EuGH urteilt über die Kündigung eines katholischen Chefarztes nach Wiederheirat

Das Urteil betrifft die verfassungsrechtliche Sonderstellung der Kirchen in Deutschland

Blcik übers Wasser auf den Europäischen Gerichtshof in Brüssel

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg.

Brüssel/Luxemburg (epd). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Mitarbeitern kirchlicher Einrichtungen den Rücken gestärkt. Die Glaubenslehre könne nur Kündigungsgrund sein, wenn sie direkt mit der Arbeitsstelle zusammenhänge, urteilten die Luxemburger Richter am 11. September. Anlass war der Fall eines katholischen Chefarztes, dem eine kirchlich getragene Düsseldorfer Klinik wegen seiner zweiten Ehe gekündigt hatte. Die katholische Kirche sieht die Gerichtsentscheidung kritisch. Nach Auffassung des evangelischen Kirchenrechtlers Hans Michael Heinig ist das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach dem Urteil geschwächt. (AZ: C-68/17)

Dass die katholische Glaubenslehre, wonach die Ehe heilig und unauflöslich ist, mit der Arbeit eines Mediziners direkt zusammenhängt, bezweifelten die Richter. Unter Berücksichtigung seiner Tätigkeiten als Chefarzt „erscheint die Akzeptanz dieses Eheverständnisses für die Bekundung des Ethos“ der Kirche als „nicht notwendig“, erklärte der EuGH. Der Fall geht nun zurück an das Bundesarbeitsgericht.

Der Arzt ist seit mehr als 18 Jahren und auch heute noch als Chefarzt an einer Düsseldorfer Klinik beschäftigt, die dem Erzbistum Köln untersteht. 2005 hatte er sich von seiner ihm katholisch angetrauten Frau scheiden lassen und später standesamtlich eine neue Partnerin geheiratet. Daraufhin kündigte ihm die Klinik. Sie begründete dies damit, dass die zweite Ehe nach Kirchenrecht ungültig sei. Dadurch habe er seine Loyalitätspflichten erheblich verletzt.

Verfassungsrechtliche Sonderstellung der Kirchen in Deutschland

Die Deutsche Bischofskonferenz erklärte in Bonn, sie sehe das Urteil kritisch, weil die verfassungsrechtliche Position, nach der die Kirchen ihre Angelegenheiten selbst bestimmen können, nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht in dem Urteil das Recht der Religionsgemeinschaften auf ein eigenes Arbeitsrecht bestätigt. Zugleich habe das Gericht hervorgehoben, dass staatliche Arbeitsgerichte kirchlichen Mitarbeitenden Rechtsschutz bei willkürlichen Entscheidungen oder ungerechten Behandlungen gewähren.

Der Rechtsstreit ging in Deutschland bis zum Bundesarbeitsgericht und zum Bundesverfassungsgericht. Der EuGH hatte nun das einschlägige EU-Gesetz zur Gleichbehandlung im Beruf auszulegen. Es sieht Privilegien für die Kirchen und andere weltanschauliche Gemeinschaften vor – offen war, wie weit sie reichen. Die Leitfrage lautete, ob kirchliche Arbeitgeber bei Leitungspositionen an Angehörige der eigenen Kirche andere Maßstäbe anlegen dürfen als an Andersgläubige oder Konfessionslose. Denn die Beachtung des kirchlichen Eheverständnisses wurde an der Klinik nur von katholischen Angestellten gefordert.

Laut EuGH-Urteil ist eine derartige Ungleichbehandlung zwar nicht ausgeschlossen. Sie müsse aber erstens Gegenstand gerichtlicher Kontrolle sein können und liege damit nicht im Belieben der Kirche. Zweitens müsse die Glaubenslehre eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ angesichts des Ethos der Kirche darstellen – woran die Richter im vorliegenden Fall Zweifel hatten.

Der EuGH äußerte sich auch zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das AGG stellt die deutsche Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie dar. Wenn das nationale Gesetz aber so formuliert sei, dass es nicht in Einklang mit EU-Recht zu bringen sei, dürfe es nicht angewendet werden, entschieden die Richter.

Kirchenrechtler Heinig: Einschnitt für das Arbeitsrecht der Kirchen

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßte die Gerichtsentscheidung. „Das Urteil stärkt den Diskriminierungsschutz der Beschäftigten bei Kirchen und kirchennahen Arbeitgebern“, sagte Bernhard Franke, der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle.

Die Gewerkschaft ver.di äußerte ebenfalls Zustimmung zu dem Urteil und forderte Änderungen im kirchlichen Arbeitsrecht. „Die kirchlichen Sonderrechte sind längst nicht mehr zeitgemäß. Die Beschäftigten in konfessionellen Einrichtungen müssen dieselben Rechte haben wie Beschäftigte anderswo“, sagte Gewerkschaftssekretär Mario Gembus.

Der Kirchenrechtler Heinig wertete das Urteil als Einschnitt für das Arbeitsrecht der Kirchen. „Der EuGH hat das bisherige System des kirchlichen Arbeitsrechts in Deutschland, die bisher vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Grundkoordinaten, wie erwartet verworfen“, sagte der Göttinger Jura-Professor dem epd. Die Entscheidung stärke Arbeitnehmerrechte und das Anliegen der Diskriminierungsverbote zulasten der kirchlichen Selbstbestimmung, sagte er.