Morgenandacht zur EKD-Synode in Magdeburg am 8. November 2022
Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt
Unredigierte Fassung
Es gilt das gesprochene Wort
Guten Morgen, liebe Geschwister! Lasst uns miteinander Andacht feiern im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes, der Heiligen Geistkraft. Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen.
Wir gehören dem Schöpfer, nach dessen Bild wir alle geschaffen sind. In Gott atmen wir, in Gott leben wir, in Gott teilen wir das Leben der ganzen Schöpfung. Wir gehören Jesus Christus, dem wahren Ebenbild Gottes und der Menschheit. In ihm atmet Gott, in ihm lebt Gott. Durch ihn werden wir versöhnt.
Wir gehören dem heiligen Geist, der uns neues Leben schenkt und unseren Glauben stärkt. Im Geist atmet Liebe; im Geiste lebt Wahrheit. Der Atem Gottes bewegt uns alle Zeit.
Wir gehören der Heiligen Dreieinigkeit. In Gott sind wir geschaffen, in Christus sind wir alle beheimatet, im Geist sind wir alle vereint.
Liebe Geschwister, seit Kurzem schreibe ich wieder Tagebuch. Keine langen Einträge; eher kurze und knappe Notate. Eines davon will ich mit Euch, will ich mit Ihnen teilen. Es stammt von Sonntag, dem 30. Oktober:
„Ab mittags im Garten, Quitten geerntet im kurzärmeligen Shirt. Dann in der warmen Sonne gesessen, Quitten geschnitten zum Entsaften. Dabei mehrere Handvoll frischer Himbeeren von den Sträuchern zu den Nachbarn hin. Drei Erdbeerpflanzen blühen, an anderen mehrere reife Erdbeeren, aber von den Vögeln angepickt. In zwei Tagen ist November. Um die 20 Grad warm.“
Einen Eindruck festhalten, Erlebtes in Worte fassen, verbunden mit der Suche nach Verstehen, nach Interpretationen, nach den richtigen Schlussfolgerungen. Daniel Schaller, geboten 1550 in Stendal, dort Pastor bis zu seinem Tod im Jahr 1630, schrieb:
„Wie in einem alten Haus, in einem alten Körper die Fenster dunkel werden, wie an einem verlebten Körper das Gesicht abnimmt, also geht es jetzt mit der alten und kalten Welt auch. Sie nimmt zusehends ab. Die Sonne, Mond und andere Sterne leuchten, scheinen und wirken nicht mehr so kräftig als zuvor. Es ist kein rechter beständiger Sonnenschein, kein steter Winter und Sommer. Die Früchte und Gewächs auf Erden werden nicht mehr so reif, sind nicht mehr so gesund als wie sie wohl gewesen.“
Mit großer Beunruhigung hielt Daniel Schaller Veränderungen seiner Umwelt fest, die wir heute als Folgen der „Kleinen Eiszeit“ beschreiben. Ein Temperaturrückgang um zwei Grad Celsius zwischen 1570 und 1685 wälzte die Strömungen der Ozeane um, störte klimatische Kreisläufe und verursachte weltweit extreme Wetterereignisse. All das mit verheerenden Auswirkungen: Missernten, Hunger und sozialen Unruhen. Die Suche nach Schuldigen und Sündenböcken fand schnell ihre Opfer. Die intensivsten Verfolgungen und Ermordungen von Frauen als Hexen folgten nicht nur auf schlechte Ernten und für die Jahreszeiten ungewöhnliches Wetter. Sie fanden auch besonders in den Gegenden statt, die besonders stark von der Witterung abhängig waren.
Ich erzähle das nicht, um zu sagen: Klimawandel hat es schon immer gegeben, so geht es halt in der Natur. – Im Gegenteil. Während die Ursachen damals unklar blieben, sind sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute weltweit ganz überwiegend einig, die Klimaveränderungen, die wir gegenwärtig erleben, haben ihre Ursache insbesondere in den gestiegenen und weiter steigenden CO2-Emissionen.
Sie erreichen derzeit neue Spitzenwerte. Wir, die menschliche Spezies, verursachen, was gegenwärtig geschieht.
Die ersten Menschen, schreibt der Schriftseller Heinrich Detering in seinem cGedicht „Neolithikum“, sahen die Fülle noch, den Sternenhimmel blendend im fremden Glanz, die Wasser wimmelnd, Täler voller Tiere, Inseln erfüllt von süßen Klängen. Der frühe Morgen tönte vom Chorgesang, bei Nacht die Wälder hallten vom Käuzchenruf, von Sturz und Schrei, vom Rauschen breiter Schwingen. Mittags schwamm Gott in seinen Seen. Wie ließ es nach? Wie bleichte der Himmel aus? Wann leerten Wiesen, Wasser und Wälder sich von Schmetterlingen, Fischen, Vogelrufen? Wer von uns hörte zuerst die Stille?
Wer von uns hörte zuerst die Stille? Was gegenwärtig geschieht, hat Auswirkungen nicht nur auf einzelne Menschen oder Bevölkerungsgruppen wie im globalen Süden. Es hat nicht nur Auswirkungen auf einzelne Tier- oder Pflanzenarten, auf die Biodiversität. Es hat Auswirkungen auf die Gesellschaften weltweit. Es wirkt sich aus auf unser Zusammenleben.
Was verändert sich in einer Gesellschaft, wenn sich das Klima verändert, also das reale Klima mit Temperatur, Regen usw.? Das fragte vor wenigen Jahren der Historiker Philipp Blom mit Rückblick auf das 17. Jahrhundert. Die heute weltweit beobachtbaren Veränderungen, die sich gegenseitig überlagernden multiplen Krisen begleiten viele Menschen mit dem Lebensgefühl, dass die Zeit aus den Fugen, die Welt aus den Angeln ist. Es lohnt sich, denke ich, genau diese Situation und genau diese Krisen insbesondere mit der Brille, mit dem Blick auf den Klimawandel anzusehen und besser zu verstehen.
Aber ist es überhaupt nötig, noch mehr und noch besser zu verstehen? Als Menschheit fehlt es uns doch nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel, nicht an technischen Daten zu seiner Erhebung und auch nicht an Beschlüssen zu ökologischer Weltverantwortung. Was uns aber offensichtlich fehlt, ist der Wille zu verantwortlichem Handeln, und zwar jetzt.
Seit Jahren setzt sich die derzeit in Sharm el Sheikh tagende Weltklimakonferenz, seit Jahren setzen wir uns in unserem Land – auch als Kirchen – immer ambitioniertere Klimaziele, aber der CO2-Ausstoß geht eben nicht zurück. Im Gegenteil: Er steigt – nicht weil unsere Ziele nicht gut genug sind, sondern weil wir die Umsetzung nicht gelingt. Sicher werden wir heute über die vermuteten Gründe dafür sprechen, und bestimmt werden wir – ich hoffe es – mit guten Vorsätzen zur Klimaschutzrichtlinie auseinandergehen. Und ja, das ist eine ganze Menge.
Entscheidend aber wird sein, ob wir mit all dem, was wir diskutieren und verabschieden, auch ein neues Verständnis und eine andere Art des In-der-Welt-Seins verbinden – ein In-der-Welt- Sein, in dem wir Menschen uns im Gefüge alles Lebendigen verorten, als Wesen, die verwandt sind mit allem, was lebt, als Wesen in Beziehung – mit anderen Menschen, mit Gott, mit allem Leben auf der Erde.
Entscheidend wird sein, ob wir aus einer Haltung heraus leben, die zutiefst gewiss ist, alles Geschaffene wird von Gott erst zusammen als sehr gut erkannt, nichts allein für sich selbst, auch nicht der Mensch.
Und entscheidend wird sein, ob wir als Kirche, als Christenmenschen mitarbeiten an so etwas wie einem globalen Gemeinsinn. Ein Global Player könnten wir jedenfalls sein: eine weltweit kooperierende Kirche in ökumenischer Verbundenheit, die entschieden beiträgt zu einem Netzwerk von Barmherzigkeit, Geschwisterlichkeit, Schöpfungsverantwortung, eine weltweit kooperierende Kirche, der Gottes Geist die Kraft schenkt, einfacher und bescheidener zu werden in ihren Strukturen wie in ihren Ansprüchen, die aber grenzenlos ist in ihrer Liebe, in ihrem Engagement für Gottes Schöpfung, für Gerechtigkeit und Frieden, überfließend von Güte.
Daniel Schaller fürchtete zu seiner Zeit Empörung, Aufruhr und Rebellion. Er deutete die klimatischen Veränderungen als Vorboten des jüngsten Tages, darin alle Toten aufwachen, aus ihren Gräbern herfür gehen vor den Richterstuhl Jesu Christi, so schrieb er. Für ihn stand das Ende dieser Welt unmittelbar bevor. Und er stimmte damit ein in biblische Vorstellungen, die einen neuen Himmel und eine neue Erde erst nach dem mit vielen und großen Schrecken einhergehenden Untergang der bestehenden Welt heraufziehen sehen.
Andere biblische Stimmen wie die des Kollosserbriefes verweisen auf Christus, Ebenbild des unsichtbaren Gottes, Erstgeborener vor aller Schöpfung, und sehen in ihm durch die Zeiten hindurch alles Leben gehalten und geborgen. In Christus wird der Kosmos versöhnt und erfährt umfassende Erneuerung, aber die, so sagte es der Kolloserbrief, bedarf nicht der vorherigen Vernichtung. Denn in ihm, in Christus, ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten. Es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm.
Christus ist die Kraft in allem, was lebt. Er verkörpert Gottes Leben schaffende und Leben erhaltende Liebe. Er zeigt, wie alles Leben aufblüht, wenn es genährt, umsorgt und behütet wird, aufblüht selbst aus dem Tod – aus Liebe. Was für eine Hoffnung!
Oder zum Schluss etwas Bodenständiger mit Martin Luther: Gottvater, Gottsohn mit dem Heiligen Geist lassen von ihren Werken nicht ab, wie Handwerksleute, Schuster und Schneider von ihrer Arbeit ablassen, wenn sie Schuhe und Kleider gemacht haben. Sie hören nicht auf, an dem, das sie geschaffen haben, zu wirken bis an das Ende. Und ehe ein Ding sein Ende hat, schaffen sie anderes an seiner statt, dass also ihr Geschöpf für und für währet.
So möge es sein, liebe Geschwister. – Amen. Lasst uns singen.
(Lied: „Und ein neuer Morgen“)
Lasst uns beten: Groß und wunderbar sind deine Werke, Gott. Wir danken dir für die Vielfalt deiner Schöpfung, für die vielen Möglichkeiten, die du uns schenkst, in deiner Schöpfung in Freiheit zu leben. Wir bekennen, wir haben deine Schöpfung entstellt. Wir gebrauchen Sie – gedankenlos. Wir lassen es an Sorge und Fürsorge für sie fehlen. Und wir bitten dich: Öffne uns die Augen für das Leid, das daraus erwächst, für Menschen insbesondere im globalen Süden, für die Generationen unserer Kinder und Enkelkinder, für die Vielfalt von Pflanzen und Tieren, für das Leben auf diesem Planeten. Lehre uns, aus deiner Gnade in deiner Schöpfung zu leben und für Gegenwart und Zukunft des Lebens auf der Erde Verantwortung zu übernehmen.
Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit. Amen.
Lebt in der Kraft des Heiligen Geistes, die uns, die euch geschenkt ist. Lebt einfach, leichtfüßig, lebt zart. Haltet Ausschau nach Liebe und Barmherzigkeit. So segne und behüte euch Gott, allmächtig, barmherzig, Vater, Sohn, Heilige-Geist-Kraft. Amen.