Scheidender EKD-Vizepräsident Gundlach: Wir dürfen nicht klammern
Thies Gundlach leitete als theologischer Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes in Hannover seit Dezember 2010 die Hauptabteilung „Kirchliche Handlungsfelder und Bildung“
Frankfurt a.M. (epd). Am 31. Oktober, der in der evangelischen Kirche als Reformationstag gefeiert wird, geht der sogenannte Cheftheologe der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thies Gundlach, mit 65 Jahren in den Ruhestand. Gundlach leitete als theologischer Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes in Hannover seit Dezember 2010 die Hauptabteilung „Kirchliche Handlungsfelder und Bildung“. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sprach der gebürtige Lübecker über die neue Transformation, in der sich die Kirche befindet, und über die Sehnsucht nach dem „Kohlenstofflichen“ nach Corona.
Herr Gundlach, fühlen Sie sich bereit für den Ruhestand?
Thies Gundlach: Ich habe 20 Jahre Zeit gehabt, inhaltlich zu sagen und zu tun, was ich wichtig finde. Jetzt soll wirklich die nächste Generation ran. Ich finde es nicht gut, wenn Pensionäre anfangen zu sagen, wie es die Jungen machen sollen.
Sie hören eine Woche vor der EKD-Synode im November auf. Dort wird ein neuer Rat gewählt. Ich möchte Sie trotzdem fragen, was Sie den neuen Ratsmitgliedern noch mit auf den Weg geben wollen?
Gundlach: Wir müssen zurückbauen. Wir sind in einer Transformation, in einem Übergang zu einer neuen Form von Kirche. Die wird sicherlich kleiner sein, aber nicht zwingend schlechter. Dafür braucht es aber eine innere Haltung, Zuversicht und auch Lust, Neues auszuprobieren. Wir dürfen uns nicht an Strukturen und auch nicht an Positionen klammern. Die Hauptaufgabe für die Zukunft der Kirche wird daher eine geistliche und spirituelle sein.
Sie haben sogar dafür plädiert, nicht am Sonntagsgottesdienst zu klammern. Corona hat ja viele Gottesdienste schlanker gemacht. Was soll bleiben vom Gottesdienstleben unter Pandemiebedingungen?
Gundlach: Corona hat uns die Chance gegeben, die digitalen Feierformen wirklich zu professionalisieren. Dadurch, dass keine Gottesdienstgemeinde vor Ort war, ist der Zuschauer ins Zentrum gerückt. Corona war bei allem Kummer auch der erste Schritt einer Transformation, die gut ist.
Es gibt aber auch nach wie vor eine Sehnsucht nach dem Kohlenstofflichen und nach einer Abendmahlsfeier, die nicht verkrampft ist aufgrund der Hygienevorschriften. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch bald wieder die gewohnten Gottesdienstformen feiern werden, denn die liturgische Grundform des Sich-gemeinsam-vor-Gott-Versammelns wird nicht aufhören.
Ist durch Corona auch ein Generationswechsel gelungen? Die jungen digital-affinen Pfarrerinnen wurden sichtbar, die älteren Kanzelprediger rückten in den Hintergrund?
Gundlach: Ich bin fasziniert von diesen neuen digitalen Verkündigungsmöglichkeiten und den vielen jungen Menschen, die dahinterstehen. Auch ältere Kollegen haben sich während der Pandemie auf die digitalen Formate eingelassen. Ich bekomme das zum Teil auch gar nicht alles mit. Aber ich denke, in diese Richtung geht es weiter.
Trotzdem haben auch die herkömmlichen Formen ihren Platz. Der Gottesdienst zum Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe in Aachen Ende August war ein gutes Beispiel, was solche Gottesdienste können: Seelsorge an der Gesellschaft. Die Menschen waren berührt von den Traditionsbeständen, von den Texten und der Musik. Diese Kulturform hat Kraft, sie tröstet Menschen und hat deswegen Zukunft.
Im Augenblick wird viel über 2-G-Regeln für Veranstaltungen diskutiert. Bislang war es in den Kirchen so, dass weiterhin die gewohnten Hygienekonzepte mit Abstand und Maske galten und auch nicht geguckt wurde, ob jemand geimpft ist. Wird sich das mit Blick auf den Winter, etwa für die Weihnachtsgottesdienste, ändern?
Gundlach: Ich wäre sehr dafür, dass wir mindestens 3-G machen. Mit Blick auf Konzerte und Veranstaltungen wird das auch so sein. Bei den Gottesdiensten ist die Diskussion etwas diffiziler. Ich finde aber, wir sollten die gesellschaftlichen Impfbemühungen nicht unterlaufen. Hier liegt aber die Entscheidung bei den Landeskirchen.
Die Kirche sollte nicht zum Hort von Impfskeptikern werden, weil wir denken, dass ein Gottesdienst in jedem Fall zugänglich sein sollte. Diejenigen, die sich aus wenig überzeugenden Gründen nicht impfen lassen wollen, schließen sich selbst aus. Es ist nicht die Kirche, die jemanden ausschließt.
Sie waren in den vergangenen zwei Jahren Beobachter des katholischen Reformdialogs Synodaler Weg. Ursprung für die Reformbemühungen ist die Krise, die der Skandal um Missbrauch ausgelöst hat. Kann die evangelische Kirche vom Synodalen Weg etwas über den Umgang mit Missbrauch in ihren eigenen Reihen lernen?
Gundlach: Der Synodale Weg ist der Versuch einer katholischen Rekonstruktion von Synodalität und Demokratie im Verhältnis zum geistlichen Amt. Was man vielleicht bewundern kann, ist die Disziplin, mit der Bischöfe und Laien miteinander diskutieren und miteinander ins Gespräch zu kommen versuchen. Dieser Versuch ist richtig und wichtig, aber Synodalität ist manchmal auch ein bisschen umständlich. Diese Erfahrungen machen die Katholiken gerade.
Was ich toll finde, ist die alphabetische Sitzordnung. Bischöfe sitzen neben Laien. Das verbindet. Bei uns sitzen alle in einem Raum, aber nach Gremien getrennt.
Wie blicken Sie auf die Fortschritte in der Ökumene, etwa die Fortschritte auf dem Weg zum gemeinsamen Abendmahl?
Gundlach: Die Annäherung beim Abendmahl ist längst passiert. Die Gemeinden feiern miteinander, unabhängig davon, was die Kirchenhierarchie offiziell erlaubt. Keiner von uns hat mehr das Gefühl, dass wir einen katholischen Christen nicht einladen oder seine Einladung nicht annehmen dürften. Das ist längst vorbei.
Die Theologen hingegen werden sich noch sehr viele Jahre mit der Frage beschäftigen, ob das überhaupt geht. Aber meines Erachtens liegt der Widerstand gegen ein gegenseitiges Einladen nicht mehr auf einer kontroverstheologisch zu klärenden Ebene.
Gerade wird über eine neue Bundesregierung verhandelt. Sie sind Vorsitzender des Vereins „United4Rescue“ und haben sich für die Seenotrettung im Mittelmeer eingesetzt. Es hieß immer, das Bündnis macht das, bis politische Lösungen für das Problem gefunden werden. Wie groß sind Ihre Hoffnungen, dass das bald der Fall sein wird?
Gundlach: Ich hoffe sehr, dass wir unnötig werden. Aber Deutschland ist kein Mittelmeeranrainer. Deswegen hängen sehr viele europäische Fragen daran. Ich gehe davon aus, dass es noch eine ganze Zeit lang notwendig ist, private Seenotrettung zu unterstützen.
Auch wenn jetzt vermutlich die Grünen und die SPD an die Regierung kommen, werden sie nicht sofort in Europa eine neue Position durchsetzen können. Aber wir hoffen, dass das Bundesinnenministerium einen neuen Ton bekommen wird. Das wäre schon etwas.
Das Schöne an der Mitarbeit bei „United4Rescue“ ist, dass so viele Menschen in Deutschland unabhängig von der Parteizugehörigkeit sagen: „Man lässt keinen Menschen ertrinken.“ Dieser Konsens ist breit und unterstützt das Bündnis - und dafür bin sehr dankbar.
epd-Gespräch: Franziska Hein