Gemeinsame Stellungnahme zur Einführung § 62c zum Aufenthaltsgesetz
Bevollmächtigter des Rates der EKD und Katholisches Büro in Berlin
Gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin
zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines § 62c AufenthG, Stand 10. Juli 2020
Die beiden Kirchen danken dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat für die Gelegenheit, zum Referentenentwurf Stellung zu nehmen, mit dem durch Einführung des § 62c AufenthG eine „Ergänzende Vorbereitungshaft“ eingeführt werden soll. Aufgrund der erneut sehr kurzen Fristsetzung durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat von wenigen Werktagen, ist es den Kirchen nicht möglich, eine umfassende Stellungnahme abzugeben. Die folgende Stellungnahme beschränkt sich auf einige ausgewählte Aspekte. Die Kirchen behalten sich vor, im laufenden Verfahren weitere Punkte vorzutragen.
Grundsätzlich können die Kirchen nachvollziehen, dass der Gesetzgeber einen Haftgrund für Asylbewerber schaffen möchte, von denen eine besondere Gefahr ausgehen könnte. Vor dem Hintergrund des schweren Grundrechtseingriffs für die Betroffenen weisen die Kirchen aber darauf hin, dass Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nur aus „besonders wichtigen Gründen“ eingeschränkt werden darf.[1] In diesem Lichte, aber auch im Sinne des geltenden europäischen Rechts, möchten die Kirchen den Referentenentwurf kritisch beleuchten.
Die Kirchen sind der Ansicht, dass der Entwurf sich nicht in die geltende Systematik des deutschen Asyl- und Aufenthaltsrechts einfügt und zudem ein konsistenter Umgang mit den einschlägigen europäischen Richtlinien zu vermissen ist. Besorgniserregend ist zudem, dass der Referentenentwurf in allen dort geregelten Fällen davon ausgeht, der Asylantrag werde missbräuchlich gestellt. Weiterhin scheint der Bestimmtheitsgrundsatz für einen Hafttatbestand nicht genügend beachtet worden zu sein.
Da von der Regelung wesentliche Bereiche der Durchführung des Asylverfahrens berührt sind, weisen die Kirchen darauf hin, dass eine Regelung im AsylG statt im AufenthG systematisch geboten erscheint und der Einhaltung der Verfahrensgarantien der Betroffenen dienen würde.
Systematische Erwägungen
Der Referentenentwurf schafft mit dem § 62c AufenthG-E einen neuen Hafttatbestand zur Vorbereitung einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG. Demnach ist die „Ergänzende Vorbereitungshaft“ unter besonderen Voraussetzungen anzuordnen, auch wenn ein Asylantrag gestellt wurde. Es handelt sich somit um eine Haftanordnung während des Asylverfahrens. Der Referentenentwurf stellt jedoch lediglich fest, dass die Vorgaben der Asylverfahrens-[2] und Aufnahmerichtlinie[3] eingehalten werden.[4]
Allerdings wird die neue „Ergänzende Vorbereitungshaft“ im AufenthG im Anschluss an die Abschiebungshaft eingefügt und soll „[…] die bestehenden Vorschriften der Abschiebungshaft nach § 62 AufenthG und § 14 des AsylG“[5] ergänzen. Somit scheint diese Haft als Abschiebungshaft charakterisiert zu werden. Dafür spricht auch die Überschrift von § 62c AufenthG-E („Ergänzende Vorbereitungshaft“), die sich eindeutig auf die „Vorbereitungshaft“ als Unterkategorie der Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG bezieht, sowie die systematische Stellung der Neuregelung im Kanon der §§ 62 ff. AufenthG, die allesamt die Abschiebungshaft regeln. Darüber hinaus dient die „Ergänzende Vorbereitungshaft“ zumindest indirekt dem Zwecke der Vereinfachung der Durchführung der Abschiebung. Sie soll in den Fällen zur Anwendung kommen, in denen die Behörden davon ausgehen, dass der Asylantrag aus „voraussichtlich sachfremden“ Motiven gestellt wird[6], weswegen eine Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG aus Behördensicht zu erwarten ist und in der Folge auch der Vollzug der Abschiebung. Eine solche Inhaftnahme dient damit mittelbar der vereinfachten Durchführung einer Abschiebung.
Aus der Systematik des Gesetzes drängt sich somit der Schluss auf, dass die „Ergänzende Vorbereitungshaft“ eine Sonderform der Abschiebungshaft ist; dann wäre allerdings die Rückführungsrichtlinie[7] maßgeblich, denn diese regelt die „Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung“.[8] Eine Haftanordnung aufgrund dieser Richtlinie setzt zwingend voraus, dass eine tatsächliche Aussicht auf den erfolgreichen Vollzug einer Abschiebung besteht.[9] Genau das ist aber bei Asylantragstellenden, über deren Asylantrag noch nicht endgültig entschieden wurde, nicht der Fall – die Neuregelung steht somit im Widerspruch zur Rückführungsrichtlinie.[10]
Obwohl also die Rückführungsrichtlinie wegen der fehlenden Aussicht auf eine Abschiebung nicht einschlägig sein kann, werden in der Entwurfsbegründung die Haftgründe aus Art. 8 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie überhaupt nicht erwähnt. Darüber hinaus wird in § 62c AufenthG-E trotz eines laufenden Asylverfahrens kein Bezug zu den Garantien der Art. 9 bis 11 Aufnahmerichtlinie hergestellt, die die Verfahrensgarantien, Haftbedingungen und die Inhaftnahme besonders Schutzbedürftiger regeln.
Zur Vorschrift des § 62c AufenthG-E im Einzelnen
Nach § 62c Abs. 1 S. 1 AufenthG-E ist ein Ausländer, der sich entgegen einem bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG im Bundesgebiet aufhält und keine Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 8 AufenthG besitzt, zur Vorbereitung einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn von ihm eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht oder er aufgrund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 AufenthG ausgewiesen worden ist.
Die beiden zuletzt genannten Voraussetzungen verstoßen aus Sicht der Kirchen gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG. Entgegen der Rechtsprechung des EuGH[11] wurde der wenig konkrete Begriff der „erheblichen Gefahr für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit“ schon bei seiner Einführung durch das „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ vom 20. Juli 2017[12] nicht konkretisiert.[13] Bei einer gesetzlichen Regelung wie der vorliegenden, die durch die Ermöglichung der Inhaftierung einen weitreichenden Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG darstellt, muss der Gesetzgeber die Normen besonders klar und konkret formulieren, denn je schwerer der Grundrechtseingriff ist, desto höher sind die Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot. Zumindest aus der Gesetzesbegründung muss deutlich werden, welche konkreten Fälle der Gesetzgeber regeln möchte. Eine Konkretisierung findet jedoch auch im aktuellen Entwurf nicht statt.
Nach Auffassung der Kirchen ist der Verweis auf eine vorherige Ausweisung nach § 54 Abs. 1 AufenthG zu weitgehend. Die „erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter“ setzt schon nach ihrem Wortlaut eine schwere konkrete Gefahr für die betroffenen Rechtsgüter voraus. Auch wenn der Begriff der „erheblichen Gefahr für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit“ vom Gesetzgeber nicht definiert wird, ist er mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH zur „Gefahr für die öffentliche Ordnung“, eng auszulegen.[14] Demgegenüber scheint die grundsätzliche Einbeziehung der vorherigen Ausweisung nach § 54 Abs. 1 AufenthG unverhältnismäßig zu sein. So können Verurteilungen zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren bereits bei Delikten erfolgen, die die strengen Anforderungen des EuGHs hinsichtlich des Vorliegens einer erheblichen, konkreten Gefahr nicht erfüllen.
Die Kirchen erfüllt es mit Sorge, dass es nach dem Wortlaut der Vorschrift Ziel der Haft ist, eine Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG vorzubereiten. Eine solche steht jedoch erst am Ende eines Asylverfahrens, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach unvoreingenommener Prüfung festgestellt hat, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Schutzstatus nach §§ 2 ff. AsylG noch für ein Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 5 oder 7 AsylG vorliegen. Das vom Gesetzgeber vorgegebene Ziel der Inhaftnahme droht den Verlauf des Asylverfahrens zum Nachteil der Antragsteller zu beeinflussen. Diese Befürchtung wird durch einzelne Formulierungen der Entwurfsbegründung wie die „missbräuchliche Asylantragstellung“[15] und die Verhinderung eines „[…] Wettlauf[s] zwischen Haft und Asylantragstellung, insbesondere in Konstellationen, in denen der Asylantrag voraussichtlich aus sachfremden Motiven gestellt wird, […]“[16] verstärkt.
Für das Vorliegen von Flucht- oder Nachfluchtgründen ist ausschließlich auf die aktuelle Situation im Herkunftsland abzustellen, hierbei spielt es keine Rolle, ob der Ausländer sich trotz eines bestehenden Aufenthalts- und Wiedereinreiseverbots nach § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG in der Bundesrepublik aufhält oder in diese einreist. Der Gesetzgeber muss daher in den im Referentenentwurf geregelten Fallkonstellationen sicherstellen, dass das durch den Asylantrag eingeleitete Asylverfahren auch in der Haft sachgemäß durchgeführt wird. Die Kirchen halten dies generell für schwierig, da der Antragsteller in die Lage versetzt werden muss, dem BAMF alle für eine Zuerkennung des Schutzstatus relevanten Tatsachen vorzutragen. Hierfür ist der Zugang zu Asylverfahrens- und Rechtsberatung unerlässlich. Die Kirchen regen deshalb an, im Sinne des § 18a Abs. 1 S. 4 und 5 AsylG zumindest darauf hinzuweisen, dass der Betroffene unverzüglich angehört werden muss und ihm insbesondere die Möglichkeit gegeben wird, mit einem Rechtsbeistand Verbindung aufzunehmen. Dies würde den Vorgaben der Aufnahmerichtlinie entsprechen[17], auf die sich der Referentenentwurf stützt.[18]
Schließlich ist bei einer Durchführung des Asylverfahrens in Haft zu befürchten, dass besonders Schutzbedürftige, wie Folteropfer, traumatisierte Personen, geschlechtsspezifisch Verfolgte sowie Opfer von Menschenhandel bei ihrem Asylantrag nicht identifiziert werden können und deswegen nicht die für sie vorgesehenen Unterstützungen nach Art. 2, 24 Asylverfahrensrichtlinie und Art. 21 bis 25 Aufnahmerichtlinie erhalten.
Berlin, den 16. Juli 2020
[1] BVerfGE 22, 180 (219).
[2] Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), L 180/60.
[3] Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung), L 180/96.
[4] Referentenentwurf S. 6, 8.
[5] Referentenentwurf S. 1.
[6] Referentenentwurf S. 7.
[7] Richtline 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, L 348/106.
[8] Art. 15. ff. Rückführungsrichtlinie.
[9] Art. 15 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie, EuGH Urt. v. 30.11.2009 „Kadzoev“, C-357/09, Rn 65, 66.
[10] Siehe auch Erwägungsgrund 9 Rückführungsrichtlinie, wonach die Rückführungsrichtlinie während des Asylverfahrens keine Anwendung finden soll.
[11] EuGH, Urteil v. 15.6.2015, C-601/15 Rn 60, EuGH, Urteil v. 2.7.2020, C-18/19 Rn 43.
[12] BGBl 2017 I 2780.
[13] Siehe BT-Drs. 18/11546, S. 22, Referentenentwurf S. 7f.
[14] EuGH, Urteil v. 15.6.2015, C-601/15 Rn 60, EuGH, Urteil v. 2.7.2020, C-18/19 Rn 43.
[15] Referentenentwurf S. 6.
[16] Referentenentwurf S. 7.
[17] Art. 9 Abs. 4 Aufnahmerichtlinie.
[18] Referentenentwurf S. 8.
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