175 Jahre Diakonie: „Freiheit ist keine Freiheit, wenn die soziale Frage nicht gelöst ist“
EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus mahnt zum Schutz der Demokratie und würdigt die Rolle der Diakonie für den Zusammenhalt
Anlässlich des 175. Jubiläums der Diakonie in Deutschland hat die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, die Errungenschaft der Demokratie in Deutschland gewürdigt. Die Gründung der Diakonie im Jahr 1848 falle zusammen mit der Verabschiedung der demokratischen Reichsverfassung in der Frankfurter Paulskirche, die als Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland gilt. „Ich will diejenigen, die Demokratie erkämpft haben und für sie zu Märtyrern wurden, mit in unsere heutige Feier nehmen und sie hochleben lassen – an der Seite der Väter und Mütter der Diakonie“, so Kurschus bei der Festveranstaltung in Berlin, an der Gäste aus Kirche Gesellschaft und Politik, darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz teilnahmen. „An die Hungerrevolten müssen wir denken und an die Barrikadenkämpfe in Berlin; an die Menschen, die auf die Straße gingen für die bürgerlichen Rechte, die uns heute so selbstverständlich sind; an die schwarz-rot-goldene Bewegung gegen die deutsche Polizei- und Kleinstaaterei. Und wir müssen an die vielen Toten denken, die dieser große Kampf für Demokratie gekostet hat. Heute, im Jahr 2023, da die Demokratie wieder so viele Verächter hat, erst recht,“ so die EKD-Ratsvorsitzende.
In ihrer Andacht zu Beginn der Jubiläumsveranstaltung hob Kurschus zugleich die Bedeutung der Wohlfahrt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie hervor: „Alle, die sich gegenwärtig darum mühen, den demokratischen Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu sichern und zu stärken, sollen und müssen wissen – und zwar ohne den Hauch eines Zweifels! –, dass Kirche und Diakonie dabei sind. Wir werden unser Möglichstes dazu beitragen, dass Recht Recht und Freiheit Freiheit bleibt“, so Kurschus. Jüngstes Beispiel sei die Forderung der Diakonie, mindestens 20 Milliarden Euro für eine Kindergrundsicherung aufzuwenden. „Solche diakonischen Einreden in die Politik wagen wir in der Spur Jesu Christi, sie sind praktiziertes Evangelium! Und als praktiziertes Evangelium sind sie angewandte Demokratie.“
Am 22. September 1848 hatte der Hamburger Theologe Johann Hinrich Wichern in einer spontanen Rede auf dem Kirchentag in Wittenberg einen „Central-Ausschuss für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche“ gefordert und damit den Grundstein für die organisierte Diakonie gelegt.
Wichern habe verstanden: „Die Familien, deren Kinder ich in Hamburg-Sankt Georg aus dem Dreck aufsammle, fragen nicht zuerst nach Gott, und genauso wenig sind sie interessiert an Pressefreiheit“, so Kurschus „Sie sind nicht einmal mehr interessiert an Liebe und Zuwendung, denn sie wissen gar nicht, was das ist. Sie sind interessiert an einem Stück Brot, egal ob gekauft oder gestohlen.“ Wichern habe verstanden, „was damals in der Kirche und auch unter den Freiheitskämpfern viel zu wenige verstanden: Freiheit ist keine Freiheit, wenn die sozialen Fragen nicht gelöst sind“, erinnerte die EKD-Ratsvorsitzende.
Die Diakonie ist der soziale Dienst der evangelischen Kirche. Unter ihrem Dach sind deutschlandweit mehr als 627.000 hauptamtlich Mitarbeitende in rund 33.000 Einrichtungen und Angeboten beschäftigt. Im Zentrum der Arbeit stehen Familien, Menschen in Not, Pflegebedürftige, Kranke, Menschen mit Behinderung sowie Geflüchtete und Migrant*innen.
Hannover, 22. September 2023
Pressestelle der EKD
Carsten Splitt