Predigt beim Deutschen Pfarrertag in Augsburg
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland
Text: 1.Könige 18 und 19 Das Gottesurteil auf dem Karmel
Liebe Schwestern und Brüder,
Selig sind die Friedfertigen, denn sie sollen Gottes Kinder heißen! So haben wir es eben in der Evangeliumslesung gehört.
Darf man diesen berühmten Satz an den Beginn der Predigt über einen Text stellen, der nur so strotzt von Gewalt, der geradezu verstörend ist, weil er Gott als den Urheber eines großen Abschlachtens darstellt? Die Versuchung ist ja groß, dass wir Pfarrerinnen und Pfarrer, wenn wir einen herausfordernden Text haben und dann an der Predigtvorbereitung sitzen, zunächst erstmal nach Mitteln und Wegen suchen, den Text zu entschärfen, etwa indem wir nach geeigneten anderen Texten suchen, um die Herausforderungen des Textes durch den biblischen Kontext abzuschleifen. Und dann über einen „Kuschelgott“ predigen, der alles Fremde, Zumutende verloren hat. Bei einem Gewalttext ist eine Seligpreisung über die Friedensstifter natürlich eine ideale Kandidatin dafür.
Aber auch das Umgekehrte gilt: es gibt Gewalt verherrlichende Texte in der Bibel, die auch dadurch nicht zu retten sind, dass sie in den Kontext gestellt werden. Sie dürfen nicht eins zu eins gepredigt werden. Sie müssen schlicht kritisiert werden und dürfen nicht als irgendwie heute handlungsleitende Texte interpretiert werden.
Wir brauchen einen selbstkritischen Umgang mit den eigenen Traditionen gerade da, wo sie Gewalt verharmlosen oder gar ermutigen. Die Exegeten haben allein im Alten Testament 600 Textstellen mit expliziter Gewalt gezählt und 1000 Verse, in denen gewaltsames Handeln auf Gott zurückgeführt wird, Geschichten, in denen Gott das Töten befiehlt oder selbst andere tötet. „Texts of terror“ so hat die amerikanische Bibelwissenschaftlerin Phyllis Trible ihr Buch darüber betitelt. Zuweilen geht es in diesen Texten zu wie im Horrorfilm: Bei der „Schandtat der Gibeoniten“ geht es um einen gottesfürchtigen Mann, der zwei Frauen einer brutalen Massenvergewaltigung ausliefert (Richter 19,23-30). In Landnahme-Texten wie Josua 8,22-29 geht es um die Vernichtung der gesamten Einwohnerschaft von Ai, inklusive Frauen und Kindern – mit Gottes Segen. Und auch in der Geschichte vom Gottesurteil am Karmel fließt am Ende viel Blut: „Elia aber sprach zu ihnen: Greift die Propheten Baals, dass keiner von ihnen entrinne! Und sie ergriffen sie. Und Elia führte sie hinab an den Bach Kischon und schlachtete sie daselbst.“
Um nicht in die Falle des christlichen Anti-Judaismus zu tappen, ist es wichtig, sich klar zu machen, dass Gewaltberichte oder Gewaltphantasien mit Gott als Akteur nicht aufs Alte Testament begrenzt sind. Das, was in manchen Gerichtstexten als „Heulen und Zähneklappern“ bezeichnet wird, ist, wenn wir es wörtlich verstehen, das Erleiden brutalster Gewalt. Und umgekehrt ist auch das Alte Testament durchzogen von eindrucksvollen Traditionen der Überwindung von Gewalt. Schon die Tatsache, dass die Ursünde der Menschen anhand einer Gewalttat beschrieben wird, ist ein deutliches Beispiel dafür. Und erst recht, dass Kain als der Täter der Gewalt nicht etwa der Rache der anderen preisgegeben, sondern von Gott durch ein Körpermal aktiv dagegen geschützt wird.
Besonders berührend sind alttestamentliche Erzählungen, in denen Gott sich ändert, weil er die Gewalt nicht mehr will. „Das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an“ – so lautet die Begründung dafür, dass Gott die Sintflut schickt, die fast alles Leben vernichtet. Aber nicht alles Leben. Und an der Stelle, an der der gleiche Satz nochmals kommt, direkt nach der Sintflut, geht er in wunderbarer Weise weiter. „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ (Gen 8, 22f). Und der Regenbogen ist das Zeichen dieses ewigen Friedensbundes, der uns bis heute trägt und erhält.
Liebe Schwestern und Brüder, Gott hat sich uns erklärt in den Schriften des Alten und Neuen Testaments. Er sagt: Ich werde euch nicht mehr fallen lassen. Meine Trauer, mein heiliger Zorn über Eure Missachtung der guten Gebote, die ich euch gegeben haben, kommt nicht an gegen die Liebe, die ich zu euch als meinen Geschöpfen empfinde.
So sehr, liebe Schwestern und Brüder, hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit wir das Leben haben, damit wir das Leben in Fülle haben. In seinem Sohn Jesus Christus hat Gott die Gewalt überwunden, indem er sie selbst erleidet, selbst zum Gewaltopfer geworden ist, sich selbst an die Seite der Opfer von Gewalt heute gestellt hat und deswegen nie wieder für die Legitimation der Ausübung von Gewalt herhalten kann. Und auch nicht mehr, wie in der Geschichte vom Gottesurteil am Karmel, als brutaler Vernichter von Menschen anderen Glaubens dargestellt werden kann.
Der Triumphalismus gegenüber anderen Religionen ist gerade nicht die richtige Antwort auf das unbegreifliche barmherzige Handeln Gottes. Sondern im Gegenteil: die Demut. Das haben die nicht verstanden, die – oft unter Berufung auf das Christentum – andere Religionen pauschal abwerten oder sogar gegen sie hetzen. Gewaltaffine Traditionen im Islam müssen kritisch in den Blick genommen werden. Aber immer so, dass die Geschichte des Missbrauchs der eigenen Heiligen Schrift dabei im Bewusstsein ist. Um das zu verstehen, muss man sich nur einen Moment lang auf ein Gedankenexperiment einlassen und in der Geschichte vom Gottesurteil am Karmel die Rollen tauschen. Elia hieße jetzt Mohammed und die Baalspriester hießen jetzt Christen. Mohammed würde die Vernichtung der Christen befehlen. In meinem Bischofsbüro würden sich die Briefe stapeln und mein Mailfach würde überschwemmt von Islamkritikern, die einmal mehr in dieser Geschichte einen Beweis dafür sähen, dass der Islam von seinem tiefsten Grund her eine Gewaltreligion ist. Aber im Predigttext aus dem Alten Testament wird nicht von Mohammed berichtet, sondern von Elia, dem von uns hoch geschätzten Propheten des Gottes, an den wir Christen glauben.
Als Nachfolger des gekreuzigten Jesus sollten wir anderen Religionen nicht mit dem Gefühl der Überlegenheit oder des Triumphs begegnen, sondern mit der Haltung der Demut. Einer Demut, die das leidenschaftliche Zeugnis für unseren gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus genau darin zum Ausdruck bringt, dass sie für einen Umgang mit Menschen anderen oder gar keinen Glaubens wirbt, der von Achtung und Respekt geprägt ist. Die radikale Liebe Jesu Christi gilt jedem Menschen. In der Ziellinie dieser Liebe liegt eine Toleranz anderen Menschen gegenüber, die nur da endet, wo sie selbst die Intoleranz zum Programm machen und damit eine Saat legen, die am Ende in brutale Gewalt zu münden droht.
Die Liebe Jesu Christi ist dabei die Triebkraft für einen selbstkritischen Blick auf die Bibel und unsere Bekenntnistraditionen. „Was Christum treibet“ - die Regel Martin Luthers zur Auslegung der Bibel - gilt auch für unsere auf der Bibel gründenden Bekenntnisse. Wir tagen in der Stadt des Augsburgischen Bekenntnisses. Da gilt es, bei einem Kongress zum Thema Religion und Gewalt auch selbstkritisch auf die Passagen in der Confessio Augustana zu schauen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Denn wir haben neue Einsichten gewonnen.
Vor 70 Jahren wurde in Amsterdam bei der Gründung des ÖRK formuliert "Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein." Was bedeutet es für die Kirche heute, wenn ihr Bekenntnis in CA 16 ausdrücklich den gerechten Krieg unterstützt und die Täufer, die sich ausdrücklich dagegen wenden, verdammt? Fast fünf Jahrhunderte später müssen wir voller Trauer feststellen, dass diese Passage in unserem Bekenntnis immer wieder dazu missbraucht worden ist, Kriege zu legitimieren, die den extrem engen traditionellen Kriterien des gerechten Krieges gerade nicht entsprochen haben. Und wir müssen feststellen, dass die Vertreter der historischen Friedenskirchen wie die Mennoniten, gegen die sich diese Passage richtete, mit der Absage an jede Gewalt das deutlichere Zeugnis für Christus abgelegt haben. Was immer man an guten Argumenten anführen kann, in bestimmten Situationen zum Schutz der Zivilbevölkerung auch das Mittel militärischer Gewalt nicht auszuschließen, als gerecht kann diese Gewalt nie bezeichnet werden. Sie ist immer eine Niederlage. Sie ist immer mit Schuld verbunden, auch wenn der Verzicht auf wirksamen militärischen Schutz ebenso mit Schuld verbunden sein kann.
Auch in dem so von Gewalt durchtränkten Text über die Bekämpfung der Baalspropheten gibt es eine Spur, die auf den Charakter Gottes hinweist, wie er sich in Jesus Christus dann in der ganzen Fülle zeigt. Es ist die berührende Gottesbegegnung, die Elia hat, nachdem er, der für Gott Eifernde, sich voller Angst vor der Rache Isebels in eine Höhle geflüchtet hat.
Gott sagt: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR ging vorüber. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle.
Es ist nicht Wind, Erdbeben und Feuer, sondern ein stilles sanftes Sausen, in dem sich Gott zeigt.
Liebe Schwestern und Brüder,
lasst uns auf dieses sanfte Sausen hören, es wahrnehmen, es spüren, wenn wir nach Gott fragen, wenn wir Gott suchen, wenn wir Gott ersehnen. Und ihn manchmal in dem Lärm unseres Alltags, im Eifer der Gefechte unserer Tage nicht finden können. Lasst uns unsere Herzen öffnen für dieses Sausen. Und uns in die Demut führen lassen, in die Liebe führen lassen, in die Kraft führen lassen, in die Hoffnung führen lassen. Dorthin, wo Gottesliebe immer auch Menschenliebe heißt. Wo all unser Eifer vor Gott zur Ruhe kommt. Wo Gott uns mit dieser Welt versöhnt.
„Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Ja, man darf diesen Satz an den Anfang und an das Ende der Predigt über einen Gewalttext stellen. Denn der Weg, den Gott mit seinem Volk gegangen ist und weitergeht, führt nicht in die Gewalt, sondern in die Seligkeit. In eine Seligkeit, die von dem ewigen Friedensbund, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat, weiß. Die den inneren Frieden, die tiefe Zuversicht und die Freude, die damit verbunden ist, atmet und ausstrahlt. Gerade in unserem Beruf als Pfarrerinnen und Pfarrer dürfen wir, in allen schwierigen Situationen, in aller Erschöpfung, in aller Anfechtung, immer wieder die Erfahrung dieser Seligkeit machen – manchmal ganz überraschend.
Daraus dürfen wir leben. Daraus wollen wir leben. Davon wollen wir erzählen!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN
Es gilt das gesprochene Wort