Bischöfin Kirsten Fehrs: „Wir brauchen eine breite friedens- und sicherheitspolitische Debatte“

Amtierende Ratsvorsitzende äußert sich zur Debatte um Stationierung konventioneller Mittelstreckenraketen

Zur angekündigten Stationierung von konventionellen Mittelstreckenraketen in Deutschland äußert sich die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, aus Anlass des bevorstehenden Internationalen Tag des Friedens (21.9.) wie folgt:

„Der Weltfriedenstag steht ins Haus. Aber wir werden Tag für Tag mit immer neuen Schreckensnachrichten von kriegerischer Gewalt konfrontiert. So treibt mich heute ganz besonders die Frage um: Wie schaffen wir es da, an die Botschaft der Bergpredigt „Selig sind die, die da Frieden stiften“ so nahe wie möglich heranzurücken und zugleich vor der Realität nicht die Augen zu verschließen? Verdrängen hilft nicht weiter. Der Krieg in der Ukraine ist weniger als 1000 Kilometer entfernt. Zweieinhalb Jahre ist es her, dass russische Truppen das Land überfallen haben. Immer drängender wird die Frage: Wie soll dieser Krieg jemals enden? Und wie stellen wir sicher, dass sich ein solcher Angriff nicht wiederholt? Vor zwei Monaten haben die Bundesregierung und das Weiße Haus angekündigt, 2026 konventionelle Mittelstreckenraketen in Deutschland stationieren zu wollen. 

Um diese Frage ist es ziemlich still geworden. Dabei brauchen wir eine breite friedens- und sicherheitspolitische Debatte, in der Argumente sorgsam abgewogen werden. Das Thema bewegt viele Menschen und wird in den Landtagswahlkämpfen zum Thema gemacht. Ich wünsche mir, dass wir den Mut aufbringen, solche wichtigen Entscheidungen öffentlich intensiver zu diskutieren, schon um zu verhindern, dass dieses Thema  zum Gegenstand gezielter Desinformation und äußerer Beeinflussung wird.  Bringen neue Raketen mehr Sicherheit? Diese Frage hat schon einmal unser Land bewegt. Doch damals wurde heftig gestritten, in Parlamenten und in den Medien, auch innerhalb unserer Kirche. Das war anstrengend, hat unserer Gesellschaft aber am Ende gutgetan.  Dabei müssen wir einsehen: Die Situation hat sich auch für uns hier in Europa empfindlich verändert. Es geht nicht um Atomraketen. Und so bitter es ist: Putin ist nicht Gorbatschow. Russland führt einen aggressiven und brutalen Krieg. Und doch: Wir müssen sehen, wie wir auf den Pfad zum Frieden zurückkehren, zumindest zu Verhandlungen. Friedensethische und sicherheitsethische Überlegungen müssen engstens zusammengehen. Der in den 90iger Jahren von Manchen für erledigt gehaltene Gedanke der Abschreckung ist als Option offenbar nicht erledigt. Deshalb: Eine Stationierung von Mittelstreckenraketen wäre aus friedensethischer Sicht nur dann verantwortbar, wenn sie zur Verhinderung von Gewalt und damit zur Friedensförderung beiträgt. Auch deshalb kann die Ankündigung einer solchen Stationierung nur triftig sein, wenn damit zugleich signalisiert wird, ernsthaft in Abrüstungs- oder Rüstungskontrollverhandlungen  und so in eine neue Sicherheitsordnung einsteigen zu wollen. Beides zu kombinieren, raten auch die Fachleute: Militärisches Engagement muss stets darauf gerichtet sein, den Weg zum Frieden zu bahnen. In diesem Sinne hat sich auch die EKD stets in der Diskussion um Waffenlieferungen an die Ukraine positioniert.

Wir wollen es uns nicht leicht machen: Fördert eine Stationierung von Mittelstreckenraketen den Frieden, oder bedroht sie ihn?  Wir brauchen da dringend eine nüchterne fachorientierte Debatte, mehr Argumente – und vor allem engagierte Diskussionen der unterschiedlichen Positionen. Dabei gilt: Evangelisch verstanden stiften erst vier Dimensionen gemeinsam den gerechten Frieden, unser Leitbild: (1) Schutz vor Gewalt, (2) Förderung von Freiheit, (3) Abbau von Not und  (4) Anerkennung kultureller Vielfalt“, so die amtierende EKD- Ratsvorsitzende.

Der Rat der EKD hat sich in seiner vergangenen Sitzung im September zur Frage der Stationierung konventioneller Mittelstreckenraketen von dem Loccumer Politologen Thomas Müller-Färber eine erste Einschätzung in friedens- und sicherheitspolitischer sowie ethischer Perspektive geben lassen. Ein Interview mit Thomas Müller-Färber ist heute vom Magazin „zeitzeichen“ online veröffentlicht worden unter https://zeitzeichen.net/node/11371.

Hannover, 20. September 2024

Pressestelle der EKD
Carsten Splitt