„Hier ist die Nora mit der Zeitlupe“

Wie eine Gemeindepädagogin gehörlosen Kindern Geschichten erzählt

Eigentlich wollte Gemeindepädagogin Nora Henker nur Kontakt halten, als die Kinderkirche wegen Corona ausfallen musste. Also schrieb sie Geschichten, nahm sie auf und stellte sie online. Doch die Resonanz war so überwältigend, dass der einfache Geschichten-Podcast zu einem inklusiven Multimedia-Projekt für Kinder heranreifte.

Sven Kriszio

Nora Henker

Die Gemeindepädagogin Nora Henker erzählt gehörlosen Kindern in dem Podcast „Zeitlupe“ Geschichten über historische Persönlichkeiten.

Grumbach. Wenn Kinder die paar Takte Klaviermusik hören, dann wissen sie schon, dass sie sich wieder auf eine der Geschichten von Nora Henker freuen können. „Hier ist die Nora mit der Zeitlupe“, heißt es dann. „Dem Geschichten-Podcast zum Sehen und Hören.“ Und die Kinder wissen, dass sie in den kommenden zehn bis 15 Minuten wieder eine historische Persönlichkeit kennenlernen.

„Anfangs habe ich einfach drauf losgeredet“, erzählt die Gemeindepädagogin. Die damalige Mitarbeiterin der Kirchengemeinde Wilsdruffer Land, Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, wollte im Frühjahr 2020 Kontakt halten, als die Kinderkirche wochenlang wegen der Corona-Pandemie ausfallen musste. Daraufhin habe sie viel positive Resonanz erhalten. „Viele Eltern waren so dankbar. Das hat mich motiviert, weiter zu machen“, sagt die 40-Jährige. „Damals wusste ja auch niemand, wie es mit der Pandemie weitergehen würde.“

Nachts, wenn ihr Mann und ihre drei Kinder schliefen, habe sie recherchiert und ihre Geschichten aufgeschrieben. „Ich wollte den Kindern hoffnungsvolle Geschichten erzählen und ihnen Mut machen. Ich war ein bisschen wie in einem Rausch.“ Während des ersten Lockdowns entwickelte sie 18 Folgen.

Die Gemeindepädagogin wollte den Kindern erklären, warum es jetzt wichtig ist, sich die Hände zu waschen und Abstand zu halten. Sie erzählte von Florence Nightingale und Elisabeth von Thüringen, die sich beide für kranke Menschen eingesetzt haben. Aber auch andere Persönlichkeiten wie den südafrikanischen Bischof Desmond Tutu stellte sie vor. „Es geht immer um Menschen, die mich beeindruckt haben.“ Sie wolle diese Werte vermitteln: „Wenn die Kinder mir jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit schenken, dann muss ich die Gelegenheit nutzen, um ihnen etwas zum Thema Menschlichkeit und für den Kampf gegen Rassismus mit zu geben.“

Die Geschichten leben von den Erfahrungen einer dreifachen Mutter und Gemeindepädagogin. Denn es wären keine Geschichten für Kinder, wenn Nora Henker nicht immer einen Zugang finden würde, der die jungen Zuhörer direkt mitnehmen und ansprechen würde. „Ich versuche, mich auf die Situation der Kinder einzulassen, und ich suche nach etwas Lustigem. Bei Albert Schweitzer hat es besonders viel Spaß gemacht, denn er hatte das Schweinchen Josefine bei sich aufgenommen, das von Moskitos geplagt war.“ 

Florence Nightingale
Desmond Tutu
Albert Schweitzer

Es sind diese kleinen Details, auf die Nora Henker bei ihren Erzählungen achtet. „Ich fühle mich in die Atmosphäre rein und versuche mir zum Beispiel vorzustellen, wie es riecht. Das hilft mir, anschaulich zu erzählen.“

Dass aus dem Geschichten-Podcast seit Herbst 2020 nach und nach zum Multimedia-Projekt „Zeitlupe“ wurde, hat Nora Henker nicht nur ihrem Sohn zu verdanken. „Er hatte mich anfangs ermahnt, mich beim Zusammenschneiden der Geschichten mehr anzustrengen“, schmunzelt Henker.  Und schließlich habe sie eine Freundin mit einem gehörlosen Kind ermuntert, aus dem Geschichten-Podcast ein inklusives Angebot zu machen. „Sie beklagte sich, dass es kaum gebärdensprachliche Angebote für Kinder im Bereich Religion und religiöser Bildung gibt.“ Das habe Nora Henker nachdenklich gemacht.

Doch Videos mit einer Gebärdendolmetscherin, die den gesprochenen Text durch Gesten sichtbar machte, waren Nora Henker zu wenig. „Ich wollte es richtig machen und fragte eine Künstlerin, ob sie meine Geschichten illustrieren könnte. Als sie zusagte, ging für mich eine Tür auf. Es fühlte sich wie Fügung an.“

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Landeskirche Sachsens und der Verein „Andere Zeiten“ gaben Zuschüsse, so dass auch ein Designer beteiligt werden konnte, der die Homepage gestaltete. Ein Video-Editor unterstützte sie beim Schnitt der Videos, ein weiterer Illustrator gesellte sich ebenfalls dazu. „Ich habe ein tolles Team zusammen. Es sind Profis, die ein Herz für dieses Projekt haben.“

Henker selbst hat sich erst vor wenigen Monaten ein professionelles Mikrophon angeschafft. Davor nahm sie ihre Texte mit dem Handy auf und saß zur Vermeidung von Schall in Decken und Kissen eingehüllt im Etagenbett ihrer Kinder.

Doch mittlerweile verbringt Henker, die auch für den christlichen Liedermacher Christian Zehendner arbeitet, mit der „Zeitlupe“ einen großen Teil ihrer Zeit, unter anderem beantragt sie Fördergelder. Mit einem Facebook-Post habe sie mehr als 30.000 Menschen erreicht, erzählt sie. Das Interesse sei groß. Und doch fürchtet sie um die Zukunft der „Zeitlupe.“ „Es wäre schön, wenn es für gehörlose Kinder mehr Angebote und eine Lobby gäbe.“


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