„Es lebe die Freiheit“
Vor 75 Jahren töteten die Nazis die Geschwister Scholl und Christoph Probst
Sehr verunsichert und mit bebendem Herzen betrat er die Zelle des 24-jährigen Studenten Hans Scholl im Münchner Gefängnis Stadelheim. Denn er habe nicht gewusst, wie er den Todeskandidaten in der kurzen Frist vor der Hinrichtung seelsorgerlich begleiten könne, schrieb Pfarrer Karl Alt in seinen Erinnerungen. Hans Scholl (1918-1943) habe ihn nach einem „festen Händedruck“ gebeten, den Psalm 90 („Herr, du bist unsere Zuflucht für und für“) und das berühmte „Hohelied der Liebe“ zu lesen.
Danach spendete ihm der Theologe das Abendmahl. „Ich bin ganz stark und ruhig“, ließ Hans Scholl seinen Eltern ausrichten. Seine letzten Worte vor dem Fallbeil waren „Es lebe die Freiheit“.
Auch Sophie Scholl (1921-1943), die jüngere Schwester von Hans, habe andachtsvoll das Abendmahl gefeiert, bis der Wächter an die Zellentür pochte. „Sie richtete aufrecht und ohne mit der Wimper zu zucken noch ihre letzten Grüße an den ihr unmittelbar folgenden innigst geliebten Bruder aus“, beschreibt Alt die letzten Augenblicke der Sophie Scholl. Sie wurde 21 Jahre alt.
Flugblätter gegen die Nazi-Herrschaft
Mit den Todesurteilen vor 75 Jahren, am 22. Februar 1943, wollte die Nazi-Justiz den studentischen Widerstand der Gruppe um die Geschwister Scholl im Keim ersticken. Zusammen mit Alexander Schmorell, Willi Graf und Christoph Probst sowie dem Hochschullehrer Kurt Huber waren Hans und Sophie Scholl der Kern der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Auch Christoph Probst (1919-1943), Vater von drei Kindern, wurde am 22. Februar 1943 hingerichtet. Ihn betreute Pfarrer Alt nicht, er war katholisch.
Mit illegalen Flugblättern, die sie selbst verteilten oder per Post verschickten, rief die Mitglieder der „Weißen Rose“ zum aktiven Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft auf und wandten sich gegen Antisemitismus und Rassismus.
Ein kurzer Prozess für die Geschwister Scholl
Als die Geschwister Scholl am 18. Februar 1943 im Lichthof der Münchner Universität ihre Flugblätter auslegten, stellte sie der Uni-Hausmeister Jakob Schmid und übergab sie der Gestapo. Der Hausmeister bekam dafür neben einem anerkennenden Händedruck von Gauleiter Paul Giesler als „Fangprämie“ 6.000 Reichsmark. Hans Scholl trug einen Flugblattentwurf von Christoph Probst bei sich, der daraufhin ebenfalls verhaftet wurde.
Die NS-Justiz machte mit den jungen Widerstandskämpfern kurzen Prozess, wohl auch um Nachahmer durch ein brutales Strafverfahren abzuschrecken. In einem dreieinhalbstündigen Schnellverfahren, zu dem sogar der berüchtigte Präsident des NS-Volksgerichtshofs, Roland Freisler, nach München kam, verurteilte das Gericht die Mitglieder der „Weißen Rose“ zum Tod durch Enthauptung. In großer Eile wurde das Urteil noch am selben Tag im Gefängnis Stadelheim vollstreckt.
Große Kälte und Grausamkeit
Von 1933 bis 1945 wurden hinter den Stadelheimer Gefängnismauern mehr als 1.200 Menschen getötet, häufig wegen geringfügiger Vergehen oder nur der kleinsten Kritik am NS-Regime. Die Todesurteile vollzog man in möglichst großer Kälte und Grausamkeit: Wie Pfarrer Alt in seinen Erinnerungen schreibt, gab es keine „Henkersmahlzeit“ mehr, das Kreuz wurde als „veraltetes Symbol“ aus dem Hinrichtungsraum entfernt, die Geistlichen sollten mit den Todeskandidaten nicht mehr laut beten.
Gegen diese Maßnahme hat sich der Pfarrer erfolgreich verwahrt, wobei er offensichtlich auch auf seine Kriegsverletzung aus dem Ersten Weltkrieg verwies, einen verkrüppelten Arm. Er war eigentlich Gemeindepfarrer der Lutherkirche in München-Giesing, betreute aber auch die evangelischen Todeskandidaten im nahe gelegenen Gefängnis Stadelheim. Alt starb 1951 im Alter von 54 Jahren.
„Ihr könnt den Körper, aber niemals den Geist zerstören!“
Eine besonders grausame Hinrichtungsmethode blieb den Geschwistern Scholl in Stadelheim erspart. Dabei wurden die Delinquenten stehend mit einem Strang erwürgt, „was entsetzlich lange dauerte", wie der Gefängnisseelsorger Alt schreibt. Daran sei der Gefängnisarzt, der allen Exekutionen pflichtmäßig beiwohnen musste, innerlich und äußerlich zerbrochen.
Als schauerliches Relikt aus der Schreckenszeit ist die Guillotine, auf der die Widerstandskämpfer ermordet wurden, durch einen Zufall Anfang 2014 im Depot des Bayerischen Nationalmuseums wieder entdeckt worden. Ausgestellt wurde sie jedoch nicht. Denn es sei undenkbar, dass angesichts des gewaltsamen Todes der jungen Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime „gekichert oder lüstern geschaut“ werde, brachte die Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler die Argumente gegen eine Zurschaustellung der Guillotine auf den Punkt.
Zwei Tage nach ihrer Hinrichtung beerdigte Pfarrer Alt die Geschwister Scholl auf einem von der Gestapo abgeriegelten Teil des Friedhofs am Perlacher Forst in München. Ihre Ideen konnten die Nazis nicht auslöschen: Bereits kurz nach der Ermordung von Hans und Sophie Scholl stand an der Mauer der Universität der Schriftzug „Scholl lebt! Ihr könnt den Körper, aber niemals den Geist zerstören!“ Heute erinnert unter dem Lichthof der Universität eine Dauerausstellung an die „Weiße Rose“.
Achim Schmid (epd)