Grußwort zum Gedenken der Reichspogromnacht am 8. November 2018 in Würzburg
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland
Lieber Herr Schuster, meine Damen und Herren,
morgen jähren sich zum 80. Mal die schrecklichen Ereignisse des 9. November 1938, an dem in ganz Deutschland Synagogen zerstört, jüdische Geschäftshäuser geplündert und Deutsche jüdischen Glaubens verhaftet und getötet wurden. Wir haben heute Abend dazu bereits einiges gehört. Und auch darüber, dass der 9. November ein Gedenk- und Erinnerungstag für viele weitere Ereignisse in unserem Land ist.
Reinhard Kardinal Marx hat in seinem Grußwort angesprochen, dass heute wieder vermehrt Menschen in Deutschland das Gedenken an die schrecklichen Ereignisse des 9. November zurückdrängen oder klein halten wollen. Und damit eine Relativierung der Gräueltaten des 9. November 1938 betreiben. Wer einmal an einer Holocaust-Gedenkstätte die Namen derer gelesen hat, die durch die Nationalsozialisten ermordet wurden; wer die Geschichten und die damit verbundenen Schicksale gehört hat, die hinter den einzelnen Namen stehen, der kann nie und nimmer dafür plädieren, das Gedenken an die Pogromnacht zurückzudrängen und die Untaten von damals nicht mehr in gleicher Weise wie bisher in Erinnerung zu rufen und im Gedächtnis zu behalten.
Der Rückblick in die dunkelsten Stunden der Deutschen Geschichte macht uns bewusst, welch große Schuld die Menschen in unserem Land auf sich geladen haben, indem sie gemordet, getreten und geschlagen, denunziert oder einfach nur weggesehen haben.
Für die meisten handelt es sich bei der Erinnerung an die Reichspogromnacht um eine Geschichte, die sie vielleicht von Augenzeugen erzählt bekommen haben, oder, sehr viel wahrscheinlicher, lediglich aus Büchern, Filmen und Bildern kennen.
Und das zeigt schon die Herausforderung, vor der wir heute, im Jahr 2018 und den kommenden Jahren stehen. Es geht darum, das Geschehene nicht einfach Geschichte sein zu lassen, sondern die Erinnerung wach zu halten und zwar in dem Sinne, dass daraus eine Verantwortung für Gegenwart und Zukunft erwächst.
Der Blick in die dunkelsten Stunden unserer Geschichte zeigt uns auch, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, ich möchte sagen, dass es ein Wunder ist, dass wir heute gemeinsam in Geschwisterlichkeit an diesem Ort hier in Würzburg stehen und miteinander gedenken und trauern. Und dass wir zugleich dankbar sind für die Tatsache, dass Jüdinnen und Juden heute wieder selbstverständlich in Deutschland leben und sich hier zuhause fühlen. Wer dies mit seinen Worten und Taten versucht zu gefährden oder zu zerstören, muss mit unserem heftigen und vereinten Widerstand rechnen. Wir werden einfach nicht zulassen, dass sich Menschen jüdischen Glaubens in unserem Land nicht zu Hause oder sich gar bedroht fühlen. Uns als Kirchen, die wir selbst viel Schuld im Hinblick auf unseren Umgang mit unseren jüdischen Geschwistern in der Vergangenheit auf uns geladen haben, kommt hierbei eine besondere Verantwortung zu.
Die Schuld unserer Kirchen verpflichtet uns später Geborene, ehrlich und wahrhaftig mit dem umzugehen, was damals geschehen ist. Wir erhoffen und erbitten für die, die damals Verantwortung trugen und die, die damals schweigend zugeschaut haben, Gottes Vergebung. Die aber kann er nur selbst zusprechen.
Für uns resultiert aus der unzweifelhaften Schuld der Christen damals die klare Aufgabe: wir dürfen es nicht zulassen, dass Juden heute bei uns in Unsicherheit, in Gefahr und Angst leben. Wir müssen alles tun, damit das dumme antisemitische Denken, Reden und Handeln von Alt- und Neonazis aber auch aus der Mitte der Gesellschaft, bei uns keinerlei Chance und keinerlei Einfluss hat.
Deswegen haben die Evangelischen Kirchen Deutschlands heute in einer gemeinsamen Erklärung festgestellt: „Die Reichspogromnacht gehört für immer zur Erinnerungskultur unseres Landes. Antisemitismus ist kein Phänomen von gestern. Der Anschlag in Pittsburgh, antisemitische Vorfälle in Deutschland sowie die unverminderte Hetze gegen Jüdinnen und Juden im Netz zeigen: Es ist heute weiterhin nötig, allen Formen von Judenfeindschaft und Antisemitismus entgegen zu treten. Christlicher Glaube und Judenfeindschaft schließen einander aus. Antisemitismus ist Gotteslästerung.“
Unsere Aufgabe ist es, unsere Kinder und Jugendlichen so erziehen, dass sie Respekt haben vor allen Menschen, auch und gerade vor den Menschen jüdischen Glaubens, die unter uns leben. Ihnen gilt weiterhin Gottes Verheißung, dass sie zu dem Volk gehören, das Gott erwählt hat. Darum sind sie unsere Schwestern und Brüder.
Ich bin froh und dankbar, dass wir sowohl als Landeskirche, die wir vor 20 Jahren eine wichtige und eindeutige Erklärung zum christlich-jüdischen Dialog verabschiedet haben, als auch als Evangelische Kirche in Deutschland, so beispielsweise mit der neuen Stiftungsprofessur zum christlich-jüdischen Dialog, klar unsere Verbindung und unsere Solidarität mit den jüdischen Geschwistern zum Ausdruck bringen.
Ein friedliches, freundschaftliches und geschwisterliches Miteinander – daran werden wir immer wieder erinnert – ist nicht selbstverständlich. Wer weiß, wie wertvoll dieses Miteinander ist, der streitet mit aller Kraft dafür, dass dieses Miteinander auch so bleibt, dass es vertieft wird und allen Gefährdungen von außen widersteht. Dafür werden wir uns weiterhin mit all unserer Kraft und mit unserem Herzen einsetzen.
Von ganzem Herzen sage ich: Shalom!