In der Kraft des Glaubens
Mit einer Orientierungshilfe will die EKD Begegnungen mit Pfingstkirchen fördern
Das Verhältnis zwischen den Pfingstkirchen und den historisch-etablierten Kirchen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verbessert. Mit einer Orientierungshilfe will die EKD jetzt zu weiteren Schritten des Dialogs ermutigen. Ein Gespräch mit Claudia Jahnel und Jean-Daniel Plüss.
Warum beschäftigt sich die EKD mit den Pfingstkirchen?
Claudia Jahnel: Die Pfingstkirchen sind weltweit die am schnellsten wachsende christliche Bewegung. Auch in Deutschland ist die charismatisch-lebendige Spiritualität für viele Menschen sehr attraktiv. Sowohl charismatische Gruppen innerhalb der bei uns historisch-etablierten Kirchen als auch eigene Pfingstgemeinden finden daher großen Zuspruch.
Doch es gibt Spannungen zwischen ihnen und den Partnerkirchen der EKD, zum Beispiel wenn pfingstliche Megakirchen einen fundamentalistischen Einfluss auf Politik und Gesellschaft ausüben. Auch die manchmal unübersichtliche Vielfalt pfingstlicher Bewegungen und das Interesse daran, das ökumenische Gespräch zu vertiefen, haben die EKD dazu veranlasst, eine Orientierungshilfe in Auftrag zu geben.
Wie sind die Reaktionen der Pfingstkirchen?
Jean-Daniel Plüss: Es ging den ersten Pfingstgemeinden nicht darum, sich von anderen Kirchen zu trennen, als sie vor über 100 Jahren entstanden. Sie hatten damals den Eindruck, dass der Geist Gottes seine Kirche erfrischen will. Deswegen werden die zwischenkirchlichen Gespräche heute begrüßt.
Wie ist das Verhältnis zwischen den „Kirchen der Reformation“ und den Pfingstkirchen?
Jean-Daniel Plüss: Das Verhältnis ist global gesehen ganz verschieden. Generell kann man sagen, dass das Verhältnis insgesamt besser und enger wird. Als 1996 der Dialog zwischen der Reformierten Weltgemeinschaft und Pfingstlern begann, spürte man noch eine gewisse Zurückhaltung unter den Teilnehmern. Doch seitdem ist Vertrauen gewachsen, sind Freundschaften entstanden. Was uns im Glauben verbindet, ist viel stärker als die Dinge, die die beiden kirchlichen Familien voneinander unterscheiden.
Claudia Jahnel: Ich denke, mit der Orientierungshilfe wird deutlich, dass sich das ökumenische Klima deutlich verbessert hat, auch in Deutschland. Charismatische Bewegungen und Pfingstkirchen werden allmählich ernst genommen und sind mehr und mehr auch in regionalen Arbeitsgemeinschaften Christlicher Kirchen präsent. Auf Weltebene ist Ökumene ohne die Präsenz von Pfingstkirchen schon fast nicht mehr vorstellbar, auch wenn die Gespräche nicht immer einfach sind.
Woher rühren die Spannungen?
Jean-Daniel Plüss: In Deutschland führten bedauerliche Zwischenfälle zu Beginn der Pfingstbewegung zu einer Verurteilung derselben in gewissen evangelischen Kreisen. 1996 wurden Differenzen aber offiziell beigelegt. Was den Missionseifer betrifft, hat man auf beiden Seiten neue Einsichten gewonnen. Zum einen gehört Mission zum Wesen der Kirche. Zum anderen muss Mission ethisch vertretbar gelebt werden.
Was kritisieren die Kirchen der Reformation an den Pfingstkirchen?
Claudia Jahnel: Es gibt einen Kritikpunkt, den die Reformatoren im 16. Jahrhundert in Reaktion auf die Täufer:innenbewegung aufbrachten und der leider hartnäckig zu Vorurteilen gegenüber Pfingstkirchen geführt hat: die Unmittelbarkeit der Geisterfahrung, also die Vorstellung dass sich der Heilige Geist unabhängig vom biblischen Zeugnis erfahren lasse. Dieser Kritikpunkt ist aber schon historisch nicht haltbar, denn die Reformatoren waren in ihrer Interpretation der Täufer:innen sehr einseitig.
Was ist demgegenüber das Selbstverständnis der Pfingstkirchen und was kritisieren sie an den Kirchen der Reformation?
Jean-Daniel Plüss: Die meisten Pfingstler haben prinzipiell nichts gegen die Kirchen der Reformation, denn sie verstehen sich selber als Träger der Anliegen der Reformation. Wo es zu Differenzen kommt, liegt es eher daran, wie der Glaube ausgelebt wird. Ist der Glaube nur eine intellektuelle Überzeugung oder verändert die Gnade Gottes den ganzen Menschen? Pfingstler wollen bewusst offen für das Wirken des Heiligen Geistes sein.
Welche Aufgabe hat die Orientierungshilfe?
Claudia Jahnel: Die Orientierungshilfe möchte zum einen informieren und dadurch zur Differenzierung beitragen. Pfingstkirche ist ja nicht gleich Pfingstkirche. Zum anderen möchte sie Lust machen, sich auf die ökumenische Begegnung, aber auch auf theologische Fragen einzulassen.
Ist der Schritt hin zu den Pfingstkirchen ein Ausdruck der Angst, Mitglieder zu verlieren? Was machen die Pfingstkirchen besser?
Claudia Jahnel: Nicht Angst, eher wird den Kirchen bewusst, dass es auch unter den eigenen Mitgliedern eine Sehnsucht nach lebendiger Spiritualität gibt, die durch herkömmliche gottesdienstliche Praxis nicht gedeckt wird. Die Pfingstkirchen geben einen wichtigen Impuls zur Reformation eigener Praxis und Theologie. Dabei wird aber auch bewusst, was zum eigenen Profil gehört.
Wie soll der Dialog vertieft werden?
Claudia Jahnel: Der Dialog kann auf sehr unterschiedlichen Ebenen stattfinden, regional auf Gemeinde- oder etwa ACK-Ebene, deutschlandweit und international. Mir ist auch der akademische Austausch sehr wichtig. Foren wie „GloPent“ haben bereits Theolog:innen und andere Akademiker:innen weltweit zusammengebracht. In Deutschland ist das akademische Gespräch mit Pfingsttheolog:innen bislang rar. Es braucht sicher konkrete Verantwortliche bei EKD und ACK und Strukturen, die den Dialog aktiv vorantreiben.
Jean-Daniel Plüss: Wichtig scheint mir, dass bei allen Vorschlägen der Orientierungshilfe die geistliche Dimension nicht vernachlässigt wird. Pfingstler wollen nicht nur reden und handeln, sondern sie wollen ihre Arbeit im Wissen der Gegenwart Gottes und unter seinem Segen tun. Gemeinsam ist unsere Aufgabe, die Kraft des Evangeliums unter die Menschen und in die ganze Schöpfung zu bringen, damit Heil, Versöhnung und Gerechtigkeit im Namen Christi möglich wird.
Zu den Personen
Dr. Claudia Jahnel ist Professorin für Interkulturelle Theologie und Körperlichkeit in Bochum. Sie leitet die Arbeitsgruppe Pfingstkirchen in der Kammer der EKD für Weltweite Ökumene und war federführend an der Entstehung der Orientierungshilfe beteiligt. Sie ist selbst Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
Dr. Jean-Daniel Plüss erforscht die weltweite Pfingstbewegungund ist Referent in verschiedenen kirchlichen Institutionen. Außerdem ist er an den Dialogen zwischen den Pfingstkirchen, den reformierten und den lutherischen Kirchen beteiligt. Er selbst ist in einer Pfingstgemeinde aktiv und Mitglied der Evangelisch-reformierten Kirche in der Schweiz.
Etwa ein Viertel der weltweiten Christenheit gehört bereits pfingstlichen oder charismatischen Gruppierungen an. Dennoch ist in traditionellen Kirchenkreisen meist nur wenig über sie bekannt. Diese Orientierungshilfe bietet Verantwortlichen in der EKD entsprechende Hintergrundinformationen. Das Buch gibt unter anderem einen historischen Überblick und zahlreiche Fallbeispiele. Praxisempfehlungen regen dazu an, aufeinander zuzugehen und Vorurteile zu überwinden. So soll ein konstruktiver Dialog angestoßen werden, der die Pfingstkirchen theologisch ernst nimmt, kritische Aspekte jedoch nicht ausblendet.
Evangelische Verlagsanstalt GmbH, 2021
ISBN 978-3-374-06961-3
Preis 12 Euro
English Version: Pentecostal Movement and Charismatization