Predigt zur Christvesper 2024 in der Hauptkirche St. Michaelis in Hamburg

Predigt der Ratsvorsitzenden der EKD, Bischöfin Kirsten Fehrs, zu Lukas 2

Liebe Gemeinde,

wissen Sie, was das Weihnachtswort schlechthin ist? Neben „Friede“ natürlich. Es ist: „Freude“! Wir haben es eben gesungen. Freude – und: Jauchzen. Ein wunderbares Wort

Die Ratsvorsitzende der EKD Kirsten Fehrs bei der Christvesper 24.12.2023.

Als ich vor einiger Zeit in einer internationalen Gemeinde unterwegs war, hat mir das viel Vergnügen bereitet. Der Kollege aus Tansania nämlich hat es mit wachsender Begeisterung immer wieder ausgesprochen (was für ihn gar nicht so leicht war): Jauch-zen. Seine Augen wurden dabei immer größer: Jauch-zen. Da ist ein kleiner Hüpfer enthalten. Machen wir uns die kleine Freude, probieren wir es auch einmal wie einen leckeren Zimtstern: Jauch-zen!

Wow. Nie wird so viel gejubelt wie an Weihnachten. Jauchzet, frohlocket! Tochter Zion, freue dich! Joy to the world …

Weihnachten ist ein Freudenfest. Eigentlich. Aber in diesem Jahr? Da bleibt vielen die Freude im Halse stecken. Allemal weil einem die schrecklichen Bilder aus Magdeburg so zu Herzen gehen. Die Toten und die vielen Verwundeten. So viel sinnloser Tod, zerbrochene Lebensentwürfe, verlorene Träume. So viel Leid und Trauer. Und Fassungslosigkeit, wie ein einzelner, völlig wirrer Menschverächter mit seinem Wahn ein ganzes Land in Angst und Trauer versetzt. Und in Wut. Wut, die im Internet aufgeheizt wird. Von Extremisten, die uns aufeinander hetzen wollen. Es ist zum Fürchten.

Und nicht allein Magdeburg, unerhört viele schlechte Nachrichten machen es der Weihnachtsfreude derzeit schwer. Krieg in Europa. Krieg in Nahost. Hungernde Kinder. Klimakrise und Wirtschaftskrisen. Millionen Flüchtlinge überall auf der Welt. Die Demokratie in akuter Gefahr, kriselnde Sozial- und Gesundheitssysteme, Wohnungsnot und und und.

Dazu kommt, was nicht in Zeitungen steht: der unversöhnliche Streit in der Familie, die Angst vor Tod und Verlust, das Leiden unter Krankheit, die Einsamkeit. Es gibt viele Gründe, sich zu fürchten und unglücklich zu sein.

Und dennoch: Es gibt auch das Andere! Dennoch: Die ganze Weihnachtsgeschichte erzählt von diesem Dennoch. Gott sei Dank! „Fürchtet euch nicht!“ ruft der Engel ja nicht nur den Hirten zu, die da ängstlich zitternd, herzensklamm und zukunftsverzagt auf den Feldern Bethlehems stehen.

Nein, er ruft es uns zu. Heute! Auf gar keinen Fall dürfen Angst und Verzweiflung die Macht über uns gewinnen, sagt er. Nicht zynisch werden, sondern wachsam. Nicht ins Schneckenhaus zurückziehen, sondern losgehen und „sehen, was geschehen“, was los ist! So wie die Hirten es dann tatsächlich auch tun. Schlicht, weil der Engel sie so berührt hat. Mit seinem Licht und seiner Klarheit und seinem hellen Wort.

Fürchtet euch nicht. Die Weihnachtsgeschichte, liebe Geschwister, ist ein einziges, kraftvolles, engelgesungenes Dennoch. Für alle aufgewühlten Seelen – dass sie zur Ruhe kommen mögen. Für die zutiefst von Feindschaft verwundete Welt – dass wir sie und uns an die Macht der Liebe erinnern.

Fürchte dich nicht. Diese trotzige Zuversicht des Engels trägt die Menschheit von jeher durch die Kriege und Nöte der Jahrhunderte. Auch deshalb könnte der Weihnachtsfunke doch überspringen, oder? Ich wünsche uns das sehr, denn: Ohne Freude und Glück – wie sollten wir da leben? Wie den Dunkelheiten unserer Zeit etwas entgegensetzen ohne Hoffnung? Wie den Hass überwinden ohne Liebe?

Vor ein paar Tagen durfte ich es miterleben, wie ein Paar seine Liebe feierte. Am 20. Hochzeitstag. Alle Freunde waren gekommen, und es wurde mit so viel Herz über diese Liebe erzählt, dass sie in allen lebendig wurde. Es wurde mit ihr heiter gelacht, gerührt geweint. „All you need ist love“ gesungen – sensationell. Da war so viel Zuneigung im Kirchenraum, soviel Humor, Leichtigkeit und Tiefsinn zugleich, so viel Jauch-zen! Und mir ging durch den Sinn: genau. Jetzt ist die Zeit. Zeit, um das Leben zu feiern und die Liebe. Denn das ist ja viel mehr als ein Event für zwei Liebende gewesen. Es ist ein Statement gegen die Gewalt dieser Tage. Dafür, dass jede Liebe die Welt zum Guten verändern kann. Weil sie immer auch andere meint. Liebe bleibt nie nur für sich, sie strahlt aus und sucht des Menschen Freundlichkeit. Und raunt dir zu: Jauch-zet!

Denn jetzt ist die Zeit: Weihnachtszeit. Die mir dieses Jahr auch wenig vorkommt wie eine Auszeit – ein Moment des Innehaltens, um all diese Trauer, um den politischen Streit, die vielen Krisen und schlechten Nachrichten einmal hintenan zu stellen. Und dies gerade nicht, weil man gleichgültig wäre dem Leid gegenüber, das uns gerade bis an die Herzhaut berührt. Sondern im Gegenteil, um Kraft zu schöpfen für die Aufgaben, die vor uns liegen, Kraft, um es mit all den Widersprüchen in unserem Leben, ja, um es mit dem Hass in der Welt aufzunehmen.

Eine Auszeit also, um neu die alte Botschaft zu hören. Und heute vor allem auch: zu sehen. Denn das ist das Besondere an der Weihnachtsgeschichte – alle sind in Bewegung, um zu sehen, was ihr Leben verändern könnte. Es geht ums Konkrete! Und so machen Maria und Josef sich auf. Die Weisen aus dem Morgenlande machen sich auf. Und die Hirten auch. Alle nämlich ahnen es: Eine andere Wirklichkeit wartet. Jenseits der Angst. Und also: „Lasst uns gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.“

Tja – und dann finden die Hirten sich auf einmal in einem Stall wieder. Klamm ist es dort und kalt. So ärmlich wie sie selbst sich fühlen. Naiv sind sie nämlich nicht, die Hirten. Sie sehen, was sie sehen. Stroh und erbärmliche Verhältnisse. Eine junge ledige Mutter, heimatlos, ein König Herodes der schon die Messer wetzt.

Das Wunder ist: Die Hirten sehen zwar die Welt, wie sie ist, brutal und ungerecht. Sie sehen ein bedrohtes Kind und seine Schutzlosigkeit. Und trotzdem – und das ist Weihnachten – dennoch sehen sie durch Angst und Sorge hindurch, das, was da vor allem durchscheint, nämlich ein Neugeborenes, so zerbrechlich und zart wie das Leben selbst, verletzlich, aber unendlich schön. Ein neuer Anfang, ein neues Leben, das die Welt verändern wird. Ein kleiner Mensch, in dem Gottes Wirklichkeit auf die Erde niederkommt.

Denn nichts Geringeres tut dieses Jesuskind, als die Welt aus den Angeln zu heben. Stets sieht dieser Gottessohn die am Rand, tröstet und heilt, stellt die Mächtigen in Frage und die Kinder in die Mitte, und gibt sich schließlich hin für eine versöhnte Menschheit. Und tut es bis heute. Uns ist heute der Heiland geboren. Er liegt da, seht ihr, in der Krippe, strahlt dich so unerhört freundlich an und sieht, wer du bist, mit all deinem Glanz und deinen Möglichkeiten. Er ist die Liebe in Person – und weint deshalb darüber, was Menschen einander antun können.

Die Hirten sehen all das mit ihren Herzen und wissen sich verstanden und geborgen. Schaut nur, flüstern sie einander ergriffen zu, da liegt die unendliche Liebe Gottes, sie hat winzig kleine Hände und so herrlich unabgelaufene Füße! Und die Hirten fangen an sich zu freuen, fühlen Kraft und Trost und wissen, dass fortan ihr Leben anders weitergehen wird! „Und sie kehrten um und priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten!“

Sehen wir es auch? Wenn wir aus diesem Gottesdienst nach Hause gehen? Dass es mitten in unserem unsicheren Leben so viel Liebe gibt, die nur gesehen werden will? Das ist nämlich das Geheimnis der Weihnachtsfreude, dieser kleine Sprung im Jauch-zen, der veränderte Blick auf die Welt. Auf das Gelingende. Hoffnungsmutige. Der Blick, der Jesus Christus sieht. Durch alle schlechten Nachrichten hindurch: im Lächeln deiner Sitznachbarinnen in der U-Bahn, im jungen Mann, der Obdachlose mit Essen versorgt, in unserem Paar, das seine Liebe feiert, im Hospiz, wenn jemand friedensleis die Welt verlässt und in jedem Kind, das neu geboren wird.

Jetzt ist die Zeit, liebe Geschwister, den Schmerz und das Unrecht zwar zu sehen und doch immer zu wissen: Das ist nur die Hälfte. Von der alle Angstmacher der Welt behaupten, es wäre alles. Ist es aber nicht. Denn uns ist der Heiland geboren. Friedefürst und Freudensonne, Christ der Retter ist da. Das ist doch ein Grund zu feiern! Also: Fürchtet euch nicht! Sondern machen wir es wie Gott: Werden wir Mensch – und lieben das Leben.

Ich wünsche Ihnen von Herzen fröhliche und gesegnete Weihnachten. Amen.