Zurück zu den Wurzeln: Kirch up Platt

In einer Mecklenburger Dorfkirche werden regelmäßig plattdeutsche Gottesdienste gefeiert

Plattdeutsches Wörterbuch

Wenn man mal ein Wort nicht kennt oder nicht verstanden hat, hilft das „Plattdüütsch Lektionar“  weiter.

Uns' Vadder in' Himmel,
heilig grot wäs bi uns dien' Nam'.
Dien Herrschaft sall sick dörchsetten.
Wat du wisst, sall gescheihn,
so as in' Himmel ok up de Ierd.

So beginnt das Vaterunser, wie es die Kirchenbesucher in den plattdeutschen Gottesdiensten in der Dorfkirche von Kirch Stück beten. Das kleine Dorf liegt nördlich von Schwerin, an der B106, die nach Wismar führt. Gleich hinter dem Ortsschild, auf der linken Seite: die St.-Georg-Kirche. Der Parkplatz ist heute voll bis auf den letzten Platz. Zu den Gottesdiensten up Platt kommen immer auch Besucher von weiter her – aus Schwerin, Wismar, Gadebusch. Die Dorfkirche in Kirch Stück ist bekannt als das „Plattdeutsche kirchliche Zentrum Kirch Stück“. 30 Gottesdienstbesucher sitzen an diesem Sonntagmorgen in den Kirchenbänken. Für einen normalen Sonntagsgottesdienst in Mecklenburg-Vorpommern ist das viel. Der weit überwiegende Teil der Bevölkerung – etwa 80 Prozent – ist konfessionslos und das Bundesland ohnehin dünn besiedelt, entsprechend klein sind die Kirchengemeinden und entsprechend rar besetzt sind die Kirchenbänke an Sonntagen.

Alle singen begeistert up Platt

Doch im plattdeutschen Gottesdienst sitzen nicht nur Gemeindemitglieder – und auch nicht nur Kirchenmitglieder. Einige sind auch da, um eine andere Tradition zu pflegen: das Plattdeutsche. Viele kennen es noch von früher, von Großeltern, Eltern, aber heute wird es nur noch wenig gesprochen. Jürgen Hansen, Vorsitzender des Fördervereins der Kirche zu Kirch Stück, der sich zum Ziel gesetzt hat, die plattdeutsche Sprache an diesem Ort zu pflegen: „Es ist eine Sprache, die viele Jahrhunderte lang Amtssprache war und auch Kirchensprache im ganzen Ostseeraum. Diese Sprache gilt es einfach im Ohr zu behalten. Sprachvermittlung können wir nicht machen, das würde uns überfordern als Förderverein und als Kirchengemeinde. Aber wir können natürlich dafür sorgen, dass jeder, der Plattdeutsch hören will, das bei uns in der Kirche kann.“

Heute hören es die Gottesdienstbesucher von Pastor im Ruhestand Christian Voß, er gestaltet den Gottesdienst up Platt in Kirch Stück mehrmals im Jahr. Viele der Texte hat er selbst bearbeitet oder übertragen in das Mecklenburger Platt, das nur eine der vielen Dialektformen ist. Kirchenlieder, Evangeliumslesung, Predigt, Gebet – alles wie im hochdeutschen Gottesdienst, nur eben alles up Platt. Neben dem Hören scheint es vielen Gottesdienstbesuchern aber auch wichtig zu sein, mal wieder Platt zu schnacken. Während Gottesdienstbesucher sonst oft etwas verhalten mitsingen – und es durchaus auch Menschen gibt, die nur so tun als würden sie mitsingen – singen heute alle begeistert mit.

Was ist noch anders im plattdeutschen Gottesdienst? „Alles ist direkter, weil die Sprache auch direkter ist“, sagt Jürgen Hansen. Auch das zeigt sich im plattdeutschen Vaterunser, in dem es weiter heißt …

Laat uns Dag för Dag taukamen,
wat wi tau'n Läben bruken.

Ins Hochdeutsche übersetzt, heißt das „Lass uns Tag für Tag zukommen, was wir zum Leben brauchen“, und das steht dem doch eher kryptischen „Unser tägliches Brot gib uns heute“ gegenüber. Mit seiner Direktheit ist das Plattdeutsch eine besonders gute Sprache, um zu predigen.

Und auch wenn es auf der Liste der bedrohten Sprachen steht, es also immer weniger Sprecher gibt und viele es darum als altbacken empfinden, eignet es sich auch gut, um auszusprechen, was uns heute bewegt. So tut es Pastor Christian Voß an diesem Morgen in seiner Predigt zu Lukas 17,5 und 17,6. In den beiden Versen geht es um die Größe des Glaubens, und Voß erinnert unter anderem daran, wie viel Leid Menschen im Laufe der Geschichte verursacht haben, die von sich selbst sagten, sie hätten den größten Glauben. Aber „wi dörven nich bloot up de Muslime wiesen“, sagt Voß, und: „Wi Christen möten uns ganz dull an de egne Näs packen.“

Ein Ort der Begegnung

Viele sind an diesem Sonntag auch nach Kirch Stück gekommen, um sich die Kirche anzusehen, im Anschluss an den Gottesdienst führen Mitglieder des Fördervereins durch das Gotteshaus, erzählen und zeigen, was seit 2012 in der Kirche passiert ist. Für 880.000 Euro ist sie umfänglich saniert worden. Unter anderem ist sie jetzt behindertengerecht und hat einen neuen Versammlungsraum im Kirchenschiff mit Teeküche, Toilette und Heizung, in dem die Besucher nach dem Gottesdienst gemeinsam Kaffee trinken und Klönschnack halten. Die Kirche ist zu einem Ort der Begegnung geworden, nicht nur für die Kirchengemeinde, den Versammlungsraum können auch Vereine und Gruppen nutzen, Chöre und Schulklassen. Um sie zu einem solchen Ort der Begegnung zu machen, haben sich Kirchengemeinde und Förderverein darauf geeinigt, aus der Kirche das „Plattdeutsche kirchliche Zentrum Kirch Stück“ zu machen.

Viele Kirchen in Mecklenburg-Vorpommern bekommen eine weitere Aufgabe neben ihrer traditionellen Bestimmung. Damit es sich auch lohnt, die Kirchen für viel Geld zu sanieren. Andere Beispiele sind die Kunstkirche in Rosenow oder die Fahrradkirche in Groß Salitz. Auch in Kirch Stück gab es noch andere Überlegungen, verrät Jürgen Hansen: „Wir haben natürlich überlegt – Fahrradkirche, Motorradkirche, aber es ging uns auch darum, einen Ort der Identifikation zu schaffen für Menschen, die hier in der Region wohnen. Und da ist die plattdeutsche Sprache ja durchaus ein typisches Merkmal hier in Mecklenburg. Das gibt den Menschen mehr Identifikation als eine Fahrrad- oder Motorradkirche.“ Zum Programm gehören neben neun plattdeutschen Gottesdiensten im Jahr auch drei hochdeutsche und bis zu zwölf Kulturveranstaltungen auf Hoch und Platt mit durchschnittlich 60 Besuchern – Konzerte, Lesungen oder Theateraufführungen zum Beispiel.

Austausch mit Besuchern

Der Förderverein hat außerdem zwei neue Projekte in der Pipeline. Er sammelt Geld, um die Kirchengemeinde zu unterstützen bei der Restaurierung der Börger-Orgel. Die ist derzeit in einem sehr schlechten Zustand, soll aber im kommenden Jahr wieder erklingen. Außerdem ist der Förderverein gerade dabei, gemeinsam mit dem „Meckelbörger Arbeitskrink Plattdüütsch in de Kirch“ eine Internetseite aufzubauen, auf der es Predigten, Andachten, Kirchenlieder und andere Texte auf Plattdeutsch gibt. „Damit andere Prediger oder Pastoren, die plattdeutsche Texte  in ihre Gottesdienste einbauen wollen, darauf zurückgreifen können“, erläutert Fördervereinsmitglied Claus Wergin die Idee. Auf www.kirche-mv.de/plattdeutsch gibt es bereits erste Texte und auch Hörbeispiele, denn Plattdeutsch ist eine Sprache, die man hören sollte, nicht nur lesen.

Bei allem möchten Förderverein und Kirchengemeinde „die Ideen der Bürger berücksichtigen und umsetzen, was die Leute interessiert und was sie in die Kirche bringt“, so Hansen. Dafür ist der Austausch mit den Besuchern wichtig. Der Tag der offenen Tür bietet viel Zeit dafür. Es gibt viel Lob für das Konzept, aber es wird auch deutlich, dass einige Besucher mit dem Plattdeutschen nicht so vertraut sind, gar Berührungsängste haben. Eine Besucherin erzählt Jürgen Hansen, dass sie sich sicher ist, sie würde kein Wort verstehen. Darum sei sie heute auch erst nach dem Gottesdienst in die Kirche gekommen, um sie sich anzusehen. „Probieren Sie es aus“, rät Jürgen Hansen, „Sie verstehen das, es ist keine Fremdsprache.“ Wer weiß, vielleicht sitzt sie schon bald in einer der Kirchenreihen, wenn wieder ein plattdeutscher Gottesdienst stattfindet und betet mit den anderen das Vaterunser up Platt zu Ende:

Un räken uns nich tau, wat wi unrecht daan hemm',
so as wi vergäben daun, wat uns wän schüllig is.
Laat uns nich dorhen kamen,
wo uns Tauvertrugen tau di intweibräken künn.
Un maak uns fri von alls un jeden,
wecke dat Läben rungenieren will'n.
Du wisst dat, du kannst dat, du deist dat ok.
Amen

Jana Bergmann (für evangelisch.de)