„Wir sind kein Streichelzoo“
Das Hofgut Richerode im nördlichen Teil Hessens ist eine Erfolgsgeschichte. Vor allem wegen der Menschen, die auf dem Bioland-Betrieb arbeiten.
„Ein Bio-Betrieb? Noch dazu mit Menschen mit Behinderungen? Viele Kollegen waren anfangs skeptisch“, erinnert sich Frank Radu, Betriebsleiter des Hephata-Hofguts Richerode. Heute ist das Hofgut eine anerkannte Werkstatt für Menschen mit Behinderungen, nach den Bioland-Richtlinien zertifiziert und der größte Standort der sozialen Landwirtschaft Hephatas.
Das Hofgut Richerode in Nordhessen gehört seit 1916 zu Hephata. Bis 1968 diente es der eigenen Versorgung, danach wurde es verpachtet. Erst 1988 fiel der Entschluss, die eigene Landwirtschaft zu reaktivieren, als Bio-Landwirtschaft. „Die Achtung vor der Schöpfung, ein ressourcenschonender und nachhaltiger Umgang mit Natur und Tieren sind uns wichtig. Und natürlich das Potenzial der vielseitigen Arbeitsangebote, das eine Bio-Landwirtschaft hat. Denn unser erster Auftrag ist es, Menschen mit Behinderungen Teilhabe und Inklusion zu ermöglichen“, sagt Radu.
Vor der Zertifizierung 1993 stand eine zweijährige Vorbereitungszeit. Zum Ackerbau kam die Tierhaltung dazu. Handarbeit statt großer Maschinen, Unkrautjäten statt Chemie sowie die Vielseitigkeit einer Kreislauf-Wirtschaft statt der Spezialisierung auf einen Bereich. Heute bewirtschaften 50 Menschen mit Behinderungen und 14 Mitarbeiter:innen 155 Hektar Ackerland und 78 Hektar Dauergrünland, bauen verschiedene Sorten Speisekartoffeln an, halten 180 Mastschweine, 460 Legehennen, 42 Mastrinder und 58 Mastbullen.
Doch die persönlichen Entwicklungen hinter den Kennzahlen sind die eigentlichen Erfolgsgeschichten. „Es fasziniert und motiviert mich immer wieder, welche Wendungen Biografien nehmen, wie Menschen mit ihren Aufgaben wachsen“, sagt Frank Radu. Viele Klient:innen haben Phasen mit Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit, Schulden und Alkoholmissbrauch hinter sich. „Die Arbeit im Team, im Einklang von Mensch und Natur, mit hochwertigen Arbeitsergebnissen – das macht etwas mit den Menschen. Jeder kriegt hier seine zweite Chance. Auch, wenn die Arbeit mitunter anstrengend ist. Wir sind kein Streichelzoo. Bei uns ist die Landwirtschaft real.“
Dazu gehört auch der Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels. Radu sitzt für die Delegiertenversammlung von Bioland in der Arbeitsgruppe Biodiversität. „Ökolandbau begrenzt sich nicht nur auf Wirtschaftlichkeit, auch die Biodiversität um die Äcker drumherum gehört für mich dazu. Wir haben Wegbepflanzungen an den Feldwegen vorgenommen, erosionsgefährdete Flächen vom Ackerland zu Grünflächen gemacht, auch wenn wir es nicht gemusst hätten.“ Freiwillig erbringen Klient:innen und Mitarbeiter:innen des Hofguts naturschutzfachliche Dienstleistungen für das Forstamt, wie die Pflege eines Biotops. „Ich sehe uns da in der Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen.“
Deswegen gibt das Team des Bio-Hofguts als „Demonstrationsbetrieb Ökolandbau“ sein Wissen gerne weiter. Besuche von Studierenden der Uni Witzenhausen, der Veterinärmedizin Gießen, des Bauernverbandes, von Kindergärten, Schulen, ausländischen Gästen und sogar Sterneköch:innen sind Alltag. Dank all dem ist die Skepsis der Anfangsjahre der Anerkennung gewichen. Frank Radu: „Vieles braucht seine Zeit, die Menschen, die Natur. Ich bin stolz, was wir hier erreicht haben, und sehr dankbar.“
Von Melanie Schmitt
Hintergrund: Das Bio-Hofgut Richerode ist einer von vier landwirtschaftlichen Bioland-Standorten Hephatas. Ebenfalls nach Bioland zertifiziert ist der Hephata-Metzger „Alsfelder Biofleisch“. Die fünf Einrichtungen gehören zum Hephata-Geschäftsbereich Soziale Rehabilitation und sind anerkannte Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Insgesamt arbeiten hier rund 200 Menschen mit und ohne Behinderungen. Die fünf Standorte bilden eine Betriebskette, in der auch die Produkte von anderen Bio-Landwirtschaften verarbeitet, verpackt und verkauft werden.
Weitere Infos finden Sie auf der Seite von Hephata