Ökumenisches Friedensgebet zum 1. Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine
Prälatin Anne Gidion, Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union
„für den Frieden beten – der Opfer Gedenken – die Hoffnung bewahren“
Ökumenisches Friedensgebet
zum 1. Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine
St. Thomas von Aquin,
Kirche der Katholischen Akademie Berlin
Donnerstag 24. Februar 2023
Frieden hinterlasse ich Euch.
Frieden - als etwas, das ist. Als etwas, das bleibt, wenn Jesus geht. Das ist eine gute Nachricht.
Frieden ist, was bleibt.
Und ich sehe in den Augen derer, zu denen diese Worte gesprochen sind, Männer und Frauen, die lange Zeit mit Jesus unterwegs waren, die so viel mit ihm erlebt haben, so viele Wunder, so viele Antworten, so viel Reich Gottes, ich sehe in ihren Augen diese eine Frage: Frieden? Wirklich? Die Römer besetzen unser Land, Unfriede an jeder Ecke, Unfrieden zwischen denen, die Christen geworden sind und denen, die es nicht sind, Unfriede überall, was ist das für eine Hinterlassenschaft? Und sofort ist die Hoffnung da: Vielleicht wirft er ja doch die Besatzer raus. Dann wäre Frieden. Vielleicht ist er für Waffen gegen die Römer, dann wäre Frieden, irgendwann.
Wie hinterlässt jemand, was noch kommen soll? Und warum? Wie ist das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in diesem einen letzten Vers von der Lesung aus dem Johannesevangelium: Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden geben ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.
Also doch keine Revolution. Alles bleibt beim Alten. Römer bleiben Römer, die Welt bleibt die Welt, Unfriede bleibt der Alltag.
Das Wort „Frieden“ zieht sich durch das Alte und das Neue Testament. Schalom heißt Friede bei Moses und den Propheten. Eirene dann im neuen Testament und Pax in den lateinischen Bibelübersetzungen.
Was ist das jeweils für ein Friede? Ein Friede als Hinterlassenschaft? Als etwas, was bleibt?
Schalom, das bezeichnet das Beziehungsverhältnis zwischen Gott und Mensch. Irene ist die griechische, Pax die römische Friedensgöttin.
Der Friede aus dem Johannesevangelium ist ein Zuspruch. Zugleich ist er eine Kritik an dem Schalom, wie ihn die Menschen bislang kannten.
Johannes betont immer wieder: Es kommt etwas Neues, es kommt ein anderer Friede.
Wir versuchen nicht, auszudehnen, was wir kennen.
Gottes Wort ist im Werden. Es ist noch nicht da im Alltag der Welt.
Der Friede, der ist, ist nicht der Friede, der wird. Noch nicht.
Das war schon zur Zeit des Johannes nicht der Friede, wie ihn die Menschen erlebten – etwa 150 Jahre nachdem Jesus gestorben war. Einen Frieden zu verheißen - das war damals genau das, was nicht war. Und ist es jetzt.
Frieden - nicht, wie die Welt ihn gibt. Aber wie dann? Ja, wie dann?
Euer Herz erschrecke nicht, sagt Jesus, sagt Johannes.
Wie denn nicht erschrecken? Nach 365 Tagen Krieg, angesichts von mehr als 100.000en Toten, ihren Angehörigen, angesichts Millionen geflüchteter Menschen, zerstörter Städte, Gebäude, Lebensräume? Träume? Wie da nicht erschrecken, dauerhaft?
Frieden hinterlasse ich Euch, sagt Jesus, sagt Johannes.
Haben wir Frieden zu hinterlassen? Sollen wir lieber schweigen? Oder erzählen davon, dass Gottes Friede ein anderer Friede ist?
Wie hinterlassen wir etwas, was erst noch kommen soll?
Friede ist ein Zuspruch. Und ein Zustand. Der ist längst geworden. Es ist der Frieden von Jesus, der die Knie fest macht und aufsteht zum ersten Schritt auf die anderen zu. Es ist der Friede, der die Hand ausstreckt zur Versöhnung. Es ist der Friede, der Herz weiter schlagen lässt – auch wenn es schreit. Es ist der Friede, der zuhört. Es ist der Friede, ohne den kein anderer Friede werden kann und bleibt. Der Friede lässt uns zusammen beten, gemeinsam singen und gemeinsam schweigen. Miteinander und füreinander.
Der Frieden, den wir uns vorstellen können, ist nicht der, der Bestand hat.
Jesus hat uns einen Frieden gegeben, den die Welt uns nicht gibt.
Friede sei mit Euch, sagt Jesus, als er das letzte Mahl mit seinen Jüngerinnen und Jüngern feiert.
Friede sei mit Euch.
Deshalb: Seinen Frieden geben wir einander. Nicht, wie ihn die Welt uns gibt. Und selbst können wir ihn uns nicht geben. Aber wir können ihn weitergeben.
Gebt einander ein Zeichen des Friedens. Reicht einander die Hand und sagt dazu: Friede sei mit Dir.
(Pause – Händereichen)
Nicht so wie die Welt ihn gibt, wird Friede sein. Der Friede Christi aber, der uns hinterlassen ist, ist längst da. Ist längst hier. Er stärkt unsere Hände und Knie und macht die Herzen fest in der Hoffnung und den Mut erstaunlich groß.
Also, liebe Geschwister, so schreibt es der Evangelist Johannes am Ende des 14. Kapitels, als letzten Satz: Steht auf, wir wollen gehen.
Amen.