen gibt und wo Deutschland der Zielerreichung im Wege steht bzw. sie indirekt behindert.
Es ist zu begrüßen, dass sich die im Januar 2017 von der Bundesregierung beschlossene neue deutsche Nachhaltigkeitsstrategie in ihrer Struktur an den 17 SDGs orientiert und auch internationaler ausgerichtet ist als die vorherige Strategie. 13 Themenbereiche und 30 Indikatoren wurden neu aufgenommen, weitere sollen entwickelt werden. Neu ist beispielsweise das Ziel für nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion. Auch Themen wie Verteilungsgerechtigkeit und Korruptionsbekämpfung sind erstmals in der Strategie enthalten und mit konkreten Indikatoren versehen.
4.1.1 Erwartungen an die Bundesregierung zur Umsetzung
Die Bundesregierung hat sich dazu verpflichtet, die Agenda 2030 vollständig umzusetzen, und dies auch von allen anderen Staaten gefordert. Allerdings bildet die neue deutsche Nachhaltigkeitsstrategie die Agenda 2030 nicht vollständig und nicht mit all den in ihr angelegten Wechselwirkungen ab. Die 169 Unterziele der Agenda 2030 werden zwar erwähnt, aber nicht alle mit Maßnahmen der Bundesregierung beantwortet. Jedenfalls gibt die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie darüber keine Auskunft. Und während die Agenda 2030 über 232 Indikatoren verfügt, sind in der neuen deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zwar mit 63 Indikatoren fast doppelt so viele zu finden wie in der alten – aber eben nur eine kleine Auswahl der Indikatoren, auf die sich die internationale Gemeinschaft für die Agenda 2030 geeinigt hat.
Dafür mag es triftige Gründe geben: Nicht alle Indikatoren der Agenda 2030 sind für Deutschland relevant. Und einige der Indikatoren der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sind aussagekräftiger und detaillierter als die international vereinbarten. Auch ist die Entscheidung der Bundesregierung durchaus nachvollziehbar, sich in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie auf eine begrenzte Zahl von Schlüsselthemen zu konzentrieren und diese vertieft zu bearbeiten. Somit kann die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie vielleicht das wichtigste, aber nicht das einzige Instrument der Umsetzung der Agenda 2030 in, mit und durch Deutschland sein. Es braucht Klarheit, wie die in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie nicht vorkommenden Themen der Agenda 2030 von der Bundesregierung bearbeitet werden sollen.
4.1.2 Bearbeitung von Zielkonflikten
Ein Mehrwert der Agenda 2030 liegt darin, dass sie auf Kohärenz abzielt. Sie lässt nicht zu, dass eine Herausforderung nur unter einem Gesichtspunkt betrachtet wird. Sie macht deutlich, dass die Art und Weise, wie ein Ziel erreicht werden soll, nicht die Erreichung anderer Ziele gefährden darf. Inhaltlich muss es also darum gehen, die Zielkonflikte, die sich bei der Umsetzung der Agenda 2030 und der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zwangsläufig ergeben, nicht zu umgehen, sondern offen, fair und lösungsorientiert auszutragen.
In der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie wird die Stärkung der Kohärenz als zentrale Herausforderung benannt. Gleichzeitig mit der Verabschiedung der Strategie wurde beschlossen, dass alle Ministerien Ressortkoordinatoren für nachhaltige Entwicklung benennen. Diese sollen künftig nicht nur zentrale Ansprechpersonen zu Fragen einer nachhaltigen Entwicklung sein, sondern auch bei der Umsetzung der Agenda 2030 und der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie in den jeweiligen Ressorts abteilungsübergreifend mit einbezogen werden. Auch sollen sie auf der Basis der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung (GGO) für eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsgesichtspunkten im Gesetzgebungs- und Verordnungsverfahren sorgen. In der Begründung jedes Gesetzes- und Verordnungsvorschlags der Bundesregierung ist nun „darzustellen, ob die Wirkung des Vorhabens einer nachhaltigen Entwicklung entsprechen, insbesondere welche langfristigen Wirkungen das Vorhaben hat“ (GGO, § 44, Abs. 1).
Ob diese Nachhaltigkeitsprüfung einen hinreichenden Beitrag leistet, um die Nachhaltigkeit von Politiken zu sichern sowie mögliche Zielkonflikte zu bearbeiten, sollte wissenschaftlich untersucht und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft in den dafür vorgesehenen Partizipationsforen diskutiert werden.
Mangelnde Politikkohärenz ist nicht in erster Linie eine Folge mangelhafter Absprachen und fehlender Koordination. Ursachen sind vielmehr unterschiedliche gesellschaftliche und politische Interessen. Diese Interessengegensätze müssen transparent gemacht, offen diskutiert und einer Lösung zugeführt werden. Selbst hochrangige Politiker geben über Parteigrenzen hinweg zu, dass es in Deutschland Politikbereiche gibt, in denen man von Nachhaltigkeit noch weit entfernt ist, so etwa in der Verkehrs-, Agrar-, Energie- und Handelspolitik. Hier liegen noch wichtige Aufgaben vor der Bundesregierung, insbesondere auf Politikfeldern, die für soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung in Deutschland und weltweit verantwortlich sind.
Hinzu kommt der besondere Fokus auf die Verletzlichsten, die nicht zurückgelassen werden dürfen („leave no one behind“). Gleichzeitig dürfen wir nicht auf Kosten nachfolgender Generationen leben und wirtschaften. Dass die planetaren Grenzen (wieder) geachtet und eingehalten werden, sieht auch die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie als vorrangig an (als „absolute Grenze“) – zumindest als Prinzip in ihrem Einleitungskapitel. Und auch eine Art des Wirtschaftens, die zu Lasten von Menschen in anderen Ländern oder nachfolgender Generationen geht, kann die Bundesregierung nicht befürworten oder tolerieren, wenn sie die Prinzipien ernstnimmt, die sie ihrer Nachhaltigkeitsstrategie vorangestellt hat:
„ Dem Leitprinzip der nachhaltigen Entwicklung zu folgen bedeutet für die Bundesregierung daher, darauf hinzuarbeiten, mit ihrer Politik gleichermaßen den Bedürfnissen der heutigen sowie künftiger Generationen gerecht zu werden – in Deutschland sowie in allen Teilen der Welt – und ihnen ein Leben in voller Entfaltung ihrer Würde zu ermöglichen. Dafür bedarf es einer wirtschaftlich leistungsfähigen, sozial ausgewogenen und ökologisch verträglichen Entwicklung, wobei die planetaren Grenzen unserer Erde zusammen mit der Orientierung an einem Leben in Würde für alle (ein Leben ohne Armut und Hunger; ein Leben, in dem alle Menschen ihr Potenzial in Würde und Gleichheit voll entfalten können, vgl. Kernbotschaft der Agenda 2030) die absolut äußere Beschränkung vorgeben.“ [18]
Daran soll also nicht gerüttelt werden, wenn die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit bearbeitet und Kompromisse bei Zielkonflikten gesucht werden. Bei vielen, nicht allen, Herausforderungen wird die Frage sein, wie in überschaubarer Zeit das ökologisch und ethisch vertretbare Maß erreicht werden kann (auch mit Blick auf die Auswirkungen für die Menschen in anderen Ländern), ohne dass es hierzulande zu einseitigen Belastungen und sozialen Verwerfungen kommt. Ökonomische Einbußen werden dabei nicht immer zu verhindern sein und müssen durch faire Lastenteilung und vorausschauende Sozial- und Industriepolitik abgefedert werden. Gleichwohl enthält die Agenda 2030 insgesamt mehr Chancen als Risiken, denn ihre Umsetzung dient letztlich auch der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit des Landes.
4.1.3 Strukturierung von Partizipationsformen
Die Bundesregierung hat angekündigt, bestehende Partizipationsformate zu erweitern und neue zu schaffen. Das Kanzleramt hat bereits im Juni 2017 zu einem „Forum Nachhaltigkeit“ eingeladen. Künftig sollen sich Vertreter und Vertreterinnen aller gesellschaftlich relevanten Gruppen bzw. Bereiche einmal im Jahr treffen.[19] Sie sollen so eine Möglichkeit bekommen, die Pläne der Bundesregierung zu kommentieren und eigene Beiträge zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategie und Agenda 2030 vorzustellen und diskutieren zu lassen.
Zudem soll im Rahmen des neuen Forums eine kleinere Dialoggruppe die Sitzungen des Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung im Kanzleramt vor- und nachbereiten. Neu eingerichtet wurde ein Lenkungskreis für die neue Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030.
Bei all diesen Partizipationsformaten und Multi-Akteurs-Plattformen sollten die unterschiedlichen Rollen und Verantwortlichkeiten der verschiedenen Akteure beachtet werden. Die Agenda 2030 ist eine Vereinbarung, die die Regierungen der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen getroffen haben. Sie – die Regierungen – sind für die Umsetzung der Agenda 2030 verantwortlich und rechenschaftspflichtig und sollten (bzw. müssen, je nachdem, was in ihrer Verfassung steht) auch die Parlamente einbeziehen. Eine wichtige Rolle spielt hier auch der von der Bundesregierung eingerichtete Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE), in dem die Partizipation zahlreicher Stakeholder-Prozesse eingeübt und beispielhaft durchgeführt wird.[20]
Für die ambitionierte und erfolgreiche Umsetzung der Agenda 2030 wird es auch auf die konstruktiv-kritische Mitarbeit nicht-staatlicher Akteure – darunter auch die der Kirchen – ankommen. Allerdings dürfen nicht-staatliche Akteure sich nicht anmaßen oder in die Rolle gedrängt werden, stellvertretend für den Staat und außerhalb seiner Kontrolle Aufgaben zu übernehmen, die originäre staatliche Aufgaben sind. Nicht-staatliche Akteure können auch nicht für sich in Anspruch nehmen, in Entscheidungsprozesse der Regierung und/oder Parlamente mit Stimmrecht eingebunden zu werden. Sehr wohl können und sollen nicht-staatliche Akteure jedoch in ihrem Wirkungsbereich eigene Beiträge zur Umsetzung der Agenda 2030 leisten und mit ihrer Expertise und ihren Fragen kritisch-konstruktiv beratend an Entscheidungsprozessen mitwirken.
4.2 Erwartungen an die Kirchen
Die Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung wendet sich mit diesem Plädoyer für eine Transformation zur Nachhaltigkeit nicht nur an die Christinnen und Christen in unserem Land. Für die Transformation zu einer zukunftsfähigen Entwicklung, die unsere gesamte Gesellschaft mitnimmt, wollen die Kirchen Mahner, Mittler und Motor sein. Auf viele entscheidende Zukunftsfragen suchen wir noch gemeinsam mit vielen anderen die richtigen und machbaren Antworten. Wie sieht gutes Leben aus? Welchen Wohlstand wollen wir? Wo ist Suffizienz eher als Wachstum das zukunftsweisende Ziel? Welches Wachstum bleibt wichtig? Wie messen wir gelingende Entwicklung besser als bisher?
4.2.1 Kirche als Mahnerin
Die Agenda 2030 greift vieles auf, was die Kirchen bereits seit den 1980er Jahren im Rahmen des weltweiten „Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ herausgearbeitet und in vielen Stellungnahmen des Weltkirchenrates auf internationaler Ebene sowie in Verlautbarungen und Beschlüssen der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz immer wieder bekräftigt haben: Wir Menschen müssen unser Zusammenleben und Wirtschaften so gestalten, dass Gottes Schöpfung in ihrer Schönheit und Vollständigkeit erhalten bleibt und allen Menschen ein Leben in Sicherheit und Würde ermöglicht wird – auch nachfolgenden Generationen.
Dazu bedarf es eines umfassenden Transformationsprozesses in Politik und Gesellschaft. Wir brauchen eine radikale Umkehr in unserer Haltung zu unserer Mitschöpfung, die von Demut und Achtsamkeit geprägt ist. Wir brauchen mehr Leidenschaft und Entschlossenheit für einen solidarischen Lebensstil, der für die Rechte aller Menschen Sorge trägt und insbesondere für die Rechte der Armen eintritt. Wir brauchen eine „Ethik des Genug“, die der Grenzenlosigkeit und Maßlosigkeit des Menschen Grenzen setzt. Dazu müssen die Kirchen noch deutlicher und hörbarer als bisher als Mahnerinnen auftreten.[21]
Im Eintreten für eine sozial-ökologische Transformation wissen sich Christinnen und Christen mit allen verbunden, die sich für die Umsetzung der Agenda 2030 einsetzen, und arbeiten bereits vielfältig mit ihnen zusammen.
Anknüpfungspunkt für diese Zusammenarbeit ist, dass sich die Kirche in ihren Stellungnahmen und Appellen an die Politik nun nicht nur auf ihre Glaubensgrundsätze und Bekenntnisse berufen kann, sondern ebenso auf die Leitprinzipien, die die Agenda 2030 prägen, und auf nationaler Ebene auf die von der Bundesregierung beschlossene deutsche Nachhaltigkeitsstrategie.
4.2.2 Kirche als Mittlerin
Besonders dort, wo es Ziel- und Interessenkonflikte gibt, sollte die Kirche sich einmischen und nicht nur die ambitionierte und kohärente Umsetzung der Agenda 2030 anmahnen, sondern auch die Rolle einer (Ver)Mittlerin einnehmen, die für die Leitprinzipien menschenrechtsorientierter nachhaltiger Entwicklung wirbt. Sie sollte dazu beitragen, dass Menschen zusammenkommen, um über ihre Hoffnungen, Erwartungen und Ängste, die sie mit Transformationsprozessen verbinden, reden. Dabei gilt es, gemeinsam nach solidarischen Antworten zu suchen, nach Handlungsoptionen, bei denen wirklich niemand achtlos zurückgelassen wird. Kirche hat hier eine besondere Verantwortung, den Fokus auf die Schwächsten und Verletzlichsten zu legen – im internationalen wie im nationalen Kontext sowie vor Ort.
Dort, wo Kirche Menschen zusammenbringt, um in Zielkonflikten bei der Umsetzung der Agenda 2030 zu vermitteln, kann sie sich aber nicht auf die Rolle der neutralen Moderatorin zurückziehen. Zu ihrem Verkündigungsauftrag gehört das Eintreten für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Sie ist zum Widerspruch herausgefordert, wenn sich Partikularinteressen auf Kosten des Gemeinwohls durchzusetzen drohen oder die Suche nach einer Lösung, die den Leitprinzipien nachhaltiger Entwicklung entspricht, verhindert werden soll. Oft haben oder vermitteln die unterschiedlichsten (Interessen-)Gruppen auch den Eindruck, bereits verantwortungsbewusst und nachhaltig zu agieren – hier braucht es einen Ort, wo Menschen offen, angstfrei und fair über angebliche und/oder tatsächliche Fakten reden und Klarheit gewinnen können.
Dort, wo Kirche vermittelnd agieren und diesen Raum zur Verfügung stellen kann, sollte sie respektvoll, fair und wertschätzend mit allen Gesprächsteilnehmern und Gesprächsteilnehmerinnen umgehen, dies auch von allen anderen in der Runde einfordern, dabei aber nicht ihre eigenen An- und Einsichten verleugnen. Dies kann unter Umständen bedeuten, dass eine neutrale Moderation bzw. Mediation von außerhalb erforderlich ist, besonders dann, wenn Kirche durch ihr eigenes Tun oder Lassen selber Konfliktpartei ist, wie einige unserer Beispiele im Folgenden zeigen werden.
4.2.3 Kirche als Motor
Dieses Impulspapier will Kirche auf allen Ebenen ermutigen, eine neue Kreativität der Nachhaltigkeit zu entfalten und sich auf den Weg zu einer neuen Lebensweise zu machen. Transformation ist nicht Trauer und Trübsal, sondern Entdeckerfreude und Dankbarkeit. Wir sehen eine neue Bereitschaft wachsen, miteinander gute Beispiele auszutauschen über gelingende Schritte hin zu einem nachhaltigen und nur so universalisierbaren Lebensstil. In den kommenden Jahren wollen wir uns regelmäßig fragen und fragen lassen: Wie können wir schöpfungsgemäßer leben? Wo werden bereits gute Ideen gelebt? Was können wir von anderen lernen?
Mit diesem Impulspapier möchten wir einen Prozess anstoßen, der von geistreichen Transformationen berichtet, der die Zuversicht und die Dankbarkeit, die in uns wirken, sichtbar werden lässt. Für den Bereich Klimaschutz haben sich die Landeskirchen in Synodenbeschlüssen bereits ehrgeizige Einsparungsziele gesetzt, die mit Hilfe von Klimaschutzkonzepten erreicht werden sollen. Die Mehrheit der Landeskirchen hat ein solches Klimaschutzkonzept beschlossen. Die Zwischenbilanzen sind ermutigend, weil sie zeigen, dass die ersten gesetzten Ziele für 2015 nahezu erreicht wurden.[22] Für den Bereich nachhaltige Mobilität und ökofaire Beschaffung hat die EKD Synode 2017 ebenfalls beschlossen, die Gliedkirchen und Werke zu bitten, entsprechende Konzepte zu entwickeln und umzusetzen.[23] Auch im Themenfeld ethisch-nachhaltiger Geldanlagen gehören die evangelischen Landeskirchen, die evangelischen Banken, Versorgungskassen und die EKD zu den Vorreitern. Gemeinsam haben sie einen viel beachteten Leitfaden für ethisch-nachhaltige Geldanlagen in der evangelischen Kirche entwickelt, der Auskunft gibt zu Zielen, Instrumenten und konkreten Umsetzungen im Bereich ethisch-nachhaltiger Geldanlagen. Neben Ausschlusskriterien und ihrer Anwendung (Divestment), werden auch Positivkriterien, Themen und Direktinvestments sowie der Engagement-Ansatz erörtert.[24] Dieses Positionspapier ermutigt die Landeskirchen, die Werke und andere kirchliche Einrichtungen ausdrücklich, ähnliche Prozesse auch mit Blick auf die anderen Ziele der Agenda 2030 anzugehen. Leitendes Motiv sollte dabei sein, eigene Handlungsmöglichkeiten (und entsprechende Verantwortung) in den 17 Zielfeldern zu identifizieren, eigene quantifizierte und zeitlich befristete Ziele wo möglich zu beschreiben, Maßnahmen für die Umsetzung zu benennen und darüber regelmäßig zu berichten. Ein Prüfauftrag an geeignete Forschungseinrichtungen wie die Forschungsstätte der evangelischen Studiengemeinschaft e. V. (FEST), die bereits zu kommunalen Umsetzungsplänen arbeitet, kann dies unterstützen. Mit derartigen Maßnahmen können Kirchen tatsächlich zu Motoren einer nachhaltigen Entwicklung werden und ihren mahnenden Worten mehr Glaubwürdigkeit und Gewicht geben.
Darüber hinaus haben die Kirchen durch ihre vielfältige nahezu flächendeckende Bildungsarbeit in Kindertagesstätten, Schule, Konfirmandenunterricht und Erwachsenenbildung ganz besondere Möglichkeiten, zu einem Werte- und Bewusstseinswandel in der Gesellschaft beizutragen. Besonders geeignet sind hierfür auch Projekte der Bildung für nachhaltige Entwicklung.[25] Auch die spirituellen Impulse, wie sie zum Beispiel für Gottesdienste, für Fastenaktionen oder Pilgerwege[26] längst entwickelt wurden, sind für einen solchen gesellschaftlichen Transformationsprozess von großem Wert, weil sie nicht nur zur Entwicklung neuer Narrative beitragen, sondern auch zu Kraftquellen der notwendigen Transformation werden können. Einige Gemeinden sowie kirchliche Initiativen haben sich bereits aufgemacht, Wege zu erproben, wie sie zu solchen „Agenten des Wandels“ werden können.[27] Noch sind diese Gemeinden und Initiativen in der deutlichen Minderheit. Wenn diesem Vorbild mehr folgen würden, könnte daraus eine Bewegung mit transformativer Kraft werden.
Damit knüpfen wir an die Forderungen an, die in der Entwicklungsstudie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung im Jahr 2015 unter dem Titel „ . . . damit sie das Leben und volle Genüge haben sollen“[28 formuliert worden sind. Hier wurde die Erwartung ausgedrückt, dass die Agenda 2030 „Transforming Our World“ auf die eine große sozial-ökologische Transformation zu einer weltweiten menschenrechtsorientierten und schöpfungsfreundlicheren Entwicklung hinführen kann.
Die meisten Ziele nachhaltiger Entwicklung müssen dabei regional, also in Gemeinden und Kommunen, erreicht werden – bei uns und in der weltweiten Ökumene. Technisches Wissen und wohlverstandener Eigennutz sind nötig, aber nicht ausreichend. Der ökologische Fußabdruck, den wir mit unserer Lebensweise Tag für Tag hinterlassen, ist noch nicht nachhaltig. Wir sind davon überzeugt, dass es in den kommenden Jahren entscheidend auf unsere Haltung und unsere Werte ankommt. So freuen wir uns, dass von ermutigenden Aufbrüchen zu berichten ist. Wie sich Christinnen und Christen in Deutschland mit ihrer Haltung, ihren Gebeten und ihren Taten an der Transformation zu einer nachhaltigen Entwicklung bereits beteiligen und weiter optimistisch und ökumenisch beteiligen können, darum geht es auf den folgenden Seiten.
Der Weg ist lang, und die Zeit wird kurz. In Dankbarkeit für die Liebe des Schöpfers zu seiner Welt staunen, danken und loben wir: „All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu . . .“ und stellen uns mit Zuversicht der Herausforderung.
[18] Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (Neuauflage 2016), S. 24; https://www.bundesregierung.de/Content/Infomaterial/BPA/Bestellservice/Deutsche_Nachhaltigkeitsstrategie_Neuauflage_2016.pdf?__blob=publicationFile&v=19.
[19] Hierzu zählen: Länder und Kommunen, Wirtschaftsverbände und Unternehmen, Gewerkschaften, Sozialverbände, Verbände und Organisationen aus dem Entwicklungs-, Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsbereich, Kirchen und Religionsgemeinschaften, wissenschaftliche Institute und Plattformen, der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung und Rat für nachhaltige Entwicklung sowie weitere Verbände und Gruppen, die an Themen arbeiten, die mit der Agenda 2030 und/oder der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zu tun haben.
[20] Vgl. https://www.nachhaltigkeitsrat.de/
[21] Vgl. Michael Biehl, Bernd Kappes, Bärbel Wartenberg-Potter (2017): Grüne Reformation. Ökologische Theologie. Hamburg.
[23] Vgl. https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/s17_11_Beschluss_Engagement_Klimagerechtigkeit.pdf.
[24] Seit 10 Jahren arbeiten Finanzverantwortliche aus Kirche, Diakonie, kirchlichen Kassen und Banken im Arbeitskreis Kirchlicher Investoren zusammen, tauschen sich über aktuelle Entwicklungen im Bereich sozialverträglicher, ökologischer und generationengerechter Geldanlagen aus und führen gemeinsam Engagementdialoge zu diesen Fragen. Vgl. www.aki-ekd.de.
[25] Vgl. u. a. https://www.nachhaltigkeit.nrw.de/akteure/institutionen-netzwerke-fuer-mehr-nachhaltigkeit/institut-fuer-kirche-und-gesellschaft-der-evangelischen-kirche-von-westfalen/
[26] Vgl. www.nachhaltig-predigen.de; www.Klimafasten.de, www.klimapilgern.de
[27] www.umkehr-zum-leben.de; www.anders-wachsen.de; http://www.micha-initiative.de/
[28] Vgl. „. . . damit sie das Leben und volle Genüge haben sollen.“ Ein Beitrag zur Debatte über neue Leitbilder für eine zukunftsfähige Entwicklung. Eine Studie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung, Hannover 2015, EKD-Texte 122; https://www.ekd.de/ekdtext_122_leitbilder.htm.